Claude Debussy: Klavierwerke

  • Wie Francois in BROUILLARDS Linien zeichnet und dadurch dem Stück seinen Charakter gibt, ist faszinierend. Er trifft den Kern - und dabei wirkt sein Spiel wie improvisiert. Viele Debussy-Interpreten wirken seltsam unfrei im Spiel, dabei sind diese Stücke doch flüchtige Gebilde, die schnell wieder verschwinden. Gieseking konnte das auch, muss ich zugeben, er fand bei Debussy im Flüchtigen das Wesentliche, das sich einem entzieht, wenn man es festhalten möchte. Im Vergleich dazu wirken heutige Interpreten in ihrer Perfektion viel starrer.


    Viele Grüße, Christian

  • Wie Francois in BROUILLARDS Linien zeichnet und dadurch dem Stück seinen Charakter gibt, ist einfach großartig und einzigartig. Er trifft den Kern - und dabei wirkt sein Spiel wie improvisiert.

    Ja, lieber Christian, Brouillard von ihm finde ich auch toll - er strukturiert den Beginn und spielt eher abstrakt. Nur mit der Spielanweisung von Debussy hat das dann doch weniger zu tun: Extrêmement égal et léger ("Extrem gleichmäßig und leicht"). Leicht ist das nicht gespielt und auch nicht gleichmäßig, schon gar nicht extrem ... :D

    Viele Debussy-Interpreten wirken seltsam unfrei im Spiel, dabei sind diese Stücke doch flüchtige Gebilde, die schnell wieder verschwinden. Gieseking konnte das auch, muss ich zugeben. Im Vergleich dazu wirken heutige Interpreten in ihrer Perfektion viel starrer.

    Vor einigen Wochen rief mich mein ebenfalls klavierbegeisterter Freund an, wie toll und "richtig" Arrau und Gieseking die Eröffnungstakte von "La cathedrale engloutie" spielen würden. Ich höre mir das an und finde das alles andere als ideal: keine Bögen (die ja im Notentext nun mal drinstehen), nur noch eine diffuse Klangwolke, ein "flüchtiges Gebilde". Denn höre ich ABM (er spielt das bekanntlich klassisch streng), Monique Haas (geht in dieselbe Richtung), anschließend Alfred Cortot. Er spielt die Akkorde geradezu pulvertrocken - man hört förmlich Jean Cocteau sagen: "Aber bitte: "Musik ohne Sauce!"" Nun sind wir hier aber in der glücklichen Lage, dass es eine Welte-Mignon-Aufnahme von Debussy selbst gibt. Und wie spielt Debussy selbst seine Preludes, insbesondere "La cathedrale engloutie"? Gar nicht improvisatorisch, so gar nicht als "flüchtige Gebilde", sondern streng, klar, den Rhythmus betonend und sehr präzise phrasierend und dabei sehr detailgenau. Also die "Modernisten" (die Linie Cortot, Monique Haas, ABM) sind Debussy viel näher, wie er seine Stücke selbst interpretierte:



    :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Chr.B. und Dr. H., Euch erstmal herzliche Ostergrüsse, und natürlich allen Mitlesern und -textern !


    :hello:


    Könnte es sein, dass einige Pianisten die Sachen einfach besser spielen als Debussy selbst ? :?:


    Ausserdem: wie hat man in Frankreich (und auch sonst) im Fin de Siecle, im fin du siecle und vor dem ersten Weltkrieg Klavier gespielt ? Und: hierzulande beobachte ich eine generelle Romantisierung alles Französischen (z.B. Autodesign der Kleinwagen - Dada lässt aber auch grüssen!) und Scharen von studierten und sonstig bildungsnahen und beflissenenen Ehefrauen (leider sehr wenig Ehemänner) begaben sich aus unserem Neckarraum zur Karlsruher Kunsthalle, um dort Dutzende von Impressionistenwerken zu sehen ? Vielleicht durch eine romantische Brille ? Und in Paris ist eines der ersten touristischen Reiseziele das Musee d`Orsay ?


    Also hinter alldem scheinen jede Menge Einstellungen zu stecken, in welchen es von Ungereimtheiten (und Verkaufsargumenten) nur so wimmelt. O la la, mon dieu !
    Das lässt sich alles auch nicht so leicht umkrempeln.


    Die sachliche Herangehensweise, z.B. bei Monique Haas, ist sicher die aesthetisch richtigere, dennoch fühle ich sehr gerne Herrn Gieseking nach (...) und bin begeistert. Beides werde und muss ich für mich gleichberechtigt lassen.


    Muss ich gestehen: von Francois habe ich nur eine CD.


    (Hoffe, mein Beitrag ist nicht zu off topisch...)


    LG, Damiro

  • Könnte es sein, dass einige Pianisten die Sachen einfach besser spielen als Debussy selbst ?

    Lieber Damiro,


    Ravel war ein eher mäßiger Pianist, was man an seinen holprigen Aufnahmen auch hört. Er konnte sein D-Dur Klavierkonzert für die linke Hand nur mit beiden Händen spielen. :D Debussy dagegen, der für seine russische Mäzenin Nadeschda von Meck Klavierquintett und Tschaikowsky spielte, war ein sehr guter Pianist, freilich kein wirklich großer wie Rachmaninow. Er konnte also auf dem Klavier realisieren, was er wollte. Wirklich exemplarisch - und immer noch ein Lehrstück für Pianisten von heute - finde ich D´un cahier d´esquisses und La soirée dans Grenade.

    Ausserdem: wie hat man in Frankreich (und auch sonst) im Fin de Siecle, im fin du siecle und vor dem ersten Weltkrieg Klavier gespielt ?

    Auf jeden Fall glaube ich nicht typisch "impressionistisch"! Der wohl bedeutendste Interpret der Musik von Debussy und Ravel zu Lebzeiten der Komponisten war der spanische Pianist Ricardo Vines, dem Ravel Le Gibet aus Gaspard de la nuit widmete.



    Ricardo Vines


    https://en.wikipedia.org/wiki/Ricardo_Vi%C3%B1es


    Er war u.a. der Lehrer von Francis Poulenc. Poulenc über Vines:


    I admired him madly, because, at this time, in 1914, he was the only virtuoso who played Debussy and Ravel.


    Vines spielte natürlich auch alle modernen Spanier. Sein Spiel ist entsprechend modern. Es gibt EMI-Aufnahmen aus den 30igern von ihm. Von der LP machte ich vor Urzeiten eine Kopie auf dem Cassettenrecorder und brannte mir das dann auf CD.


    Das war diese LP:



    Wer sehr früh, als Debussy noch gar nicht populär war, sogar ganze Debussy-Programme spielte, war Artur Rubinstein. Rubinstein mochte gar keinen "parfümierten" Debussy - so äußerte er sich einmal, als er Walter Gieseking hörte.

    Und: hierzulande beobachte ich eine generelle Romantisierung alles Französischen (z.B. Autodesign der Kleinwagen - Dada lässt aber auch grüssen!) und Scharen von studierten und sonstig bildungsnahen und beflissenenen Ehefrauen (leider sehr wenig Ehemänner) begaben sich aus unserem Neckarraum zur Karlsruher Kunsthalle, um dort Dutzende von Impressionistenwerken zu sehen ? Vielleicht durch eine romantische Brille ? Und in Paris ist eines der ersten touristischen Reiseziele das Musee d`Orsay ?

    Da ist etwas dran. Mir scheint, dass das typische "Impressionisten"-Bild von Debussy womöglich mehr in Deutschland geprägt wurde. Und dass heute eher romantisiert wird, merkt man schon an neueren Aufnahmen.

    Die sachliche Herangehensweise, z.B. bei Monique Haas, ist sicher die aesthetisch richtigere, dennoch fühle ich sehr gerne Herrn Gieseking nach (...) und bin begeistert. Beides werde und muss ich für mich gleichberechtigt lassen.

    Wobei Gieseking Debussy ja keineswegs auf das Klischee eines dunstverliebten Impressionisten reduziert. Bei ihm hört man Debussys Nähe zum Expressionismus. Wo man das schön nachvollziehen kann, ist bei Rêverie, einer frühen, noch "romantischen" Komposition von Debussy. Diese natürlich sehr schöne Aufnahme romantisiert, indem sie das Stimmungshafte betont:



    Dagegen hört man bei Gieseking - und er unterschlägt es eben nicht - was auch dieses Stück zu einem schon modernen macht: den tragenden Rhythmus, den man ja auch bei Debussys eigenen Interpretationen seiner Stücke immer hört.



    In meiner Jugend kam ich mit Debussys Klaviermusik durch zwei LPs in meinem Elternhaus in Berührung, beide von der "Deutschen Grammophon": Einmal die Images und Childrens Corner mit Jörg Demus, der ja ein ABM-Schüler war. Die Aufnahme ist leider völlig verschwunden vom Markt. Die zweite enthielt Mussorgksys "Bilder..." sowie Ravels Jeux d´eau gespielt von Rudolf Firkusny und als Zugabe 3 oder 4 Préludes von Debussy, darunter Feuilles mortes und Feux d´artifice, gespielt von Monique Haas.


    Schöne Ostergrüße
    Holger

  • Was für ein großartiger Pianist Ricardo Vines war, ist hier zu hören. Da ist zwar eine an Albeniz erinnernde virtuose Nonchalance drin, aber Vines spielt die Rhythmik wie Debussy selbst ungemein präzise und unnachgiebig aus und die harmonischen Härten werden niemals geglättet:



    Hier erzählt Ricardo Vines über seine Erlebnisse mit Debussy:



    Schöne Grüße
    Holger

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  • Holger,


    dein kleines Beispiel mit der romantischen Interpretation von "Reverie", durch F.J. Thiollier, der zu diesem von Debussy "im romantischen Stil" komponierten Stück die passenden, etwas längeren Bögen schön ausspielt, ggü. der Gieseking- Interpretation, ist Gold wert !
    Gieseking spielt die ganze Zeit sehr kurze Figurenbögen, dagegen gestaltet sein agogischer Mikrokosmos das ganze Stück bis zum Schluss. Da geht er so weit, winzige aber hörbare Stolpersteine (= Mikroverzögerungen) mehrmals einzubauen, z.B. bei 0:49 und 1:15 bzw. in den wenigen Sekunden davor, er ordnet dann seine Lautstärke seinen rhythmischen Vorstellungen unter. Aber ausserdem spielt er noch überlagernd zwei oder mehr ganz grosse Melodie- und Tempobögen, die ich aber im Moment nicht klar zu durchschauen vermag. Ausserdem zieht er mindestens zweimal das Tempo leicht an, ich glaube dann, wenn der Fortfluss der schönen Melodie in die linke Hand geht.


    Es ist ein Mysterium mit seinem Spiel, fast immer. Diese Freiheiten nimmt er sich, weil er selbstbewusst, mutig und seiner Sache sicher ist. Trotz ggf. abweichender Notation.


    MlG
    D.

  • Hierbei scheint es sich um eine Wiederauflage zu handeln?

    Lieber Christian,


    das scheint mir eher eine Wiederauflage von dieser Aufnahme von 2003 zu sein:



    Die Aufnahme, die ich in meinem Elternhaus kennenlernte war wie gesagt von der DGG. Ich vermute mal, sie ist vor ABMs Aufnahme von 1971 erschienen, vielleicht 1968 oder 1969, so dass die DGG deshalb später kein Interesse mehr hatte, die ältere Demus-Aufnahme zu verlegen. Die dachten schon sehr kommerziell, wenn etwa Cord Garben schreibt, dass sie ABMs Projekt, die späten Klaviersonaten von Beethoven aufzunehmen, fallen ließen, weil sie gerade Pollini aufgenommen hatten. :hello:


    Einen schönen Ostermontag wünscht
    Holger

  • Gieseking spielt die ganze Zeit sehr kurze Figurenbögen, dagegen gestaltet sein agogischer Mikrokosmos das ganze Stück bis zum Schluss. Da geht er so weit, winzige aber hörbare Stolpersteine (= Mikroverzögerungen) mehrmals einzubauen, z.B. bei 0:49 und 1:15 bzw. in den wenigen Sekunden davor, er ordnet dann seine Lautstärke seinen rhythmischen Vorstellungen unter. Aber ausserdem spielt er noch überlagernd zwei oder mehr ganz grosse Melodie- und Tempobögen, die ich aber im Moment nicht klar zu durchschauen vermag. Ausserdem zieht er mindestens zweimal das Tempo leicht an, ich glaube dann, wenn der Fortfluss der schönen Melodie in die linke Hand geht.


    Es ist ein Mysterium mit seinem Spiel, fast immer. Diese Freiheiten nimmt er sich, weil er selbstbewusst, mutig und seiner Sache sicher ist. Trotz ggf. abweichender Notation.

    Lieber Damiro,


    das hast Du wunderbar beschrieben! :) :hello:


    Schöne Ostergrüße
    Holger

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  • Die beiden Hefte der Préludes von Claude Debussy fehlten bislang in Ashkenazys Discographie – der Altmeister schließt damit eine Lücke zwischen den Préludes von Chopin, die er immer wieder spielte und einspielte und den Präludien und Fugen von Schostakowitsch. Die Überraschung auf dieser CD: Während er Heft 1 am 29. Oktober 2017 im Tonzauber Tonstudio im Wiener Konzerthaus neu aufnahm, handelt es sich bei der Aufnahme von Heft 2 um den bislang unveröffentlichten Mitschnitt eines Konzerts aus dem Hunter College New York vom 20. November 1971.


    Zwischen den beiden Aufnahmen liegen mehr als viereinhalb Jahrzehnte – 1971 war Vladimir Ashkenazy 34 Jahre alt, 2017 hat er sich in die Reihe der 80jährigen eingereiht. Ich würde dazu raten, beim Hören mit Track Nr. 13, also dem zweiten Heft der Préludes, zu beginnen – dem Konzertmitschnitt von 1971 – auch wenn die Aufnahmetechnik nicht ganz dem üblichen professionell hochstehenden Niveau, was man von Ashkenazys reichlich vorhandenen Tondokumenten gewohnt ist, entspricht. Hier kann man vorbehaltlos sagen: Dies ist ein ungemein wertvolles Dokument der Ashkenazy-Discographie: Der Meister zeigt sich hier von seiner besten Seite, als ein großer Erzähler auf dem Klavier. Er spielt diesen Debussy hochpoetisch, modern – und vor allem mit einer selbst bei ihm ungewohnten mitreißenden Spontaneität. Er bleibt der Musik nichts schuldig an Klangzauber. Beeindruckend auch das Pianistische: Unglaublich, wie er Nr. 11, das Terzenstück, im aberwitzigen Tempo hyperpräzise in die Tasten stanzt, ohne jedoch etüdenhaft zu wirken (obwohl das Tempo „objektiv“ mit Blick auf den Notentext betrachtet natürlich viel zu schnell ist, aber das ist diesem Prélude bei fast allen bedeutenden Debussy-Interpreten auch so). Und in Feux d´artifice am Schluss brennt er ein Tastenfeuerwerk ab mit der artistisch-pianistischen Leistung, die Konturen dabei keineswegs zu verwischen. Diese Aufnahme ist eindeutig eine Ashkenazy-Sternstunde – bezeichnend habe ich hier den Stift aus der Hand gelegt, mit dem ich mir bei Heft 1 meine Notizen machte....


    Die Neuaufnahme des ersten Heftes überzeugt mich da – muss ich sagen – weniger. Schon bei Danseuses de Delphes (Nr. 1) könnte man von einem musikalischen Missverständnis sprechen: Ashkenazy denkt nicht in Kontrasten und Komplementaritäten – nicht zufällig sprach ABM davon, man müsse Debussy „wie Beethoven“ spielen – sondern eher wie bei einem Chopin- Prélude in Phrasen und übergreifenden Bögen. Darunter leidet merklich die Binnendramatik auf kleinstem Raum. Bezeichnend Takt 23 und 24 am Schluss, wo er den Schlussakkord, der als eine Viertel notiert ist und auf dem der von Debussy notierte Bogen endet, zu einer Achtel bestenfalls verkürzt und so – den Bogen verlängernd – mit der folgenden Achtel verschleift, so dass daraus zwei sich wiederholende einheitliche Phrasen entstehen. Auf diese Weise „melodisiert“ verschwindet aber schlicht der alternierende Kontrast der Motive und Motivbewegungen: aufstrebende Bewegung in der Mitte des Tonraums – stehender Klang die Höhe und Tiefe ausmessend. Und Debussy schreibt als Vortragsbezeichnung doux et soutenu über das Stück, also „sostenuto“, verhalten und eher getragen soll der Vortrag sein, wo Ashkenazy dann doch wenig idiomatisch allzu viel russisches Rubato-Expressivo ins Spiel bringt. In „Voiles“ sind es nicht nur Details – warum spielt er Takt 48 ff. die 32tel nicht wie Debussy es möchte comme un très léger glissando? – die man „beanstanden“ kann. Es fehlt einfach an der Feinheit der Gestaltung. Deutlich spürbar wird dies in Nr. 3 (Le vent dans la plaine). Die Sextolen zu Beginn taucht der Meister sehr flächig-dicht ins Pedal. Das ist Pianissimo – die auf diese Passage folgenden absteigenden Staccato-Akkorde in der rechten Hand sind aber ebenso „Pianissimo“ notiert, wo Ashkenazy dann allerdings ein viel zu bäuerlich-klobiges kräftiges Mezzoforte anschlägt. Nr. 4 soll „souple“, also flexibel mit etwas kapriziös übersensiblen Kontrasten und Stimmungsumschlägen auf engem Raum, gestaltet werden, aber auch das hintergründig Geheimnisvolle (Tranquille et flottant“ auf der letzten Seite) kommt musikalisch zu Wort. Da spielen sich Ashkenazys Bässe doch viel zu geheimnislos schwer lastend in den Vordergrund, wie überhaupt er hier wiederum zu wenig idiomatisch treffsicher agiert. Nr. 6 zeigt Debussy als modernen Konstruktivisten, der U-Musik, einen „Chanson populaire“, zum musikalischen „Material“ und Baustein degradiert und Sentimentalität ironisch karikiert. Das alles wirkt bei Ashkenazy derb und wenig „humoristisch“ – und auch wünschte man sich etwas mehr Präzision. Nr. 6 („Des pas sur la neige“) – Debussys düstere musikalische Studie der Verlassenheit – vermag Ashkenazy eine schmerzliche Note durchaus zu verleihen. Nur Leere und Trostlosigkeit strahlt die Musik unter seinen Händen einfach nicht aus. Das verhindert nicht zuletzt doch eine Dosis zuviel russische Expressivo-Bewegtheit, die lyrische Intimität nicht aufkommen lässt. Und zum Schluss soll sich die Musik in einzelne Töne auflösen wie eine verlorene Spur, die sich in der Eiswüste der Verlassenheit im Nirgendwo verliert – Debussy notiert ein „morendo“, ein „Verlöschen“ im ppp. Der Schluss bei Ashkenazy zeigt aber mehr irdische Prosa als geheimnisvolle Poesie: Die Töne „stehen“ einfach nur im Flügel etwas nackt und nüchtern ohne atmosphärischen Hauch. Nr. 7 – die Wellen des Westwindes, die an der Steilküste zersprengt werden – eines der dramatischsten und harmonisch kühnsten Debussy-Stücke an der Grenze zum Atonalen – gelingt Ashkenazy mit am besten. Auch hier kann man aber – aufgrund des fehlenden Denkens in „Kontrasten“ im makro- wie mikroskopischen Bereich – die fehlende Binnendifferenzierung anmerken. Nr. 8 („La fille aux cheveux de lin“) wirkt geradezu als Beschwichtigungsversuch der zuvor gewaltsam aufgebrochenen Moderne gegenüber – Jugendstil-Erotik, eine Reminiszenz an Pelléas et Mélisande. So wenig schmeichelhaft und einschmeichelnd, so völlig ohne Anmut vorgetragen wie bei Ashkenazy habe ich das Stück einfach noch nie gehört. Dem spanischen „Bild“ mit gezupften Gitarrenseiten (Nr. 9) fehlt es an Feinheit und Differenzierung. Bei Nr. 10, der „versunkenen Kathedrale“, gehört Ashkenazy wohltuend nicht zu den Interpreten, welche hier romantisieren und die Musik ins Flächige zerdehnen. Wie Debussy selbst – eine Welte-Mignon-Rollenaufnahme des Komponisten ist überliefert – wahrt er den das Stück tragenden Rhythmus. Doch leider fehlt Ashkenazy dann doch die klangliche Finesse vor allem in der Coda, wo die Kathedrale in der Tiefe versinkt. Hier stimmt die Klangbalance nicht, die dunklen Bässe, welche die Abrundtiefe des Meeres symbolisieren, dürfen eben nicht wie bei Ashkenazy zu vorlaut und positivistisch präsent „da“ sein, sondern sollten sich in den Hauch des Leisesten zurücknehmend und somit tönen als die Ahnung eines Unermesslichen. Bei Nr. 11 zeigt sich ein typischer Ashkenazy: Das Kapriziöse dieses Stücks nimmt er lebhaft burschikos – eine sehr irdisch-bodenständige, so ganz und gar nicht dekadent-überfeinerte Lebenslust. Das „Problem“ dieser Lesart offenbart allerdings Debussys Spielanweisung „aérien“ auf der zweiten Notenblatt-Seite: Statt Luftigkeit gibt es bei Ashkenazy eine etwas knorrige Körperlichkeit der Sekund-Oktaven in der rechten Hand. Nr. 12 („Minstrels“) zum Schluss ist ein Charakterstück und eine Parodie. Charakterisieren kann Ashkenazy zweifellos, aber die Ironie, den Spott in der das Lächerliche streifenden schwülstigen Übertreibung, sie sucht man vergeblich.


    Fazit: Die beiden großen Altmeister ihrer Generation – Vladimir Ashkenazy wie auch Maurizio Pollini – nahmen sich angesichts ihres 80. Geburtstages Debussys impressionistischen Präludien-Kosmos vor – der Eine (Ashkenazy) Heft 1, der Andere (Pollini) Heft 2. Beide zeigen gewisse Parallelen eines Altersstils, der weniger auf Detail-Präzision wert legt als auf organisch-flüssige, großflächige Gestaltung. Und wiederum beide kann man an ihren älteren Aufnahmen des jeweils anderen Préludes-Heftes messen, um dann festzustellen: Verglichen mit dem zweifellos überragenden Spielniveau von einst sind das Dokumente pianistischer Altersbescheidenheit – sehr respektabel, aber eben auch nicht mehr „olympisch“. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hier spricht David Hurwitz über seinen Lieblings-Debussy-Interpreten zu bestimmten Werken. Sie sind allemal des Hörens wert :)



    Ich hänge ein paar der erwähnten Pianisten mit ihren Einspielungen, soweit sie beim Sponsor erhältlich sind oder waren, an...




    die ganzen Debussy Aufnahmen sind mittlerweile in dieser Box enthalten




  • Nicht wirklich ernst zu nehmen, aber wenn man mit Augenzwinkern an die Sache geht, ist es schon interessant, die vielen Interpreten zu hören