Ich war noch niemals in New York

  • Meine Frau hat karten für "Ich war noch niemals in New York" (Hamburg/ Udo Jürgens) gekauft. Ich erwarte keinen sonderlichen Tiefgang der Story, aber ein nettes Bühnenbild. War schon jemand dort?

  • Hier ein schon etwas älterer Bericht von mir zu diesem Thema.


    Das Musical „Ich war noch niemals in New York“ mit Liedern von Udo Jürgens im Operettenhaus Hamburg, 29.12.2007


    Samstagnachmittag, 15 Uhr. Natürlich hat man eine Erwartungshaltung. Alles deutet auf eine Machart wie bei „Mamma Mia!“ hin. Um die bekanntesten Lieder von Udo Jürgens in einen Musicalabend zu verpacken, bastelte Autor Gabriel Barylli, Sohn eines Konzertmeisters der Wiener Philharmoniker, aber schon längst etablierter Autor und Schauspieler, zusammen mit Co-Autor Christian Struppeck nach einer Idee von Hera Lind eine Geschichte zwischen Generationenkonflikten und üblichen Liebespaar-Findungsproblemen. Der musikalische Leiter Michael Reed, die Regisseure Glenn Casale und Christian Struppeck, Choreographin Kim Duddy, Bühnenbildner David Gallo und alle anderen Beteiligten machten daraus eine großartige Show. Der Name Udo Jürgens garantiert im deutschsprachigen Europa den erwünschten erhöhten Aufmerksamkeitsfaktor, und bei allem Aufwand und hochprofessioneller Aufführung schwebt über dem ganzen Projekt der Verdacht, hier gehe es nicht in erster Linie um wirkliche Kunst, sondern wieder mal hauptsächlich ums Geldverdienen. Für wirkliche Kunst erscheint die Geschichte zu boulevardesk aufbereitet und erhalten Udos Songs eine zu offensichtlich auf Musical getrimmte Gestalt, vielfach leicht durchschaubar als etwas gewollt in den Handlungsrahmen gepresst, damit halt dieser und jener Hit auch noch seinen Platz findet. „Ich war noch niemals in New York“ ist von der Aufführung her gleichwohl eine brillante Produktion mit raffiniert ausgefeilten in die Zeit passenden und vom Casting her gut gewählten Charakteren, imposant-beeindruckenden Bühnenbildern (vor allem die Hochzeitssuite und das Schiffsdeck!) auf der wendigen Drehbühne und hochprofessionell verpackter Musicalmusik mit exzellent einstudierten Ensemblenummern, zu der Udos Lieder, teilweise auch textlich modifiziert, umgearbeitet wurden.


    Eine kurze Ouvertüre setzt als Minimedley „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66 Jahren“ und „Ich war noch niemals in New York“ etwas billig aneinander. Kein Vergleich mit den großartigen Openings der Udo Jürgens-Konzerte mit dem Orchester Pepe Lienhard. Wir lernen die toughe, kühle Fernsehmoderatorin Lisa Wartberg kennen. In ihrem Studio singt und tanzt uns das Ensemble „Vielen Dank für die Blumen“, jenen Song, den Udo 1981 für „Tom & Jerry“ zusammen mit Siegfried Rabe veröffentlicht hat, wobei die Strophen für das Musical textlich auf Lisa abgestimmt wurden. In einer Parallelsequenz werden nun auch Lisas Mutter Maria und deren Verlobter Otto Staudach, die in einem Heim leben, sowie Lisas schwule junge Mitarbeiter Fred Hoffmann und Costa, die mit Lisa zusammen „Tu alles was gut tut“ singen, vorgestellt, während Maria für Otto „Zeig mir den Platz an der Sonne“ ansingt. Maria wünscht sich, in New York zu heiraten, und die beiden brechen in ihr Abenteuer auf. Im Büro der Heimleiterin lernt Lisa, die ihre Mutter sucht, Ottos coolen Sohn Axel Staudach und den noch cooleren vierzehnjährigen Enkel Florian kennen, doch auch ins Reisebüro kommen die Jungen zu spät. Die beiden Alten (jetzt ausführlicher, mit karibischem Flair, „Zeig mir den Platz an der Sonne“) sind schon unterwegs zur MS Deutschland. Matrosen singen und tanzen ohne Text „Buenos Dias Argentina“ und auch zusammen mit den zu spät gekommenen Lisa, Axel und Florian „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“. Man möchte das Schiff in Genua mit dem Jeep am Landweg einholen. Lisa ruft Fred und Costa an, die zwecks Besprechung der nächsten Show (durchschaubar als Mittel, um ihnen Shownummern zu geben) nachkommen sollen. Sie singt „Was wichtig ist“ an, weiß es aber noch nicht (was wichtig ist). Maria und Otto landen in der Hochzeitssuite. Erst ein vorgespielter Schwächeanfall von Maria „zwingt“ Otto zu einer offenen Liebeserklärung. Dafür kriegt er von ihr das Lied „Wie könnt ich von dir gehen“ (leicht gekürzt). Die Großprojektion eines Routenplaners zeigt uns nun die Chaosfahrt nach Genua mit dem Jeep. Dazu spielt das Orchester Instrumentalmusik, die nur marginal etwas mit Udo Jürgens zu tun hat. (Michael Reed wollte offenbar auch an den Kompositions-Tantiemen mitnaschen.) In Genua angekommen, singt Axel für Lisa, wie er die Mutter von Florian kennen gelernt hat: „Siebzehn Jahr, blondes Haar“! Autor Barilly verzögert zunächst eine Begegnung der Generationen in der Hochzeitssuite mit einer klassischen Boulevardkomödien-Sequenz. Maria und Otto können sich vorübergehend verstecken. Das furiose Finale vor der Pause macht der für dieses Werk wohl am besten geeignete Song „Schöne Grüße aus der Hölle“, der eine bunte Bordparty mit Flucht und Verfolgung verbindet.


    Noch kürzer und billiger als zu Beginn eröffnet „Siebzehn Jahr“ den zweiten Teil. Bei den Openings ist den Machern nichts eingefallen. Wir sind an Schiffsdeck. Florian sinniert rockig darüber, was er „Mit 66 Jahren“ alles machen wird. Maria und Otto singen nochmals „Zeig mir den Platz an der Sonne“ an. Lisa findet endlich ihre Mutter. Zu Axel findet sie noch nicht, noch singt man „Was wichtig ist“ zu zweit an aber nicht aus. Immerhin schafft man zu zweit schon „Immer wieder geht die Sonne auf“. Mehr unter die Haut geht Axels Lied an seinen Vater „Vater und Sohn“. Zu einem schmissigen Hit wird die Füllnummer „Ein ehrenwertes Haus“ mit Fred und Costa. Immer mehr zerfällt der Musicalplot zu einer Nummernrevue, die aufblättert, wie sie zusammengestrickt wurde, nämlich nach dem Motto: Wo bringen wir jetzt dieses Lied noch unter? Axel gibt sich vor Lisa unbeholfen, er singt „Merci Cherie“, und sie kontert mit „Ich weiß, was ich will“. Endlich finden sie zueinander. An der Bar erinnern sich Fred und Costa, wie sie sich kennen gelernt haben: „Griechischer Wein“! Lisa und Axel landen in der Hochzeitssuite im Bett. Das Motto dort: „Bleib noch bis zum Frühstück“! Otto singt währenddessen für Maria eine Reprise „Wie könnt ich von dir gehen“. Und weil die Nummer auch noch rein muss, gibt es an Deck Süßspeisen, „Aber bitte mit Sahne“ mit Lisa und Florian. Jetzt trifft die Nachricht ein, dass Lisa einen Fernsehpreis zugesprochen bekommen hat und sofort nach Köln zur Verleihung abreisen soll. In Axel hat sie sich verliebt, aber für diese Sequenz fällt sie in ihr funktionelles Verhaltensmuster zurück und will die Mutter mitnehmen. Die denkt aber gar nicht daran, mitzukommen (Reprise „Ich war noch niemals in New York“). Zum Abschied singt Axel für Lisa „Gib mir deine Angst“, und es gibt auch noch eine Reprise von „Immer wieder geht die Sonne auf“. Als dann die Übertragung aus Köln beginnt, ist Lisa zur Überraschung aller doch an Bord geblieben: „Was wichtig ist“ – ihr Bekenntnis zu Axel. Das Happy End verheißt eine Doppelhochzeit in New York. „Heute beginnt der Rest deines Lebens!“


    Zum Applaus gibt es ein Partymedley: „Alles was gut tut“, „Immer wieder geht die Sonne auf“, als Zugabe „Schöne Grüße aus der Hölle“, „Siebzehn Jahr“ und der Refrain „Ich war noch niemals in New York“ (das ja im ganzen Musical auch nie komplett gesungen wurde), noch einmal „Mit 66 Jahren“, einen Lamettaregen ins Publikum und noch einmal den Refrain des Titelliedes. Als die Menschen schon das Operettenhaus verlassen, spielt das Orchester erneut „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66 Jahren“ und „Ich war noch niemals in New York“ an, und Lisa und Axel kommen noch einmal mit Bademänteln heraus – ein nettes „Bonmot“ in Anspielung auf Udos Konzert-Gepflogenheiten.


    Annika Bruhns ist die emotional blockierte, funktionell auftretende Fernsehmoderatorin Lisa, ein Musicalprofi durch und durch. Jerry Marwig, hoch aufgeschossen, cooler Womanizer, schlank und Bariton, wird fast zwangsläufig zu einem Alter Ego von Udo Jürgens. Von ihm gesungen erhalten die Lieder die größte Authentizität. Max Ranft als Florian ist noch cooler als sein Rollenvater, er darf „Mit 66 Jahren“ brillieren. Burkhard Heim als Otto sieht ein bisschen aus wie Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier, gibt sich aber rollenkonform boulevardesker als dieser. Sehr zu berühren vermag die Maria der Carin Abicht. Man verlangt den älteren Mitwirkenden nicht ab, die kompletten Lieder zu singen, lässt sie vielfach nur an- oder sprechsingen. Hier zeigt sich deutlich, dass Udos Lieder dem Genre sehr gewollt (wenn auch durchaus sensibel eingesetzt und interpretiert) angepasst werden mussten. Fred (Veit Schäfermeier) und Costa (Ronny Rindler) kriegen die Hits „Ein ehrenwertes Haus“ und „Griechischer Wein“ als Füll-Nummern. Dramaturgisch (im Sinne der Kunst, nicht im Sinne der Denkweise, alle großen Udo-Hits müssen unbedingt dabei sein) sind sie genauso wie „Aber bitte mit Sahne“ entbehrlich. Das perfekt studierte Ensemble zaubert Broadway-Flair nach Hamburg. Bernhard Volk weiß das Orchester schwungvoll disponiert und kann sich auf den reibungslosen Ablauf der Vorstellung verlassen.


    „Ich war noch niemals in New York“ ist eine hochprofessionelle Show mit zu Musicalnummern aufgedrehten Udo Jürgens Liedern, die raffiniert und durchaus unterhaltsam einen Markt bedient. Im Foyer kann man Kaffeetassen mit dem Logo kaufen, aber auch sofort seine eigene Reise nach New York buchen. Udos „Helden Helden“ von 1972 nach Shaws „Arms and the man“ arbeitete auch schon mit der Einbeziehung bereits vorhandenen Materials (die ursprünglich für Anneliese Rothenberger geschriebenen Lieder „Wie schön ist diese Welt“ und „So wie die Sonne für alle scheint“ wurden zu „Wie nennt man das Gefühl“ und „Wenn ich die Zarin von Russland wär“), der Rest wurde damals aber original komponiert. Dem Komponisten Udo Jürgens würde die Musicalwelt mit einer Neuinszenierung dieses Werks eine andere, spannende (weil sicher risikoreichere) Gerechtigkeit widerfahren lassen.


    Samstagabend, 20 Uhr. Wieder soll, so der Besetzungszettel, Annika Bruhns die Lisa singen. Der Schreiber hat gehofft, am Abend die Erstbesetzung Kerstin Maria Mäkelburg in dieser Rolle zu erleben. Das Publikum nimmt Platz, Programmhefte sind verkauft, Garderoben abgegeben. Halbdunkel im Operettenhaus. Ein Herr betritt die Bühne. Totaler Stromausfall, etwa zwei Stunden Dauer bis zur Behebung, die Vorstellung muss abgesagt werden, Formulare im Foyer geben Aufschluss über den Umtausch der Karten. Da die Notbeleuchtung nur kurze Zeit halten wird, mögen alle möglichst rasch ihre Garderobe beheben und das Theater verlassen. Bei den Garderoben suchen die Damen mit Handylichtern die Nummern. Ein unerwartet kurzer Abendbesuch im Hamburger Operettenhaus!

    Freundlicher Gruß
    Alexander