Ernest Moeran: Sinfonien und Orchesterwerke

  • Aber die Naxos ist doch sehr preisgünstig und auch sehr gut.
    Wolfgang kann sie sich ja bei Interesse auch einmal kaufen und seine Eindrücke schildern.


    Außerdem finde ich es wirklich toll, daß es bei einer relativ unbekannten Sinfonie fast nur herausragende Aufnahmen gibt, keine einzige ist schlecht oder mittelmäßig.
    Für mich persönlich fällt die Dilkes-Aufnahme zwar hinter den anderen zurück, aber auf immer noch hohem Niveau.
    Da ist für jeden etwas dabei.


    LG,
    Michael

  • Hallo,


    nachdem ich gerade eben mal wieder die Moeran-Sinfonie gehört habe, möchte ich nun mein lang gehegtes Vorhaben in die Tat umsetzten, zu diesem Thema auch etwas beizutragen.


    Ich habe mir vor gut einem Jahr (angeregt durch die hiesige Diskussion) die von Michael empfohlene CD mit Leslie Heward zulegt - hier ist der Link zu jpc:



    Seither ist die CD schon sehr oft in meinem CD-Spieler gelandet und ich muss sagen, das Werk fasziniert mich. Übrigens hatte ich keinerlei Anlaufschwierigkeiten, was umso bemerkenswerter ist, da mir viele englische Werke eben nicht so stark zusagen (wie zum Beispiel Russisches).


    Klar erinnert Moerans Werk stellenweise an Vorbilder: Sibelius wurde ja schon genannt, und der Beginn der Durchführung des ersten Satzes erinnerte mich spontan an Tschaikowskis Sechste Sinfonie, ein Eindruck, den das Booklet mir bestätigte. Allerdings stören mich diese Bezüge nicht im Geringsten: das Werk wirkt absolut rund, in sich geschlossen und irgendwie doch sehr eigentümlich. Ich würde nicht davor zurückschrecken, die Sinfonie als Meisterwerk zu bezeichnen, und zwar vor allem wegen ihrer emotionalen Intensität.


    Die Landschaftseindrücke, die weiter oben (insbesondere in der Kritik zur Naxos-Einspielung) genannt wurden, sind zwar deutlich zu vernehmen, nicht zuletzt wegen der sangbaren Themen (das Hauptthema des ersten Satzes, auf das ja auch schon hingewiesen wurde, ist ein echter Ohrwurm!) und der modal angehauchten Harmonik. Moeran hat ja selbst berichtet, dass große Teile des Werkes inmitten der irischen Natur konzipiert wurden. Ich persönlich würde das Werk aber nicht darauf reduzieren wollen.


    Was mir beim Hören noch stärker auffällt, ist die Tragik und Bitterkeit dieser Musik. Das korrespondiert mit dem, was ich im Beiheft gelesen habe (übrigens nach dem ersten Hören, dass sich meine Eindrücke damit decken, ist also keineswegs Voreingenommenheit geschuldet). Im Booklet wird hierbei auf Moerans Biograph Geoffrey Self verwiesen, der eine Verbindung zu Moerans persönlichen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg herstellt - drei Jahre Front und eine schwere Kopfverletzung, die Moeran offenbar den Rest seines Lebens lang zu schaffen machte. Ich könnte kaum bessere Worte als der Bookletautor (Andrew Rose) finden, daher mal ein Zitat - die deutsche Version stammt allerdings (frei übersetzt) von mir selbst:


    Self schreibt: "Ich glaube, dass die g-moll-Sinfonie eine Art Requiem oder In Memoriam darstellt..." und bemerkt, wie der Komponist im ersten Satz pastorale Musikabschnitte durch "Bilder grimmiger Entschlossenheit" entstellt und zerstört. Der zweite, langsame Satz ist sicherlich dunkel und brütend, während das Finale bitter und zornig erscheint. Und dennoch finden wir im Scherzo eines der schönsten - und wahrhaftigsten - Beispiele eines englischen Sinfonie-Scherzos überhaupt. Sein Kontrast zum Rest des Stücks dient nur dazu, die kommenden Schwierigkeiten hervorzuheben.


    Das trifft sehr genau das, was ich über diese Sinfonie denke: der oben vielleicht etwas kritisierte dritte Satz ist so etwas wie das "Blümchen zwischen den Abgründen". Die Konflikte und Kämpfe der Sinfonie scheinen nur stellenweise durch, ansonsten sind hier deutlich folkloristisch-heitere Anklänge zu vernehmen (die Pizzikati!). Es ist ja nicht nur mit Abstand der kürzeste Satz dieser Sinfonie, sondern auch der einzige in Dur (Tonartenschema ist g-moll / h-moll / D-Dur / g-moll). Wenn dagegen die langsame Einleitung des Finales mit den intensiven, fast flehenden Streicherklängen beginnt, ist man wieder voll im Drama gefangen. Übrigens: den zweiten Satz finde ich auch nicht himmlisch, sondern sehr finster.


    Was das Finale betrifft: für mich besitzt eine Stelle (an der das Tempo etwas verlangsamt wird, so in etwa von 5:00 bis 7:00 in Hewards Einspielung) deutlich Trauermarschcharakter. Kurz vor Schluss herrscht, so wie ich die Sinfonie höre, pure Resignation, ehe grollende Paukenwirbel die Sinfonie zu dem oben besprochenen Schluss führen, der auf mich ein bisschen wie ein taumelnder Boxer wirkt. In der von mir zitierten Passage wird das Finale ja als "bitter" beschrieben, und so empfinde ich es ebenfalls.


    Insgesamt wie gesagt ein äußerst gelungenes Opus, das mittlerweile auch zu meinen besonders geschätzten Sinfonien zählt. Auch wenn ich keine Vergleichsaufnahme besitze, bin mit der Heward-Einspielung voll und ganz zufrieden. Klar rauscht es etwas (die Aufnahme ist aus dem Jahre 1942!), aber nicht so, dass die Musik entstellt würde. Und eine intensivere, packendere Interpretation kann ich mich schwerlich vorstellen; im Übrigen schenke ich Michaels Einschätzung volles Vertrauen.


    Viele Grüße
    Holger

  • Heute habe ich aus gegebenem Anlass eine Hörsitzung der g-moll Sinfonie absolviert. Der Unmittelbare Anlass war der Erwerb des Violinkonzerts, sowie der beiden Rhapsodien (auf Lyrita). Bevor ich mir den Neuerwerb anhöre - so dachte ich mit - wäre es vielleicht angebracht, mir die Sinfonie zurück ins Gedächtnis zu rufen.
    Und so möchte ich in aller gebotenen Kürze meinen Gesamteindruck schildern.
    Ein durchaus interessantes Werk mit sehr effektvoller Instrumentierung, zahlreichen Stimmungsschwankungen und dynamisch exzessiver Bandbeite, stellenweise fühlte ich mich an Strawinskys "Sacre du Printemps" erinnert, nämlich der Kontraste von lyrischen Stellen gegenüber rhythmisch stampfenden Passagen, und einem Flair des Geheimnisvollen.
    Vermutlich ist es aber auch eine Frage der Aufnahmetechnik und der Interpretation. Hier finde ich mich bei der Einspielung des Bournemouth Symphony Orchestra unter David Lloyd-Jones für Naxos bestens aufgehoben. Ich würde dieser Aufnahme (wie übrigens vielen dieses Labels in letzter Zeit gehörten) bedenkenlos das Attribut "audiophil" zugestehen
    Ich habe heute diesen Thread umbenannt und ihn auf die gesame Sinfonik Moerans erweitert um pragmatisch zu agierenm weil ich zumindest einen über Konzerte, sowie einen weiteren für Kammermusik Moerans plane. Der Rest wird sich finden - oder nicht.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • So- und heute habe ich das erste Stück aus der Lyrita aufnahme gehört, nämlich die Rhapsodie Nr 2 von 1924 in der revidierten Fassing von 1941 mit dem London Philharmonia Orchestra unter Sir Adrian Boult.

    Das Werk ist- wie nicht anders zu erwarten - konservativ. Der erste EindrucK auf maich war der eines eher getragenen, handwerklich gut gemachten Werkes ohne Höhen undTiefen. Aber das war eine Fehleinschätzung. Im Verlauf des ca 13 minütigen Werkes gibt es zahlreiche quirlig - heitere Einschübe und später sogar etwas "Bombast" sowie zahlreiche Instrumentaleffekte.

    All das konnte indes dem Komponisten seinen großen Durchbruch nicht verschaffen, ebensowenig wie seine beiden Konzerte und seine Sinfonie. Das Violinkonzert (1941) - ebenfalls auf dieser CD enthalten werde ich in naher Zukunft hören und kurz vorstellen.Vermutlich lag das daran, daß die Musiksprache schon zur Zeit ihres Entstehens rückwärtsgewandt war

    Die Lyrita Aufnahme stammt aus den 70er Jahren und ist demzufolge analog - aber durchaus dynamisch und Brilliant,


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bin beim gleichen Komponisten und der gleichen CD geblieben und habe mich dem Violinkonzert des Komponisten gewidmet. Je nach Quelle wird als Entstehungsjahr 1941 oder 1942 angegeben.Es ist ein Werk von eigenwilliger Schönheit in drei Sätzen:

    Allegro moderato 14:22

    Rondo: Vivace 9:52

    Lento 10:30

    Einerseits völlig tonal, andrerseits merkt man dem als konservativ eingestuften Werk doch irgendwie an, daß es kein Werk des 19. Jahrhunders ist.

    Dementsprechend auch die Einstufung des Komponisten. Die meisten Konzertlexika und Konzertführer schweigen ihn tot, in einem finde ich den Hinweis, die bedeutendsen Kompositionen Moerans seien seine Lieder....

    IMO gelinde gesagt eine Frechheit oder aber Ignoranz.

    Der erste Satz ist geprägt durch eine gewisse melancholische Grundstimmung, die aber gelegentlich aufgehellt wird. Hier steht der zweite Satz geradezu in auffallendem Kontrast, der durchwegs - vor allem aber in den ersten Takten extrovertiert und voll Lebenslust daherkommt und stellenweise auch sehr knallige Instrumentaleffekte aufweist. Für mich das Kernstück des Konzerts.

    In dritten Satz kehrt das Werk wieder in absolut ruhige Bereiche zurück, aber im Gegensatz zum ersten Satz hatte ich hier nicht den Eindruck von Melancholie, sondern eher einem fast "hypnotischen" Flair, einem Versinken in kontemplative Bereiche. Der extrem langsame Ausklang des Satzes unterstreicht diesen Eindruck

    Es handelt sich bei dieser Aufnahme um eine Einspielung des LSO mit dem britischen Solisten John Georgiades (kein Wiki-Eintrag) unter Vernon Handley


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Noch nicht abgebildet wurde dieser Klassiker von Moerans Symphonie g-Moll bei Lyrita:




    New Philharmonia Orchestra
    Sir Adrian Boult
    Aufnahme: Kingsway Hall, London, 13.-15. August 1973 (genaue Aufnahmedetails im Netz gefunden; die CD gibt nur ein ungenaues ℗ 1975 an).

    Ein wirklich hörenswertes Werk. Ob man sie gleich zu den größten britischen Symphonien des 20. Jahrhundert kürt, sei mal dahingestellt. Jedenfalls sehr guter Klang, ausgezeichnetes Orchesterspiel.


    Laut ClassicsToday handelt es sich um die Referenzaufnahme. Und auch MusicWeb International schreibt: "Sowohl Lloyd-Jones als auch Handley kommen nahe heran, können diese Version der Symphonie jedoch nicht ersetzen; ihr gebührt die Krone."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hier David Hurwitz von ClassicsToday zum Werk:




    Sein Favourit: Boult. "Frankly, he never made a finer recording."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Symphonie Nr. 2 (komplettiert durch Martin Yates)



    Es gibt sie noch, die echten Entdeckungen großartiger Werke. Als E. J. Moeran 1950 überraschend starb, war seine etwa 1939 begonnene zweite Symphonie noch unvollendet. Die Skizzen galten lange als verschollen, doch konnte sie der unermüdliche Dirigent Martin Yates ausfindig machen und in minutiöser Kleinarbeit 2011 zu einem spielbaren Ganzen zusammenfügen. Besonders im Finalsatz musste Yates improvisieren, doch durch die intensive Kenntnis des Moeran'schen idiomatischen Tonfalles ist ihm ein echter Geniestreich gelungen. Tatsächlich klingt die nun vervollständigte Symphonie Nr. 2 wie waschechter Moeran. Dieser Umstand wurde vor zehn Jahren auch in praktisch sämtlichen Kritiken lobend herausgestellt. Das großartige Label Dutton hat die Weltersteinspielung mit dem Royal Scottish National Orchestra in der Glasgow Royal Concert Hall im Juni und August 2011 dann bewerkstelligt. Am 1. Juni 2012 erfolgte in der Dorchester Abbey, Dorchester-on-Thames, Oxfordshire, schließlich die Uraufführung im Konzert vor Publikum mit dem BBC Concert Orchestra. Die BBC schnitt mit. Ich kann nur sagen: Fulminant. Es ist wirklich unverständlich, dass es seither offenbar keine weiteren Aufführungen dieser zweiten Moeran-Symphonie gab. Die Dutton-Einspielung ist beim Werbepartner mittlerweile sogar als gestrichen gelistet. Ein echter Jammer. Immerhin gibt es den BBC-Konzertmitschnitt bei YouTube für alle, die sich kostenlos ein Bild verschaffen wollen.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke für den ausgezeichneten Hinweis, werter Joseph II. Mir war die Platte gar nicht bekannt und da ich Moeran schätze, werde ich gleich mal auf die Jagd gehen.


    Ja, bei Dutton zu stöbern lohnt immerwieder. Habe da schon viele schöne Sachen für mich entdeckt.

  • Es gibt sie noch, die echten Entdeckungen großartiger Werke. Als E. J. Moeran 1950 überraschend starb, war seine etwa 1939 begonnene zweite Symphonie noch unvollendet.

    Leider ist die CD der Sinfonie Nr.2 derzeit nirgendwo verfügbar. Auch meinen Dank für den Hinweis, lieber Josef.

    Da werde ich erstmal mit YT zufrieden sein müssen.


    Ich habe und schätze auch nur die Chandos-CD aus Beitrag 1 mit der Sinfonie Nr.1 ........

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose