Bayreuth 2018

  • Ein elektronischer Insektengrin
    Zugegeben, Bayreuth der letzten Jahre hat überwiegend weit Schlimmeres gezeigt. Dieser Grin war harmlos anzusehen, manche Bilder waren sogar recht hübsch, teilweise beeindruckend, deswegen habe ich ihn mir vollständig angesehen.
    Zunächst zur Besetzung: Endlich wieder einmal eine Sternstunde für Bayreuth, wobei es ein Glücksfall war, dass Piotr Beczala eingesprungen ist. Einen besseren Lohengrin kann ich mir zur Zeit kaum vorstellen. Aber auch die anderen Beteiligten – einschließlich Dirigent – waren für mich Spitze.
    Die Inszenierung war zwar erträglicher als der Rattengrin (und sonstige, hier häufig genannte Grins). Aber schon im ersten Bild muss man fragen, ob es zur Zeit Heinrichs I (des Voglers, 876 – 936 n.Chr.) die Elektrizität genutzt wurde, denn das Transformatorenhäuschen und sonstige Elektrodrähte, die sich dann durch die ganze Oper zogen schien mir völlig fehl am Platze, ebenso die auf der Bühne platzierten Isolatoren (Habe ich etwa im Geschichtsunterricht geschlafen, als von Heinrich I die Rede war?).
    Dann die Kostüme: ein undefinierbarer Mischmasch von Halskrausen bis hin zu „Meisje“-Dress und Adidas-Schuhen, dazu viele mit geradezu lächerlichen Insektenflügeln. Der Grin in Monteurskleidung, der mit einen Vehikel auf dem Transformatorenhäuschen landete, das wohl das Gegenstück zu einem Tarnbomber war (so gut sichtbar war es). Die Schwerter und der Scheiterhaufen passten nun garnicht ins Elektronikzeitalter. Vor die Isolatoren hätte da wohl besser ein elektrischer Stuhl gepasst.
    Das Nachtblau ließ sich ja hinnehmen bis spätestens zu der Stelle, als König Heinrich singt: „Am Mittag hoch schon steht die Sonne“. Es passte überhaupt manches nicht zum Wagnerschen Text, aber ich habe das nicht alles notiert.
    Dann der alberne Luftkampf. Albern wurde es auch im zweiten Akt, als Elsa ihr „Euch Lüften, die mein Klagen...“ aus dem kleinen Guckloch im Transformatorenhäuschen sang.
    Manche Fortschrittsgläubige beanstanden ja immer wieder die Statik des Geschehens auf der Bühne. Mir ist die Statik lieber als das unmotivierte Gerangel unter den Mannen zu Beginn des zweiten Teils im zweiten Akt. Übrigens wurden auch sonst (um unnötige „Action“ zu erzeugen?) oft von den Figuren undeutbare Verrenkungen und Gesten vollzogen.
    Lustig war auch die Drehung des Transformatorenhäuschens zu Beginn des dritten Aktes. Da erschien dann ein winziges Räumchen mit zwei Betten und einer Säule (bestehend aus einem Isolator, wo später auch wieder einige elektronische Spielchen stattfanden). Die Vorlesungen aus irgendwelchen Büchern (Bibeln oder Gebrauchsanweisungen für die Liebe?), die der Grin und Elsa zu besten gaben, waren nur lächerlich anzusehen. Und dann erneut eines dieser albernen Fesselspielchen, wie wir sie schon im ersten und zweiten Akt gesehen hatten und mit dem der Regisseur wohl einigen Leerlauf füllen wollte.
    Dann kamen die Mannen mit Fackeln in der Form von Nachtfaltern, die lustig blinkten, zusammen, um die Gralserzählung zu hören. Elsa musste eine orangefarbene Kiepe als Rucksack über die Bühne tragen. In der Schlussphase endlich dieser grüne Wassergnom mit Leuchtstäbchen, der gerade aus dichten Algen herausgestiegen zu sein schien und mit Elsa Richtung Publikum schritt. Wenigstens war der nicht so ekelerregend wie der scheußliche Embryo am Ende des Rattengrin.
    Also wieder ein Grin, der am eigentlichen „Lohengrin“ durch alle diese in keinem Zusammenhang stehenden Spielchen (für mich ohne jeden Sinn) banalisiert und karikiert wurde. Ich glaube, wenn Wagner selbst im Publikum gesessen hätte, hätte er einige elektronische Blitze geschleudert. Dann brauchten sich die Personen am Ende nicht hinzulegen, sondern wären von selbst umgefallen.


    Liebe Grüße
    Gerhard


    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat

    Zitat von LaRoche: Tonwackler hatte ich bisher zwei bemerkt, aber einmal wackelte das Bild für etwa 1-2 Sekunden wie bei einem Erdbeben.

    Lieber La Roche,


    vielleicht hat sich Wagner gerade im Grab herumgedreht und ein leichtes Beben erzeugt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Aber schon im ersten Bild muss man fragen, ob es zur Zeit Heinrichs I (des Voglers, 876 – 936 n.Chr.) die Elektrizität genutzt wurde, denn das Transformatorenhäuschen und sonstige Elektrodrähte, die sich dann durch die ganze Oper zogen schien mir völlig fehl am Platze, ebenso die auf der Bühne platzierten Isolatoren (Habe ich etwa im Geschichtsunterricht geschlafen, als von Heinrich I die Rede war?).

    Ob Geschichtsunterricht verpennt oder nicht, kannste dir nur selbst beantworten.
    Was die historische Zeit Heinrichs I. betrifft, da sind Transformatorenhäuschen genau so fehl am Platz, wie Worte, die ihm Wagner im 3. Akt unterlegte:
    Für deutsches Land das deutsche Schwert!
    So sei des Reiches Kraft bewährt!

  • Was die historische Zeit Heinrichs I. betrifft,

    ... hat Wagner in "Oper und Drama" die Konzeption eines "historischen Dramas" als schlechterdings widersinnig abgelehnt! Dass also der Lohengrin eine Darstellung der historischen Zeit Heinrich I. sein soll, ist nun gerade mit Blick auf Wagner selbst eine mehr als seltsame Vorstellung! :D :D :D :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Im Kino am Potsdamer Platz habe ich die Premiere des Lohengrin in Bayreuth verfolgt. Allen, die die Sänger loben, möchte ich mich anschließen. Um ein Urteil über das Orchester abzugeben - außer es zu loben, was eine sichere Bank ist - ist der Klang im Kino dem im Opernhaus zu fern. So beschränke ich mich auf ein paar Anmerkungen zu Inszenierung, die mir sehr gut gefallen hat:


    Ein Mädchentraum


    Der Bayreuther Lohengrin von 2018 ist ein coming-of-age Drama. Elsa wird erwachsen.
    Sharon und Rauch/Loy setzen ein nächtliches Feenreich in Szene. Die Figuren sind mit feinen Insektenflügeln versehen, Lohengrin und Telramund sogar kurzzeitig flugfähig. Man mag an Carrolls Sylvie und Bruno denken, oder auch an Baums Zauberer von Oz - der Regisseur kennt die anglofone fantastische Kinderliteratur und kann sich aus deren Fundus bedienen.
    Seinen Zugriff auf den Stoff finde ich bei Adorno beglaubigt: "Es ist Elsas Vision, in welcher sie als Träumende den Ritter und alle Handlung gleichsam herbeizieht."
    Dabei arbeite Sharon in seiner Inszenierung durchaus wortgetreu:
    "In lichter Waffen Scheine ein Ritter nahte da, so tugendlicher Reine ich keinen noch ersah: ein golden Horn zur Hüften, gelehnet auf sein Schwert, - so trat er aus den Lüften zu mir, der Recke werth."
    Der Kavalier, den Elsa sich herbeiträumt, ist kein Mann aus Fleisch und Blut, sondern ein nächtlich-luftiger Elfenfürst. Piotr Beczała singt ihn lyrisch, aber mit Durchschlagskraft. Er hat genau die richtige Stimme für diese Inszenierung.
    Es heißt, deren Farbe sei bereits gesetzt gewesen, als Sharon nach Bayreuth stieß, aber das dürfte ihn nicht eingeschränkt haben: für Elsas Traum kann es nur das asexuelle Blau sein. Lohengrin landet also im blauen Einteiler, nicht als Pilot, sondern als mädchenhafte Vorstellung von einem solchen, Werbebildern aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht unähnlich.
    Konsequent, daß das Duell mit Telramund dann als Luftkampf stattfindet, verblüffend aber, daß L. seine Flügel erst nach der Auseinandersetzung erhält. Die Energie, die er aus dem Gralsreich bezieht und die sichtbar durch die Kabel fließt, nimmt er an der Transformatorenstation, deren Umgebung seinen möglichen Aktionsradius festlegt, auf.
    Das Frageverbot, das der Elfenfürst ausspricht, ist nicht Oppression im Geschlechterverhältnis, sondern formuliert die Bedingung für die Fortdauer des Mädchentraums vom "züchtigen Gebaren" ohne geschlechtliche Akteurs. Leib und Seele kann Elsa der elfischen Erscheinung nicht freigeben, das Angebot ist bloß rekognoszierend und im Moment, in dem es ausgesprochen ist, ahnt Elsa, daß es sich an einen unfähigen Adressaten richtet.
    Frau Harteros ist für diese Deutung eine gute Besetzung. Ihre Elsa ist spröde und singt - gerade im ersten Akt - zuweilen etwas fahl. Lockung und Liebreiz entfaltet sie nur in der zweiten Szene des zweiten Akts, als sie die scheinbar zaudernde Ortrud auf ihre Seite zu ziehen sucht. Diese ersten beiden Szenen, in denen Ortrud Telramund instruiert und sich tückisch Elsa nähert, legt Rauch in eine nächtliche Sommerlandschaft, zwischen Hecken, die Deckung bieten und fantastisch anmutende Pflanzen. Das ist ein Zaubergarten, dessen Duft berauschende Wirkung hat. Elsa scheint ihm schon ein wenig entwachsen, ihr "Euch Lüften, die mein Klagen" singt sie aus dem lukenartigen Fensterchen der Umspannstation. Ortrud liest Elsas Zukunft aus der Hand und klappt sie resolut zu, als das Mädchen nachfragen will. Ein schönes Detail! Elsa wiederum demonstriert der Älteren ihre Tugendhaftigkeit, die eigentlich Unwissen ist und Ortrud erlaubt, den Zweifel in Elsas Herz zu säen. Waltraud Meier beherrscht diese Szenen. Es ist ein Vergnügen, sie bei der Arbeit zu sehen und zu hören.
    Das Brautgemach des dritten Aktes ist das Innere des Trafohauses. Es ist in oranges Licht, dem blauen komplementär, getaucht. Was Ortrud im zweiten Akt gelang - Telramund an sich zu fesseln, mißlingt Lohengrin bei Elsa. Auch die Gralsenergie, die einströmt, hilft ihm nicht. Die junge Frau entwächst der Elfenwelt. Die Fragen des Erwachsenwerdens kann keine der Traumfiguren beantworten. Bei den Schlußtablaeus leuchtet es nochmal blau. Elsa ist inzwischen orange gewandet. Fast ein wenig sezierend ist ihr Blick auf das Treiben des Feenvolks, das sie nun hinter sich zurückläßt. Als sie sich endgültig abwendet, zerfällt das nächtliche Reich: In Trauer und Trümmer stürzt sie die trügende Pracht!

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Lieber Hans Heukenkamp,
    soeben habe ich mit großem Vergnügen Deinen Beitrag 125 "Ein Mädchentraum" gelesen. Deine Beobachtungsgabe, Dein Stil, die Qualität der Wiedergabe, das alles ist Spitzenniveau und steht Tamino gut zu Gesicht.
    Allerdings - wenn ich nicht gewußt hätte, daß es sich um Lohengrin handelt, wäre mir der Gedanke gekommen, daß eine Folge der bei Mädchen um die 8 Jahre sehr beliebten ZDF-Kinderfilmreihe "Mia and me" beschrieben worden wäre, ergänzt mit Zaubersprüchen von Bibi Blocksberg. So kann ich die Einfälle von Regie/Bühnenbild/Kostüm eigentlich nur als Satire ernstnehmen, denn für Mädchen um die 8 Jahre dürfte Bayreuth bis nach Mitternacht tabu sein. Schöne Bilder waren es trotzdem, und welcher Erwachsene träumt nicht gerne von Feen und Elfen in blau.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Hans,


    schönen Dank für deine, wie ich finde, zutreffende und im wahrsten Sinne des Wortes "farbige" Deutung dieser Inszenierung und ihre musikalische Umsetzung. Den einen oder anderen Aspekt, z. B. die Bedeutung der Fesselungsszenen in der Auseinandersetzung zwischen den Hauptkontrahenten Ortrud und Telramund sowie Elsa und Lohengrin, hatte ich ja auch schon erwähnt, und die Emanzipation Elsas, die ja hier auch im Zusammenhang mit dem Prometheusgedanken genannt wurde, nur, dass hier nicht das Feuer, sondern das (elektrische) LichtLicht gebracht wurde.
    Mit der Farbenlehre des Regie- und Bühnenbildteams hatzte ich mich allerdings nichst so intensiv auseinandergesetzt:



    Leider konnte ich kein Fotos Elsas aus dem dritten Akt finden, in dem sie das tieforangene Kleid trägt. Denn dann hätte man auch schon mit dem schleichenden Wandel der Farben vom nächtlichen Blau zum Orange des sonnigen Tages den Wandel, die Emanzipation, oder wie du sagtest, das Erwachsenwerden Elsas, an ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck erkennen können.
    Wenn man schließlich die Farbe Blau als Symbol von Nacht und Vergangenheit betrachtet, kann man Orange eben durchaus als Symbol für Tag, Gegenwart und Zukunft ansehen. Und dazu gehört auch, dass der Tournister, der Elsa von Lohengrin überreicht und auf den Rücken geschnallt wird, orange ist. Er enthält die Gegenstände, die Elsas Bruder gehören und die sie ihm nach seiner Rückkehr überreichen soll.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Naive Frage: Wenn durch Lohengrin erst der Strom fließt, wer wusste dann zuvor, wie und wo man die Trafostation hinstellen muss?Und warum muss das Kind am Ende ein grünes Marsmännchen sein?

  • Trotz der ironisierenden Überschrift und der Tatsache, dass ich normalerweise eher Aufführungen bevorzuge, die sich möglich eng an den gedruckten Text des Librettos halten, fand ich diesen Lohengrin sehr gelungen!
    Die Aufführung war durchdacht, phantasiereich und ästhetisch, Hans Heukenkamps Ausführungen im Bezug auf die Anspielungen an eine Märchenwelt finde ich absolut zutreffend, ebenso Willis Anmerkungen zur Farbdramaturgie und Lichtführung. Neo Rauchs Bühnenbild ist gleichfalls überaus gelungen, und der weite Atem der Musik findet sich im wuchtigen Duktus der Bildgestaltung wieder, auch das Fokussieren auf die Farbe blau ist reizvoll und passend.
    Musikalisch fand ich es auch auf sehr hohem Niveau, Einspringer Piotr Beczala ein absoluter Glücksfall, erste Sahne, technisch hervorragend, unforciert, souveräne Tongebung und Phrasierung mit Kraft und Schmelz, klasse. Auch die anderen Solisten sehr gut, ebenso der Chor sehr eindrucksvoll. Thielemann setzt gekonnt die Akzente und dirigiert bisweilen eigenwillig, aber sehr stimmig. Für eine Live-Aufführung fand ich auch kleinere Unebenheiten absolut in Ordnung und nicht schlimm.
    Regie fand ich interessant, im Titel habe ich ja schon den Begriff "Steampunk" erwähnt, der eine Spielart der phantastischen Literatur beschreibt, die m. E. hier Pate gestanden hat, siehe auch hier:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Steampunk


    Dass Bayreuth sich dem Insektensterben entgegenstemmt, ist ja löblich, und ich sehe auch den märchenhaften Ansatz als bedenkenswert an, nur muss man aufpassen, dass die Effekte nicht in ungewollte Komik umkippen (so wie die "Luftschlacht" beispielsweise). Aber insgesamt sind diese Dinge alle zu verschmerzen und schmälern nicht den gelungen Gesamteindruck. Hier wurde im Zusammenspiel von Regie, Dramaturgie und Musik ein stimmiges Konzept erarbeitet, das eine wirklich sehens- und hörenswerte Produktion hervorgebracht hat. Daher von mir: Bravo! :jubel:

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  • Der Bayreuther Lohengrin von 2018 ist ein coming-of-age Drama. Elsa wird erwachsen.


    Lieber Hans,
    danke für Deine analytische Lohengrin-Betrachtung. Dabei sind Dir nachdenkenswerte Schlussfolgerungen geglückt. Langsam ergibt sich in unseren Tamino Urteile ein gewisser Trend: Musikalische Wiedergabe ausgezeichnet, sängerische Leistungen besonders durch den neuen Lohengrin Piotr Beczala bester Bayreuth würdiger Wagnergesang, Bühnenbild wird als akzeptabel, teilweise sogar in der Farbgebung, als schön empfunden, Hauptprobleme werden bei der Inszenierung gesehen, sehr konträre Ansichten. Letztlich wird die regieliche Leistung doch als Kompromiss angenommen, weil sie unterschiedliche Erwartungen erfüllt und die Handlung nicht zu sehr auf den Kopf stellt. Insgesamt bedeutet das, dass man heute schon zufrieden ist, wenn eine annehmbare Leistung erreicht wird. Das ist für Bayreith wo Maßstäbe gesetzt werden sollen zu wenig.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • So beschränke ich mich auf ein paar Anmerkungen zu Inszenierung, die mir sehr gut gefallen hat:

    Danke, lieber Hans, das war für mich sehr aufschlussreich! Ich werde wohl heute Abend, wenn die Temperaturen erträglich sind, in die Inszenierung reinschauen. Offenbar sind doch so ziemlich alle irgendwie zufrieden, das ist doch schon einmal etwas! :) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Hans,


    ich habe mir den ersten Akt eben angeschaut - und das Pauseninterview mit Waltraut Meier. Mit Deiner vorzüglichen Erläuterung verstehe ich das alles sehr gut, gestehe aber, dass ich in der anglophilen Kinderliteratur nicht so vertraut bin wie vielleicht ein Zuschauer aus dem angelsächsischen Raum. Das finde ich ein gewisses Problem, denn die Aufführung findet ja vor einem deutschen Publikum statt. Der Verständnishorizont, den Sharon hat, ist bei mir also nicht so da, so dass ich auch gewisse Dinge nicht so gut verstehe. Warum hat der König Flügel an? Warum bekommt sie Lohengrin erst nach dem Luftkampf verliehen?


    Dass Lohingrin als das Gegenstück zum Tannhäuser zu verstehen ist und die Liebesbeziehung asexuellen Charakter hat, ist wohl in der Literatur ein gängiges Interpretationsschema. Das Blau (man denke an Novalis und die "blaue Blume" der Romantik) steht für die "reine" Liebe. Nun war Wagner ja kein reiner Romantiker, aber mit seiner Feuerbach-Lektüre und dem, was er das "Rein-Menschliche" im Anschluss nennt, ist das kompatibel: als Utopie. Das alles finde ich schlüssig und ist auch schön anzuschauen. Auch hat er sich mit Wagners Regieanweisungen aueinandergesetzt und sie in sein Konzept aufgenommen - Elsa erscheint in Weiß!


    Ein bisschen vermisse ich allerdings die Konsequenz. Da wird Elsa an dieses Umspannwerk gebunden. Man denkt: Dann wird sie unter Strom gesetzt als Todesurteil. Aber nein: Es wird Holz für den Scheiterhaufen gebracht. Dieser Mixmax von Mittelalter und Moderne ist dann doch sehr "postmodern". :D


    Musik und Sänger gefallen mir sehr gut! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ein bisschen vermisse ich allerdings die Konsequenz. Da wird Elsa an dieses Umspannwerk gebunden. Man denkt: Dann wird sie unter Strom gesetzt als Todesurteil. Aber nein: Es wird Holz für den Scheiterhaufen gebracht. Dieser Mixmax von Mittelalter und Moderne ist dann doch sehr "postmodern". :D


    Lieber Holger,
    ich stimme Dir zu: Es gibt allerhand Details in dieser Inszenierung, die widersprüchlich sind, oder nicht ganz zueinander passen. Aber das Vergnügen an Sharons Zugriff, Rauchs Bühnenbildern und dem großartigen Piotr Beczała ließ mich das alles schnell vergessen.
    Es grüßt Hans.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • ich stimme Dir zu: Es gibt allerhand Details in dieser Inszenierung, die widersprüchlich sind, oder nicht ganz zueinander passen. Aber das Vergnügen an Sharons Zugriff, Rauchs Bühnenbildern und dem großartigen Piotr Beczała ließ mich das alles schnell vergessen.


    Lieber Hans,

    wir stimmen in der Beurteilung vollkommen überein.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans,


    ich breche gleich nach Schleswig-Holstein auf, um in Lübeck, Kiel und Rendsburg drei Schumann-Konzerte mit sämtlichen Sinfonien und anderen Werken zu genießen. Dir und deiner Ingrid wünsche ich viel Vergnügen bei eurem bevorstehenden diesjährigen Bayreuth-Besuch. Ich werde mich aus dem Norden nochmal telefonisch bei euch melden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • ich stimme Dir zu: Es gibt allerhand Details in dieser Inszenierung, die widersprüchlich sind, oder nicht ganz zueinander passen. Aber das Vergnügen an Sharons Zugriff, Rauchs Bühnenbildern und dem großartigen Piotr Beczała ließ mich das alles schnell vergessen.

    Lieber Hans,


    Wagner macht es uns ja nicht einfach. Über Nacht nachgedacht verstehe ich den Ansatz glaube ich besser. Warum tritt Lohengrin mit diesem Blitz auf? Darauf gibt es eine Antwort. Wagner hat nämlich in Eine Mitteilung an meine Freunde das Verhältnis von Elsa und Lohingrin durch Homer interpretiert, den Semele-Mythos. Zeus nähert sich in menschlicher Gestalt einer sterblichen Frau, Semele. Die will von ihm wissen, wer er ist. Wenn Zeus verrät, dass er der Gott ist, weiß er, dass Semele verbrennen muss. Sie verbrennt dann ja auch. Von daher ist auch verständlich, warum Elsa am Schluss, als sich Lohengrin zu erkennen gibt, stirbt. Sharon hat offenbar Lohingrin als Zeus-Gestalt auftreten lassen. Deswegen hat er den Blitz in der Hand und das erklärt auch das Umspannwerk, es ist die Energiezentrale der Welt, versorgt vom Blitzeschleuderer Zeus. Auch die Kostümierung spricht dafür. Während die anderen Figuren mittelalterlich wirken, tritt Lohengrin mit Krawatte auf wie aus einer anderen Welt - hat etwas von der Glätte eines Investment-Bankers. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er nach dem Kampf die Flügel bekommt. Eigentlich als Gott steht er über allem, ist aber nun nach dem Kampf ein Mitglied des geflügelten Feenreiches geworden.


    Ich bin persönlich etwas vorsichtig, allzu schnell "Widersprüche" in der Regie zu konstatieren. Wenn Sharon tatsächlich die ganze Handlung als Traum Elsas interpretiert, indem sie ihre Reife im Überschreiten der Grenze von jungen Mädchen zur erwachsenen Frau findet, dann dürfen Widersprüche sein. Denn der Traum ist - im Unterschied zur Realität - widersprüchlich. Entscheidend ist das Schwierigste, nämlich wie das Frageverbot zu verstehen ist. Da zeigt sich letztlich, ob das Konzept schlüssig ist. Wagner selbst gibt hier allerdings mächtige Rätsel auf. Dass die Deutungen da ins Kraut schießen, liegt finde ich an diesem bei Wagner selbst zentralen aber wenig eindeutigen Punkt. Aufschlussreich ist hier die Parodie von Heinrich Mann:


    „>Das kommt davon<, bemerkte Diederich, indes er Guste in den Mantel half. (...) >Wovon kommt es denn<, meinte Guste (...) >Bloß weil sie wissen will, wer er ist? Das kann sie wohl verlangen, das ist nicht mehr wie anständig.< >Es hat einen höheren Sinn<, erklärte ihr Diederich streng. >Die Geschichte mit dem Gral, das soll heißen, der Allerhöchste Herr ist nächst Gott nur seinem Gewissen verantwortlich. Na, und wir wieder ihm. Wenn das Interesse Seiner Majestät in Betracht kommt, kannst du machen, was du willst, ich sage nichts, und eventuell – < Eine Handbewegung gab zu verstehen, dass auch er, in einen derartigen Konflikt gestellt, Guste unbedenklich dahinopfern würde. Das erboste Guste. >Das ist ja Mord! Wie komm ich dazu, dass ich muss draufgehen, weil Lohengrin ein temperamentloser Hammel ist. Nicht einmal in der Hochzeitsnacht hat Elsa von ihm was gemerkt!< Und Guste rümpfte die Nase, wie damals beim Verlassen des Liebeskabinetts, wo auch nichts geschehen war.


    Auf dem Heimweg versöhnten sich die Verlobten. >Das ist die Kunst, die wir brauchen!< rief Diederich aus. >Das ist deutsche Kunst!< Denn hier erschienen ihm, in Text und Musik, alle nationalen Forderungen erfüllt. Empörung war hier dasselbe wie Verbrechen, das Bestehende, Legitime ward glanzvoll gefeiert, auf Adel und Gottesgnadentum der höchste Wert gelegt, und das Volk, ein von den Ereignissen ewig überraschter Chor, schlug sich willig gegen die Feinde seiner Herren. Der kriegerische Unterbau und die mystischen Spitzen, beides war gewahrt. Auch wirkte es bekannt und sympathisch, dass in dieser Schöpfung der schönere und geliebtere Teil der Mann war. >Ich fühl das Herze mir vergehn, schau ich wonniglichen Mann<, sangen auch die Männer samt dem König. So war denn die Musik in ihrem Teil der männlichen Wonne voll, war heldisch, wenn sie üppig war, und kaisertreu noch in der Brunst. Wer widerstand da? Tausend Aufführungen einer solchen Oper, und es gab niemand mehr, der nicht national war! Diederich sprach es aus: >Das Theater ist auch eine meiner Waffen!< Kaum ein Majestätsbeleidigungsprozess konnte die Bürger so gründlich aus dem Schlummer rütteln. >Ich habe den Lauer in die Vogtei gebracht, aber wer den >Lohengrin< geschrieben hat, vor dem nehm ich den Hut ab.< Er schlug ein Zustimmungstelegramm an Wagner vor. Guste musste ihn aufklären, es sei nicht mehr zu machen.“ (Heinrich Mann: Der Untertan)

    Wenn man bedenkt, dass Wagner selbst 1850, als Liszt das Werk in Weimar uraufführte, als steckbrieflich gesuchter Revoluzzer von 1848 im Schweizer Exil weilte, ist diese Rezeptionsgeschichte schon abenteuerlich. Aber sie ist bei Wagner selber angelegt. Denn dieses Frageverbot ist eine einzige "Unbestimmtheitsstelle". Der kaisertreue Untertan Diederich legt Lohengrins Verhalten so aus, dass hier Treue und Liebe gegeneinanderstehen, er also aus der Pflichterfüllung seines Staatsamtes die Liebe und die Geliebte gleich mit opfert. Guste in ihrer weiblichen Naivität hat natürlich völlig Recht: In der Hochzeitsnacht größtmöglicher Nähe darf es zwischen wirklich Liebenden keine Geheimnisse mehr geben. Wieso will dann Lohengrin um jeden Preis sein Geheimnis behalten? Wagner ist ja nicht Hölderlin, der den Semele-Mythos als Zeichen der Götterferne und eines "Schonens" der Götter interpretiert, denn er ist Feuerbach-Leser. Die Götter sind für Wagner also längst abgeschafft. Der Mythos steht demnach für einen anthropologischen und nicht theologischen Sachverhalt. Nur für welchen eigentlich? :S


    Ich bin mal gespannt, welche Antwort Sharon gibt. Heute Abend schaue ich mir erst einmal den 2. Akt an. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Den Bayreuther Lohengrin von 2018 kann man inzwischen komplett auf Youtube sehen.


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Liebe Freunde,

    auch ein blindes Huhn kann ein Korn finden: Ich fand eines unter http://www.sendungverpasst.de/Content/ rauchzeichen über Bayreuth. 28. 0718/ 3 sat. In dem Film von Hannah Friedrich "Rauchzeichen über Bayreuth" plaudern ungemein spannend und erhellend der Regisseur Yuval Sharon, der Maler Neo Rauch, Piotr Beczala, Anja Harteros und andere über die "Lohengrin"- Neuinszenierung. Für alle, die hier mit diskutieren wollen fast ein Muss. Sicherlich ist ein gewandter Tamino Kollege bereit, diesen Film hier einzustellen. Ich kann es nämlich nicht. Das blinde Huhn lässt nochmals grüßen und bedankt sich jetzt schon für die kollegiale Hilfe.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • auch ein blindes Huhn kann ein Korn finden: Ich fand eines unter http://www.sendungverpasst.de/Content/ rauchzeichen über Bayreuth. 28. 0718/ 3 sat. In dem Film von Hannah Friedrich "Rauchzeichen über Bayreuth" plaudern ungemein spannend und erhellend der Regisseur Yuval Sharon, der Maler Neo Rauch, Piotr Beczala, Anja Harteros und andere über die "Lohengrin"- Neuinszenierung. Für alle, die hier mit diskutieren wollen fast ein Muss. Sicherlich ist ein gewandter Tamino Kollege bereit, diesen Film hier einzustellen. Ich kann es nämlich nicht. Das blinde Huhn lässt nochmals grüßen und bedankt sich jetzt schon für die kollegiale Hilfe.

    http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=74814 (zuletrzt aufgerufen am 31.07.2018)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Den Film kannte ich bisher nicht, und ich habe ihn mir gleich angesehen. Sehr unterhaltsam - und nicht sonderlich tiefschürfend. Ein blauer "Lohengrin" als szenische Realisierung ist allerdings nicht so neu wie ich es dargestellt fand. Bühnenbildner Neo Rauch, ein Maler, gab gar einen Delfter Teller als Quelle seiner Inspiration heraus. Bereits 1958 hatte Wieland Wagner in seiner Bayreuther Neuinszenierung eine Orgie in Blau entfaltet. Darauf wurde mit keinem Wort eingegangen. :(



    In der "Geschichte der der Bayreuther Festspiele" von Oswald Georg Bauer heißt es: "Dieser Lohengrin, die bis dahin prunkvollste Inszenierung Wielands, war mit den Augen eines Malers, eines Ausstatters konzipiert." Holger gefällt, dass Lohengrin als Gescheiterter aus der Geschichte herauskommt. Ist das wirklich so neu? Ich will mich nicht in weiteren Einzelheiten verlieren. Vom Regisseur Sharon, Einspringer wie der Lohengrin-Sänger Beczala, ist noch viel zu erwarten, entnehme ich dieser Dokumentation. Er sagte sehr kluge Dinge über Oper in der Gegenwart. Seine Debüt in Bayreuth wäre sicher ganz anders ausgefallen, hätte er sich nicht so diszipliniert in die fast fertigen Bühnenbilder des Ausstatters einfügen müssen. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass ich seine Arbeit nur in einzelnen Szenen, nicht aber als ganzes, schlüssig fand.


    Beczala, neuerdings zerbricht man sich im TV bei der Aussprache seines Namens fast die Zunge, kam sehr sympathisch herüber.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hat jemand die heutige "Walküre" unter dem Dirigat (!) von Plácido Domingo verfolgt? Ich tat es nicht, las aber gerade erste Kommentare. Er soll extrem langsame Tempi angeschlagen haben, welche die Sänger wohl an ihre Grenzen brachten. Kann das jemand bestätigen oder dem widersprechen? Ich muss versuchen, an den Mitschnitt zu gelangen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph,
    grade ging die Walküre zu Ende und Herr Domingo bekam doch einige Buhrufe beim Schlußapplaus, wahrscheinlich wegen des extrem langsamen Dirigates. Den Mitschnitt kann man auf der Homepage von Br Klassik ab morgen nachhören.

  • Holger gefällt, dass Lohengrin als Gescheiterter aus der Geschichte herauskommt. Ist das wirklich so neu?

    Da kannst Du Dich besser aus, als ich, lieber Rüdiger, was die Inszenierungsgeschichte angeht! Alle kommen auf das Blau - mit Nietzsche angefangen. Sehr interessant.


    Ich finde Lohengrin ist so ziemlich die seltsamste Opernfigur, die Wagners Kollagetechnik zusammengeschnipselt hat. Klar aus dem Zeitkontext, dass der als strahlender Held konzipiert war: die 1848iger Revolution. Da haben wir Machtintrigen und einen schwachen König: Deutschland braucht einen strahlenden Helden als "Retter in der Not". Dann hat er aber diese Liebesgeschichte da reingebastelt, denn bei Wagner geht es immer um die Liebe. Dann kommen die Märchenmotive: Elsa in einer Notsituation, und der "Helfer" kommt. Das Dumme nur bei diesen Helfern, das sie nach getaner Leistung wieder gehen. Ein Jährchen bekommt eigentlich Elsa nur mit ihm... Noch ein Märchenmotiv, dass Lohengrin so ein Geheinmis um seine Herkunft macht: "Ach wie schön dass Niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß." Sobald man den Dämon beim Namen nennt, ist es mit der Wunder-Wirkung vorbei. Nun geht es aber weiter. Es kommt der Mythos: Zeus und Semele, allerdings mit Feuerbach umgedeutet. Wagner ist ja so stolz auf sich, dass er die alten Götter in menschliche Helden umgeschaffen habe. Das Motiv, dass Lohingrin blindes Vertrauen verlangt, ist erst einmal Theologie. Blindes Vertrauen wenn überhaupt hat man nämlich nur in Gott. Auch das ist aber schon fragwürdig bis hin zur Parodie. Bei Kierkegaard findet man zum Glauben nur durch "Furcht und Zittern" hindurch. Bei Wagner aber soll man vor dem gottgleichen Helden nicht zittern, sondern ihm blind ergeben sein. Wie unmenschlich das ist - bezeichnend formuliert Frau Harteros genau das, was Guste bei Heinrich Mann als Einwand formuliert - sieht man, wenn man sich wiederum an die Griechen erinnert, nämlich König Ödipus. Der kennt nämlich seine Herkunft nicht, bringt deshalb seinen Vater um und heiratet seine Mutter. Warum hat sich Wagner daran nur nicht erinnert, als er an Zeus und Semele gedacht hat? Und worin liegt eigentlich die Vermenschlichung des Göttlichen bei Lohengrin? Eigentlich hätte er doch durch die Liebe zu Elsa lernen können und müssen, dass der Zweifel untrennbar zur menschlichen Existenz gehört. Dann wäre Zeus-Lohengrin wirklich durch die Liebe verwandelt zum Menschen Lohengrin geworden. (Komisch: Siegfried erkennt sich durch die Liebe, Lohingrin aber so gar nicht!) Statt dessen macht er sich aus dem Staub - eigentlich weniger, wenn man das Textbuch liest, wegen Elsas bohrender Fragen, sondern wegen des Mordanschlags. Man hat das Gefühl, dass für ihn die menschliche Gesellschaft nicht "rein" und erhaben genug ist, er also lieber zu seinem Gral flüchtet. Wenn man dieses Modell des Helden wirklich Ernst nimmt, endet das beim blinden Glauben in einen Führer - beim "Untertan". Das hat Heinrich Mann glänzend gezeigt mit prophetischer Gabe geradezu. Lehrreich ist ja auch Chaplin. Chaplin verwendet die Lohengrin-Musik zum Ende seines "großen Diktators". Chaplin kannte also Lohengrin - und vielleicht genau deshalb können wir von ihm lernen, warum diese überstrahlenden romantischen Helden mit ihrer Unbedingtheit nicht nur unsympathisch, sondern ziemlich diabolisch sind. :D :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • IDas Motiv, dass Lohengrin blindes Vertrauen verlangt, ist erst einmal Theologie. Blindes Vertrauen wenn überhaupt hat man nämlich nur in Gott. Auch das ist aber schon fragwürdig bis hin zur Parodie. Bei Kierkegaard findet man zum Glauben nur durch "Furcht und Zittern" hindurch. Bei Wagner aber soll man vor dem gottgleichen Helden nicht zittern, sondern ihm blind ergeben sein.


    Ich möchte einwenden, daß der Held von der Welt kein blindes, sondern empirisches Vertrauen fordert:


    Ja, selbst dem König darf ich wehren
    und aller Fürsten höchstem Rat!
    Nicht darf sie Zweifels Last beschweren,
    sie sahen meine gute Tat!


    Das Frageverbot im Brautgemach geht über das in der Welt hinaus. Es ist berührt entweder ein Tabu, wie Friedrich Diekmann vermutet hat, der anmerkt, daß das Frageverbot Voraussetzung einer inzestuösen Beziehung ist. Oder es drückt aus, daß eine Liebe nicht mit den Maßstäben der Welt gemessen werden soll. Denn was Elsa in der Brautnacht unternimmt, ist genau das: Sie will den Mann auf Normalformat schrumpfen und ihn mit ihrer Welt kompatibel machen.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ich möchte einwenden, daß der Held von der Welt kein blindes, sondern empirisches Vertrauen fordert:


    Ja, selbst dem König darf ich wehren
    und aller Fürsten höchstem Rat!
    Nicht darf sie Zweifels Last beschweren,
    sie sahen meine gute Tat!

    Die Geschichte ist in der Tat eine "deutungsintensive"! :) Ich habe mir ja auch gedacht, Vertrauen und einen Vertrauensvorschuss geben ist in der Tat eine gute Sache. Wir kennen die Fälle von krankhafter Eifersucht. Ich kann keine Flüchtlinge integrieren wollen, wenn das Vertrauen nicht da ist, dass sie auch integrationswillig sind. Vertauen und Aufgeschlossenheit gehören zusammen. Nur ist finde ich die Sache zwischen Elsa und Lohengrin von Anfang an komplizierter. Der Zweifel hat in der Oper einen schlechten Beigeschmack, weil er das Mittel ist, um das Spinnen von Intrigen zu bewerkstelligen. Zweifel wird dann aus Misstrauen geboren - ich weiß ja im Grunde, dem Anderen kann man nicht trauen. Dann wird dagegen Vertrauen und Liebe als Ideal gesetzt.


    Aber das Handeln von Lohengrin gleich zu Beginn ist schon wenig empirisch. Elsa ist nicht weniger als des Mordes angeklagt. Lohengrin kommt nun aus der Fremde hereingeschneit wie ein deus ex machina und vertaut ihr einfach. Wieso eigentlich? Weil sie so schöne Augen hat? Er hat ja keinerlei Gelegenheit gehabt, mit ihr Erfahrungen zu machen, dass sie einen guten Charakter hat, um ihr vertauen zu können. Das finde ich empirisch, von der menschlichen Lebenserfahrung her, völlig unplausibel, "unwahrscheinlich", um in der Sprache der Dramentheorie zu sprechen.


    Deswegen ist die Begründung hier glaube ich eine andere zunächst einmal. Zu Beginn würde ich sagen ist Wagners Logik vom Märchen diktiert. Da ist dann das Unwahrscheinliche so unwahrscheinlich nicht, sondern plausibel. Ich hatte Rumpelstilzchen erwähnt. Klar, dass Lohengrin sagen kann: Ich habe Dir vertraut, also Du auch mir. Nur das erklärt das Frageverbot nicht. Die Märchenlogik aber schon. Es geht ja um das "Wunderbare", was Lohengrin verkörpert (was eigentlich im Drama "verboten" ist, weil es die Wahrscheinlichkeit aufhebt, was Wagner als Theoretiker natürlich weiß und in Oper und Drama deshalb sich mit dem Problem des Wunderbaren ja auch beschäftigt). Und das ist mit dem Unnennbaren verknüpft. Sobald er seinen Namen preisgibt, ist seine Magie weg - wie bei Rumpelstilzchen, dass schließlich tot umfällt, wenn man seinen Namen nennt.

    Das Frageverbot im Brautgemach geht über das in der Welt hinaus. Es ist berührt entweder ein Tabu, wie Friedrich Diekmann vermutet hat, der anmerkt, daß das Frageverbot Voraussetzung einer inzestuösen Beziehung ist. Oder es drückt aus, daß eine Liebe nicht mit den Maßstäben der Welt gemessen werden soll. Denn was Elsa in der Brautnacht unternimmt, ist genau das: Sie will den Mann auf Normalformat schrumpfen und ihn mit ihrer Welt kompatibel machen.

    Diese Auslegung verstehe ich nun wieder nicht. Wieso Inzestverbot? Völlig unempirisch ist doch die Vorstellung, Jemanden zu heiraten, von dem man so gar nicht weiß, wer er ist. Da mag die Liebe noch so leidenschaftlich sein, so etwas gibt es nicht. Nicht umsonst gibt es die Vorstellung bei den Griechen, dass der Mensch nur sein kann, wenn er seine Herkunft kennt. Deshalb begeht ja Ödipus die unvorstellbarsten Frevel, weil er nicht weiß, woher er kommt. Und wir wissen, dass adoptierte Kinder, denen man die Tatsache der Adoption verschwiegen hat, auf jeden Fall ihre biologischen Eltern kennen lernen möchten, auch wenn sie bei den Pflegeältern glücklich waren. Das ist anthropologisch offenbar ein Urbedürfnis. Was merkwürdig an diesem Frageverbot ist, warum Wagner da nicht zum Modell des Orpheus-Mythos gegriffen hat. Orpheus darf nicht ungeduldig werden und sich nicht umwenden, sonst verliert er Ariadne. Aber ihm wird doch in Aussicht gestellt, dass er, wenn er wieder auf der Weltbühne erscheint, die Geliebte endlich in den Armen halten darf. Warum hat Wagner das Frageverbot also nicht zeitlich begrenzt? Das hätte Elsa ja auch akzeptieren können. Wenn Lohengrin aber sagt: "Aus Glanz und Wonne komm´ ich her" - dann wird sie doch zurecht misstrauisch! Seine Wonne ist woanders - warum geht er nicht dahin zurück? Wieso kann sie sicher sein, dass er sie nicht verlässt? Die Geliebte will der Weltmittelpunkt des Geliebten sein - was auch der romantischen Vorstellung von Liebe entspricht. Wenn sie nun erfährt, sein Mittelpunkt ist woanders, erscheint das dann nicht zweifelhaft? Zur Liebe, gerade auch zur "idealen", gehört rückhaltlose Offenheit - der widerspricht Lohengrins Geheimniskrämerei. Nun wird immer gesagt, dass dies ein utopisches Konzept von Liebe sei. Nur finde ich nicht, welches das dann sein soll, was eine Glücksutopie fundieren sollte. Eine Liebe ohne rückhaltlose Offenheit, auf der lebenslang oder zumindest unabsehbar ein dunkles Geheimnis lastet? Was ist daran erstrebenswert? Wagner hat auch gar nicht plausibel gemacht, warum der Ritter Lohengrin überhaupt der Liebe entbrennt. Die Figur wird gar nicht genau gezeichnet in dieser Hinsicht, ob er einen Konflikt z.B. hat wegen seiner Liebe zu Elsa und seinem "Auftrag" durch den Gral. Er kann ja nicht den Weltretter auf Abruf spielen und zugleich verheiratet und nur für seine Liebe da sein. Wieso entbindet ihn die Liebe von seinem weltlichen Auftrag einfach? Auch das ist unplausibel. Wagner hat die Figur in dieser Hinsicht schlicht ziemlich vage gezeichnet. Man weiß nicht so richtig, woran man bei Lohengrin ist und wie man ihn einschätzen soll. Diese ihre Unbestimmtheit ist natürlich der Grund, warum sich die Figur so gut als Projektionsfläche eignet. Das ist wie Rezeptionsgeschichte zeigt ziemlich ungemütlich. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Kurze Anmerkung.......Ariadne nein Euridice, aber bitte weiter, sehr interresant!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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