Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate", CD (DVD)-Renzensionen und Vergleiche (2017)

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    John Ogdon, Klavier
    AD: 6./7. September 1967


    Spielzeiten: 10:42 - 2:37 - 15:20 - 12:08 --- 40:57 min.;


    Da auch John Ogdon in meinen Threads neu ist, will ich auch hier eine kleine Einführung in seine Vita geben:


    John Andrew Howard Ogdon (* 27. Januar 1937 in Mansfield Woodhouse, Nottinghamshire; † 1. August 1989 in London) war ein englischer Pianist und Komponist.


    Ogdon besuchte zunächst die Manchester Grammar School, danach studierte er bis 1957 am Royal Manchester College of Music in Manchester (dem Vorgänger des Royal Northern College of Music). Sein dortiger Tutor war Claud Biggs. Bereits als Junge hatte er bei Iso Elinson gelernt, und nach dem Collegeabschluss folgten weitere Studien bei Gordon Green, Denis Matthews und Myra Hess sowie bei Egon Petri in Basel.
    Der 21-jährige Ogdon erlebte ein sensationelles Debüt in London, als er das gewaltige Klavierkonzert Busonis unter Leitung von Henry Wood aufführte. 1961 gewann Ogdon den Ersten Preis beim Liszt-Wettbewerb in Budapest, und seine internationale Anerkennung festigte 1962 der Erste Preis beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau, den er sich mit Wladimir Aschkenasi teilte.
    Ogdon liebte es, seine eminenten Fähigkeiten bis an ihre Grenzen auszukosten und nahm solch gewaltige Aufgaben in Angriff wie die Komplettaufnahme der Klaviermusik von Rachmaninow. Zuvor hatte er bereits die 10 Klaviersonaten von Skrjabin aufgenommen. Ogdons Repertoire umfasste Werke von über 80 Komponisten; neben den "Klassikern" setzte er sich speziell für Unbekanntes (z. B. Alkan) und zeitgenössische britische Komponisten ein.


    Weiteres über sein Leben und Sterben, aber auch über ihn als Komponisten, kann man hier lesen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/John_Ogdon


    John Ogdon ist im Kopfsatz geringfügig schneller als seine Kollegen Louis Lortie und Jean Muller.
    Dynamisch ist er voll bei der Sache, allerdings wünschte ich mir das erste Ritardando (Takt 8), aber noch mehr das zweite Ritardando (Takt 32 bis 34) etwas mehr "ritardando".
    Allerdings lassen sowohl die Überleitung Takt 39 bis 46 als auch die 1. Phase des Seitensatzes (Takt 47 bis 64) in jeder Hinsicht keine Wünsche offen. Auch die 2. Phase (Takt 65 mit Auftakt bis 74) mit den Tempowechseln ist exzellent musiziert.
    Das Gleiche gilt auch für die 3. Phase des Seitensatzes (ab Takt 75 bis zum Schluss in Takt 99). Das ist genau, wie es sein sollte, einfach exzellent.
    Und die Schlussgruppe, im Tempo wunderbar zurückgenommen ist in ihrer weichen Kantabilität und ihrem Ausdruck im 1. Gedanken und in ihrer Virtuosität im 2. Gedanken (Takt 112 bis 121) kaum zu übertreffen. natürlich wiederholt auch er die Exposition, die er bei 2:29 min. beginnt, (zum Vergleich Valentina Lisitsa bei 2:25 und Glenn Gould 3:15, deren Zeiten ich mir in die Partitur geschrieben habe).
    Über die Bemerkungen der ersten beiden Ritardandi habe ich nichts Neues zu vermelden.
    Die Einleitung der Durchführung spielt er genauso hochdynamisch wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen, dann sehr schön subito pp und Crescendo zur Überleitung zum Kern der Durchführung, abgeschlossen mit den beiden Fanfarenfiguren Takt 134 mit Auftakt und 136 mit Auftakt.
    Den ersten Teil des Fugatos ab Takt 138 mit Auftakt spielt er temporal maßvoll mit dem notwendige Gewicht. und in dem thematischen Geflecht sehr transparent.
    Dann lässt er den zweiten Teil mit den viermaligen Auftakten des Fugatothemas ab Takt 177 mit der Dominanten in c-moll, dann ab Takt 181 in c-moll, als Drittes in Takt 185 mit der Dominanten in Es-dur und ab Takt 189 in Es-dur in kraftvollen ff-Eröffnungsakkorden und berückenden Pianobegleitfiguren darunter folgen. Diesmal spielt er das Diminuendo -Ritardando ab Takt 198 jedoch vorbildlich, und sofort entsteht in dieser, "Stillstand" genannten Sequenz ein ganz eigentümlicher Zauber, der in das grandios gespielte Cantabile espressivo mündet.
    Diesem lässt erden letzten Durchführungsteil mit den abschließenden vier "Quasi-Glissando"-Takten 223 mit Auftakt bis 226 in beeindruckender Weise, zur Reprise hin überleitend, folgen.
    In der Reprise spielt er den ersten Teil in einem unglaublichen "cantabile e ligato", lässt aber am Schluss von Hauptthema II, entsprechend den Takten 32 bis 34 in der Exposition, im "Diminuendo-ritardando" es etwas an "Ritardando " fehlen. Das habe ich in der Tat schon oft exakter gespielt gehört.
    Analog kann über Rückleitung und Seitensatz wieder das Gleiche über Positive wie in der Exposition gesagt werden.
    Auf eine wiederum grandiose Schlussgruppe lässt er dann zum Abschluss eine herausragende Coda folgen.
    Ein zumeist herausragend gespielter Satz mit kleinen temporalen Ungenauigkeiten an jeweils zwei Schlüsselstellen (s. o.).


    Im Scherzo ist er wiederum nahe an Jean Muller, aber etwas langsamer als Louis Lortie. Sein geringfügig reduziertes Tempo gefällt mir sehr gut, und seine dynamische Gestaltung ist hervorragend.
    Die Achteltriolen im Trio treten kristallklar hervor. Auch das Presto ist überlegen und virtuos gestaltet, nebst dem abschließenden Prestissimotakt 112.
    Auch das Tempo I mit der zusätzlichen, kristallklaren Achtel im Alt ist höchst vorbildlich gestaltet bis hin zum kontrastreichen abschließenden presto-Tempo I.
    Ein Satz, der keine Fragen offen lässt.


    Im Adagio setzt sich John Ogdon temporal am meisten von Louis Lortie (knapp 2 Minuten) und vor allem von Jean Muller (4 1/2 Minuten) ab, die er schneller ist als diese Beiden. Dennoch klingt das keineswegs verhetzt, was er spielt. Es atmet trotzdem Ruhe, hat aber nicht die traurige Schwere der Aufnahmen eines Michael Korstick (+ 13 Minuten) oder eines John Lill (+ 9 Minuten), sondern es klingt zwar melancholisch, aber auch leichter (nicht im Sinne von leichtgewichtig!), wie ich finde.
    Der erste Dur-Bogen (Takt 14/15) klingt irgendwie zaubrisch-intim, weil Ogdon ihn im schützenden Pianissimo belässt, er holt ihn nicht ans helle Licht. Das ist beim zweiten Bogen (Takt 22/23) schon ein wenig anders. Es wird etwas stärker durch die Wandlung des Themas ab dem 4. Ton in einen Oktavgang und leuchtet heller und kräftiger.
    Im zweiten Thema "con grand`espressione" (ab Takt 28 mit Auftakt) spielt er dann eine wunderbare, gleichsam moderate Steigerung, die sich in dem Crescendo poco a poco zu jener überirdischen Überleitung wandelt und durch abermalige leichte Temposteigerung noch mehr Zug entwickelt ( er steht am Ende der Überleitung(Takt 43) erst bei 3:38 min. gegenüber 4:43 von Jean Muller) dass ich erstaunt feststelle, wie variabel im Tempo dieses Thema in seiner Entwicklung gespielt werden kann, und dennoch auf die eine wie die andere Weise ungeheuer schlüssig klingt.
    Im ersten (tiefen) Abschnitt des himmlischen Seitenthemas (ab Takt 44 wird er dann wieder etwas langsamer, eingedenk der noch folgenden "inneren Beschleunigung", wenn das musikalische Geschehen sich in immer kürzere Notenwerte wandelt.
    Wenn er dann nach diesem temporal so kontrastreichen Teil des Themas in Takt 63/64 bei den beiden "Erkennungs-Intervallen" Sext-Terz" angelangt ist, die ja in diesem Satz an besonderen Schlüsselstellen immer wieder auftauchen, dann sind wenige Takte später in seinem Vortrag zu Beginn der Durchführung gerade 5:19 Minuten vergangen, bei Korstick jedoch schon 10:32 Minuten.
    Die Durchführung spielt auch er mit größeren dynamischen Kontrasten , erhöht den Fluss durch die Sechzehntel-Tonleitern , die als ein beherrschendes Element der Durchführung ab Takt 72 bis 84 fast durchgehend auftauchen und dann im Diminuendo-Smorzando in Takt 85/86 auslaufen, das bei Ogdon vergleichsweise stärker retardierend wirkt eben wegen des höheren Grundtempos- faszinierend!
    Und dann die Reprise mit den durchlaufenden und doch sich stetig wandelnden Zweiunddreißigstel-Figuren, im Bass kontrastiert von durchlaufenden Achtelfiguren und gelegentlichen Sechzehntelfiguren- grandios komponiert und zumeist auch von den verschiedenen Pianisten kongenial gespielt, wie auch hier von John Ogdon, was ich mir in diesem doch recht hohen Tempo umso schwieriger vorstelle. Aus dem gleichen Grunde des höheren Tempos in diesem Reprisenteil fällt ja auch m. E. das 6 Takte lange Ritardando am Ende dieses Abschnitts (Takt 107 bis 112) um so deutlicher ins Gewicht, weil es von dem höheren Tempo her kommt. Ogdon spielt auch das grandios. Hier ist er dann bei 8:54 angelangt, nur unmerklich langsamer als Valentina Lisitsa, die hier bei 8:51 angekommen war. Das nun folgende zweite Thema , "con grand' espressione", das sich im Verlaufe etwas anders als im ersten Durchgang zur Überleitung zum himmlischen Seitenthema entwickelt, aber auch noch etwas diesseitiger klingt, weil es eine Quart höher liegt als beim ersten Beginn (ab Takt 28 mit Auftakt), spielt er wiederum sehr leidenschaftlich, aber beherrscht, wie ein Vulkan, der zwar brodelt, aber nicht ausbricht, kulminiert in dem hohen Oktavakkord in Takt 129 auf der Eins am Ende des langen Crescendos un fließt dann erneut in das himmlische Seitenthema. Dieses in dem höheren Tempo wieder etwas, auch dynamisch bewegter führt er am Ende wieder in eine tief paradiesische Ruhe , beginnend mit dem hohen Bogen ab Takt 143 und sich weiter beruhigend in den Diminuendi ab Takt 144, bevor dann ab Takt 154 die "Coda der besonderen Art" beginnt, deshalb besonders , weil kaum ein anderer Komponist als Beethoven es fertig brächte, ein solch himmlisches Thema wie dieses Seitenthema in einer furiosen Steigerung quasi zu "zerfleddern". Ogdon spielt diese Steigerung herausragend und schließt ein letztes Mal das Thema an in einem atemberaubenden "subito pianissimo" (ab Takt 166), das dazu schon bald in das neuerliche sechstaktige Ritardando übergeht, und das letzte Crescendo hebt er kaum an und lässt sich alle Zeit der Welt, die er braucht für einen ungeheurer berührenden Morendoschluss, der noch geheimnisvoller wirkt durch ein gleichzeitiges Ritardando.
    Ich ziehe den Hut vor einem Pianisten, der es fertig bringt, in einer guten Viertelstunde ein solches Adagio sostenuto und mit solch großen temporalen Kontrasten, solch tiefgreifender Expressivität und solch selbstverständlicher in den Dienst der Sache gestellter Virtuosität zu gestalten.


    Im finalen Largo- Allegro risoluto ist John Ogdon deutlich langsamer als Jean Muller und auch noch etwas langsamer als Louis Lortie.
    Das anfänglich Largo spielt er sogar ausgesprochen langsam und ist damit dem Largo-Gedanken wesentlich näher als die meisten seiner bisher gehörten Kolleginnen und Kollegen (immerhin 45). Außerdem nimmt er die anfänglich von Beethoven gesetzte Ausdrucksvorschrift "dolce" sehr wörtlich.
    Auch das anschließende "Un poco piu vivo" nimmt er, wie ich finde, sehr ernst. Das anschließenden Allegro (Takt 3 bis 8) passt wunderbar dazu, desgleichen das Tenuto (Takt 9 bis 10, erst Hälfte). Im a Tempo - accelerando - Prestissimo legt er dann natürlich zu.
    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt er mit selten so gehörter Klarheit und auch mit innerer Ruhe und Kontrolle. Der Hörer ist jederzeit auf der Höhe des Geschehens, erhält guten Einblick in die musikalische Struktur.
    Der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, läuft weiterhin in klarem Ausdruck vor unserem Gehör ab, hier besonders eindrücklich das schwere schreiten der Sforzandoketten, Takt 102 bis 114, und die hier schon übergreifende Sequenz mit den Trilerketten gleichzeitig in verschiedenen Ebenen des großen Intervallumfangs vom hohen Diskant bis in den tiefen Bass. und in der letzten Sequenz mit den überschaubaren Sechzehntelfiguren und ihren gut strukturierten Wiederholungen.
    Im III. Teil, dem Rücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, sicherlich schon einem musikalischen Höhepunkt dieses Satzes, mit seinem von Sechzehntelfiguren begleiteten Cantabile in der ersten Sequenz, wird die Struktur trotz dieses Gegensatzes von kantablem Thema in Halben und Vierteln und Begleitung in Sechzehnteln, durch den besonnenen und technisch vollendeten Vortrag von John Ogdon weiterhin sehr transparent, sowie in er zweiten Sequenz durch die parallelen oder gegenläufigen Sechzehntelfiguren in Diskant und Bass.
    Der IV. Teil der Fuga schließlich, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, beginnend auf einem Fortissimo-Achtelakkord und einem gleich anschließenden Triller, der durch eine weitere Zunahme der unerwarteten rhythmischen Vertracktheit glänzt, bleibt auch dank des hervorragenden Spiels John Ogdons weiterhin überschaubar, und natürlich auch dank des musikalischen Schriftbilds Beethovens, wenn man es denn aufmerksam liest. Mit welch einem Clou endet dann dieser in gewissem Sinne weiterhin eine Steigerung darstellende Abschnitt mit diesen wilden Trillersprüngen, und immer, bei jedem Pianisten, klingen sie etwas anders, wie ich finde. Ich glaube nicht, dass das zwei Pianisten jemals in gleicher Weise spielen können, ja nicht einmal, dass ein Pianist das zweimal gleich spielen kann, und dabei sind das nur sechs Takte (243 bis 248).
    Dann die Atempause, der V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 50 bis 278 - welch ein Kontrast, und abermals, mit welch einer Ruhe und zarten, intimen Tongebung Ogdon das spielt- grandios!
    Nun der dreifach gegliederte VI. Teil, zugleich der längste, mit dem 1. und 2. Thema gleichzeitig, (Takt 279 bis 293), dann das 1. Thema zweifach, (Takt 294 bis 348) und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, (Takt 349 bis 366), allesamt in B-dur. Wenn man einen Vergleich aus der Welt des Sports bemühen würde, so fiele mir als Erstes der "Ironman" ein, ein Triathlon-Wettbewerb, bei dem man nach knapp 4km Schwimmen und 180km Radfahren 80% der Strecke hinter sich hat, aber, so heißt es, mit dem abschließenden Marathonlauf noch 80% der Belastung vor sich. So ähnlich mag sich der Pianist fühlen, wenn er im Schlusssatz der Hammerklaviersonate hier angelangt ist, den selbst nach diesem enormen Teil, den Ogdon gleichfalls souverän meistert , sieht der Pianist zwar das Ziel vor sich, jedoch am Fuße einer steil ansteigenden Zielgeraden, hier schlicht "Coda" genannt, aber eine von unvergleichlichem Format, exzessiv gespickt mit Trillern und Sechzehntelläufen, Sforzandi und dynamischen Kontrasten und donnernden finalen Fortissimoakkorden.
    John Ogdon schafft auch diesen steilen Schlussanstieg mitreißend.


    Mit einer riesigen Skala von Ausdrucksformen, vom zartesten lyrischen Empfinden und tiefen Vordringen in den musikalischen Kern über erschütternde Schicksalsschwere bis hin zu mitreißender Virtuosität, die aber niemals Selbstzweck ist, möchte ich trotz des vergleichsweise flotten Tempos im Adagio John Ogdon dennoch den Referenzen zurechnen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    ich habe, als die große Ogdon-Box rauskam, überlegt, ob ich sie mir kaufen soll. Verschiedentlich habe ich reingehört, und es dann doch gelassen. Irgendwie bin ich mit diesem Pianisten nie so richtig warm geworden. Aber die Hammerklaviersonate von ihm müsste ich dann doch mal hören. :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Zitat

    Aber die Hammerklaviersonate von ihm müsste ich dann doch mal hören. :hello:


    Dem steht nichts mehr im Wege, Beethoven + Nielsen


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    Entschuldigung, ich bin noch nicht zum Hören gekommen - ich musste mir gestern die neue Ashkenazy-CD zu Gemüte führen, bei Debussy kann ich natürlich nicht widerstehen. :D Da ich keine gescheite Soundkarte im PC habe, muss ich mir die Dateien erst brennen. :hello:


    Ein schönes Wochenende wünscht
    Holger

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Anne Øland, Klavier
    AD: 2002
    Spielzeiten: 11:51 - 2:47 - 17:38 - 12:47 --- 45:03 min.:


    Anne Oland, die leider vor drei Jahren von uns gegangen ist, nimmt den Kopfsatz deutlich langsamer als Jean Muller und John Ogdon. Gleichwohl greift sie kraftvoll in die Tasten. Mehr noch zu bewundern wie bisher eigentlich nimmer ihr partiturgerechtes Spiel, vor allem die sorgfältige Ausführung der Tempomodifikationen , z. b. das erste Ritardando in Takt 8 und das zweite Ritardando, einhergehend mit dem Diminuendo, ab Takt 31. Das ist einfach atemberaubend und zeigt, wie wichtig Beethoven diese Schlüsselstellen waren. Neben diesen temporalen Delikatessen strotzen dies ersten beiden Hauptthementeile, Takt 1 bis 34, natürlich auch noch von dynamischen Bewegungen und Kontrasten, z. B. wechselt in Hauptthema II ab Takt 17 bis Takt 24 auf der Eins die Lautstärke von Takt zu Takt, und zwar subito: Forte, piano, Forte usw. und das führt sie so selbstverständlich exakt aus- wunderbar.
    Gleichermaßen bleibt ihr Spiel auch in der Überleitung zum Seitensatz, ab Takt 39, mit dem Crescendo-Diminuendo, und dann im Seitensatz selbst mit den mehrfachen Oktavierungseinschüben und dem wunderbaren Fluss in der 1. Phase des Seitensatzes mit den moderaten dynamischen Bewegungen. Und die Struktur ist so klar wie Kristall, wie auch der Klang. Und in der 2. Phase stellt sie die mehrfachen Tempowechsel (Takt 65 mit Auftakt bis Takt 74 so selbstverständlich dahin, wie man es nicht immer hört. Auch die 3. Phase mit den wiederum mehrfachen Oktavierungseinschüben im Diskant laufen wunderbar organisch ab.
    Wären wir bei der wundersamen Schlussgruppe mit ihrem kantablen Beginn, in dem sie das Klavier berührend singen lässt (Takt 100 bis 105), dann, noch im 1. Gedanken der Schlussgruppe die Die wechselnden Achtelintervalle unter dem langen Triller im Crescendo (Takt 106 bis 111), und letztendlich der gewaltige hochdynamische 2. Gedanke der Schlussgruppe, beginnen im Fortissimo, wo die machtvollen Oktavakkorde in dem oktavierten hohen Diskant in verschiedenen wechselnden Dynamikstufen mit einem abschließenden Crescendo pochen, kontrastiert von den Achteloktavwechseln im Bass- ganz große Pianistik. Und sie spielt selbstverständlich nach den beiden überleitenden Signalhornrufen (Takt 122 und 124 mit Auftakt, die Exposition noch einmal.
    Diese spielt sie genauso grandios wie zuvor die Exposition.
    Die Einleitung der Durchführung eröffnet sie dann mit kraftvollen Sforzandi und Fortissimo-Akkorden und schließt dann die pp-Akkorde und die begleitenden Achtel-Intervallwechseln und dem Crescendo an.
    Und mit den beiden Signalhornrufen (aus dem Ende der Exposition) leitet sie dann den Kern der Durchführung ein.
    Die vier Einsätze des Fugatos (Takt 138 mit Auftakt, Takt 147 mit Auftakt , Takt 156 mit Auftakt und Takt 167 mit Auftakt) in der ersten Hälfte spielt sie mit erhöhtem temporalen Impetus und sehr transparent in der musikalischen Struktur, mit sorgfältigen dynamischen Bewegungen aus dem Piano heraus. im Zweiten Abschnitt schließt sie dann den viermaligen Fugatoauftakt, zunächst in der Dominaten von c-moll, (Takt 177 mit Auftakt), dann in c-moll (Takt 181) , den dritten in der Dominanten von Es-dur (Takt 185) und den letzten in Es-dur (Takt 189) in souveräner Manier an. Wenn man die Taktzahlen liest, sieht man wieder wie exakt mathematisch di einzelnen Abschnitte bei Beethoven aufgebaut sind.
    Sie lässt diesen Teil der Durchführung mit einem atemberaubend gespielten Stillstand im "poco ritardando-diminuendo" auslaufen und ein berückendes "Cantabile espressivo" im Pianissimo folgen, bevor sie den letzten, wieder dynamisch höher stehenderen und kontrastreichen Durchführungsteil mit den vier Glissandotakten 223 bis 226 souverän ausführt.
    Die Reprise beginnt sie wie die Exposition, mit kraftvollen Auftaktakkorden, und den ersten Thementeil wiederum mit einem großartigen Ritardando beendend, dann die Weiterführung "a tempo" sehr lyrisch ausformend : "cantabile e ligato" und dann in ein schönes Crescendo hineingehend, das zum zweiten Thementeil führt, dessen dynamischen Kontraste, hie mit den oktavierten Forteakkorden, sie voll auskostet. Auch hier gestaltet sie wieder nach den Sforzando-Oktavgängen ein beeindruckendes Ritardando., desgleichen eine wunderbare Rückleitung und erneut das berührend singende Seitenthema mit den sanft gespielten dynamischen Bewegungen und den anschließenden Tempowechseln, die in die dritte Phase münden mit den zusätzlichen Oktavierung mit einem hochdynamischen Übergang zur erneuten Schlussgruppe, die dann nach dem Cantabile-Teil und dem Trillerteil in die atemberaubende über 50 Takte lange Coda mündet, die sie mit all ihren Klippen und Kontrasten dynamisch-rhythmischer Art mitreißend vor uns ausbreitet.


    Auch im Scherzo ist sie erheblich langsamer als John Ogdon und auch noch langsamer als Jean Muller. Sie spielt es dynamisch exakt, desgleich rhythmisch, sehr schön die Betonungsverschiebungen zwischen dem ersten Thementeil und dem Mittelteil heraushebend und in einer kräftigen Steigerung endend.
    Das Trio mit den Achteltriolen kommt dank ihres moderaten Tempos besonders transparent heraus. Auch die dynamischen Bewegungen treten dank ihres exakten Spiels wiederum klar hervor, desgleichen das kontrastreiche Presto.
    Im Tempo I stellt sie die zusätzliche Achtel im Alt sehr deutlich dar, auch den dynamisch wiederum kontrastreichen Schlussteil mit dem Ritardando-Presto und dem kurzen Pianissimo-Abschluss.
    Dieses kurze, aber keineswegs beiläufige Scherzo hält das hervorragende Niveau, das sie im Kopfsatz vorgelegt hat.


    Im Adagio ist sie ebenfalls deutlich langsamer als John Ogdon, aber ebenso deutlich schneller als Jean Muller. Ihr Spiel in diesem grandiosesten aller Adagios nimmt mich von Anfang an gefangen. Schon in den ersten dreizehn Takten ist alles so, wie es meiner Meinung nach sein sollte.
    Ganz berührend, da sehr leise gespielt, steigt die erste Durauflösung (ab Takt 14 mit Auftakt), aus dem traurigen Thema empor, bevor das Thema wieder in die Trauer zurückfällt und sich das gleiche in der Themenwiederholung erneut darstellt, der hohe Durbogen (ab Takt 22) aber nun nach drei Tönen als Oktavakkorde weitergeführt.
    Dem folgt das grandiose "con grand' espressione", ein Paradebeispiel Beethovenscher Expressivität, von Anne Oland kongenial wiedergegeben, die Sechzehnteltriolen ab Takt 31 organisch einfließend, ein untrügliches Zeichen zunehmender innerer Beschleunigung und Erregung, hier hinführend zu der überirdischen Überleitung zum Seitenthema. Schon diese Sequenz spielt sie überragend.
    In diesem himmlischen Seitenthema wird in ihrem Spiel sehr deutlich, wie der Grundpuls des Themas trotz der "inneren Beschleunigung" immer gleich bleibt. Bei manchen anderen Interpretationen ist das nicht immer so deutlich. Und in Takt 65 und66 "grüßen wieder" die Erkennungsintervalle, die hier immer an entsprechenden Schlüsselstellen auftauchen, zuerst die Sext, und dann die Terz, 1/8-1/4, hier f''-a' und dann a''-f''.
    Dann die kurze Durchführung von Takt 69 bis 86, nur 18 Takte (von 187) und hier nur 1:22 min. von 17:40 min., in der Stimmung aufgehellt gegenüber dem Thema, was sonst oft umgekehrt ist, hier auch zwischendurch in Es-dur, und dann im Diminuendo-Smorzando (Takt 85/86), kurz vor der Reprise, wieder in fis-moll zurückfallend- welch ein Konstrukt- typisch Beethoven, auch diese unvergleichliche Reprise über deren Gestalt mit den ewigen Zweiunddreißigstel-Figuren in den unterschiedlichsten Intervallfolgen ich mich hier schon oft bewundernd ausgelassen habe:
    auch Anne Oland spielt sie hier herausragend. Und dann das riesenhafte Ritardando (Takt 107 bis 112) mit dem hellen, diesmal in der Oktave etwas tieferen Bogen. Danach ist Anne Oland wieder im Tieftraurigen angelangt, das sie im "grand espressione" Abschnitt wieder energisch Bahn bricht, von den großen Intervallwechseln im Tiefbass an die Erde gefesselt, so sehr sich der hohe Melodiebogen auch mühen mag, und sich dann doch, fast unmerklich in die, hier in etwas anderer musikalischer Form auftretende überirdische Überleitung zum himmlischen Seitenthema verwandelt- wunderbar, wie sie das fließend entwickelt und erneut in das himmlische Seitenthema eintritt. Und hier, an der Schnittstelle, sind sie wieder die beiden Intervalle; hier (Takt 147 und 148 auf der Eins) a'-c' und c''-a', zwei Takte später um eine Oktave erhöht: a''-c'' und dann c'''-a''. Dem kann nur noch die riesige Coda folgen, die, obzwar nur 34 Takte lang, sich über zwei Partiturseiten erstreckt.
    In ihr hat Beethoven ja bekanntlicherweise noch ein drittes Mal das himmlische Seitenthema eingebettet , dass sich jedoch nach wenigen Takt im dynamischen Furor erstreckt. Anne Oland lässt es hier dynamisch noch vergleichsweise glimpflich angehen, aber das passt sehr gut zu ihrem dynamischen Gesamtkonzept, dass vom Pianissimo ausgehend, nie in die höchsten Fortissimosphären vordringt, aber an innerlicher Dramatik und musikalischer Tiefe keinerlei Mangel leidet.
    Und auch ein Adagio endet nicht im Seitenthema endet nicht im Seitenthema, so schön es auch sein mag sondern immer im Hauptthema, nach zweieinhalb Takten schon im langen Ritardando befindlich, noch einmal mit dem hellen Bogen und nach einem letzten mäßigen Crescendo mit einem grandiosen Diminuendo-Morendo.
    Dieses aus lauter Höhepunkten bestehende Adagio hat eine breite mögliche Tempospanne, aber sie ist immer abhängig von einer entsprechenden interpretatorischen musikalischen Tiefe. Diese darf dem Stück nicht nur innewohnen, sondern sie muss auch ans Licht geholt werden. Das ist hier geschehen.


    Auch das Largo passt Anne Oland den bisherigen temporalen Binnenverhältnisse der übrigen Sätze an. Entspannt spannend erstreckt sie die ersten beiden Takte, in Takt zwei in der Zweiunddreißigstel-Bewegung auch das "Un poco piu vivace" über drei Partitursysteme.
    Erst im Allegro, Takt 3 bis 7, lässt sie das Tempo aufleben, fährt es jedoch im Takt 8 im "Tempo I" wieder stark zurück, im "tenuto" von Takt 9 naturgemäß noch mehr, um in Takt 10 die angemssene temporale Gegenbewegung auszuführen.
    Im Allegro risoluto (ab Takt 11), speziell im I. Teil der Fuga, der Exposition in B-dur (Takt 16 bis 84), schlägt sie ein maßvolles Tempo an und spielt die Fuga sehr transparent, so dass ma beide stimmen sehr gut verfolgen kann und sich gleichzeitig auf den Zusammenklang kümmern kann.
    Dem II. Teil der Fuga, die Vergrößerung des Themas (Takt 85 bis 152, spielt sie trotz der steigenden musikalischen Dichte , zunehmenden Trillerfiguren und rhythmischen Sprünge und stampfenden Sforzandi, weiterhin sehr transparent.
    Den dann folgenden III. Teil, den Rücklauf des Themas in h-moll, (Takt 153 bis 207), kann man dank ihre Spiels trotz der gestiegenen musikalischen Schwierigkeiten, z. B. im ersten Abschnitt (Takt 154 bis 179) mit den mit den teilweise zwei Fugenstimmen in der Melodieoktave, die auch wechselt, und den durchlaufenden Sechzehnteln in der Begleitung, eben auch dank ihrer wiederholten gleichen Figuren, weiterhin gut verfolgen.
    Der IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, (Takt 208 bis 249) bringt eine weitere Zunahme der musikalischen Dichte, sorgt aber durch nach wie vor sich wiederholende gleiche oder ähnliche Figuren für einen hohen Wiederkennungswert, vor allem, wenn man es, wie hier mit einem technisch präzisen Spiel, zu tun hat. Je präziser der Interpret, die Interpretin, die dynamischen und rhythmischen Gegebenheiten des Komponisten wiedergibt, desto einfacher ist es auch für den Hörer. Anne Oland gelingt das auch in diesem IV. Abschnitt mit den unglaublichen Trillersprüngen am Schluss, hier vortrefflich.
    Auch der V. Teil der Fuga, die Durchführung des zweiten Themas in D-dur, Takt 250 bis 278), sozusagen die aktive Atempause in diesem Ablauf, bleibt weiter auf diesem hohen Niveau.
    Der VI. Teil schließlich, aufgeteilt in drei Unterabschnitte, zuerst die gleichzeitige Behandlung des 1. und 2. Themas, dann die zweifache Behandlung des 1. Themas, und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, (Takt 279 bis 366), verlangt dem Interpreten, der Interpretin, noch einmal alles ab, aber auch dem Hörer. Wieder kommen so typische Bausteine dieses Riesensatzes, wie ähnliche Sechzehntelläufe über beide Oktaven oder gegenläufige Bausteine und lange auf- und abstrebende Sechzehntelläufe, dem Hörer entgegen.
    Anne Oland spielt auch diesen Riesenabschnitt bravourös.
    Bleibt noch die Coda, (Takt 367 bis 400), nochmal 34 Takte voller Höchstschwierigkeiten: bei Beethoven ist die Coda noch nie abgefallen, bei Anne Oland auch nicht.

    Eine herausragende Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    Ogdon habe ich mir nun angehört und extra gewartet - denn ich hatte mir zwischenzeitlich auch die neue Perahia-Aufnahme gekauft. Ich glaube, so langsam sind wir an dem Punkt, wo wir uns die Frage stellen können und sollten: Welcher Interpretationsansatz wird den doch "ungeheuren" Dimensionen dieser Sonate gerecht?


    Nach sehr, sehr langer Zeit habe ich gerade Pollini gehört. Das ist wirklich ein olympisches Niveau, muss ich nach dem Wiederhören sagen - und da bekomme ich all das, was ich bei den anderen Aufnahmen vermisse. Pollini kostet die Extreme aus, da ist Beethovens Subjektivität zu spüren, sein Wille, seine Energie, das Schwanken zwischen Zügellosigkeit des Ausbruchs und meisterhafter klassischer Zügelung. Was Pollini da alles an Facetten herausholt, ist unglaublich, was den Wechsel der Affekte angeht. Bewundernswert sein Sinn für klassische Proportion und dazu seine Feinsinnigkeit, die mit dem "Groben" kontrastiert. Wirklich ganz großes Klavierspiel und eine alles überragende Interpretation! (Hoffentlich findet das Konzert im Januar statt!) Beeindruckend auch die Fuge, die wirklich nicht nach einer Barock-Imitation klingt, sondern nach einer Beethoven-Fuge, Polyphonie in einem klassisch-symphonisch architektonischen Gewand. Auch Ashkenazy habe ich nochmals nachgehört - auch diese Aufnahme ist grandios, unglaublich luzide bis ins Detail durchgearbeitet. Und ebenfalls bei Ashkenazy hört man die Extreme - er gehört zu den Wenigen, die der Sonate gerecht werden.


    Ogdons Aufnahme ist wirklich wunderbar ausgewogen, immer natürlich und auch schön gespielt. Man denkt da an Rubinstein. Aber der "Ungeheuerlichkeit" dieser Sonate wird er finde ich nicht gerecht. Da fehlt die Quadratur des Kreises, die Beethoven hier versucht, das Explosive der Willenseruption in eine klassische Form zu bringen. Mir ist das alles zu moderat. Blass finde ich das Scherzo. Bei Pollini und auch bei Ashkenazy hört man den Anflug von Hast - bei Ogdon ist das schlicht ausdruckslos. Und den langsamen Satz spielt er schön rund, glättet aber die Extreme. Ziemlich "tot" gespielt finde ich die Überleitung zur Fuge - da baut sich so gar keine Spannung auf. Und die Fuge finde ich einfach nur langweilig. Perahia muss ich sagen liegt mir gar nicht. Er hat die "Hammerklaviersonate" im Bachschen Geiste linearisiert. Das ist mir alles zu pauschal - da geht genau diese Ungeheuerlichkeit des Versuchs, die Extreme klassisch zu bemeistern, verloren. Die Fuge gelingt ihm am besten, finde ich. Das hat wirklich barocke Dimensionen. Wirklich hörenswert ist Perahias "Mondscheinsonate".


    Das nur als Momentaufnahme! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich hatte dieser Tage viel zu tun mit den Proben zu unserer heutigen "Missa Festiva" von John Leavitt. Die nächsten Tage geht es wieder weiter mit Beethoven und Schubert. Bei der Hammerklaviersonate komme ich ja auch demnächst bei Pollini an, nach Perahia und Perl, und bei Schubert habe ich schon mit Shani Diluka begonnen, die ich auch am Beginn des Textes vorstellen werde.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • ich hatte dieser Tage viel zu tun mit den Proben zu unserer heutigen "Missa Festiva" von John Leavitt. Die nächsten Tage geht es wieder weiter mit Beethoven und Schubert. Bei der Hammerklaviersonate komme ich ja auch demnächst bei Pollini an, nach Perahia und Perl, und bei Schubert habe ich schon mit Shani Diluka begonnen, die ich auch am Beginn des Textes vorstellen werde.

    Lieber Willi,


    da wünsche ich Dir viel Freude! Ich habe gerade Solomon gehört. Das ist wirklich ganz großes Beethoven-Spiel. Er hat im ersten Satz die Unruhe, im Scherzo spürt man die Exzentrizität und den Revoluzzer-Geist, der langsame Satz beginnt sehr irdisch - aber dann! Bei Niemandem sonst habe ich so den tragenden Rhythmus gehört als Transformation des Vorherigen. Und die Fuge ist mit einer kaum glaublichen Mozartschen Leichtigkeit gespielt. In diese Region des einsamen Höhenflugs an Beethoven-Spiel kommt ein John Ogdon einfach bei weitem nicht! Manchmal finde ich es deshalb gut, die alphabetische Reihenfolge zu "schludern" um die Maßstäbe ein wenig zurecht zu rücken! :D :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

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  • Aber so schlecht finde ich die alphabetische Reihenfolge gar nicht, lieber Holger.
    Wen habe ich alles noch vor mir: Perahia, Perl, Pires, Pollini, Richter, Richter-Haaser, Rösel, Schiff, Schnabel, Serkin, Sokolov, Solomon, Uchida, Ugroskaja, Yudina und Zechlin.
    Da sind noch jede Menge "Hämmer" drunter. :D


    Liebe Grüße


    Willi


    P. S. Und die Mehrzahl von ihnen kommt ja auch in der anderen B-dur-Sonate bedeutsam zu Wort. :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • P. S. Und die Mehrzahl von ihnen kommt ja auch in der anderen B-dur-Sonate bedeutsam zu Wort. :)

    Lieber Willi,


    zum ersten Mal im "neuen" Forum und mit einem schönen Bild von Dir! :thumbup:Wie ist das bei Dir? Die Liste mit den letzten Beiträgen wie früher erscheint nicht, wenn man auf die Forenseite kommt und wenn ich die Schriftgröße und Schriftart hier im Antwortfenster wähle - wähle ich sie dann auch für alles Andere?


    Du hast natürlich Recht! Bei so vielen Aufnahmen ist die alphabetische Reihenfolge einfach die praktikabelste. Und bei "A" und "B" kommen ja schon gleich gernug Schwergewichte. Und es stimmt natürlich auch: sie kommen zu Wort. Vorausspringen gehört dann finde ich nur manchmal dazu, wenn es nützlich ist zur Einordnung und Einschätzung - wir müssen ja nicht sklavisch unserer selbstaufgestellten Regel folgen!


    Dir jedenfalls noch einen schönen ersten Adventssonntag!


    Witzig: Wir beide gehören zu den "Erleuchteten"! Eigentlich gehört dann auf dem Avatarbild auch der weihnachtliche Heiligenschein über den Kopf! ^^ ^^ ^^


    Liebe Grüße

    Holger

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Murray Perahia, Klavier


    AD: 11/2016

    Spielzeiten: 10:03 - 2:25 - 16:18 -11:36 --- 40:22 min.;


    Murray Perahia ist im Kopfsatz erheblich schneller als Anne Oland und auch noch schneller als John Ogdon.

    Er spielt das Hauptthema I kraftvoll, aber nicht mit brachialer Gewalt. Man spürt schon, vor allem im "a tempo" -Teil (ab Takt 9 mit Auftakt), dass er von Bach und Mozart kommt. Man spürt in diesem (bei Perahia besonders) raschen Teil des Hauptsatzes I und II die gewisse Leichtigkeit. Trotz des schnellen Procederes führt er aber die Ritardandi (Takt 8 und 32 bis 34) gewissenhaft aus, und sein pianistisches Niveau, das spürt man schon bis hierhin, ist noch auf einsamen Höhen, denn immerhin war er zum Zeitpunkt dieser Aufnahme nur noch ein gutes halbes Jahr von seinem 70. entfernt. Aber die wirklichen Weltklassepianisten sind da eh noch auf Topniveau.

    Auch die Überleitung zum Seitensatz ist vom Feinsten, und die 1. Phase des Seitensatzes zeichnet er mit dem feinen Silberstift- grandios!

    Auch die 3. Phase des Seitensatzes mit den mehrfachen Oktavierungstakten 81, 83 und 89/90 und der anschließenden hochdynamischen Überleitung zur Schlussgruppe ist in diesem Klanggewand.

    In der berührenden Schlussgruppe selbst nimmt er das Tempo etwas zurück und geht über das lange Trillercrescendo in den2. hochdynamischen Gedanken hinein, diesen auch technisch heiklen Abschnitt glänzend ausführend. Selbstverständlich wiederholt er nach den beiden glockigen Akkorden Takt 123 und 124, jeweils mit Auftakt, die Exposition mit der gleichen Sorgfalt und dem großen Schwund, wie er sie schon beim ersten Mal bewältigt hat.

    In der Einleitung zur Durchführung lässt er die beiden ff-Fermatenakkorde Takt 121 und 123 lange ausschwingen, fast wie eine Art Atempause vor der hochdynamischen Durchführung mit ihrem heiklen Fugato. Schon der Quasi-Anlauf in den Takten 124 bis 131 ist bemerkenswert, und dann wieder die beiden Glockenschläge, die wir schon am Ende der Exposition gehört haben, hier am Beginn des Durchführungskerns.

    Das Fugato mit den vier Einsätzen spielt er rhythmisch sehr prägnant im entsprechend hohen Tempo, seinem Gesamttempo angemessen, und die 4 Einsätze, aus dem sempre piano ab Takt 139 in einem ständigen Crescendo mit nur einer Pianogegenbewegung in Takt 163, sind bestens zu unterscheiden und gehen nahtlosen in den zweiten Abschnitt des Durchführungskerns über, dem viermaligen Auftakt des Fugatothemas, zuerst in der Dominanten von c-moll, dann in c-moll, dann in der Es-dur-Dominaten dann in Es-dur, der noch einmal eine Dynamikstufe höher ist als der erste, nämlich hier geht es durchweg im Fortissimo zu Werke, eine Vorschrift, die Beethoven allein in diesem relativ kurzen Abschnitt (ab Takt 177) jeweils nach vier Takten erneut fordert, insgesamt fünf Mal und jedes Mal mit einem Piano-Echo versieht, erst im 4. Themenauftakt dann "sempre ff" fordert. Perahia spielt das herausragend und schließt einen atemberaubenden Stillstand mit riesigem temporalen Kontrast an. Danach gestaltet er hinreißend das Cantabile espressivo (Takt 201 bis 213) und einen wiederum dynamisch sehr kontrastreichen letzten Durchführungsteil mit den vier ab schließenden Glissandotakten 223 bis 226.

    Dann lässt er die ebenfalls grandios gespielte Reprise folgen, wiederum mit sehr sorgfältig ausgeführten temporalen Bewegungen in den drei Hauptthementeilen und großen dynamischen Kontrasten, die er dann im dritten Hauptthementeil in dem wiederum hochrhythmischen Ablauf in einem neuerlichen berührenden Diminuendo-Ritardando auslaufen lässt, und nach der originellen Rückleitung wieder in den rhythmisch gegensätzlichen Seitensatz einschwenkt, hier ohne Oktavierungen und es herrlich fließen lässt, die 3. Phase dann schließlich in einer berauschenden dynamischen Steigerung auslaufen und diese in die zweigeteilte Schlussgruppe, hier in den kantablen ersten Teil hineinfließen lässt.

    Dass schließt er den ersten Satz mit der in jeder Beziehung angemessenen gewaltigen 60-taktigen Coda ab, die als insgesamt in diesem Thread als 48. durchgehörte Ausführung sicherlich zu den fünf oder sechs bestgespielten gehört, die ich bis jetzt vernommen habe.

    Insgesamt ein herausragend gespielter Satz!!

    Auch im Scherzo ist Perahia erheblich schneller als Oland und auch noch schneller als Ogdon.

    Wiederum spürt man die Leichtigkeit, die ich schon eingangs der Besprechung des Kopfsatzes erwähnte. Was wiederum hinzukommt, ist die absolut souveräne Behandlung der dynamischen Linie und, schon im Scherzoteil der rhythmischen Verschiebungen im Thema, Mittelteil und der Wiederholung (insges. Takt 1 bis 46).

    Selbst im Trio sind die durchlaufenden Achteltriolen, wechselseitig im Bass oder im Diskant, gut zu verfolgen. Das Presto (ab Takt 81) mit dem anhängenden Prestissimotakt 112 ist mitreißende musiziert.

    Und im Tempo I steht die zusätzliche Achtel im Alt wie eine "Eins". Murray Perahia gehört zu dem eher etwas kleineren Kreis von Weltklassepianisten, die in diesem hohen Tempo die pianistischen Klippen dieses nur scheinbar kleinen Scherzos mühelos umschiffen können. - Grandios!!


    Im Adagio sostenuto liegt Murray Perahia genau zwischen dem schnelleren John Ogdon und der langsameren Anne Oland. Dennoch kann man alle drei wohl zur schnelleren "Hälfte" aller Interpreten dieser Sonate rechnen.

    Auch hier ist, wie in den anderen Sätzen, ein klarer, diesseitiger Klang vorherrschend. Er nimmt wohl die Vortragsvorschrift "mezza voce", also "mit halber Stimme" ernst, verleiht aber dieser halben Stimme eine klare, diesseitige Färbung, was ihre zwar eine gewisse Melancholie verleiht, aber keine abgrundtiefe Traurigkeit.

    Erst i um ersten Dur-Bogen zieht er sich etwas nach innen zurück, wird der Klang ätherisch-zaubrisch und bietet den rechten Kontrast zur darauf folgenden dynamischen Steigerung (Takt 18).

    Einen erneuten Kontrast schafft er innerhalb des zweiten Bogens (Takt 22/23, wo er die ersten drei Achtel intim formt und erst über der Oktavierung (die nächsten sieben Achtel-Oktav-Akkorde) die "Sonne" aufgehen lässt- grandios!°

    Sehr ausdrucksvoll gestaltet er auch im Melodieteil die Sequenz "con grand espressione" (ab Takt 28 mit Auftakt), die er im langen Crescendo und der inneren Beschleunigung mit drängendem dramatischen Impetus erfüllt und in die überirdischen Überleitung zum Seitenthema einfließen lässt.

    Auch diese Überleitung gestaltet er wieder im Kontrast zur voraufgegangenen Steigerung zurückhaltend in eher intimer Tongebung.

    Im himmlischen Seitenthema behält er diese Zurückhaltung in dynamischer Hinsicht bei, während er in der Oktavierung des Themas (ab Takt 47) doch wieder zu klarem diesseitigen Klang findet. Doch auch in der inneren Beschleunigung mit den Sechzehnteltriolen ab Takt 49 bleibt er im Piano, die vorgeschriebenen Crescendi innerhalb dieser Dynamikstufe moderat hervorhebend. So schließt er auch die Überleitung zur Durchführung mit den mehreren kleinen dynamischen Bewegungen (ab Takt 57) an. Interessant ist auch hier bei Erreichen der Durchführung die vergangene Zeit im Vergleich zu Michael Korstick. Während dessen Zeit hier 10:32 min. erreicht hat, sind bei Murray Perahia gerade 5:55 min. vergangen.

    Es scheint kaum glaubhaft, nach meinen Eindrücken aber doch gegeben, mit zwei so unterschiedlichen temporalen Konzepten zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen, dank Korsticks ungeheuer spannungsreichem Spiel (vergl. Beitrag 116 auf Seite 4).

    In der kurzen Durchführung, auch von Murray Perahia, ähnlich wie von Anne Oland und John Ogdon, diesseitig hell, zwischenzeitlich in Es-dur, und sangbar gespielt, ist auch hier der dynamische Kontrast zugunsten des lyrischen Ausdrucks moderat, hier auch wie dort dank der höheren Grundtempos in einem temporal kontrastreich langsamen Smorzando auslaufend, zur Reprise hin.

    Auch er spielt diese wundersame Reprise, fast zur Hälfte aus wechselnden zweiunddreißigstel-Oktavsprüngen, praktisch unter einem großen Bogen aus 18 langen Takten mit zunächst 24 Zweiunddreißigsteln im Diskant, dann von Zweiunddreißigstelpausen unterbrochen und in den letzten fünf Takten von permanentem Wechsel von Oktav-Sprüngen (z. B. c'''-c''-c'''), jeweils unterbrochen von einer Zweiunddreißigstelpause und den letzten beiden Takten (102 und 103) auch noch wechselnd oktaviert. Dies ist ein Sonatenabschnitt ohne Beispiel, den auch Murray Perahia grandios gestaltet.

    Dem lässt er ein beeindruckendes Diminuendo poco a poco folgen, gefolgt von jenem grandiosen Ritardando (Takt 107 bis 1129, das einen weiteren Edelstein in diesem mirakulösen Satz darstellt.

    In diesem ist als weitere Höhepunkt auch in Perahias Interpretation der neuerliche Dur-Bogen, hier in Takt 108/109, zu nennen.

    Auch der neuerliche "con grand' espressione-Abschnitt, wenn auch nicht explizit so genannt, ist sehr ausdrucksvoll, mit drängendem Impetus gespielt im "molto espressivo" in den nun etwas anders gestalteten überirdischen Übergang zum neuerlichen Seitenthema übergehend.

    Das himmlische Seitenthema, wiederum oktaviert und dann in die tiefe Oktave zurückkehrend, gestaltet er wieder so mitreißend wie im ersten Auftritt (ab Takt 44, hier ab Takt 130. Das gilt auch für die variierte Fortsetzung in der Sequenz mit der inneren Beschleunigung, vor allem auch, dass er hier wie dort den dynamischen Kontrast moderat hält und im abschließenden "una corda"-Teil, hin zur Coda, im Pianissimo verbleibt. Als Zeichen der Annäherung sind auch hier wieder die beiden symbolhaften Intervalle Sexte und Terz zu nennen, die auch hier wieder auftauch, wie so oft bei Beethoven an den entsprechenden Schlüsselstellen.

    Und dann die Coda: eine derartige, hier schon oft in ihrer Einmaligkeit geschilderte, ist sicherlich auch ein Alleinstellungsmerkmal für Beethovens Klaviersonaten, vor allem diese überaus kühne Sequenz, in der Beethoven das letztmalig auftauchende "himmlische" Seitenthema in den Orkus schickt, nicht ohne warnende Anzeichen zu senden wie die gleich zu Beginn in der Begleitung (Takt 158) auftauchenden Sechzehnteltriolen, als die Crescendovorschrift schon gewesen ist (Takt 157).

    Auch Perahia spielt diese Stelle dynamisch, aber im Rahmen seiner moderaten dynamischen Kontraste in diesem Satz nicht so heftig wie andere Pianisten.

    Mit dem letzten Themenauftritt (Takt 166) taucht auch das letzte ausladende Ritardando auf (ab Takt 169 mit Auftakt) und mit ihm das letzte Mal der wundervolle hohe Durbogen (Takt 170/171), bevor im letzten hohen Bogen überhaupt (Takt 176) und dem letzten Crescendo alles in einem erlösenden Morendo zu Ende geht.

    Murray Perahia spielt dieses Morendo so, als sei es von Anfang an das Ziel in diesem überwältigenden Satz gewesen- genial!!


    Er spielt das Largo auch in durchaus gemessenem Tempo, zumindest Takt 1 und auch das "Un poco più vivace in Takt 2. Jedoch auch das Allegro gestaltet er temporal sehr harmonisch im Vergleich zu den beiden voraufgegangenen Takten.

    Das Tenute fügt sich organisch in diesen Ablauf ein, ebenso das abschließende a tempo - accelerando - prestissimo. Da ist nichts in diesem ersten einleitenden Abschnitt, was temproal aus dem Rahmen fiele, wie ich es schon in so mancher anderen Aufnahme erlebt habe, wo Pianisten ihre Virtuosität unter Beweis stellen wollten, anstatt sich um die Partitur zu kümmern.

    Den Teil I der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt Murray Perahia, zwar zügig, aber mit klarem Klang und präzise die strukturierenden Sforzandi hervorhebend, die Triller akzentuierend und die sich wiederholende Figuren in Diskant und Bass durch die ebenfalls gut strukturierenden Viertel- und Achtelpausen deutlich setzend.

    Den II. Teil, die Themenvergrößerung in es-moll, Takt 85 bis 152, den umfangreichsten aller neun Einzelteile der Fuga, gestaltet er mit dem am häufigsten überhaupt in diesem Satz, und speziell in diesem Teil vorkommenden rhythmisch/dynamischen Merkmal, dem Sforzando, vorbildlich, die Figurenwiederholungen und die im Mittelteil gehäuft auftretenden Triller organisch in den Ablauf einbindend.

    Auch den Teil III, den Themenrücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, mit den typischen cantablen Themenanteilen im ersten Abschnitt und den dann in beiden Oktaven auftretenden parallelen oder gegenläufigen Figuren spielt er so deutlich, dass der Hörer sie gut verfolgen kann.

    Den IV. Teil die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, der ja, wenn man die interne Dreiteilung des VI. Teils außer Acht lässt, so etwas wie der Mittelpunkt oder Höhepunkt in einer pyramidalen Struktur der Fuga ist, sehe ich mittlerweile als so etwas wie meinen Lieblingsteil an, einerseits weil ich bisher am meisten mit ihm zu kämpfen hatte, es aber immer leichter wurde, und weil es auch m. e. einer der pianistischen Höhepunkte ist, nicht zuletzt wegen der unglaublichen Triller-Sprünge-Sequenz Takt 243 bis 249, am Ende, anzusehen ist. Die Gestaltung dieses Fugateils ist auch einer der Höhepunkte in Perahias Vortrag- grandios!


    Der nun folgende V. Teil, die Durchführung des zweiten Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, zeigt auch, dass Perahia auch von Bach her kommt, so natürlich so fließend, und dennoch auch ohne jegliche dynamische Vorschrift, nur mit dem "sempre dolce cantabile" und dem wenige Takte später stehenden "sempre ligato" lässt er die Musik durch kaum merklichen dynamische Bewegungen atmen, wie die Musik Bachs atmet- wunderbar!

    Der VI. Teil schließlich, in drei Abschnitte gegliedert, zuerst gleichzeitige Behandlung des 1. und 2. Themas, dann zweifache Behandlung des 1. Themas, und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, Takt 279 bis 366, ist nicht nur für den Pianisten, sondern auch für den Hörer, eine gewaltige Anstrengung. Ohne Partitur sind diese Abschnitte gar nicht zu unterscheiden, jedenfalls nicht für mich, mit Partitur sehr wohl.

    Murray Perahia strukturiert diesen letzten langen Anstieg wunderbar, so dass man jederzeit auf der Höhe des Geschehens ist, weil immer wieder bekannte Merkmale den Weg weisen.

    Mit einer kongenialen Interpretation der genialen Coda, Takt 367 bis 400, schließt Murray Perahia eine herausragende

    Aufnahme ab.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    vielen Dank für Deine ausführliche Besprechung dieser Aufnahmen von Murray Perahia. Ich war bei der Ankündigung etwas skeptisch, aber Perahia bleibt dem radikalen Werk nichts schuldig und spielt in den Ecksätzen mit dem meines Erachtens notwendigen Zug nach vorne. Aufnahmetechnisch ist diese Einspielung ein Genuss, der Ton leuchtet, der Hall wirkt natürlich, der Flügel ist präsent und keinesfalls zu weit weg.


    Für mich ist das eine der kapitalsten Beethoven-Aufnahmen der letzten Jahre, ein richtig starker Wurf!


    Herzliche Grüße

    Christian

  • Zitat von Christian B.

    Für mich ist das eine der kapitalsten Beethoven-Aufnahmen der letzten Jahre, ein richtig starker Wurf!


    Diesen Eindruck hatte ich auch, lieber Christian, zumal ich Murray Perahia auch schon live erlebt hatte und man da auch spürte, welche Energie er verströmt.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Yuja Wang, Klavier

    AD: 14. 5. 2016, Carnegie Hall, live

    Instrument: Steinway

    Spielzeiten: 11:10 - 2:33 - 17:26 - 11:46 --- 42:55 min;


    Yuja Wang spielt den Kopfsatz zwar etwas langsamer als Murray Perahia und schlägt ein kerniges Fortissimo an. Wie man es von ihr gewohnt ist, ist sie rhythmisch und dynamisch mitreißend und beachtet auch das Ritardando im Hauptthema I und das Diminuendo ritardando am Ende von Hauptthema II. Glänzend auch das lange Crescendo ab Takt 11 und die sich anschließenden Dynamikwechsel ab Takt 17.

    An das Diminuendo Ritardando schließt sie ebenso kraftvoll wie zuvor das Hautthema III, Takt 35 bis 38 an, das sich nur im letzten Akkord vom Hauptthema I unterscheidet. Dieser Akkord ist nicht, wie vorher, eine Terz tiefer, sondern reicht ebenfalls bis zum c'''.

    Dann spielt sie die Überleitung zum Seitensatz (Takt 39 bis 46) mit wiederum sehr präzisem Crescendo und organisch eingebundener Oktavierung und anschließendem Diminuendo.

    Schon die 1. Phase des lyrischen Seitensatzes (Takt 47 bis 63) lässt sie in kristallinem Klang (vor allen in den Oktavierungen) in sorgfältig eingeflochtenen dynamischen Bewegungen dahinfließen. In den Mittelpunkt der 2. Phase (Takt 64 mit Auftakt bis Takt 74) stellt sie die ganz natürlich klingenden Tempowechsel, und in der 3. Phase spielt sie wunderbar die Legatobögen mit den fließend eingebundenen Oktavierungen und lässt den Seitensatz in einem begeisternden Crescendo mit

    machtvollen Sforzando-Akkorden auslaufen.

    Ganz berührend und im Tempo deutlich zurückgefahren, spielt sie den 1. Gedanken der Schlussgruppe, das "Cantabile dolce ed espressivo", zuerst im Piano (Takt 100 bis 105), dann in einem mitreißenden Crescendo (Takt 106 bis 111) mit den herrlichen Trillern und schließlich den zweiten Gedanken der Schlussgruppe (Takt 112 bi 125) , die ersten vier Takte in einem Dynamikwechsel, dann ein machtvolles Crescendo anschließend, wobei am Ende die Überleitung durch zwei Fanfarenrufe erfolgt- großartig!

    Hierauf wiederholt sie selbstverständlich die Exposition. Dann stimmt sie in Takt 102a bis 124a in machtvollen jeweils auf einer Fortissimofermate endenden Akkorden die Einleitung der Durchführung an, die sich dann subito pianissimo fortpflanzt, über ein Crescendo mit zwei weiteren Fanfarenrufen zum Kern der Durchführung fortbewegt.

    Das Fugato (ab Takt 138 mit Auftakt), spielt Yuja Wang ganz ruhig und konzentriert, zunächst einige Takt im Piano, dann ab Takt 144 in einem langen Crescendo, viermal das Thema bis zum Ende des 4. Themas in Takt 176. Sie spielt das so präzise und transparent, dass man jederzeit orientiert ist und den Aufbau des Fugatos genau nachvollziehen kann.

    Nahtlos schließt sie den zweiten Teil des Durchführungskerns an, in dem der Auftakt des Fugato-Themas durchgeführt wird, zuerst in der Dominanten von c-moll, dann in c-moll, dann in der Dominanten von Es-dur und zuletzt in Es- dur, wobei die vorherrschende Dynamikstufe in diesem Abschnitt (Takt 177 bis 196) auftaktig das Fortissimo ist, das dann jeweils bis zum nächsten Auftakt von kurzen Zweiachtel-Legatofiguren kontrastiert wird außer dem 4. Auftakt (ab Takt 189), der durchgehend sempre fortissimo gespielt wird. Dies schließt Yuja Wang mit einem herausragenden "Stillstand" ab, einem herrlichen diminuendo-Ritardando. Längst nicht alle Pianisten, die ich bisher besprochen habe (48), haben das so wunderbar ausgeführt wie Yuja Wang. Und wenn überhaupt noch eine ausdrucksmäßige Steigerung möglich ist, dann vollzieht sie diese im anschließende Cantabile -espressivo (ab Takt 201)- grandios!

    Im letzten Durchführungsteil (Takt 214 bis 226) schließt sie dynamisch höchst kontrastreiche Achtel- und Viertel-Figuren über mehrere Oktaven an, die in Takt 223 mit Auftakt bis Takt 226 in vier unglaublichen Glissandotakten auslaufen.

    Dann kommt die Reprise, und die Modulation mit den ineinandergreifenden dynamischen und temporalen Feinheiten spielt sie unglaublich. Das ist natürlich nicht eins zu eins die Exposition: die Steigerungen sind verändert, die Legato-und Staccato-Anteile sind verändert- und fast möchte man sagen: es ist nochmal eine Steigerung im Ausdruck gegenüber der Expostition, z. B. sind im Hauptthema II die Oktavierungen über mehrere Takte hier konzentriert auf jeweils einen Akkord (Takte 251, 253 und 255), jeweils auf der Eins, was im Verein mit den Dynamikwechseln eine weitere

    Steigerung der Expressivität bedeutet, hier von Yuja Wang kongenial umgesetzt.

    Auch Rückleitung, Seitensatz und Schlussgruppe gibt sie auf dem gleichen turmhohen Niveau wieder wie in der Exposition, und in der langen Oktavierung (vorher Takt 112 bis 121) hier ab Takt 344, setzt die unglaubliche Coda ein, die Yuja Wang einfach überragend spielt, mit höchstem Ausdruck, aber jederzeit kontrolliert.


    Das Scherzo spielt sie zügig, rhythmisch prägnant und hochdynamisch, mit großen dynamischen Kontrasten. Das Trio spielt sie in dem gleichen Grundtempo, aber so genau, dass die Achteltriolen von Anfang an sehr genau zu vernehmen sind. Ein Wucht auch ihre Presto-Sequenz mit dem herausragenden Prestissimotakt 112.

    Durch ihre fast unbegrenzten pianistischen Fähigkeiten gelingt es ihr in Scherzo II nicht nur, die zusätzliche Achtel im Alt (ab Takt 122) klar hervortreten zu lassen, sondern sie spielt das Ganze auch noch ohne jeden Anflug von Hetze, die feinsten dynamischen Bewegungen präzise ausführend und schlie0tdas Scherzo mit einer fabelhaften Presto-Coda ab.


    Yuja Wang beginnt das Adagio in aller Ruhe in angemessener Lautstärke und mit so klarem Klang, dass man die teils siebstimmigen Akkorde gut unterscheiden kann.

    In ganz einfachem, fast strahlendem Klang steigt die erst Durauflösung (Takt 14/15) empor, um gleich darauf wieder in den traurigen langsamen, aber anscheinend unaufhaltsamen Fortgang des fis-moll-Themas zurückzusinken, doch wenige Takte später holt Yuja Wang es noch einmal genauso zielstrebig ans Tageslicht, sogar verstärkt durch Beethovens genialen Einfall der Oktavierung, (ab Takt 22 auf der fünften Achtel), zum ersten Mal eine Orientierungsfigur spielend, die beiden absteigenden Quarten: 3/8-1/8, wie zwei mühselige Seufzer klingend, die uns in diesem Satz an entsprechenden Schlüsselstellen noch häufiger begegnen werden, hier an der ersten "con Grand' espressione-Stelle.

    An der Wiederholung dieser Schlüsselstelle werden uns diese "Seufzer" wieder begegnen, und noch woanders.

    Aber diese expressive Steigerung hat noch eine andere Bewandtnis: sie führt uns zur ersten überirdischen Überleitung zum himmlischen Seitenthema hin, das m. E. zu den größten musikalischen Eingebungen Beethovens, ja der gesamten klassischen Klavierliteratur überhaupt gehört. Ich persönlich setze den Beginn der Überleitung in Takt 35, nach der Zweiunddreißigsteltriole an, nach der Beethoven ein geniales Konstrukt einer terrassendynamischen Steigerung, einhergehend mit terrassenförmig ansteigenden Intervallen als Überleitung komponiert und im zweiten Teil mit Sechzehntel-Legato-Figuren fortsetzt, und Yuja Wang spielt dies völlig unaufgeregt mit der größten Selbstverständlichkeit: sie hat diese Sequenz m. E. völlig verinnerlicht und spielt den Legatoabschnitt grandios, so dass man die zusammen- und dann wieder auseinanderlaufenden Intervallen von Diskant und Bass im Zusammenhang von Crescendo und Diminuendo deutlich hören kann.

    Und in der Gestaltung des himmlischen Seitenthemas sehe ich sie ebenfalls auf der Höhe der Besten, die ich bisher in diesem satz gehört habe. Sie beherrscht die ganze Ausdrucksskala über den gesamten dynamischen Kontrast, die hier gefordert sind, und hier sind wir auch an der nächsten Schnittstelle angelangt, wo uns die Signal-Intervalle wieder, hier in D-dur jedoch nicht als traurige Seufzer, und hier sind es auch eine Sext und eine Terz (Takt 63/64 und 65/66) als Übergang zur Durchführung.

    Die sehr kurze Durchführung, nur 17 Takte lang, spielt Yuja Wang, im "una corda"-Modus beginnend, in ausdrucksvollem lyrischen Gesang mit Achtel-, Viertel- und Dreiachtel-Oktavakkorden in beiden Oktaven, das Klanggewebe langsam verdichtend, zuerst mit diesen wunderbaren Sechzehntel-Legato-Tonleitern, dann das Thema wieder mit Oktavakkorden, diesmal im Bass anstimmend, darauf das Thema wieder wechselnd in die hohe Oktave mit den Sechzehntel-Tonleitern im Bass begleitend, langsam in ein Crescendo gleitend und akkordisch im dichter werdend: "poco a poco due ed alora tutte le corde", dann in der Phase dichten Akkordgeflechtes dynamisch gesteigert, bis es in einem Diminuendo-Smorzando ausläuft (Takt 85/86)- das alles von Beethoven auf so kleinem Raum komprimiert und von Yuja Wang so natürlich einfach und rhythmisch-dynamisch-temporal perfekt umgesetzt.

    Dann nimmt sie die Reprise in Angriff, ein Gebilde - ich sagte es schon mehrfach - das, an Takten viermal so lang wie die Durchführung, zum größten Teil nur aus Zweiunddreißigstel-- und Sechzehntelfiguren besteht, im ersten, dem hauptsächlichen Zweiunddreißigstel-Abschnitt (Takt 87 bis 103) im Diskant aus immer wieder changierenden Zweiunddreißigstelfiguren mit durchgehenden Oktavwechseln besteht, die sich jedoch immer wieder etwas ändern, sei es in der Tonlage oder in der Abfolge der einzelnen Intervalle- eine Sequenz, auch das sagte ich schon, die in der gesamten Klavierliteratur, jedenfalls in dieser Perfektion, ihresgleichen sucht, Und das gestaltet sie sehr ausdrucksstark und pianistisch auf sehr hohem Niveau, dabei die dynamischen Bewegungen und die stets wechselnde Fahrt durch die Oktaven und die synkopischen Anordnungen der Diskantoktavwechsel - und Bassakkorde souverän beherrschend.

    Und dann kommen wir zum ersten Mal an das rätselhafte lange Ritardando, das sich über sechs Takt und in der Begleitung (Bass über 72 Sechzehntel) erstreckt. Und auch hier, an der nächsten Schnittstelle, treffen wir wieder auf die Signalakkorde, hier zwei Quarten in Takt 112. Und sie spielt vorbildlich diese sechs Takt in einem immerwährenden Ritardando, am Übergang wiederum zum à tempo- Teil "con grand espressione" mit den großen Akkord-Intervallen im Bass und Tiefbass und hinauf bis zum h''', also fast dem Ende der 3. Violinoktave. All das spielt sie ganz entspannt-spannungsvoll und im "molto-espressivo" dann wieder in die etwas geänderte überirdische Überleitung zum neuerlichen Seitenthema. Wie sie das spielt und dann den großen Bogen so wunderbar bis zum himmlischen Seitenthema spannt, das sichert ihr schon jetzt, wie ich finde, einen Platz in der Spitzenklasse der Pianistinnen und Pianisten.

    Und aus dem Piano heraus spielt sie organisch das lange Crescendo mit der genial komponierten inneren Beschleunigung, hier spürbar ab Takt 137 durch die Sechzehnteltriolen, und dann nach dem Diminuendo in Takt 144/145, vernehmen wir wieder die Signal-Intervalle, diesmal wieder Sexte und Terz (Takt 146/149 und 150/151), und auch die Figuren im Diskant (Takt 151 bis 153), die danach folgen, sind die Gleichen wie zuvor. Nun kann nur noch eins folgen, die grandios 34-Taktige Coda, immerhin auch sie doppelt so lang wie die Durchführung. In eine höheren Tonlage beginnt sie auch wie diese. Es ist also schon bekannt, aber nicht gleich.

    Und in gewisser Weise sehen wir wie durch ein Brennglas noch einmal in ein verkleinertes Bild des Seitenthemas, das diesmal jedoch ein anderes Ende nimmt, es geht nämlich in einer hochdramatischen Steigerung unter, und Yuja Wang spielt auch das grandios.

    Ein letztes Mal meldet sich nun das Hauptthema: das Brennglas weitet den Blick, und es folgt noch einmal das rätselhafte Ritardando mit der wunderbaren Durauflösung (Takt 170 mit Auftakt), ein letztes Mal "à tempo" und abschließend das unglaubliche Diminuendo-Morendo.

    Was ich etwas weiter oben son über den zweiten Übergang zum Seitenthema sagte, gilt im Grunde für den ganzen Satz- ein Meisterleistung!


    Auch das Largo (Takt 1)gestaltet sie temporal durchaus zutreffend, ruhig, rhythmisch mit den vielen kurzen Pausen überlegen und dynamische ebenfalls partiturgerecht. Das Gleiche gilt für das "Un poco piu vivace (Takt 2). Im Allegro (Takt 3 bis 7) zieht sie spürbar das Tempo an. In "Tempo I" (Takt 8) ist sie wieder im Largo-Tempo, wie es gehört. Allerdings erschließt sich mir nicht, warum sie den dritten Sechzehntel-Doppelakkord im Diskant forte spielt. Der ganze Takt gehört piano gespielt. Vielleicht ist ihr nur die Hand ausgerutscht.

    Im "tenuto" (Takt 9) legt sie im Tempo wieder zu, das ist alles noch normal. Das schon ziemlich dichte musikalische Geflecht fächert sie jedoch sehr schön auf. Auch der noch dichtere à tempo-Takt 10 mit dem abschließenden Accelerando-Prestissimo-Ritardando spielt sie ohne Fehl und Tadel, ebenso die zur Fuga führenden Überleitung im Allegro risoluto (Takt 11 bis 15).

    Den I. Abschnitt der Fuga, die Exposition B-dur, Takt 16 bis 84, spielt sie mit vorbildlicher Klarheit und auch technisch so einwandfrei, das keine Töne, wie schon öfter gehört, unter den Tisch fallen, im Tempo nicht überdreht, dynamisch und rhythmisch, wie es gehört.

    Den II. Abschnitt, die Themenvergrößerung in es-moll, Takt 85 bis 152, spielt sie mit der gleichen Klarheit, auch im zweiten Teilabschnitt, als erst die Staccatoakkorde und dann die Sforzandoketten auftauchen, spielt sie unerschütterlich weiter, auch als ab Takt 111 die Triller bis Takt 129 durch die Oktaven wandern, umspielt von teils großen Akkordintervallen. Auch den letzten Teilabschnitt (Takt 131 bis 152 mit auseinanderlaufenden Sechzehnteltonleitern, durchdrungen von kräftigen Sforzandi und Forteakkorden spielt sie trotz des flotten Tempos, aber eben auch wegen ihrer Fähigkeit, die Ähnlichkeit wiederholter musikalischer Figuren auch rhythmisch kenntlich zu machen, transparent weiter, so dass der Hörer jederzeit im Bilde sein kann.

    Den III. Abschnitt, den Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, der pianistisch äußerst anspruchsvoll ist, wegen der rhythmischen Begleitung und darüber bzw. darunter der kantablen langsamen Melodiebewegung. Da sie keine der beiden Bausteine vernachlässigt, ist das so gut zu verfolgen. Im zweiten Teilabschnitt steigt die Schwierigkeit noch an, weil nun die Richtungen der Sechzehntelfiguren scheinbar wahllos auseinanderdriften, aber, wenn man nur auf das Notenblatt schaut, doch ein schlüssiges Muster zu erkennen ist. Das Zauberwort ist auch hier die "Wiederholung. Hilfreich ist auch hier wieder Yuja Wangs klarer Anschlag.

    Am Ende des "Aufstiegs" steht der IV. Abschnitt, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, mit dem unglaublichen Abschluss. Wegen ihres ausgeprägten Rhythmusvermögens kommt Yuja Wang in diesem Abschnitt sogar teilweise ins Swingen, so. z. B. in den Takten 225 bis 228.

    Auch in ihrer Interpretation ist der zweiten Teilabschnitt (Takt 229 bis 249) ein interpretatorischer und pianistischer Höhepunkt, denn die wilden Sechzehntelbewegungen, die über mehrere Oktaven rauf und runter, kreuz und quer gehen und in den noch wilderen Trillersprüngen enden, kommen in der normalen klassischen Klavierliteratur sicherlich kein zweites Mal vor.

    Und im Mittelabschnitt, dem V., der Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, ist Ruhe, und das ist gewiss kein Zufall in diesem pyramidenförmigen Aufbau der insgesamt 9 Abschnitte, denn der 6. Abschnitt ist dreiteilig, und bei Beethoven is eh nichts Zufall, auch wenn es manchmal so scheint. Beethoven hat sich manchmal den Spaß erlaubt, seine Zuhörer "anzuschmieren".

    Yuja Wang spielt auch spielt auch diese "aktive Ruhepause" großartig, aber nicht besser als viele andere, denn interessanterweise geben sich eigentlich alle PianistInnen bei diesem Abschnitt große Mühe, weil man sich bei diesem vermeintlich leichten Abschnitt schnell verheben kann.

    Der VI. Abschnitt mit der gleichzeitigen Vorstellung des 1. und 2. Themas (Takt 279 bis 293, dann dem zweifachen Spielen des 1. Themas, Takt 294 bis 348, dann der Schlussankündigung der Durchführung,Takt 349 bis 366)alle drei in B-dur, hat es noch mal so richtig in sich. Hier sind noch mal ellenlange, häufig über die Oktaven springende Sechzehntelfiguren, Oktavakkordketten, über das ganze Tableau gesprenkelte Triller und Sforzandi en masse.

    Auch das meistert Yuja Wand mit gewohnter Souveränität und großer Leidenschaft, wie ich meine.

    Aber vor den Schluss haben die Götter (Beethoven) die sensationelle Coda gesetzt, den 9. und letzten Abschnitt dieser vertrackten Fuga, dem Mount Everest der Klaviermusik.

    Und diese Coda scheint so etwas wie der große Höhepunkt ihrer gesamten Interpretation gewesen zu sein- herausragend!!

    Dieses eine Forte zur Unzeit, wo war es doch gleich- ich hab' es vergessen!

    Ich habe mich jetzt drei Tage mit dieser Aufnahme beschäftigt, und ich bin tief berührt. Ich hoffe, dass wir noch viel Beethoven von ihr hören werden. Aber allzu viel Zeit habe ich ja auch nicht mehr.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vielen Dank, lieber Willi, für diese ausführliche, auf den Notentext gestützte und dabei jedes relevante Detail berücksichtigende kritische Beurteilung dieser Interpretation der Hammerklavier-Sonate durch Yuja Wang. Hat mich beeindruckt!

    Ich bin, freilich erst nach mehrmaligem Hinhören, im wesentlichen zu einem ähnlichen Urteil gelangt wie Du und fühle mich nun durch das, was ich von einem Kenner und Fachmann lese, darin bestätigt. Nicht ganz so positiv sehe ich zwar die - für diese Sonate so bedeutsame - Balance zwischen den dramatischen und den lyrischen Passagen. Aber das ist ein Aspekt, der keine wirklich gravierende Einschränkung meines höchst positiven Bildes von dieser Interpretation mit sich bringt.

  • Lieber Helmut,


    schönen Dank für deinen Beitrag und den Zuspruch, der mir zeigt, dass ich mich (immer noch) auf dem richtigen Weg befinde. Es ist schon ein gutes Stück Arbeit, immer wieder bei jeder neuen Aufnahme und immer wieder erfüllend, wenn man es geschafft hat. Es ist, wenn auch auf viel bescheidenerem Niveau, eine gewisse Parallele zu der Musikerin, dem Musiker, über die/den man jeweils spricht, wenn diese am Ende des beschwerlichen Weges über das Bergmassiv "HJammerklavier-Sonate" angekommen sind und gerade am Ende (Coda) noch diesen unwiderstehlichen Schwung haben.

    Ich darf schon jetzt darauf hinweisen, dass ich als Nächsten einen Pianisten bespreche, der die Sonate 1959 aufgenommen hat, mit 17 Jahren!


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    auch ich bin immer wieder beeidruckt mit welcher Akribie Du deine Beiträge über Beethoven-Klaviersonten schreibst.

    So einen umfangreichen Beitrag zu verfassen, dauert ja länger als die Sonate selbst.

    Wenn man alle Deine Beethoven-Sonaten in einem Buch zusammenfassen würde, das wäre schon ein "Klassik-Bestseller für Klassikfreunde".


    Nur eines ... :hello: so etwas wie deinen letzten Satz in Beitrag 166 wollen wir doch nicht lesen und etwas in der Richtung annehmen/voraussagen oder was auch immer.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Willi,


    ich werde Deine beieindruckend lange Rezension noch lesen! Ich komme allerdings heute nicht mehr dazu - neben dienstlichem Kram, der zu erledigen ist, feile ich an meiner Buniatishvili-Rezension (bin halt ein unverbesserlicher Perfektionist!) und habe gerade zum Kaffee Yuja Wangs Berliner Konzert zum zweiten Mal gehört, so dass ich nach Buniatishvili dann diese Rezension auch endlich schreiben werde. Mal sehen, ob ich heute zur Nachtzeit dann noch in Y. Wangs op. 106 reinhören kann! :)


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Zitat von teleton

    Nur eines ... :hello: so etwas wie deinen letzten Satz in Beitrag 166 wollen wir doch nicht lesen und etwas in der Richtung annehmen/voraussagen oder was auch immer.

    Lieber Wolfgang,


    nur keine Angst. Ich wollte das nur ganz allgemein bemerken, da ich ja im Mai 73 Jahre alt werde. Wenn Yuja Wang vielleicht in den nächsten 10 Jahren eine komplette Beethoven-Sonaten-Box vollenden würde, hätte ich gute Chancen das alles noch mitzuerleben und auch daüber zu schreiben. Sollte das aber ein Vierteljahrhundert dauern, und sie ist dann erst 57, dann wird das für mich schon eng.

    Ein anderes Beispiel. Als der Pianist, über den ich hier als Nächsten berichten werde, seine ersten Beethovenaufnahmen machte, Pathétique, Mondschein, Waldstein, Appassionata, Hammerklavier und op. 111, da war ich erst 13 Jahre alt und hatte zwar schon Schubert, Mozart, Liszt und einige Beethoven-Symphonien gehört, aber Sonaten noch keine einzige.

    Also warten wir mal in Ruhe ab, was die Zukunft bringt.


    @ Holger:


    Lieber Holger, ich freue mich schon auf deine Rezensionen.


    Liebe Grüße


    Willi:)


    P.S. Es gibt eine Chance, da ich ja im Erinnerungsthread gemerkt habe, dass eine Reihe von Musikern schon über 100 jahre alt geworden ist und noch mehr über 90.

    Vielleicht besteht dann die Hoffnung, lieber Wolfgang, dass wir uns auch mal beim Beethovenfest in Bonn treffen.^^^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Holger, ich freue mich schon auf deine Rezensionen.


    Liebe Grüße


    Willi:)


    P.S. Es gibt eine Chance, da ich ja im Erinnerungsthread gemerkt habe, dass eine Reihe von Musikern schon über 100 jahre alt geworden ist und noch mehr über 90.

    Vielleicht besteht dann die Hoffnung, lieber Wolfgang, dass wir uns auch mal beim Beethovenfest in Bonn treffen.^^^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • In Deiner Besprechung der Hammerklavier sprichst Du an einer Stelle von "herrlichen Trillern". Ich habe noch nie gleichmäßiger gespielte gehört

  • Lieber kratzbaum,


    wenn ich von herrlichen Trillern spreche, dann habe ich sie als solche empfunden. Das schließt natürlich ihr äußerst exaktes Spiel mit ein bzw. ihr exaktes Spiel führt erst dazu, die Triller als "herrlich" zu empfinden. Aber das Adjektiv "herrlich" sagt darüber hinaus noch etwas mehr aus, will sagen, meint nicht nur den überaus hohen technischen Level, sondern den Ausdruck, der meine Emotionen freisetzt, den Schauer über den Rücken jagt und auch mal Tränen hervorlockt.


    Liebe Grüße


    Willi:)


    P.S. Ich habe gerade aus meiner neuen Berlioz-Box (Sir John Eliot Gardiner) eine herrliche "Symphonie fantastique" und eine herrliche "Messe Solennelle gehört und gesehen.

    Auch da hat es tüchtig "geschauert". Wenn du Gardiner magst, kann ich dir die Box wärmstens empfehlen (siehe den Thread "Frisch erstanden").^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Liber Will,


    persönlich habe ich durchaus eine Schwäche für die Originalinstrumente. Dass Beethoven wohl für andere Instrumente geschrieben hätte, hätte er sie gekannt oder imaginieren könne, ist ebeno richtig wie es ein Konjunktiv ist und bleiben wird. Sowohl bei Bach (Cembalo, Orgeltyp) als auch bei Beethoven und Schubert dürften die klanglichen Spezifika der den Komponisten bekannten Instrumente berücksichtigt worden sein. Groß ist die Auswahl an Aufnahmen auf Original-Instrumenten nicht. Falls noch nicht besprochen hätte ich hier die Aufnahme, die Paul Badura-Skoda für Astree seinerzeit gemacht hatte. Ich hoffe ja sehr, dass angesichts seines 90. Geburtstages auch diese GA wieder ans Tageslicht befördert werden wird.



    Eine weitere GA der Sonaten -ich meine, es wäre die erste vollständige auf Original-Instrumenten gewesen, stammt von Malcolm Binns. Leider kein youtubevideo zu finden und auch vom Plattenmarkt ist sie fast verschwunden. In dieser Box allerdings taucht die GA wieder auf:



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Lieber Thomas,


    schönen Dank für deinen anregenden Beitrag. Paul Badura Skoda hat in seiner GA:

    drei Aufnahme der Sonate vorgelegt: 1969/70 im Studio in Wien, 1976 in Warschau (live) und 1981 wieder in Wien im Studio Baumgarten, auf einem Hammerflügel aus der Beethovenzeit. Ich habe diese drei Aufnahmen im Februar 2017 besprochen und hier unter den lfd. Nr. 26, 28 und 29 eingestellt (alle drei auf Seite 1). Malcolm Binns ist mir leider nicht bekannt.

    Was Badura-Skoda betrifft, der übrigens im Oktober 93 Jahre alt wird, meinst du da die o. a. Gesamtaufnahme?


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Ich höre die Aufnahme gerade auf Youtube, es könnte wohl die Aufnahme sein, die ich besprochen habe, darauf deuten die übereinstimmenden Satzzeiten hin. Was bedeutet dein Hinweis, dass er die Aufnahme seinerzeit für "Astree" gemacht habe?


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Handelt ers sich etwa um diese GA:



    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nach weiterem Stöbern habe ich dieses Angebot auf Amazon entdeckt:

    Da ist neben der Hammerklaviersonate, aufgenommen in den 1980ern, auf einem Graf-Hammerflügel von 1824 (lt. anderen Angeboten im Besitz von Paul Badura-Skoda), auch noch die Sonate Nr. 28 op. 101 enthalten: Preise zwischen 125 USD und 288 USD. Da warte ich lieber noch ein Weilchen.

    Übrigens hat er die Hammerklavier-Sonate von Ende 1980 auch auf diesem Graf-Flügel gespielt. Anscheinend ist die YT-Aufnahme somit wohl identisch mit der Aufnahme, die auf der Gramola-GA enthalten ist und die ich in diesem Thread unter der Nr. 29 (s. o.) besprochen habe.

    Interessant wäre es aber schon, wenn die Astree-Box komplett auf dem 1824er Flügel eingespielt worden wäre.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Daniel Barenboim, Klavier

    Daniel_Barenboim_-_1958.jpg

    Hier ist ein Foto von 1958, also ein Jahr vor dieser Sonatenaufnahme.

    Instrument: Steinway

    AD: 1959

    Spielzeiten: 10:33 - 2:38 - 17:35 - 11:01 --- 41:57 min:


    Daniel Barenboim nahm die sechs berühmtesten Beethovensonaten, op. 13, 27 Nr. 2, 51, 57, op. 106 und op. 111 schon mit 17 Jahren zum ersten Mal auf.

    Er ist damit der Jüngste in meiner Sammlung, der jemals eine Beethovensonate aufgenommen hat.

    Er schlägt, wie in seiner ungefähr 10 Jahre jüngeren Aufnahme aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, sogleich einen im wahrsten Sinne des Wortes einen jugendlich kraftvollen Ton an, ein veritables Fortissimo, aber er hat auch als Jugendlicher schon einen feinen Anschlag, mit dem er die dynamischen Bewegungen prägt und ein exzellentes Tempogefühl. Selten habe ich die Ritardandi in Takt 8, 32 bis 34, und die Tempowechsel in der 2. Phase des Seitensatzes, Takt 65, bis 67 und Takt 69 mit Auftakt bis 71 in so aufmerksamer Durchführung gehört.

    Die erste Phase des Seitensatzes spielt er lyrisch sehr ausdrucksvoll, bindet die moderaten Crescendi organisch ein und gestaltet in der 3. Phase (ab Takt 75) zuerst die fließenden Achtelfiguren im Diskant sehr schön, schließt dann ab Takt 87 eine Begeisternde Steigerung an.

    Dieser lässt er eine ebenso mitreißenden Schlussgruppe folgen (ab Takt 1009 zunächst im 1. Gedanken in einem berührenden Cantabile dolce ed espressivo, dann im 2. Gedanke in der langen Oktavierung mit den vielen Oktavwechseln, in Takt 112 bis 117 nur im Bass, in Takt 118 bis 121 im Bass und im Diskant, spielt diese rasche Folge in ebenfalls noch nicht so oft und so herausragend gespielter Technischer Fertigkeit. Manche Pianisten haben mit dieser Sequenz große Schwierigkeiten.

    Selbstverständlich wiederholt er die Exposition. und leitet dann die Durchführung mit kraftvollen Sforzando- und Fortissimoakkorden ein, die er dann subito mit den pp-Akkorden im Diskant und den Achtel-Intervallwechseln (ab Takt 124) und einem Crescendo ab Takt 128 kontrastiert.

    Mit kraftvollen, hellen Glockenschlägen leitet er dann zum Kern der Durchführung über.

    Das ab Takt 138 beginnenden Fugato spielt er sehr aufmerksam und transparent, so dass die im Diskant und Bass wechselnden Thementeile gut zu unterscheiden sind und ihr Ineinandergreifen klar hervortritt. Ebenso sind die einzelnen Themeneinsätze gut zu erkennen.

    Auch den zweiten Teil des Fugatos mit dem viermaligen Auftakt des Fugato-Themas, zuerst in der Dominaten von c-moll, dann in c-moll, dann in der Dominanten von Es-dur, und 4. in Es-dur, wobei die ersten beiden noch aus Dynamikwechseln bestehen, der dritte dynamisch weiter ansteigt und der letzte sempre Fortissimo ist und dann im Stillstand (ab Takt 197 in einem Diminuendo poco ritardando ausläuft, spielt er grandios.

    Und er lässt nicht nach, sondern schließt ein berückendes Cantabile Espressivo an (ab Takt 201). Er führt auch den letzten Durchführungsteil (ab Takt 213, wieder mit Dynamikwechseln und vier abschließenden Glissandotakten sehr präzise aus.

    Auch die Reprise (ab Takt 2279 sielt er dynamisch so kontrastreich wie die Exposition, auch wenn sie ein Modulation enthält, in der zwar die musikalischen Formen etwas geändert sind, nicht aber der große rhythmisch-dynamisch-temporalen Binnenplan. Auch hier kommen wieder die temporalen Rückungen und die dynamischen Verläufe, wie es gehört.

    Rückleitung und Seitensatz perlen wunderbar dahin, letzterer in der 1. Phase zwar ohne Oktavierungen, was aber dem anmutigen Fluss keinen Abbruch tut.

    Ein letztes Mal zieht die kontrastreiche Schlussgruppe an uns vorüber, wobei die lange Oktavierung im 2. Gedanken in einer mitreißenden Steigrung in die grandiose 55 Takte lange Coda übergeht. Diese Coda haben in ersten zwölf Takten mit den unglaublichen Achteloktavwechseln in Diskant und Bass gleichzeitig bisher nur ganz wenige, an einer Hand abzuzählende Pianisten so mitreißend und exakt gespielt wie der junge Barenboim, und immerhin ist dies meine 50. Hammerklaviersonaten-Rezension.

    Dann die Beruhigung im zweiten Teilabschnitt mit den großen Legatobögen im Diskant und den ganzen Tönen legato in der oberen Bassstimme und, wenn man so will, im "Alt" in der oberen Oktave und den langen Trillern genau dazwischen- ganz tonales dichtes Geflecht, und trotzdem in dieser rund 60 Jahre alten Aufnahme eine sehr transparente Struktur- hier schon meisterhaft, der Abschluss dieses Abschnitts (Takt 362 bis 375) in einer lyrischen Bogen-Figur von zunächst parallelen, dann gegenläufigen Achtelkette: wie wunderbar kann "einfach" sein!

    Dann als letzten Abschnitt (der Coda, wohlgemerkt!) in der Taktzahl die Hälfte: vollgriffige, kraftvolle Dynamikwechseln, erst zwischen f und pp, dann zwischen f (ff) und p und die letzten acht Takte zur Krönung sempre diminuendo p - pp . ppp -cresc - ff-Schluss- hier setzt Barenboim noch einmal mit aller Vehemenz die "gnadenlosen" dynamischen Forderungen der Partitur durch- grandios!!

    Erstaunlich, dass er hier fast drei Minuten schneller ist als in seiner rund 10 Jahre späteren Aufnahme. Ich bin jetzt schon gespannt, wie es in der 1983/1984 im Palais Lobkowitz in Wien entstandenen GA auf Blu Ray sein wird, die ich am Ende meiner Reise durch den Beethoven- Sonatenkosmos dann mit dem großen Blu-Ray-Player auf dem großen UHD-Bildschirm zusammen mit der Blu Ray GA von Rudolf Buchbinder besprechen will. Aber das wird noch wohl einige Jahre dauern. Und es gibt ja noch eine Serie, die Barenboim 2005 live in der Berliner Staatsoper eingespielt hat und die auf Mezzo gezeigt wurde. Die ist mir aber jetzt noch zu teuer (400 USD).


    Auch im Scherzo ist er deutlich schneller als 10 Jahre später. Auch hier höre ich höchste Sorgfalt in der dynamischen Gestaltung über die ganze Skala von pp bis f. Das könnte doch so schwer nicht sein, meint man, aber bei einigen Pianisten klingt das anders. Auch die Akzentverschiebung zwischen dem Thema und dem Mittelteil (von der Mitte nach vorne in jeder kurzen Phrase) ist bei ihm überhaupt kein Problem.

    Auch im Trio hört man Struktur-Struktur-Struktur, nicht nur im Tempo, sondern auch in der Dynamik, freilich bis auf den Schluss auf einem dynamisch höheren Level, da das Trio bis auf die letzten Takte (ab Takt 77) keine Dynamikvorschriften hat.

    Auch das Presto spielt er hervorragend, vom p in der tonal dichteren Achtelsequenz crescendierend und ab Takt 97 im satten Fortissimo.

    Und im Tempo I kann man auch bei ihm wunderbar die zusätzliche Achtel im Alt in der oberen Oktave vernehmen.

    Auch im weiteren Verlauf spielt er alles so, wie es in der Partitur steht, weil er ebenso wie etliche andere genau hinschaut und diesen vom Umfang her kleinen, aber vom musikalischen Gehalt großen Satz ernst nimmt un ihm seine wahre Größe zukommen lässt.


    Im Adagio ist der 17jährige ganze 4 Minuten schneller als der 27jährige. Aber der spätere 42jährige scheint zumindest im Adagio die gleiche Zeit beibehalten zu haben wie Ende der 60er Jahre.

    Selbst in dieser Aufnahme ist er jedoch noch langsamer als so mancher andere Pianist, z. B. vier Minuten langsamer als Friedrich Gulda 1967 oder drei Minuten langsamer als Walter Gieseking 1949, also 10 Jahre zuvor.

    Barenboim beginnt das Thema mit sehr trauriger Stimmung und durchaus kräftigen dynamischen Bewegungen, vor allem im poco crescendo ab Takt 8, und dazu passend ist auch die Stimmungsaufhellung in Takt 14 bis 16 nicht so strahlend, sondern verhalten und schnell wieder in der Anfangsstimmung. Ebenso kommt mir die zweite Stimmungsaufhellung mit der Oktavierung ab Takt 22, die bei manchen anderen Pianisten durch die Oktavierung noch merklich heller hervortritt.

    die "con grand'espressione"-Sequenz ab Takt 27 spielt er mit großem Ausdruck und schließt dann eine atemberaubende und sehr berührende überirdische Überleitung zum Seitenthema an.

    Das himmlische Seitenthema spielt er gleichfalls auf höchstem Niveau, wobei man hier vorbildlich erkennen kann, wenn ab Takt 49 durch die Achteltriolen in der Begleitung (insgesamt bis Takt 56i eine innere Beschleunigung vollzogen werden kann, ohne den Grundpuls zu erhöhen. Barenboim macht das hier mit seinen 17 Jahren schon vorbildlich, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und setzt die Partitur hier sehr verantwortlich um. Er spielt hier am Ende des Themas eine sehr schöne dynamische Steigerung hin zur Überleitung zur Durchführung, die dann ab Takt 69 folgt.

    Die kurze Durchführung (Takt 69 bis 86) spielt er ganz ruhig, zwar spannungsvoll, aber gelassen und, obwohl non legato, so fließende wie möglich, wobei er die aufsteigenden Sechzehntel natürlich verbindet und nach dem Abschwung in Takt 79/80 eine letzte starke dynamischen Bewegung hin zum überleitenden Diminuendo/Smorzando hin zur Reprise spielt, diesem einmaligen Abschnitt mit Zweiunddreißigstel-Figuren im Diskant, 17 Takte lang, 24 Zweiunddreißigstel in jedem Takt mit sich ständig leicht ändernden Figuren, hauptsächlich Oktavwechseln, höchste pianistische Schule, meisterhaft dargebracht, und diese Sequenz strahlt in der Interpretation des Siebzehnjährigen ein unerbittliches Voranschreiten aus, wie es mir selten so vorgekommen ist. Erst in den letzten 6 Takten (98 bis 103) kommt, auch bedingt durch die berührenden Oktavierungen ein Nachlassen des Druckes, der jedoch in den nächsten Takten wieder zunimmt, auch hervorgerufen durch die klopfenden Achteloktaven im Bass.

    Auch hier klärt es sich etwas durch die Duraufhellung (hier Takt 108 und 109), bevor es wieder absinkt. Nebenbei spielt er diese Sequenz (Takt 107 bis 112), dieses sehr lange Ritardando, auch grandios.

    Den "a tempo"-Abschnitt (ab Takt 113) mit gegenüber dem Expositionsteil nochmals vergrößerten Intervallen im Bass spielt er mit großem Ausdruck, der formal etwas geänderten überirdischen Überleitung zum Seitenthema zu.

    Das himmlische Seitenthema spielt er nochmals grandios, auch in der "inneren Beschleunigung) mit den Sechzehnteltriolen (ab Takt 134). Ein letztes Mal grüßen ab Takt 147 die "Signal"-Intervalle, hier an der Schwelle zur Coda.

    In dieser rätselhaften Coda spielt er das letztmalige nach wenigen Takten in einer furiosen Steigerung untergehenden Seitenthema mit höchstem Ausdruck, um in Takt 166 subito piano das Hauptthema in einem wiederum langen Ritardando mit einer letztmaligen Durauflösung und einem letzten Crescendo in einem langen Diminuendo, quasi einem Morendo vergehen zu lassen.

    Welch eine reife Leistung des Siebzehnjährigen!


    Das Largo spielt Daniel Barenboim auch im passenden Zeitmaß zu allem Vorangegangenen, desgleichen die dynamischen Bewegungen.

    Im "un poco piu vivace" legt er naturgemäß im Tempo zu, im Allegro wird es dann sehr schnell, und er beendet diese fünf Takte (3 bis 7) mit einem explosiven Crescendo, um dann im Tempo I in einem großen Kontrast wieder stark zurückzugehen. Das macht alles schon einen sehr ausgereiften Eindruck.

    Auch das rhythmisch sehr ungewöhnliche anschließende "a tempo" mit dem Crescendo/Accelerando) überzeugt mich vollends samt dem abschließenden prestissimo und Ritardando.

    Im Allegro risoluto spielt er den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, in flottem Tempo, aber technisch sehr ausgereift und daher übersichtlich. Auch die dynamischen Verläufe erscheinen mir korrekt.

    Den II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, spielt er weiterhin transparent und vor allem den zweiten Unterabschnitt, ab Takt 101 mit den langen Sforzandoketten beeindruckend dynamisch und die anschließenden über die Oktaven wandernden Trillerketten beeindruckend virtuos. Auch den letzten Unterabschnitt mit den häufig sich wiederholenden bzw. ähnelnden Sechzehntelfiguren in der von Beethoven durch die wiederkehrenden Sforzandi in Diskant und Bass überlegen gestalteten Struktur spielt Barenboim sehr erhellend, wiederum die dynamischen Bewegungen sorgfältig nachzeichnend.

    Den III. Teil der Fuga, den Themenrücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, mit dem Cantabile im Diskant un d den hurtigen auf- und ab eilenden Sechzehntelfiguren spielt er weiterhin sehr transparent und konzentriert, ebenso die anschließend gegenläufigen Sechzehntelfiguren in Diskant und Bass. Sehr schön auch die ab schließenden Sechzehntelläufe im Tiefbass (Takt 199 bis 203).

    Den IV. Teil die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, spielt er ebenso souverän, im zweiten Unterabschnitt (ab Takt 229) hochdynamisch und schließt mit einer atemberaubenden Trillersprungkaskade und markerschütternden Fortissimo diesen vehementen Mittelteil der Fuga ab.

    Der V. Teil der Fuga, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, ist auch bei ihm eine sozusagen aktive Ruhepause, in dem alles wieder zu Atem kommt und Kräfte sammelt für die noch folgenden kräftezehrenden Fugateile. Und: auch Barenboim kann "Bach", schon mit 17.

    Den nun folgenden VI. Teil der Fuga, Takt 279 bis 366, in sich dreigeteilt, zuerst das 1. und 2. Thema gleichzeitig, (Takt 279 bis 293), dann das 1. Thema zweifach (Takt 294 bis 348), und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung (Takt 349 bis 366), alles in B-dur, spielt er nach Beethovens Motto: das Schwerste zuletzt, mit unerschütterlicher Kraft und Präzision- grandios und schließt mit einem atemberaubenden

    VII. Teil, , der unvergleichlichen Coda, Takt 367 bis 400, eine meisterliche Leistung ab. Ich glaube nicht, das vorher schon ein Siebzehnjähriger die Hammerklaviersonate so meisterhaft gespielt hat, und ich glaube auch nicht, dass es nach ihm einem Siebzehnjährigen gelingt. Es ist ja nicht nur Technik, es ist auch Ausdrucksvermögen, verbunden mit der nötigen Ruhe und Abgeklärtheit, um ein so gewaltiges und kompliziertes musikalisches Gebäude wie dieses so perfekt wie möglich aufzubauen und so viel wie möglich von seinem inneren Kern freizulegen und sich und dem Hörer hörbar zu machen, und ich finde, dass ist ihm hier großartig gelungen.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

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