Ein elektronischer Insektengrin
Zugegeben, Bayreuth der letzten Jahre hat überwiegend weit Schlimmeres gezeigt. Dieser Grin war harmlos anzusehen, manche Bilder waren sogar recht hübsch, teilweise beeindruckend, deswegen habe ich ihn mir vollständig angesehen.
Zunächst zur Besetzung: Endlich wieder einmal eine Sternstunde für Bayreuth, wobei es ein Glücksfall war, dass Piotr Beczala eingesprungen ist. Einen besseren Lohengrin kann ich mir zur Zeit kaum vorstellen. Aber auch die anderen Beteiligten – einschließlich Dirigent – waren für mich Spitze.
Die Inszenierung war zwar erträglicher als der Rattengrin (und sonstige, hier häufig genannte Grins). Aber schon im ersten Bild muss man fragen, ob es zur Zeit Heinrichs I (des Voglers, 876 – 936 n.Chr.) die Elektrizität genutzt wurde, denn das Transformatorenhäuschen und sonstige Elektrodrähte, die sich dann durch die ganze Oper zogen schien mir völlig fehl am Platze, ebenso die auf der Bühne platzierten Isolatoren (Habe ich etwa im Geschichtsunterricht geschlafen, als von Heinrich I die Rede war?).
Dann die Kostüme: ein undefinierbarer Mischmasch von Halskrausen bis hin zu „Meisje“-Dress und Adidas-Schuhen, dazu viele mit geradezu lächerlichen Insektenflügeln. Der Grin in Monteurskleidung, der mit einen Vehikel auf dem Transformatorenhäuschen landete, das wohl das Gegenstück zu einem Tarnbomber war (so gut sichtbar war es). Die Schwerter und der Scheiterhaufen passten nun garnicht ins Elektronikzeitalter. Vor die Isolatoren hätte da wohl besser ein elektrischer Stuhl gepasst.
Das Nachtblau ließ sich ja hinnehmen bis spätestens zu der Stelle, als König Heinrich singt: „Am Mittag hoch schon steht die Sonne“. Es passte überhaupt manches nicht zum Wagnerschen Text, aber ich habe das nicht alles notiert.
Dann der alberne Luftkampf. Albern wurde es auch im zweiten Akt, als Elsa ihr „Euch Lüften, die mein Klagen...“ aus dem kleinen Guckloch im Transformatorenhäuschen sang.
Manche Fortschrittsgläubige beanstanden ja immer wieder die Statik des Geschehens auf der Bühne. Mir ist die Statik lieber als das unmotivierte Gerangel unter den Mannen zu Beginn des zweiten Teils im zweiten Akt. Übrigens wurden auch sonst (um unnötige „Action“ zu erzeugen?) oft von den Figuren undeutbare Verrenkungen und Gesten vollzogen.
Lustig war auch die Drehung des Transformatorenhäuschens zu Beginn des dritten Aktes. Da erschien dann ein winziges Räumchen mit zwei Betten und einer Säule (bestehend aus einem Isolator, wo später auch wieder einige elektronische Spielchen stattfanden). Die Vorlesungen aus irgendwelchen Büchern (Bibeln oder Gebrauchsanweisungen für die Liebe?), die der Grin und Elsa zu besten gaben, waren nur lächerlich anzusehen. Und dann erneut eines dieser albernen Fesselspielchen, wie wir sie schon im ersten und zweiten Akt gesehen hatten und mit dem der Regisseur wohl einigen Leerlauf füllen wollte.
Dann kamen die Mannen mit Fackeln in der Form von Nachtfaltern, die lustig blinkten, zusammen, um die Gralserzählung zu hören. Elsa musste eine orangefarbene Kiepe als Rucksack über die Bühne tragen. In der Schlussphase endlich dieser grüne Wassergnom mit Leuchtstäbchen, der gerade aus dichten Algen herausgestiegen zu sein schien und mit Elsa Richtung Publikum schritt. Wenigstens war der nicht so ekelerregend wie der scheußliche Embryo am Ende des Rattengrin.
Also wieder ein Grin, der am eigentlichen „Lohengrin“ durch alle diese in keinem Zusammenhang stehenden Spielchen (für mich ohne jeden Sinn) banalisiert und karikiert wurde. Ich glaube, wenn Wagner selbst im Publikum gesessen hätte, hätte er einige elektronische Blitze geschleudert. Dann brauchten sich die Personen am Ende nicht hinzulegen, sondern wären von selbst umgefallen.
Liebe Grüße
Gerhard