Beethoven - Vom Titan zum sportiven Helden ?

  • TITAN, das ist es wohl was die Klassikhörer des neunzehnten Jahrhunderts assoziierten, wenn der Name Beethoven fiiel.
    Und so wurde er auch meist (wenngleich nicht immer) interpretiert, egal ob Sinfonie, Konzert oder Klaviersonate (bei letzterer hat sich das Bild vom Titan wohl noch am ehesten erhalten) - ehern in Stein gemeisselt - so stand der Meister da, allerdings hat schon Herbert von Karajan behutsam an diesem Image gekratzt - "Beethoven in Turnschuhen" nannte ich anfangs seine Aufnahmen der Sinfonien, die er in den frühen sechzigern für die Deutsche Grammophon gemacht hatte - sie waren jedenfalls schlanker und flotter als viele ihrer Vorgänger. Dennoch - die Proportionen blieben gewahrt. Ein Harnoncourt oder Norrington war noch in weiter Ferne, der eine strampelte sich mit Barockmusik ab, der andere war unbekannt.


    So weit so gut - Indes gibt es verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen Beethoven. Der Begriff "Held" taucht nicht von ungefähr im Titelthread auf, Roger Norrington benutzt ihn am Beispiel der Eroica, um festzustellen, daß Beethovens Held in der dritten bis dato als "Denkmal" aus Stein oder Bronze zelebriert wurde, während er, Norrington hingegen einen lebenden Helden darstellen will. Und in diesem Fall wären seine (IMO etwas verhetzten ) Tempi durchaus angemessen und keinesweg zu schnell. Lebende Helden bewegen sich durchaus schnell und keineswegs gemessen.


    Es gab ja in der Zwischenzeit zwischen Furtwängler, Toscanini, Karajan, Bernstein, Böhm und Giulini, zahlreiche Sichten von heutigen Dirigenten, mit durchaus "rebellischer" Attitüde.
    Hier seien lediglich Harnoncourt, Norrington, Rattle oder Zinnman genannt, aber auch Gardiner und zahlreiche andere sind um eine "modernes" Beethoven Bild bemüht.


    Wie schauts übrigens bei den Pianisten aus ? - Aber die sollten wir in einigen Tagen extra in einem gesonderten Thread behandeln - so dieser auf Resonanz stösst.


    Es gab und gibt schon EINIGE Threads über Beethoven Interpretationen von Sinfonine und Konzerten - aber hier soll der Ansatz ein anderer sein. Statt der "besten" oder "überzeugendsten" Beethoven Aufnahme, soll hier der Wandel der Sichtweise im Laufe der letzten 70 oder 80 Jahre beleuchtet und kommentiert werden - unter Berücksichtigung von Gegenströmungen und sonstigen Einflüssen.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred ,


    liebe Interessenten der Beethoven-Interpretationsgeschchte !



    Ich denke , dass wir hier 2008 / 2009 in mehreren noch nicht abgeschlossenen Threads sehr umspannende und tiefgründige Betrachtungsweisen hatten . Dies gilt besonders für die Klaviersonaten Opus 109 - 111 ( mit einer Vorstellung insbesondere der c - Moll - Sonate durch Walter T. die mit den Diskussionbeiträgen von Claudo Arrau bis Maria Yundina reicht ) . Grosse Interpretationen , etwa durch Youra Guller , wurden endlich erneut vorgestellt seit meiner eigenen Darstellung 2004 . Fragen der möglichen beethovenschen Tempovorstellungen wurde ebenso diskuiteiert wie die Frage der Wahl des Instrumentes ( "historisch" versus moderner grosser Steinway ) . Offengeblieben ist wohl , ob es tatsächlich eine "neue Beethovensicht" gibt . Die Grossen der Vergangenheit von Arrau , Gilels , Richter , Kempff und natürlich Backhaus bis Maria Yudina oder Yves Nat sind nie abgelöst worden in ihrer Bedeutung für die Interpretationskultur .


    Sogennnte Nicht - Beethoven - Spezialisten haben ganz einzigartige Interpretationen hinterlassen ( auch in diesem Forum in den letzten Wochen nachzulesen ) . Ich denke etwa an Arturo Benedetti Michelangeli oder Vladmir Horowitz ( In : "Grosse Pianisten im Dienste Beethovens" ) .


    Dazu kommen Interpretationen der Klavierkonzerte von Beethoven , in denen sich fast überraschende kongeniale Aufnahmen so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie der von Emil Gilels und George Szell ( EMI ) finden lassen wie die geniale Wiedergabe des G-Dur-Klavierkonzertes durch Josef Hofmann mit John Barbirolli ( mit all den Freiheiten , die auch Beethoven wahrscheinlich spielte ) , die überraschend eher lyrische , intellektuell durchdrungene Wiedergabe durch Alexis Weissenberg und Herbert v. Karajan mit einem exzellenten Orchster der Berliner Philharmoniker ( EMI ) , die wundervollen Zusammenarbeit von Claudio Arrau und Otto Klemperer bei Opus 58 .



    Bei der Frage , ob wir weitere Einspielungen der Klaviersonaten oder der Klavierkonzerte von Beethoven brauchen findet sich für mich eine eher behutsame Herangehensweise an das "Monument" Beethoven . Geminsam scheint mir zu sein , dass keiner der Interpreten der letzten Jahre in Beethoven einen "Titanen" siet , den es darzustellen gilt , sondern eine fast scheue Deutung ( etwa besonders bei M. Uchida oder Andras Schiff ; aber auch soweit bisher beurteilbar bei M. Perahia ) .


    Für mich ergibt sich dabei auch ein besonderer gesichtspunkt : Wir sollten uns vermehrt den sog. Nicht - Beethoven - Spezialisten zuwenden .


    Bevor ich - zu Recht - von unserem Forumsmitglied Dr. Holger Kaletha darauf aufmerksam gemacht werden mus s mit einer legenat formulierten Randbemerkung : Artur Schnabel dürfte mit seiner Gesamtaufnahme in London ( es gibt laut 'Gramophone' zwei technisch unterschiedliche Versionen bei HMV bzw. bei EMI ) immer noch Massstäbe gesetzt haben in der Geschichte der Beethoveninterpretationen . An Schnabel werden wir wahrscheinlich nie vorbeikommen , wenn wir über Beethovens Werke für Klavier sprechen .


    Vielleicht ist Artur Schnbael das gewaltigste Monument in Sachen Beethoven überhaupt !



    Beste Grüsse ,



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Glücklicherweise habe ich es mir angewöhnt, bevor ich einen Thread eröffne, nachzusehen, ob solch einer bereits besteht. Das war bei diesem Thema der Fall und so setzte ich fort, was 2009 - mit mäßigem Erfolg - begonnen wurde. Aber ich greife ja das Thema nicht willkürlich auf, sondern weil in einem anderen Thread begonnen wurde, darüber zu diskutieren, wie man denn Beethoven dirigieren solle. Oder - neutraler ausgedrückt - welche Möglichkeiten sich den heutigen Interpreten böten, Ober noch anders formuliert - wie gelungen die Sichtweisen der heutigen Interpeten (vorzugsweise Dirigenten) - bezogen auf die letzten 80 Jahre Interpretationsgeschichte denn seien ? Im Mittelpunkt werden vermutlich die Sinfonien stehen, denn über die Interpretationen der Klavierwerke gibt es inzwischen schon neue Threads, Kammermusik sollten wir gesondert behandeln.
    Daß Beethoven als "Gigant" nicht die einzige Sichtweise ist, das ist inzwischen ja schon unumstritten - nicht gelöst ist indes die Frage ob es nicht aus Publikumssicht inzwischen die "wirksamste" Lesart ist. Natürlich ist diese Frage in Wahrheit auch heute nicht wirklich beantwortbar - aber als Diskussionsansatz halte ich sie für durchaus interessant....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eine Aussage eines Mitglieds, Beethoven sei kein Revoluzzer gewesen - obwohl das oft behauptet wird - hat mich veranlasst über einen neuen Thread zu diesem Thema nachzudenken. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich - dunkel aber doch - an diesen hier bereits existierenden Thread erinnert, und er scheint mir geeignet dieses Unterthema aufzunehmen.
    Erhabener Titan einerseits, Revoluzzer andrerseits und sportiver Held noch dazu - das gibt ein Spannungsfeld, das in der Wiener Klassik einzigartig ist.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Als Person war Beethoven insgesamt eher unangepasst,führte heftige Reden gegen die Obrigkeit und blieb vonSanktionen wohl nur desegen verschont, weil er so berühmt war.


    Als ganz Großen hat er sich selbst gesehen, und in diese Richtung ja manches komponiert.


    Seine Art des Komponieres wies weit über die Zeit hinaus,zahlreiche späte Werke belegen dies, die kühne Fuge op. 133 dafür der sicherste Beleg.
    Aber es ware kein Heroe,um auf Sockeln zu stehen oder damit ein Unrechtssystem zu stabilisieren. Man erinnert sich der Fama um die Widung der Eroica.


    Deswegen gefallen mir Interpretationen, die seine wilde Leidenschaft offenlegen, solche die sich gegen die Ordnung richten, bei Beethoven besonders gut. Der Titanismus eines Karajans ging in die Richtung,unpolitisch und auf den Sockel.


    Gardiner,um nur einen zu nennen, sieht den Extremismus Beethovens und treibt seine Musiker dahin.Deswegen gelingt ihm eine überwältigende missa solemnis. Da ist keine falsche Weihe,sondern ein leidenschaftlicher Humanismus.

  • Zitat

    Alfred Schmidt: Eine Aussage eines Mitglieds, Beethoven sei kein Revoluzzer gewesen - obwohl das oft behauptet wird- hat mich veranlasst über einen neuen Thread zu diesem Thema nachzudenken.

    Falls du mich gemeint haben solltes, lieber Alfred, so möchte ich dazu erklärend besteuern, dass ich n einem CD-Booklet (ich glaube, es war in einem Booklet zu einer CD von Maria Joao Pires) en Zitat von Furtwängler gelesen habe, der sinngemäß gesagt habe, Beethoven sei ein Erfüller, der Revolutionär sei ein Irrtum.
    Und wenn ich darüber nachdenke, was ich in meiner Arbeit mit den Sonaten bisher über Beethoven gelernt habe, dann dies, dass er viele Dinge in der Entwicklung der Sonate konsequent weiterentwickelt hat, aber ob die Einführung der Viersätzigkeit (war die nicht sogar von Haydn) oder die Einführung des Scherzos (war die nicht auch von Haydn) revolutionär gewesen sein soll, weiß ich nicht. Man müsste vielleicht überlegen, was in diesem Zusammenhang wirklich revolutionär heißt.
    Wie dem auch sei, jetzt gehe ich erstmal zum Singen.


    Liebe Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).