Berlin, Konzerthaus, "Die Vögel", Walter Braunfels, 28.03.2009

  • Ich freute mich sehr, als ich im Spielzeitheft 08/09 des Konzerthausorchesters die Opern-Rarität "Die Vögel" von Walter Braunfels als "konzertante Operninstallation" für den 28. und 29.03.09 angekündigt fand.


    Beim Betreten des Saales bitet sich ein ungewohntes, fast bizarres Bild:
    Das Konzerthaus ist knapp zur Hälfte aufgeteilt in Sitzplätze und Bühnbereich. Das sonst nicht ansteigende Parkett ist mit Podesten bist auf die Höhe der ersten Rangbrüstung treppenartig aufgestockt und bietet so von allen Plätzen eine gute Sicht auf die faszinierende "Bühne", welche im wesentlichen aus einem erweiterten, ebenfalls treppenartig ansteigenden Podium besteht. Vorne (wo sonst die 1.-5. Parkettreihen platz finden) sind ein Großteil der Streicher untergebracht, die Bläser und Percussion sitzt, wie üblich, etwas weiter Hinten und erhöht. Hinter dem Orchester schwebt eine gigantische, ovale Leinwand in einigem Abstand zum Boden im Raum. Der Raum wird daduch fast komplett abgeschlossen. Hinter dem Orchester und in einiger Entfernung zur Leinwand findet sich am Saalende der Ernst-Senff-Chor. So entsteht mit wenigen Mitteln ein sehr aufregendes und opulentes Bild, welches noch durch ein weiteres "High"-Light gekrönt wird: Aus den Orchesterplätzen ragen, verteilt und in ansteigender Höhe etwa 2-4m hohe, schwarze Säulen-Podeste in die Luft, welche später für die Haupt-Solisten Platz bieten.
    Das Licht ist angenehm gedimmt und die Bühne wird von orangenen, warmen Scheinwerfern beleuchtet.
    Eine wohlige, intime und hohe Erwartungen aufbauende Stimmung stellt sich im verkleinerten Saal des Konzerthauses ein.


    Die Musiker nehmen unprätetniös, unbemerkt vom Publikum, in einfacher, schwarzer Kleidung ihre Plätze ein, die Solisten erklimmen ihre Podeste.
    Nach dem Einstimmen und dem Erscheinen Lothar Zagroseks wird das Licht sehr weit heruntergedimmt und unzählige, winzige Pultleuchten über jedem Notenheft werden eingeschaltet. Einzig die Nachtigal, in der Mitte der Musiker auf einem Podest, ist mit einem Scheinwerfer beleuchtet.


    Nach der kurzen Orchestereinleitung singt Marisol Montavalo eine hinreissende Nachtigall mit frappierender Präzision und Geschmeidigkeit.
    Im Vergleich zur stimmlich sehr schlanken Hellen Kwon (die Nachtigall bei der Decca-Aufnahme) zeigt sich ein etwas dunkleres Timbre mit etwas dramatischerem Unterton, welcher zunächst den CD-Besitzer verwirrt, sich später aber durchaus als als nützlich erweist.


    Die Oper nimmt fahrt auf, alle Podeste werden nach dem Nachtigallengesang illuminiert und die beiden Hauptprotagonisten Hoffegut und Ratefrund (Jeffrey Francis und Joachim Goltz) führen in die Handlung ein. Stimmlich gelingt dies ausserordentlich: Beide Sänger sind durchschlagskräftig, wandlungsfähig, gut verständlich und ideal auf einander abgestimmt. Es macht große Freude ihnen (auch bei den musikalisch eher etwas trockeneren und rezitativisch gestalteten Teilen) zuzuhören und der Handlung zu folgen. Die restlichen, insgesamt etwas kleineren Partien, werden von allen Sängern mit bravour gemeistet - einzig Konrad Jarnot als Prometheus erscheint mir für seine heldenhafte, dunkle Rolle stimmlich etwas zu matt und leise.
    Ein besonderes Lob verdienen natürlich Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester, welches mit sichtlicher Freude und sehr guter Vorbereitung durch den Abend spielt. Nach, für meine Einschätzung, anfänglich leichten Unsicherheiten bei der Feinabstimmung entwickelt sich nach kürzester Zeit ein, die differenzierte Partitur, wunderbar ausmusizierender Klangkörper. Bei den Nachtigallen-Szenen und dem fulminaneten Sturm gegen Ende der Oper stellen sich beim Zuhörer regelmäßig Gänzehaut-Erlebnisse ein.


    Als Negativpunkt muss ich anführen, dass die Oper offenbar Striche enthielt. Da ich das gesamte Werk nicht Takt für Takt im Gedächtnis habe kann ich nur düster vermuten, das zumindest die Hochzeits-Szenen im 2.Akt eliminiert wurden. (Ich bin nicht völlig sicher.)


    Zu dem musikalischen Geschehen werden auf besagtem Leinwand-Oval Bilder und Animationen von Volker März und Jürgen Salzmann eingeblendet.
    Im Programmbuch wird eindeutig auf die "nicht-narrative" Funktion der Bilderfolge eingeganen. Die Einblendungen dienen lediglich einem untermalen der Handlung und sollen die Phantasie anregen.
    Neben den vornehmlich abstrakten Formen und Bild-Metamorphosen ergeben sich stets auch sehr eindeutige und gedanklich lenkende Szenen - wir begegnen fast nebenläufig Wilhelm II., Mussolini, Goebbels, der "Großen Halle" von "Germania" und symbolisch "kopfleeren" Menschen die Kolossalpilaster zu einer Sadt zusammentragen.
    Eine exakte Deutung verbietet sich laut Regieteam (um Sabrina Hölzer) - also kann ich lediglich vermuten, dass die Eiblendung totaler und faschistischer Personen, Objekte und Symbole einerseits eine Brücke zwischen den hochmütig sowie machthungrig werdenden Vögeln und unserer Realität schlägt, andererseits einen gewissen Fingerzeig auf Braunfels und seine Zeit gibt:
    Der Komponist, zu Beginn des ersten Weltkrieges deutschnational und kriegsbejahend (wie nicht wenige seiner intellektuellen Zeitgenossen), zwischen den Weltkriegen mit Werken wie "Die Vögel" oder dem "Te Deum" einen "Traum zurück" träumend und zur NS-Herrschaft als Halbjude mit Arbeits und Aufführungsverboten gestraft, kann als eines von vielen Beispielen aufzeigen, wie rasant, wechselhaft und schwierig die Zeit zwischen 1914 und 1945 auch für einst gefeierte Menschen ist.
    Die "Inszenierung" darf als gelungen gelten - sie ist keinesfalls störend und bietet ein völlig ungewohntes, spannendes Präsentationsformat zwischen klassischer Opernregie und konzertanter Oper.


    Am Ende gibt es für alle Beteiligten herzlichen, lang anhaltenden und begeisterten Applaus. Ich habe mir sehr gewünscht, dass die Produktion für das, etwas am Rande des Berliner Musiklebens stehende, Konzerthausorchester ein großer Erfolg wird!
    Ich verstehe jedoch in keiner Weise, wieso ein derartig aufwändiges, gut realisiertes und lobenswertes Projekt nach zwei Aufführungen im verkleinerten Saal wieder zuende ist! Das Haus war ausverkauft und ich denke, es hätten mindestens noch 2-3 weitere Termine realisiert werden können!


    Die Aufführung wurde von mehreren Kameras für Vermarktungszwecke aufgezeichnet und wird daher evtl. bei interessierten Konzertveranstaltern in gleicher Form auch andernorts präsentiert.


    Ich erwäge stark den morgigen Termin ebenfalls wahrzunehmen um das Werk nochmals live zu geniessen, auch wenn ich dadurch ein ebenfalls interessantes RSB-Konzert verpasse! Ich rate in jedem Fall, jedem der morgen in Berlin oder in der Nähe ist, sich gegen 20.00 zum Konzerthaus aufzumachen - es lohnt sich wirklich sehr!


    LG
    Raphael

  • Lieber Raphael,


    ganz herzlichen Dank für Deinen schönen ausführlichen und begeisterten Bericht über die Berliner Aufführung der 'Vögel'. :] :] :]
    Schade, daß ich nicht auch dabei sein konnte - handelt es sich doch um eine meiner liebsten Opern des 20. Jahrhunderts.


    Übrigens, würde ich an Deiner Stelle die morgige / heutige Vorstellung - wie Du es ja erwägst - nochmals besuchen. Wann bekommt man schon die Möglichkeit, dieses idyllische Meisterwerk zwischen sehnsuchtsvoller Romantik und klassizistischer Leichtigkeit auf der Opernbühne oder in konzertanter Form - noch dazu in einer solch hervorragenden Aufführung - zu erleben?


    Falls Du Dich dazu entschließt, die Vorstellung nochmals zu besuchen, wünsche ich Dir, wie allen anderen Besuchern, ein wunderschönes und zu Herzen gehendes Opernerlebnis! :angel:


    :hello:
    Johannes