Köln 48 Stunden-Ring - 10./11.03.2007

  • Der Ring an einem WE war wohl für mich bislang eines der größten Opernereignisse. Damals habe ich darüber einen Bericht geschrieben, um meine Eindrücke festzuhalten. Denn setze ich jetzt einfach mal hier rein.


    „Weißt du, wie das wird?“ – Diese Frage der Nornen, entnommen aus Wagners „Götterdämmerung“, ist wohl einer der meist zitierten Sätze in Kritiken über das große Epos. Aber die darin mitschwingende Besorgnis ist oft berechtigt. Jeder einzelne Teil ist abendfüllend für sich und stellt enorme Ansprüche an alle Beteiligten. Wie groß die Herausforderung wird, wenn das gesamte Werk an einem Wochenende zur Aufführung kommt, das hat am 10. und 11. März das Opernhaus in Köln eindrucksvoll gezeigt. Schon 2006 war mit Erfolg der „48 Stunden Ring“ über die Bühne gegangen und auch 2007 war die Nachfrage groß. Die frei gebliebenen Plätze ließen sich an zwei Händen abzählen. Schließlich gemahnte es doch ein wenig an Bayreuth, als am Samstagabend vor der „Walküre“ ein paar leer ausgegangene Wagnerianer den Eingang zum Opernhaus mit dem berühmten Schild „Karte gesucht“ hüteten, so wie Alberich den Drachen Fafner in seiner Neidhöhle belauert.


    Ohne Zweifel: Die Nachfrage war groß und daher hatte die Oper Köln schon fast ein Jahr im Voraus den Kartenverkauf freigegeben – mit Frühbucherrabatt versteht sich. Denn einige reisten wie in den Urlaub aus fernen Landen in die Domstadt an, um dieses Projekt mitzuerleben. Dass dem „Ring“ damit der Rang eines Events verliehen wurde, war für das Haus wichtig, das Werk dadurch wurde nicht geschmälert oder in den Hintergrund gedrängt. Dafür ist die Geschichte um Liebe, Macht, Tod und Erlösung zu zentral, zu aktuell und gleichzeitig zeitlos. Bereits mit der ersten Szene aus dem „Rheingold“ befand sich der Zuschauer mittendrin im Geschehen.
    Gerade hatte man sich noch mit dem netten Sitznachbarn aus Rotterdam angefreundet, der ebenfalls alleine angereist war, da begann auch schon das mystische Vorspiel aus dem Orchestergraben heraufzudämmern. Der Grund des Rheines war mit Müll überhäuft, an dem wie auf einer Uferpromenade achtlos die Leute vorbei liefen und alles dafür taten, dass sich dieser Zustand nicht änderte. Der kanadische Regisseur Robert Carsen und sein Ausstatter Patrick Kinmonth setzten genau da an, wo auch Wagner mit seinem Libretto beginnt: Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, der beginnende Raubbau an der Natur ist im „Rheingold“ wie im „Siegfried“ ein Oberthema, das Folgen für den weiteren Verlauf des Dramas hat. Ansonsten bot das „Rheingold“ wenige Überraschungen, dafür aber eine schlüssige Szenerie ohne Leerlauf und immer wieder markante Bilder. Das Personal war, wie inzwischen üblich, der Moderne entnommen, wie beispielsweise der General Wotan. Ein langgedienter Krieger ohne irgendeine auffällige Augenklappe, der längst keinen Speer mehr trägt sondern nur noch einen Gehstock. Der war so glatt lackiert, dass da kaum Platz vorhanden war für irgendwelche eingeschnitzten Verträge geschweige denn Runen. Leider konnte Phillip Joll der Figur weder stimmlich noch darstellerisch großes Profil geben. Umso stärker traten dafür der zynische Butler Loge, den Arnold Bezuyen einmal mehr mustergültig gestaltete, sowie Wotans dämonischer Gegenspieler Alberich (Oskar Hillebrandt) hervor. Wenn am Ende des Vorabends die Götter mitsamt der Dienerschaft und Einrichtung ihres Nobel-Schlosses in der Dunkelheit hinter dem Schneetreiben verschwanden, dann wusste der Zuschauer, dass er von da an ein Teil dieses Weltendramas war und dass auch seine Erlösung erst am Sonntagabend kommen wird.


    Minutiös waren die vier Opern über die zwei Tage organisiert, so dass jeder genau planen konnte, wie er die Pausen zwischen den Opern füllen konnte. Bot sich der Samstagnachmittag zwischen „Rheingold“ und „Walküre“ zu einer kleinen Einkaufstour durch Köln an, so flüchtete man doch lieber nach 15 Minuten aus der bedrückenden Masse zurück in die ruhige Atmosphäre des Theaters. Dort boten sich neben dem obligatorischen Treppenlaufen noch eine professionelle Rücken- und Nackenmassage sowie Lockerungsübungen als weitere Abwechslung für den Körper an. Bei diesen Gelegenheiten erfuhr man auch aus zweiter oder dritter Hand viel über die übrigen Besucher des Zyklus. Zum Beispiel über die nette Dame aus San Francisco, die mit 90 Jahren zu ihrer 95. Ring-Inszenierung angereist war.


    Zu Beginn der „Walküre“ knüpften Carsen und Kinmonth meteorologisch, aber auch narrativ direkt an den Vorabend an. Im Schneetreiben flüchtete sich Wotans Sohn Siegmund, der scheinbar freie Held, in das Lager Hundings. Kein stolzer Saal, sondern ein militantes Versorgungsdepot, das neben Waffenkisten auch einen auf der Palette gelagerten Baumstumpf samt des kostbaren Schwertes Nothung beherbergte. Dass Sieglinde in diesem martialischen Umfeld selbst burschikose Züge entwickelt hatte, wirkte absolut glaubhaft. Ebenso wie die Entdeckung ihrer weiblichen Züge in der Beziehung zu ihrem Bruder Siegmund, den sie selbst noch unter den Toten auf dem Walkürenfels suchte, bis hin zu der Enthüllung, dass sie Mutter wird. Der jubelnde Schrei „Oh hehrstes Wunder!“, mit dem höchsten Ton in der Partie, geriet bei der sehr gut disponierten Ricarda Merbeth zu absoluter Danksagung einer vom Schicksal geschlagenen Frau. Im ersten Akt hatte sie noch mit dem zu flachen Brustregister zu kämpfen, ein Problem über das der Siegmund von Thomas Mohr nur lächeln konnte. Der ehemalige Bariton, der seine Stimme bis in die heldischen Höhen ausgeweitet hat, sollte langsam in der Bayreuther Sängerriege auftauchen, nachdem dort Endrik Wottrich letzten Sommer enttäuscht hatte. Auch dieses Jahr ist Ralf Lukas als Donner auf dem Grünen Hügel zu Gast, in Köln war er für Jan-Hendrik Rootering als Wotan eingesprungen. In den großen Ausbrüchen fehlte es ihm noch an Kraft, um sich dem Orchester gegenüber durchzusetzen. Umso ergreifender war sein wirklich flüsternd gesungener (!) Monolog, der seine lyrischen Fähigkeiten und die ihm offenstehenden Möglichkeiten unterstrich. In der Regie wurde ihm schon in der Walküre jede Macht genommen: Loge erschien nicht, um das Feuer um die mitten in Leichen gebettete Brünnhilde zu entzünden, sondern Wotan musste selbst mit einem Feuerzeug dafür sorgen, ehe er in der Dunkelheit verschwand.


    Der grandios musizierte Feuerzauber konnte als Musterbeispiel für die hochkarätige Arbeit gelten, die GMD Markus Stenz und das Gürzenich-Orchester Köln an diesem Wochenende leisteten. Voller Konzentration führte der Dirigent Sänger und Musiker durch die Partitur, nahm jede kleinste Unstimmigkeit war und reagierte umgehend auf sie. Jede einzelne Szene bekam ihren Klang, ihr Tempo, ihre Aussage. In diesem Ring hörte man kleinste Details: Wie bei Rossini oder Verdi flackerten die Piccoloflöten (wie eben im Feuerzauber). Gleichzeitig brauchte man auf die Kraft der großen Tableaus nicht zu verzichten. Voller dramatischer Wucht war der niederschmetternde Trauermarsch in der „Götterdämmerung“. Die Vor- und Zwischenspiele wurden dank eines intelligenten Aufbaus zu kleinen Höhepunkten, die bildhaft die Verwandlungen vor dem geschlossenen Vorhang ersetzten. Trotz mancher kleinerer Patzer darf die Leistung nicht vergessen werden, die von den Musikern im Orchestergraben – mit nie vollständigen Auswechslungen – über das Wochenende erbracht wurde. Dementsprechend laut wurden die Ovationen, als nach der Götterdämmerung das Orchester auf der Bühne auftauchte.


    Bis dahin aber lag noch eine ganze Oper vor den Zuschauern, die mit jedem Teil die Künstler mehr bejubelten, ohne dabei auf Differenzierungen zu verzichten. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Ovationen nach dem ersten Akt des „Siegfried“, wo sich gleich zwei Tenöre in Bestform präsentierten. Johannes Preißinger legte seinen Mime im Sinne der Regie endlich einmal nicht winselnd oder bettelnd an. Wütend zischend machte er seinem Unmut über diese Zweckvaterschaft Luft, die er so schnell wie möglich zu beenden gedachte. Sein Trankgemisch war wohl das übelste, was jemals auf einer Opernbühne zusammengebraut wurde. Der Siegfried Stefan Vinke hat freilich keine laute Stimme, dafür aber jugendliche Frische trotz mehrerer Wagner-Stationen (zuletzt Lohengrin in Leipzig) bewahrt. Ihm liegen sowohl das Parlando, das Rezitativische dieser Partie, aber auch die heldischen Momente wie in den Schmiedeliedern. Witzigerweise wurde nicht der Amboss das erste Opfer seines Schwertes Nothung, sondern die Frontseite von Mimes Wohnwagen. Die hatte es auch verdient, nachdem zuvor die Tür dem Wanderer und dem ins Inneren geflüchteten Mime einen bösen Streich gespielt hatte: Sie ließ sich nicht mehr öffnen, so dass Mime kurzerhand aus dem Fenster auf die Bühne zurückkehren musste.


    Die gebeutelte Natur war im zweiten Akt präsenter als je zuvor. Fast hätte man die kronenlosen, abgebrochenen Baumstämme für das Werk des Orkan Kyrills halten können, aber die Schuld lag wohl eher bei dem riesigen Baggerschaufel-Drachenmaul von Fafner, das sich aus der Bühnendecke herabsenkte. Wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten fand Siegfried auf dem Boden ein totes, oder zumindest flugunfähiges Waldvögelchen, dessen Stimme schlecht positioniert und wie üblich unverständlich aus dem Off daher kam. Die ersten Akte dieser Siegfried-Inszenierung waren mit ihrem unterschwelligen Sarkasmus wahres Musiktheater, das selbst in dieser so geschlossenen Produktion herausragte.
    Für den dritten Akt verließ sich Robert Carsen mit wenigen, aber wirkungsvollen Mitteln auf die musikalische Dramatik dieser Szene. Zumindest in der Auseinandersetzung zwischen Wotan und Erda ging diese aber verloren, was eindeutig zu Lasten der Sänger ging. Phillip Jolls unstete, kräftige Stimme passte zwar besser zum Wanderer als zum Rheingold-Wotan, aber auch hier fehlte es an Textverständlichkeit wie an Persönlichkeit und Präsenz. Spätestens aber in der Erweckung von Brünnhilde war der musikalische Genuss wieder hergestellt. Stefan Vinke hatte noch genug Substanz und Kraft, um mit der fabelhaften Barbara Schneider-Hofstetter mitzuhalten. Selten konnte man eine derart belcanto-singende Brünnhilde auf der Bühne erleben, die mit großen Bögen und klarer Diktion wahrlich singend die Emotionen der Wotanstochter auslebte.


    Nach diesem furiosen Finale hieß es nun Warten auf die „Götterdämmerung“, die Carsen nicht als Höhepunkt sondern als Ergebnis der vorangehenden Teile entwickelte. Die Nornen webten ihr Seil um das wie einen Scheiterhaufen aufgebaute Mobiliar dieser Ring-Produktion. Die Gibichungen waren in den unbenutzten Wallhall-Saal aus der „Walküre“ eingezogen und die Militärstruktur von Wotan hatte ihre Fortsetzung gefunden, was in der Ähnlichkeit zu nationalsozialistischen Fahnen und Ritualen kulminierte. Das war natürlich keine neue Idee, aber in ihrer Umsetzung sehr überzeugend.
    Gesanglich wie auch regiebedingt war Samuel Youn als Gunther der Anführer, während Hagen wie ein aalglatter Politiker auf seine Chance zur Machtergreifung lauerte. Der Bass von James Moellenhoff verfügte für diese Rolle über die richtige Schwärze, aber bei weitem nicht über die nötige Bassgewalt, so dass viele Facetten dieser Intrige verloren gingen.
    Am Ufer des Rheins konnte man wieder den Müll, darunter auch Inventar aus den vergangenen Teilen, das Symbol für die Versündigung an der Natur durch den Gott Wotan, entdecken. Zwischen all dem Müll lag später Siegfried, der freie Held und Opfer eines Machtspiels, erschlagen. Albert Bonnema ist erfahrener als sein Kollege vom Vormittag, Stefan Vinke, was man besonders im emotionalen Spiel merkte. Seine Stimme kontrollierte er dagegen nicht so diszipliniert, so dass man einige Intonationstrübungen in Kauf nehmen musste.
    Zum Finale gab es keine Apokalypse: In einem absolut intimen Augenblick bestritt die fantastische Irene Theorin vor dem eisernen Vorhang ihren großen Monolog. In der Gestaltung mit einem Schubert-Lied vergleichbar, wurde ihr Entschluss auf Selbstverzicht mehr als deutlich. Als sich der Vorhang wieder öffnete, fiel der Blick auf den in Flammen stehenden Müll, darunter auch Wotans Sessel oder Siegfrieds Badewanne . Mit dem Ablegen des Ringes setzte auch die eigentliche Erlösung ein: Es begann zu Regnen! Schmutz und Flammen, vorherrschende Chiffren aus der Vergangenheit, fielen dem Regen zum Opfer, während die gesamte Spielfläche ins Dunkel des Bühnenhintergrundes gezogen wurde. Die Bühne lag wieder frei vor dem Zuschauer.


    Es war am Sonntag, kurz vor Mitternacht, als ein gigantischer über 20 Minuten dauernder Applaus mit Standing Ovations sein Ende gefunden hatte. Die Künstler verabschiedeten sich mit Winken von dem sichtlich bewegten Publikum. Nicht nur ein Kraftakt war bestanden worden. Hier war ein „Ring“ geschmiedet worden, der seinen Bezug zur Aktualität nicht um jeden Preis erkauft hatte, der aber in seiner Konsequenz und trotz seiner kleiner Fehler und Schwächen wirklich rund geworden war. Unten im Foyer verabschiedeten sich die Gäste von ihren neuen Bekanntschaften, Fotos vor der Büste Wagners als Erinnerung geschossen. Die Erlösung, die man gerade miterlebt hatte, hallte noch nach, als man in die sternenklare Nacht heraustrat und seine Heimreise antrat.

  • Danke für diesen für Auge und Ohr wunderbar plastischen Bericht! Könntest du den Kölner Rezensenten evtl. mal Nachhilfe geben?
    Ich habe dieselbe Aufführung besucht. Darf ich mir ein paar Ergänzungen erlauben?


    Ricarda Merbeth habe ich nicht in guter Erinnerung. Auch der Schlußjubel litt unter einer insgesamt "flachen", engen und gepreßten Stimme, die nur mit Gewalt über das (wirklich sehr gezähmte!) Orchester kommt. Von Thomas Mohr war ich ebenfalls sehr angetan. Aber der Siegmund kommt einem ehemaligen Bariton auch entgegen (geht nur bis zum as); mit dem Max hat er sich erheblich schwerer getan. Begeistert war ich von Ralf Lukas, endlich mal ein Wotan, der sich ganz aufs Singen verläßt. Sensationell für den Kölner Opernbesucher der Mime von Johannes Preißinger, der ja sonst allenfalls Edelwurzen singen darf. Und auch hier einer, der sich dabei aufs Singen verläßt, in einer Rolle, die ja manchmal mit Leuten besetzt worden ist, die man gar nicht für Sänger halten möchte. Daß Stefan Vinke keine laute, "große" Stimme hat und dennoch in dieser strapaziösen Partie reüssiert, ist erneut ein Beweis, daß man den "Bayreuth bark" für diese Musik so sehr braucht wie einen Kropf. Und deshalb braucht man dafür auch keine Tenöre wie Albert Bonnema (meine französische Pausenbekanntschaft sprach von "tons aventureux"), wenn ich auch nach seinem Äneas auf weit schlimmeres gefaßt war. (Daß er, wenn er sich nicht so maßlos überfordert, auch anders kann, hat er in Katà Kabanová bewiesen).


    Volle Zustimmung auch zu Stenz' Dirigat. Hie und da ging zwar noch mal ein Sänger etwas unter, aber die Absicht, Wagners Text nicht in Orchesterfluten zu ertränken und einen "gesungenen" Wagner zu ermöglichen, wurde deutlich, und auch erfolgreich durchgeführt. Im Lohengrin war das noch besser gelungen, aber im Ring ist das ja wahrlich nicht einfach. (NB: Daß das bei unzureichender Sängerleistung auch nach hinten losgehen kann, hat jüngst der Tristan gezeigt.)


    Ich stimme dir zu, daß das nicht nur ein PR-bestimmter Kraftakt war, sondern eine insgesamt hervorragende Wagner-Aufführung. Die Geschlossenheit der Tetralogie wird bei einer solchen Aufführung noch deutlicher, ebenso aber auch der Bruch nach dem 2. Siegfried-Akt, wenn man die Götterdämmerung gleich danach hören kann. Stenz soll ja ursprünglich die Idee gehabt haben, den Ring an einem Tag aufzuführen =:-) Weniger schön aus meiner Sicht, daß Rollen mit unterschiedlichen Sängern besetzt werden mussten; aber das ist ja auch sonst meist der Fall.


    Bernd

  • Wer den "Ring" von Carsen noch einmal sehen möchte, der hat an der Oper Köln noch einmal die Gelegenheit dazu, denn 2mal wird der Zyklus aufgeführt:
    01./02./04. und 06 Juni
    sowie am 08./09./11. und 13. Juni


    Als Wotan tritt Greer Grimsely auf, den Siegmund und Siegfried singt Stefan Vinke, die Brünnhilde singt Evelyn Herlitzius, Oliver Zwarg singt den Alberich und als Hagen ist Matti Salminen zu erleben.
    Geleitet werden die Vorstellungen von Markus Stenz

  • Hallo Wotan


    Deinen Report über den Kölner Ring an zwei Tagen habe ich aufmerksam gelesen und bewundere zunächst einmal Deine Ausdauer, Dir alles andächtig bis zum Schluss zu Gemüte geführt zu haben. Deiner Berichterstattung liegt der Gedanke zugrunde, positiv hervorzuheben, wenn Nachteiliges nicht absolut dagegen spricht. Im Prinzip ist das auch meine Haltung, denn es nützt dem Zuschauer wenig, wenn kleine Mängel überbetont werden und er dann anschließend an seiner Wahrnehmung verzweifelt.


    Meine einstmals positive Einstellung zu Richard Wagner, bewegt sich langsam ins Nirwana. Erneut habe ich Ausschnitte aus der Valencia-Walküte gesehen und mir geht das Personarium wie die erkünstelte Sprache so richtig schön auf den Keks. Wotan mit Ziegenbärtchen sieht aus wie Konfuzius und die Fricka schaut aus ihrer Umhüllung wie eine Gans, die es donnern hört – bezogen auf den Valencia-Ring.


    Wagners Texte sind formell wie inhaltlich nicht mehr zeitgemäß und werden von den meisten Besuchern - wenn es hoch kommt - auch nur noch phonetisch wahrgenommen. Ihr Aufwand an Geduld und Sitzvermögen ist extrem.


    Richard Wagner halte ich für den am meisten überschätzten Komponisten unserer Zeit.


    :angel:
    Engelbert

  • Zitat

    Original von WotanCB
    Der kanadische Regisseur Robert Carsen und sein Ausstatter Patrick Kinmonth setzten genau da an, wo auch Wagner mit seinem Libretto beginnt: Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert,


    Wohl eher Chereau als Wagner, aber das ist heute ja eh egal.


  • Erstens: Ja, du hast Recht, ich bemühe mich sehr darum, den Gesamteindruck im Auge zu behalten, und wenn der gut war, dann sind auch die schwächeren Teile zu ertragen bzw können in der Kritik auch genannt werden ohne in einem Veriss zu enden. Phillip Joll zum beispiel war wirklich nicht gut.


    Zweitens: Das gehört eigentlich in einen anderen Post: Gerade Wagners Ring halte ich für das aktuellste, was man je auf einer Opernbühne spielen kann. Wo ich mich auch umsehe, sehe ich Wotans, Alberiche und Mimes usw zu Hauf. Mag der Text auch altertümlich klingen, so ist seine Aussage doch eine Warnung für heute. Schau dir mal ein paar Ausschnitte von anderen Inszenierungen an, die weniger künstlerisch sind und dafür mehr Aussage haben.


    Drittens: Deinen letzten Satz will ich mal ganz schnell übersehen haben :motz: :angry: (Scherz)

  • [quote]Original von Engelbert





    Richard Wagner halte ich für den am meisten überschätzten Komponisten unserer Zeit.


    Hallo, Engelbert!


    Endlich spricht es mal einer aus. Auch auf die Gefahr hin von allen Wagnerianern Prügel zu beziehen: Mir geht es ganz genauso, wobei ich etwas differenzieren muss. Seine frühen Opern (Holländer, Lohengrin, Tannhäuser) kann ich noch goutieren - sie sind noch Opern und keine "Gesamtkunstwerke", und die Sprache ist noch nicht so schwülstig und verschwiemelt. Von den späteren Werken nehme ich mal die Meistersinger aus - bis auf einige Längen im ersten Akt mag ich sie eigentlich ganz gerne, und außerden treten hier noch normale Menschen auf.


    In den anderen Opern - ja, auch im Tristan - erliegt Wagner seinem unstillbaren Drang zur Geschwätzigkeit, der ja auch seine theoretischen Schriften - zumindest für mich - ungenießbar macht. Auch wenn man zumindest den "Ring" inhaltlich ganz gut in die Moderne verlegen kann, wie diverse gute Inszenierungen zeigten, so wird nandererseits die Geduld des Hörers in unerträglicher Weise strapaziert. Muss wirklich in jeder Oper nach dem Rheingold irgendwer die Ereignisse, die in den vorhergegangenen Weken passierten, rekapitulieren? Und auch musikalisch fehlt mir einiges. NUR Leitmotive und kaum eine Melodie lassen mir zum Beispiel den Siegfried, bis auf wenige Ausnahmen - Pardon, liebe Wagnerianer - als unerträglich langweilig erscheinen. Auch Wagners Verfahren, Ensembles zu vermeiden, damit dem Hörer kein Wort seiner göttlichen Texte entginge - Hanslick nannte das "Gänsemarschmusik"- mindert den Musikgenuss erheblich.


    Im Endeffekt muss ich wieder Rossini zitieren, der sinngemäß sagte: "Herr Wagner hat göttliche augenblicke, aber schreckliche Viertelstunden".


    Liebe Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)


  • Argh und sowas muss ich nach dem Aufstehen lesen. Gut, dass ich schon einen Kaffe intus habe :angry: :motz: :boese2: (Scherz)


    Nein, mal im Ernst: Ich versuche euch beiden ja zu verstehen, aber schaffe es nicht ganz :yes: Geradie die Melodieführung Wagners ist doch so genial, weil er wirklich die Leitmotive als Melodie wie auch alls unterschwellige Begleitung einzusetzen weiß. So kann Musik wirklich eine geschichte erzählen.
    Das Wagners Texte zuweilen recht überbordend sind und manchmal auch manches Fragezeichen zurücklassen ist mir klar und ging/geht mir beim Parsifal und Tristan nicht anders.

  • Nicht verzagen, WotanCB, an Richard Wagner werden sich die Geister immer scheiden!


    Und dein Erlebnis an der Kölner Oper soll dir auch niemand madig machen. Pro und contra Wagner (Text und Musik) gehört auch nicht hierher, dafür könnte ein neuer Thread eröffnet werden.


    Danke für deinen umfassenden Bericht und dein Sitzfleisch. Ja, ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch mal den "Ring" an einem Tag genossen, allerdings als TV-Event bei SWR3. Es war der von 4 Regisseuren entworfene Stuttgarter Ring, der mittlerweile auch als Konserve erhältlich ist. Meine Konzentration hat gegen Ende damals stark nachgelassen, der Gesamteindruck war dagegen gewaltig, weil sich die Tetralogie so viel unmittelbarer darstellt als über mehrere Opernabende gestückelt.


    Eines ist und bleibt unbestritten: Der "Ring"- Inhalt ist zeitlos und kann in alle Epochen der Menschheit verlegt werden. Warum das so ist? Weil es schon immer "Gute" und "Böse" gab und weil Letztere immer Neues erdenken, um ihrem Nimbus gerecht zu werden.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried