Was müsste eine Inszenierung vom ...Freischütz für Euch beinhalten?

  • Salve iterum,


    ein neuer Thread, der sich beliebig auf andere Opern ausweiten lässt. Doch fangen wir mit einer, der am schwierigsten (?warum eigentlich?) zu inszenierenden Oper an: Webers Freischütz. Welchen Ansatz würdet Ihr wählen? Was geht gar nicht? Wildsau oder keine Wildsau? Wald? Religion? Krieg? Historisch nach dem 30jährigen Krieg? Verlegt ins Biedermeier oder in eine ganz andere Zeit? Simple(?) Mär oder Regiespektakel à la Wiesbaden? Ist diese Oper überhaupt noch aufzuführen? Christa Ludwig plädierte für rein konzertante Form. Was sind für Euch gelungene Aufführungen? Welche gingen gar nicht? Und warum? Was wäre Eure Wunschbesetzung?


    Bin gespannt,


    Knuspi

  • Für mich gilt: eine Oper ist nur "getreu" inszeniert, wenn sie sich entweder abspielt im Zeitalter, wovon Rede ist, oder im Zeitalter des Komponisten versetzt wurde. Sonst finde ich es eine Fälschung.
    Wie man das einfüllt, daß ist wieder Sache des Regisseurs. Beim Freischütz also nicht ein Radio oder Fernsehapparat auf der Bühne, um mal was zu nennen.


    Das bedeutet, daß Zuschauer ein Bild vermittelt wird von der damaligen Zeit. Es braucht nicht echt Wirklichkeit zu sein, es darf eine Fassade sein. Die uns aber ein deutliches Bild der von mir genannten Zeit gibt.
    Kleidung z.B. Sofort kommt das Aha-Erlebnis. Und ist die Periode festgestellt.


    LG, Paul

  • Lieber Paul,


    vielleicht magst Du noch etwas konkerter werden:


    1.Akt: Waldschänke - ich würde da schon den Bezug zum 30jährigen Krieg sehen in der Verrohung der Sitten, in der verwahrlosten Kleidung, in verwüsteten Feldern
    2. Akt - Das Waldschlösschen hätte in einer von mir bevorzugten Inszenierung etwas düster, trauriges, auch leichte Kriegsschäden, das Ännchen sehe ich nicht als Naivchen sondern schon als Scarlett o'Hara-Verschnitt (loriot hatte das in seiner Inszenierung trefflich herausgearbeitet), bei der Arie der Agathe erwarte ich Mondromantik und raunenden Tannenwald bei geöffnetem Fenster
    .
    .
    .

  • Der Freischütz gehört zu den sogenannten Grusel- und Gespensteropern der Romantik, ist also thematisch in eine Gruppe mit Hoffmanns Erzählungen, dem Fliegenden Holländer und ähnlichem einzuordnen - lediglich, daß hier allem romatischen Spuk-und Aberglaubengeschehen zum Trotz eine gewisse ironische Distanz zu spüren ist - die aber ihrerseits wieder relativiert wird.


    Es ist hier auch die Welt eines Carl Loewe spürbar, desgleichen ein Hauch von Goethes Erlkönig etc etc.


    Diese Themen waren im 19. Jahrhundert äusserst beliebt und publikumswirksam - und es spräche EIGENTLICH nichts dagegen die Handlung im 19. Jahrhundert anzusiedeln - wäre da nicht einerseit der Hinweis: Böhmen nach dem 30jährigen Krieg - wo sich sogar einige kurze Textstellen darauf beziehen und andererseits die Tatsache, daß sich Opern die in dieser Zeit spielen hervorragend ausstatten lassen, was beim Publikum, das zu solchen Stücken neigt, stets Begeisterungsstürme schon beim Öffnen des Vorhangs auszulösen vermag. Es gibt also meiner Meinung nach keinen Grund die Handlung dieserOper zeit- oder ortsmäßig zu verschieben, notabene, da der Librettist sich offenbar der Wirkung auf sein Publikum bewusst war.


    Ich bin nicht- wie oft behauptet wird - ein Vertreter der gemalten Wackelkulisse (wenngleich auch diese ihre Reize haben kann) sondern ein Anhänger von modernster Bühnentechnik in Verbindung mit "alten Künsten" Wie das Ergebnis letztlich zustandekommt ist IMO einerlei - die perfekte Illusion zählt.


    Man denke nur an Fantasyfilme und deren Ausstattung.
    In der Oper ist natürlich nicht alle machbar, aber optische Illusionen, Laser, Rauch, elektronische Donner sollten wohl zur Standardausstattung eines jeden mittelgroßen Opernhauses zählen....


    Ich sehe auch nicht ein, warum man die Geschichte nicht genauso erzählen kann wie vor fast 200 Jahren. Märchen - und es handelt sich hier gewissermaßen um ein solches - sind zeitlos


    mfg


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zur Info:


    Pfingstfestspiele live aus Baden-Baden
    Carl Maria von Weber: Der Freischütz



    Die Besetzung
    Robert Wilsons Neuinszenierung von Webers Oper 'Der Freischütz' ist einer der Höhepunkte der Saison. Man darf gespannt sein, wie der vor Fantasie überschäumende Multikünstler aus den USA den Höllenspuk der Wolfsschluchtszene zu Bildern gerinnen lässt. Schließlich schuf er mit 'Black Rider' einst ein Musical, das auf dem 'Freischütz' basierte und schrieb damit Theatergeschichte. Wilsons Spezialitäten sind fantastisch und minutiös ausgeleuchtete Tableaus und zurückgenommen stilisierte Bewegungen der Darsteller.


    LIVE-Sendung und Live-Stream aus dem Festspielhaus Baden-Baden: Pfingstmontag,
    1. 6. 2009, 19 Uhr
    Moderation: Annette Gerlach
    Fernsehregie: Georg Wübbolt
    Online-Regie: Torben Schmidt
    Länge ca. 140'
    Format: HD, 16/9, stereo
    Im Mittelpunkt der Handlung steht das Liebespaar Max und Agathe. Der Jäger Max hat eine Pechsträhne: Seit Wochen verfehlen all seine Kugeln ihr Ziel. Doch nur mit einem treffsicheren Probeschuss wird er die Hand seiner Agathe und damit die Försterstelle seines Schwiegervaters in spe erhalten. In seiner Verzweiflung lässt sich Max auf den Bösewicht Kaspar ein: Dieser hat seine Seele bereits an den teuflischen 'schwarzen Jäger' Samiel verkauft und lockt Max mit sogenannten Freikugeln. Um Mitternacht in der Wolfsschlucht gegossen, treffen sie jedes Ziel. Doch eine der insgesamt sieben Freikugeln, die Kaspar für Max gießt, wird ihr Ziel verfehlen. Dank eines Eremiten siegt schließlich doch noch das Gute: Kaspar selbst wird von der siebten Kugel getroffen und binnen Jahresfrist darf Max seine Agathe zum Traualtar führen.


    Das Mahler Chamber Orchestra unter Thomas Hengelbrock sowie ein illustres Sängerensemble mit Juliane Banse als Agathe leisten Wilson Schützenhilfe auf Instrumenten der Entstehungszeit dieser romantischen Oper. Musikalische Hauptdarsteller sind die Waldhörner, Hits sind allen voran der Jägerchor und die Wolfsschluchtszene, schließlich die melancholische Arie von Max "Durch die Wälder, durch die Auen" und das anheimelnde "Leise, leise" der Agathe.




    Was während dieses Live-Abends hinter der Bühne geschieht, wird mit zwei Reportern und mehreren fest installierten Kameras auf der Website von arte gezeigt: Sänger im Lampenfieber, Bühnentechnik in Aktion, Pausengespräche des Publikums, Interviews mit den Künstlern und vieles mehr. Die Backstage-Reportage beginnt eine Stunde vor und endet eine halbe Stunde nach der Live-Sendung. Im Vorfeld werden Video-Beiträge zu verschiedenen Themen der Inszenierung auf der arte-Website veröffentlicht.

  • Mir hat die Thomas Langhoff-Inszenierung des Freischütz an der Bayerischen Staatsoper sehr gut gefallen. Keine Scheu vor Jägerromantik, keine gewaltsame Modernisierung und trotzdem ironische Brechungen.

  • Ah , das ist die Inszenierung im Bühnenbild von Jürgen Rose, nicht wahr? Den fand ich auch gelungen - obwohl es für mich noch romantischer sein darf. In Düsseldorf gab es einen herrlichen Freischütz in den Bühnenbildern von Schneider-Siemssen.

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    [...] bei der Arie der Agathe erwarte ich Mondromantik und raunenden Tannenwald bei geöffnetem Fenster
    .
    .
    .


    Wenn der Tannenwald auch noch raunt, sollte man besser das Fenster schließen, damit man Agathes Arie ungestört genießen kann. :baeh01:


    LG


    Gerd

  • Im Unterschied zu euch kann ich die Frage nicht so einfach beantworten, da ich den "Freischütz" für eine ziemlich komplexe Oper halte, bei der es verschiedene Aspekte gibt, auf denen eine gelungene Inszenierung aufbauen könnte.


    Eigentlich gehört "Der Freischütz" zu jenen Oper, die ein zeitgemäßes Problem abhandeln. Die Oper spielt in Böhmen nach dem Dreißigjährigen Krieg und die Uraufführung fand in den 1820er-Jahren statt, also nach den Napoleonischen Kriegen. Durch die Vorgeschichte um den Ahnherrn Kuno führt die Handlung sogar bis ins Mittelalter. (Diese Vorgeschichte dürfte der Grund sein, warum die Oper nicht gleich im Mittelalter angesiedelt wurde, sondern erst im 17. Jahrhundert, obwohl der Fürst und der Eremit im Mittelalter schlüssiger wirken würden.)


    Ein überalteter Brauch (der Probeschuss), der sich längst überlebt hat, löst beinahe eine Katastrophe aus. In der Oper gibt es eine positive Auflösung. Die Katastrophe geht glücklicherweise ziemlich glimpflich aus und der nicht mehr zeitgemäße Brauch wird als Folge abgeschafft.


    Wobei für mich offen ist, ob er ersatzlos gestrichen wird (das bedeutet, das Probejahr ist lediglich als Lösung für Max und Versöhnung mit der Gesellschaft bestimmt) oder durch ein Probejahr, also seine zeuitgemäßere Bewährungsprobe, ersetzt wird - beide Sichtweisen haben etwas für sich.


    Grundsätzlich habe ich daher auch etwas gegen jene Inszenierungen, die auf Biegen und Brechen diese positive Auflösung ins Gegenteil zu verkehren versuchen.


    Ich sehe den Eremiten nicht unbedingt als Deus-ex-machina. Auch wenn er erst als Figur am Schluss persönlich auftritt, ist von ihm bereits früher die Rede und er fungiert (wenn auch hinter den Kulissen) als väterlicher Berater für Agathe. Er kommt also nicht einfach aus dem Nichts. Andererseits gehört er nicht zur Gesellschaft und er ist auch nicht dem Fürsten (der Autoritätsfigur) zu- oder untergeordnet bzw. steht als Mann Gottes in Diensten einer Kirche.


    Er ist ein Außenseiter, der sein Ansehen in der Gesellschaft seiner Persönlichkeit und seinen eigenen Leistungen verdankt. Letztlich erteilt er dem Fürsten und den anderen Personen keine Befehle, sondern gibt ihnen lediglich Ratschläge, mit denen die verfahrene Situation um einen überholten, nicht mehr zeitgemäßen Brauch, der nur mehr Schaden anrichtet, in eine vernünftige Auflösung überführt werden kann.
    Die Außenseiterrolle des Eremiten würde ich allerdings zumindest durch sein Kostüm betonen.


    Nur mehr Schaden anrichtet ... eine genaue Analyse des Librettos ergibt, dass der Probeschuss das einzige relevante Hindernis für Agathe und Max bedeutet, das ihrer Vermählung entgegen steht. Kritisch würde ich allerdings bei einer Inszenierung sehr wohl herausarbeiten, dass niemand von den Figuren (Kuno, Fürst, Max) selbst auf die Idee kommt, an der Notwendigkeit des Probeschusses zu zweifeln.


    Wichtig erscheint mir auch, dass die Inszenierung ein Land zeigt, das gerade einen langjährigen Krieg überstanden hat und versucht zur Normalität zurückzukehren. Dies könnte durch angedeutet Kriegsschäden, die noch nicht behoben wurden, rübergebracht werden. Auch Lösungen, wo die Wolfsschlucht als Schuttplatz für Kriegsmaschinen dient, finde ich daher einleuchtend. Und dass an Bräuchen wie dem Probeschuss festgehalten wird, weil die Kriegstrauma bei vielen Figuren nicht überwunden sind, erscheint mir als Interpretationsansatz schlüssig. Sogar, dass der Fürst Max keine Gnade gewähren will, könnte so motiviert werden. (Das wäre übrigens auch einmal eine Alternative zum unangenehmen, überheblichen und herzlosen Fürsten, der heute in fast jeder Inszenierung zu finden ist. Ein Fürst, der einfach zu unsicher ist, um von selbst auf die Idee zu kommen, dass es auch anders gehen könnte.)


    Wichtig erscheint mir auch, dass deutlich wird, dass Kaspar ein früherer Soldat ist und seine Beziehungen mit den Teufel wohl noch aus der Kriegszeit sind, also deutlich wird, dass Kaspar in gewissen Sinn auch ein Opfer des vorhergegangen Krieges ist, der vielleicht den Pakt mit dem Teufel nur geschlossen hat, um damals so überleben zu können.


    Durch die Verwendung eines Kriegsliedes als Jägerchor ist die Idee davon, dass die Jäger sozusagen die Nachfolge der Soldaten übernommen haben, auch in der Musik angedeutet. Dass Kaspar eigentlich nur mehr als Jäger in der Gesellschaft so halbwegs eine Chance hat, würde ich ebenfalls betonen, und selbst dort ist er nicht gerade akzeptiert, wie die Bemerkungen von seinem Vorgesetzten Kuno zeigen.


    Die Dialoge würde ich behutsam modernisieren, aber im wesentlichen nicht kürzen, wie das zurzeit üblich ist, da meiner Meinung nach dabei zu viel verloren geht. Schon der Umstand, dass Szenen wie die Geschichte vom Probeschuss im Dialog berichtet werden, nicht aber als Musiknummer (für eine Ballade wäre das ein ideales Motiv gewesen), zeigt, dass den Dialogen in der Oper große Bedeutung zugestanden wird und sie keineswegs nur dazu da sind, um den Faden zu bilden, an dem die Musiknummern aufgereiht werden.


    Informationen, die durch das Kürzen gewöhnlich verloren gehen, sind zum Beispiel, dass Kaspar von Agathe abgewiesen worden war. Das ist zwar nicht der Hauptgrund, warum er sie und Max vernichten will, aber eine interessante zusätzliche Motivierung seines Verhaltens.


    Samiel und den Geisterspuk würde ich weglassen, die Szene, wo Samiel zu Wort kommt, ihn aus dem Off sprechen lassen. Das Ganze ist schwer zu inszenieren, ohne dass es unfreiwillig komisch wirkt, die suggestive Kraft der Musik dagegen höchst eindringlich. Außerdem ist im Libretto offen, ob dieser Geisterspuk tatsächlich stattfindet oder nur in der Vorstellung von Max und Kaspar. Dasselbe gilt auch für Samiel, der auch eine Einbildung von Kaspar sein könnte.


    Gut habe ich die Idee in einer Inszenierung gefunden, Ännchen als jemanden aus der Stadt darzustellen (sie trug im letzten Akt ein Kostüm im Gegensatz zu folkloristischen Kleidung der übrigen Figuren) und ihre anfängliche Absage an den Aberglauben so zu begründen.


    Soweit einige Überlegung, wie "Der Freischütz" inszeniert oder besser nicht inszeniert werden könnte.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Liebe Waltrada,


    Bravo und vielen Dank für Deine Ausführungen!


    Ich möchte ein paar Dinge ergänzen: Die Wolfsschlucht sah ich in der Eröffnungsvorstellung der Semperoper tatsächlich als Kriegsschuttabladeplatz. Ein Ansatz, der mich sehr beeindruckte, der von der Kritk damals aber als werkfremd abgetan wurde - Ja, solche Worte wurden damals noch gebraucht. Glückliche Zeit!


    Auch die Idee, Ännchen als Städterin darzustellen gefällt mir. Ich finde die Idee auch nicht unbedingt überinterpretiert, dass sie sich in Max verguckt hat: "Agathe hat schon Bänderkram genug von Dir!" LoL


    In der letzten Kölner Inszenierung waren Eremit und Samiel von Anfang an immer mal wieder auf der Bühne. Das hatte etwas bedrückendes: Die Menschen schienen Spielball eines Machtkampfes zu sein. Samiel war in keinster Weise lächerlich - im Gegenteil: Er war recht sexy gewandet und stahl dem Eremiten die Show;-) Eine Bekannte war immer ganz aus dem Häuschen, wenn er im schwarzen Leder-Outfit über die Bühne stapfte. Ich würde ja auch so weit gehen, bei der Arie "Schweig, damit Dich neimand warnt", ab "Umschwebt ihn ihr Geister" mit Projektionen zu arbeiten.


    In einer Kölner Inszenierung der 80er Jahre sah man während der Ouvertüre übrigens, wie Agathe den Kaspar abblitzen lässt. Das kam damals nicht gut an. Die Presse schrieb. Ein Freischütz für Anfänger!:-(


    Die Verballhornung des Landesfürsten gefällt mir auch überhaupt nicht,. Das ist wieder so eine falsch verstandene political correctness der heutigen Zeit.


    Viele Grüße,


    Knuspi

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  • Was den Eremiten betrifft, dass er als jemand, der die Gesellschaft von außen sieht, einen anderen Blick hat, halte ich auch für einen brauchbaren Ansatz. Die Idee, ihn eventuell als Aussteiger zu zeigen (zum Beispiel zurück-zur-Natur, Überlebten der 1968er-Bewegung und Ähnliches) wäre auch als Ansatz durchaus diskutabel.


    Die Inszenierung aus der Semper-Oper habe ich seinerzeit im Fernsehen gesehen, mir hat sie damals gut gefallen.


    Auch die Idee, dass Ännchen zumindest ein gewisses Faible für Max hat, wäre nicht uninteressant, solange es nicht darauf hinausläuft, dass sie ihn Agathe ausspannen will.


    Beim Erbförster könnte auch herausgearbeitet werden, dass er sich einfach nicht vorstellen kann, dass sein Schwiegersohn nicht sein Nachfolger wird und somit seine stattliche Ahnenreihe von Erbförstern mit ihm beendet wird. Denn einerseits ist Kuno auf Seiten der beiden (er gibt Max im 1. Akt den Vorwand, damit dieser im 2. Akt noch bei Agathe ganz offiziell vorbeisehen kann, vgl. dazu auch Ännchens Bemerkung, dass Kuno ihn nochmals vorbeischicken wird) und er ist eindeutig selbst besorgt, dass Max beim Probeschuss versagten könnte (Gespräch mit dem Fürsten, ob Max den Probeschuss nicht ablegen kann, bevor seine Tochter da ist.) Warum kann er dann nicht gegebenenfalls darauf verzichten, dass Max Agathe nur bekommt, wenn er auch sein Nachfolger wird? Hier könnte eine Regie mit Blick auf die Personencharakteristik und -interaktion auch einmal ansetzen.


    Interessant wäre es auch, wenn einmal eine Regie auch auf die Sache mit dem Bilderspuk näher eingehen würde. Das Bild des Ahnherrn fällt zweimal von der Wand. (Realistische Erklärung - alt gewordener Nagel, dann Unwetter ... beím "Freischütz" besteht durchgehend die Möglichkeit, alles Übernatürlich realistisch aufzulösen.)


    Ein Hinweis darauf, dass der Ahnherr tatsächlich eine Freikugel geladen hatte oder kündigt sich so das Ende dieser Erbförsterlinie an?

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    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Zitat

    Original von Waltrada
    Auch die Idee, dass Ännchen zumindest ein gewisses Faible für Max hat, wäre nicht uninteressant, solange es nicht darauf hinausläuft, dass sie ihn Agathe ausspannen will.


    Sind Agathe und Max eigentlich das ideale Paar? Manchmal dachte ich, dass das Ännchen besser zu ihm passt. Allerdings möchte ich so was auch nicht Regietheatermäßig mit Holzhammer serviert bekommen. Leichte Andeutungen reichen: "Gnäd'ger Herr, so habt Erbarmen!" Ist Ännchen wirklich so selbstlos in ihrem Einsatz?


    Was die Spukereien des Erbförsters angeht: Bitte volles Rohr! In dem alten Eulennnest, darf es schon hoch her gehen. Ich wünschte, ich dürfte Ihnen die alten Bühnenentwürfe aus der Jahrhundertwende zeigen, die ich ausgegraben habe. Da hat man seinen Spaß. und das wilde Heer ist wirklich wild!


    Eine Bitte an die Moderatoren: was haltet Ihr von einem Sammelthread, ähnlich TMMO, mit dem Titel "Regie by Tamino"?

  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Eine Bitte an die Moderatoren: was haltet Ihr von einem Sammelthread, ähnlich TMMO, mit dem Titel "Regie by Tamino"?


    Hm, haben wir nicht schon solche Threads? Und vor allem: soll die Diskussion in alle Richtungen offen sein? Man könnte natürlich das alte Schlachtross "Operninszenierungen traditionell vs. modern" mit Schloss und Riegel in den wohlverdienten Ruhestand schicken und einen Thread schaffen, der weniger polarisiert und verstärkt eine sachliche Diskussion ermöglicht.


    Um ihn zu starten, könnte man diesen Thread umbenennen. Wie wäre es mit "Inszenierungskonzepte - Annäherung an ein Ideal" ?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    ich fände es gut, wenn wir das pro einzelner Oper anhandeln. Sonst geht es wieder zu wie Kraut und Rüben und wir sind wirklich wieder in der Regietheater- kontra Traditionalisten-Schlacht. Der von Dir gewählte Titel gefällt mir.


    Es sollte in alle Richtungen gehen, doch am jeweiligen Stück festgemacht, glaube ich, dass Unsachlichkeiten vermieden werden könnten. Wäre toll, wenn Du eifrig mitmischst: Du bist ja im Grunde sehr offen für Regietheater, bei "Hänsel und Gretel" verwehrst Du Dich aber dagegen - korrigiere mich bitte, wennn ich Dich falsch verstanden habe. Mich würde z.B. interessieren, warum und was einen gelungenen Humperdinck für dich ausmacht. Einfach mal die Gedanken kreisen lassen, sich überlegen, wie Du Akt 1 inzsnieren würdest:-).


    Grundsätzlich muss ich aber schon mal sagen, dass ich den Umgangston hier wieder wesentlich angenehmer und effektiver finde. Man konnte ja teilweise Angst haben, wenn man was gegen den Mainstream sagte.


    LG,


    Christoph

  • Also da liest man schon sehr interessante Sachen.


    Vielem kann ich beipflichten - manchem nicht.


    Beginnen wir mit letzterem:


    Zitat

    Samiel und den Geisterspuk würde ich weglassen, die Szene, wo Samiel zu Wort kommt, ihn aus dem Off sprechen lassen. Das Ganze ist schwer zu inszenieren, ohne dass es unfreiwillig komisch wirkt, die suggestive Kraft der Musik dagegen höchst eindringlich. Außerdem ist im Libretto offen, ob dieser Geisterspuk tatsächlich stattfindet oder nur in der Vorstellung von Max und Kaspar. Dasselbe gilt auch für Samiel, der auch eine Einbildung von Kaspar sein könnte.


    Ich habe durchaus nicht den Eindruck, daß dieser Teil entbehrlich oder peinlich ist - es ist eine Frage, wie aufwändig man so etwas realisiert.
    Im 19. Jahrhundert mag das noch technische Probleme verursacht haben, heute solte das überwunden sein.


    Gut gelöst fände ich das Problem dann, wenn das nüchterne Publikum des 21. Jahrhunderts das kalte Entsetzen bei dieser Szene überfiele.
    würde. Laserprojektionen in 3 D und optische und akustische Tricks aller Art sollten diesen Effekt durchaus ermöglichen.


    Zitat

    Er ist ein Außenseiter, der sein Ansehen in der Gesellschaft seiner Persönlichkeit und seinen eigenen Leistungen verdankt. Letztlich erteilt er dem Fürsten und den anderen Personen keine Befehle, sondern gibt ihnen lediglich Ratschläge, mit denen die verfahrene Situation um einen überholten, nicht mehr zeitgemäßen Brauch, der nur mehr Schaden anrichtet, in eine vernünftige Auflösung überführt werden kann.
    Die Außenseiterrolle des Eremiten würde ich allerdings zumindest durch sein Kostüm betonen.


    Das Wort "Aussenseiter" mag zwar in der Sache korrekt sein - nicht jedoch in der Wirkung. Ich würde sagen ein Eremit ist HEUTE ein "Aussenseiter", den man toleriert, akzeptiert oder belächelt , DAMALS war er eine "moralische Instanz" - und natürlich konne er dem Fürsten - implizit - Gottes Willen - an den Glaubte man damals mehrheitlich noch - übermitteln. In gewisser Hinsicht iwar eine Rate eines "heiligen Mannes" also schon ein "Befehl"


    Zitat

    Kritisch würde ich allerdings bei einer Inszenierung sehr wohl herausarbeiten, dass niemand von den Figuren (Kuno, Fürst, Max) selbst auf die Idee kommt, an der Notwendigkeit des Probeschusses zu zweifeln.


    Hier ist ohnedies ein Quentchen Unlogik in der Handlung:
    Wenn wir davon ausgehen, daß die Handlung in etwa um 1650 spielt, dann ist es nicht nur selbstverständlich, daß Kuno, Fürst und Max nicht an der Notwendigkeit des Probeschusses zweifeln -erst nach der Aufklärung - die zu Zeiten wo die Oper geschrieben wurde längst abgewickelt war - war solch ein Denkansatz überhaupt möglich....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Du bist ja im Grunde sehr offen für Regietheater, bei "Hänsel und Gretel" verwehrst Du Dich aber dagegen - korrigiere mich bitte, wennn ich Dich falsch verstanden habe.


    Das stimmt, was mich daran erinnert, daß ich zum Kölner "Samson" noch etwas schreiben wollte.


    Zitat

    Original von Knusperhexe
    Grundsätzlich muss ich aber schon mal sagen, dass ich den Umgangston hier wieder wesentlich angenehmer und effektiver finde. Man konnte ja teilweise Angst haben, wenn man was gegen den Mainstream sagte.


    Das sehe ich absolut genauso!


    Die Idee, Wunsch-Inszenierungen zu diskutieren und ggf. mit tatsächlich gesehenen abzugleichen finde ich sehr reizvoll. Schau'n wir mal, was sich machen lässt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Den „Freischütz“ sehe ich als zeitloses Drama.
    Hauptmotiv ist für mich nicht die Verwilderung nach dem 30jährigen Krieg, der deutsche Wald, sondern die Angst vor dem Versagen. Wer von uns kennt diese nicht.


    Deshalb finde ich, dass es kein Problem ist, diese Oper in unsere Zeit zu transponieren.


    Zeitschiene:
    Zeit nach einem Wirtschaftscrash (ist ja in Zeiten wie diesen durchaus nachvollziehbar)
    Aus der Erbförsterei wird eine gut gehende Börsenmaklerei.
    Kuno: Chef dieser Firma
    Agathe: Tochter von Kuno
    Ännchen: Mitarbeiterin, Betriebsseelchen und Freundin Agathes
    Max: Junior Manager mit Bestreben, Agathe und die Firma zu gewinnen
    Kaspar: abgeblitzter Rivale
    Samiel: Börseninsider mit Kontakten in höchste (tiefste) Kreis
    Ottokar: Chef der Börsenaufsicht
    Eremit: Staatliche Hilfe in Gestalt des Finanzministers


    Erster Akt:
    • Max verspekuliert sich gegen Amateure und hat die Hosen voll,
    • Kaspar verspricht ihm heiße Insider-Tipps


    Zweiter Akt:
    • Ännchen und Agathe albern und hoffen im Penthouse
    • Max tritt auf und verrät, dass er zu einem mitternächtlichen Meeting muss, was die beiden Damen nicht sehr goutieren
    • Aus der Wolfsschlucht wird ein Börsianer-Treff mit Insiderhandels-Guru Samiel


    Dritter Akt:
    • Statt des Bildes fällt ein Chart mit der Kursentwicklung von der Wand,
    • Die Brautkrone könnte ja aus Dollar- oder Euro-Girlanden bestehen
    • Der Probeschuss besteht darin, einen Kursgewinn bei einem Bullenpapier zu erzielen,
    der Bulle ist aber leider konkursreif (soll ja heutzutage vorkommen)
    • Agathe fällt vor Aufregung um, Kaspar trifft der Schlag
    • Ottokar entdeckt den Insiderhandel und verweist Max auf Lebzeiten vom Börsengeschehen,
    • Eremit rettet den Bullen durch kräftige Finanzspritzen und Max darf ein Jahr nicht spekulieren
    • Alles hofft auf die Hausse und jubelt



    Bevorzugte Sänger


    Max: James King (leider schon tot) – Peter Seiferth
    Agathe: Gundula Janowitz
    Kaspar: Christian Kohn (für mich deeer Kaspar)
    Ännchen: Irmgard Seefried


    Bevorzugte Inszenierung:
    Die alte der Staatsoper mit Wald, Forsthaus – (kitschig) schön

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Lieber Gerd,


    Danke für das positive Feedback. Leider hat noch kein Theater angefragt, obwohl ich immer danach trachte, daß das Telefon nicht belegt ist, wenn mich der Ruf ereilt.


    Gerwald

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Also, ich muss sagen Rienzi, dass ich bei Deinem Freischütz schon meinen Spaß hätte. Hier kommt der meinige:


    Während der Ouvertüre bleibt der Vorhang geschlossen. Es gibt keinen eigens für den Freischütz geschaffenen Zwischenaktvorhang. Ingo Metzmacher dirigiert einfühlsam und mit dem Mut zur Romantik.


    Das 1. Bild zeigt eine Waldgrenze, in deren Mittelpunkt eine zerzauste Eiche steht, d.h. wir schauen zwischen Zweigen und Gestrüpp auf dieses uralte Relikt, das im letzten Krieg einiges über sich hat ergehen lassen müssen. Auch sind Zeichen des Aberglaubens an dem Baum sichtbar, so hängen da ein paar tote Vögel und zu Füßen der Wurzeln scheinen sich Opfergaben zu befinden, die ein wütender Kuno beiseite tritt. Der Hintergrund gibt den Blick frei auf verwüstete Felder und in weiter Ferne eine Kirchenruine. eine Schenke gibt es nicht, wohl aber die geschwärzten Mauerreste derselben am rechten Bühennrand. Die Kostüme sind eindeutig dem Ende des 30-jährigen Krieges zuzuordnen, verfallen aber nicht ins Folkloristische. sie wirken ärmlich, zusammengestückelt. Ab und an gibt es mal eine böhmische Tracht, die in den Wirren des Krieges gerettet wurde und vom Chor bestaunt wird.


    Der Chor gibt sich dem Max gegenüber ziemlich bösartig. Es ist eindeutig, dass er das Ventil ist für einen unterschwelligen Klassenkampf. Max wird gesungen von Klaus Florian Vogt. Sein Jägergewand wirkt abgerissen, zusammengestoppelt aus alten Überresten. Kein Vergleich zu dem von Kaspar, das farbenfroh ist und an die Landsknechte erinnert. Kaspar ist Karl Christian Kohn. Die beiden im Zusammenspiel sind ein Kracher: Max ist in dieser Inszenierung ein Außenseiter, der sich in der geänderten Zeit nicht zurecht findet. Beim Bauerntanz, der teilweise leicht heidnische Züge annimmt, zieht er ein Buch hervor und liest. Kaspar ist der Bonvivant, er kommt weniger als Bösewicht rüber denn als Genussmensch. Erst in seiner Arie "Schweig, damit Dich niemand warnt" bröckelt die Fassade und es wird einem schlagartig klar, wie einsam und verlassen, vor allem, wie verzweifelt er ist. Ein etwas theatralischer aber sehr märchenhafter Effekt projiziert um ihn herum dunkle Schatten, die sich verdichten und zusammenballen, ab dem Vers "Umgebt ihn ihr Geister". Überhaupt fühlt sich sich die ganze Inszenierung dem Gespensterroman der Romantik verpflichtet. Wenn die Abendsonne durch das Blätterdach der Eiche fällt, so scheint der Baum lebendig und es erfüllt einen mit Ekel, als Kaspar den Bergadler an den Stamm nagelt. Samiel ist in diesem Akt nicht wirklich zu sehen, nur sein Lachen ertönt und besagter Bergadler fällt nicht vom Schnürboden sondern wird Kaspar von einem schwarzen Schatten überreicht.


    Das 2. Bild zeigt die Halles des Schlosses, mit einer riesigen Fessttafel, die schon teilweise eingedeckt ist für die Hochzeit. Schweres Gebälk, ein risiger Kamin, im Hintergrund ein Alkoven mit vielen zerschossenen Fenstern, Die Wände zeigen Unmengen von Malereien. Kein heimeliges Schlösschen sondern ein wirkliches "Eulennest" Ännchen hämmert nicht selbst, sondern gibt einer Bediensteten Anweisungen. Sie ist die verwöhnte Cousine aus der Stadt, aufgebretzelt nach dem neuestern Schrei, sprich: sie hat einen Rock mit dem besagten Weiberspeck und eine Farbgebung, die leicht deplatziert wirkt. Eine Scarlett o'Hara mit dem Herz auf dem rechten Fleck, gesungen wird sie von Erna Berger (die für diese Inszenierung auferstanden ist :untertauch:). Keine Frage, die Idealbesetzung für das Ännchen, genauso wie Elisabeth Grümmer für die Agathe. Man wird das Gefühl nicht los, das zwischen beiden eine unausgesprochene Rivalität besteht. Ännchen scheint mehr als ein Faible für Max zu haben, sie befühlt mitleidig das etwas fadenscheinige und unmodische Brautkleid und setzt sich im Beisein Maxens um so deutlicher in Positur. Sie lässt nichts unversucht, um Max zu berühren und ihn anzuschmachten. Und auch Max scheint was für die reizvolle Cousine übrig zu haben. Dabei achten beider immer tunlichst darauf, dass Agathe nichts davon mitkriegt. Denn die ist wirklich total lieb und zu gut für diese Welt und es ist eine Wohltat dieser Inszenierung, dass das nicht ins Lächerliche gezogen wird. Der Regisseur nähert sich der Figur mit sehr viel Respekt. Klar wirkt sie langweilig gegenüber der Provinz-Carmen der Berger, doch gerade im Zusammenspiel offenbart sich der Gefühlsadel dieser Figur. Bei ihrem "Leise, leise, fromme Weise" wird klar, dass Agathe wirklich tiefgläubig ist und gegen Ende verdichtet sich der Eindruck, dass sie in ein Kloster gehen wird, denn sie umarmt nicht Max sondern stellt sich neben den Eremiten. Dies sind einige Freiheiten der Inszenierung, die ich nicht unbedingt gutheiße, aber spannend finde, zumal sie noch genügend Freiraum für eigene Überlegungen lassen.


    Die Wolfsschlucht ist wirklich ein Felsmassiv, auf dessem Grund Unmengen von Kriegsgerümpel liegt. Beim Kugelgießen werden Assoziationen zum Krieg wach: Es gibt keine wilde action, wie beim Kölner "Samson". Der Krieg wird hier eher wie ein böser Alp, ein Spuk angegangen. So färbt sich der Wasserfall im Hintergrund blutrot. Man sieht eine Projektion von marschierenden Stiefeln in Collage von wehenden Fahnen und Flammengarben. Da scheinen Unmengen von Krähen über einem Schlachtfeld zu kreisen und am Ende sieht man Samiel nicht als kleines Männlein sondern die Schlucht enthüllt während des Blitzgewitters, dass Kaspar und Max in zwei riesigen Händen gehockt haben.


    Das 4. Bild zeigt nicht den Dialog der Jägerbuschen. Diese Szene wurde gestrichen. Es geht direkt in Agathes Zimmer. Dieses wirkt rein, klar. Im Gegensatz zu der Burghalle gibt es hier keine Verwüstungen. Die Wände sind frisch gekalkt. Der Brautjungfernchor ist als Spiel inszeniert: Immer diejenige muss singen, die bei der "Reise nach Jerusalem" verliert. Als Ännchen den falschen Brautschmuck überreicht, weiß man zunächst nicht, ob sie die Schachteln vertauscht hat. Zumal sie doch sehr schuldbewusst schaut, als sie merkt, wie betroffen Agathe ist.


    Das 5. Bild ist dasselbe wie das erste, außer, dass ein großes Jagdzelt aufgeschlagen wurde. Der Jägerchor ist eine die Jagdgesellschaft etwas langweilende Veranstaltung. Der Landesfürst von Hermann Prey :pfeif: ist hier kein seine Rechte missbrauchender oder korrupter Beamter sondern ein eher genervter und überforderter Politiker, der entsezt ist als er die toten Vögel an der Eiche sieht und sie eigenhändig abschneidet. Er hat wirklich Achtung vor dem Eremiten, so wie das gesamte Volk, dass erfuhrchtsvoll seine Gewandfalten berührt. Der Eremit wird übrigens gesungen von Eduard Haken - so, und jetzt überlege ich mir als nächstes mal meine Ideal-Königskinderinszenierung.

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  • Wenn schon, dann richtig realistisch, gespenstisch und gruselig. Schön in Nostalgie schwärmen, weil es die romantisch, mächenhafte Musik von Carl Maria von Weber so vorgibt. Besonders wenn dann so schwungvoll unbeschwert musiziert wird, wie es dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Leopold Ludwig gelingt.
    Meine Lieblingsinszenierung des "Freischütz" auf DVD ist die bei Arthaus wieder erschienene historische Produktion der Hamburger Staatsoper 1968 aus der Liebermann-Ära. Diese Aufnahme des immer schwer zu realisierenden "Freischütz" ist ein unübertrefflicher Meilenstein in der Geschichte von Opernfilmen. Eine genau den naiven Kern dieses Werks treffende Inszenierung, ein überwältigendes Bühnenbild, stilechte Kostüme , dazu noch eine packende Personenführung durch den Regisseur. Einfach und daher genial im wahrsten Sinn des Wortes, wenn man dagegen den heute üblichen "Regieunsinn" sieht. Selbst die Inszenierungsversuche der populären, modernen Regisseure Ruth Berghaus und Peter Konwitschny fallen dagegen ab, weil keine einheitliche Konzeption erkennbar und durchgehalten ist, die Liebermann durchgängig erreicht.
    Von der ersten Szene an wird packende Opernatmosphäre in schönster Theater "Guckkasten-Tradition" geboten. Beim Höllenspektakel der Wolfsschlucht-Szene stockt einem geradezu der Atem. Auch sängerisch wird hohes Niveau geboten. Herausragend das charmante, kokette, reizende Ännchen von Edith Mathis. Schönstimmig die Agathe von Arlene Saunders, sängerisch voll überzeugend der darstellerisch etwas steife Ernst Kozub als Max. Tom Krause ist ein herrisch überzeugender Fürst. Der junge Hans Sotin wurde mit etwas viel Theater-Maske auf alt getrimmt. Auch stimmlich singt er eher jugendlich schwärmend den Eremiten. Der Star der Aufnahme ist jedoch Gottlob Frick als Inkarnation des Teufelbratens Kaspar. Gesanglich ist eine solche Leistung von dem Ausnahmebassisten zu erwarten. Was er aber auch schauspielerisch, trotz pathetischem Stil , leistet ist exemplarisch. Natürlich drängt sich die Überlegung auf ob Sotin als Kaspar und Frick als Eremit nicht glaubwürdiger gewesen wäre. Was soll's, insgesamt wird eine filmische Umsetzung des "Freischütz" erreicht, die in ihrer märchenhaft dämonischen Schlüssigkeit und ihrem Niveau fasziniert.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Deine Inszenierung mit Genuß mehrmals gelesen. Besonders gefallen hat mir Deine Zeichnung der Charaktere.
    Ich komme bestimmt zur Aufführung.
    Mit den genannten Sängern bin ich mehr als einverstanden.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Danke, Rienzi. Das macht echt Spaß anstelle immer an Aufführungen rumzumäkeln mal selbst kreativ zu sein. Warte mal auf meine Königskinder:-) Da berste ich vor Ideen.

  • Ja, ja, liebe Knusperhexe, ihr seid weit kreativer gewesen. Ich habe halt als alter "Kritikus" meinen Lieblings-Freischütz besprochen, während ihr eigene Regiekonzepte überlegt habt. Kompliment 2:0 für Euch. Wahrscheinlich könnte die Wolfsschluchtszene sogar modern packend inszeniert werden,z. B. indem in kurzen Dia-Frequenzen an den aktuellen Problemen unserer Zeit gezeigt wird, dass das Böse immer und überall ist.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,


    das ist doch kein Wettkampf. Ich liebäugle schon lange mit der von Dir besprochenen DVD. Und mein Regiekonzept ist ja auch nicht das Maß aller Dinge. Beim schreiben sind mir noch zig weitere Ideen gekommen, allerdings keine mit "modernem" Inhalt. Das ist einfach nicht meine Formensprache.


    Bei meinen Recherchen habe ich Bühnenbildteile von Freischütz-Inszenierungen aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gefunden. So würde ich den Freischütz auch mal gerne sehen: Die Wolfsschlucht war vollgestopft mit Gerippen, umgefallenen Bäumen. Wie beschreibe ich das nur? Irgendwie war das so rührend naiv, dass es mich begeisterte. Diese Liebe zum Detail: Das stört die wilde Sau nicht, sondern ist ein Muss. Vielleicht würde sich ja mal eine Rekonstruktion anbieten. Das Bamberger Marionettentheater z.B. spielt in Originalkulissen, die eine starke Eigendynamik entwickeln.


    Frohe Pfingsten,
    Knuspi

  • Liebe Knusperhexe,


    und wenn es ein künstlerischer Wettkampf wäre, warum nicht. Tannhäuser und Meistersinger lassen grüßen.
    Wenn Du wirklich eine herrlich naiv nostalgische Freischütz-Inszenierung erleben willst, wo tatsächlich noch die Wildsau über die Bühne streift, dann wird Dir der bei Arthaus wieder erschienene 68er Hamburger Liebermann "Freischütz" Spaß und Freude bringen.
    Gespannt bin ich auf Deine Inszerierungsvorschläge für die "Königskinder".
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Liebe Taminos !


    Was eine Inszenierung des "Freischütz" beinhalten muß :


    keinesfalls irgendetwas aus der Baden-Badener-Inszenierung !
    Dann kann es nur besser werden. Das ist sicher dort eine Spar - Inszenierung, denn in welcher Oper, die man auf solche Art auf die Bühne stellt, kann man die Bühnenbilder und Kostüme nicht verwenden ? Einmal ausstatten, immer wieder verwenden, toll, nicht wahr !!! :D :D :D


    Euer Operngernhörer :hello:

  • Lieber Operus!


    Zitat

    dann wird Dir der bei Arthaus wieder erschienene 68er Hamburger Liebermann "Freischütz" Spaß und Freude bringen.


    So sehr ich Rolf Liebrmann auch verehre, an diesem Freischütz hat er nur insofern Anteil, dass er als Intendant für die Realisierung dieser Inszenierung und aller anderen bei Arthaus erschienenen gesorgt hat.


    Liebermann hat sich immer geweigert, an einem Haus, an dem er Indendant war zu inszenieren oder auch anderswo, da er sich auf seine Arbeit im und am Haus beschränken wollte. (Dafür saß er dann jeden Abend (!) 1. Reihe Platz 4 im Publikum und unterstützte damit seine Künstler!) Inszeniert hat er selber nur ein einziges Mal, in Genf den Parsifal Anfang der 80iger Jahre.


    Die Inszenierung des Freischütz ist von Joachim Hess.



    Gesehen habe ich sie noch nicht, weil ich Schwierigkeiten mit Oper auf DVD habe. Was deine Einschätzung u.a. von Konwitschny angeht, kann ich dir, nach seinem Hamburger Freischütz, nur voll zustimmen. Fahrstuhl und TV auf der Bühne bringen mich intellektuell irgendwie auch nicht weiter und die zweite Agathen-Arie mit dem Rücken zum Publikum singen zu lassen,weil es ein so intimer Moment ist, dass man es eigentlich den Zuschauern nicht zeigen dürfte! - Was soll's?


    :hello: Gustav

  • Meine ganz persönliche Meinung:
    Gerade solch erzromantischen Sujets wie der Freischütz (wie auch der Holländer z.B.) leiden am meisten unter der Verhunzung moderner Inszenierungen. Hier ist der Spagat zwischen gewollter Modernität (die man durchaus einbringen kann) und Lächerlichkeit viel zu groß. Eine Wolfsschluchtszene kann man nur in den hintersten Winkel eines tiefen, dunklen Waldes stecken.


    Allerdings wäre Rienzis Version schon mal das Experiment wert …. ;-)


    Hier in München konnte ich jeweils die Extreme gut/ schlecht miterleben: Über 30 Jahre lang lief am Gärtnerplatztheater eine wunderbar angestaubte, plüschige und von Jägeridyll triefende Inszenierung; die Wolfsschluchtszene war ein Gruselstück allererster Sahne. Ich hatte jedesmal schweißnasse Hände (ich hab diese Oper bestimmt 10x gesehen). Die andere Seite war eine Inszenierung der Münchner Staatsoper aus den späten 80er oder beginnenden 90er, wo ein extrem spartanisches, nahezu nacktes Bühnenbild „kreiert“ wurde. Die Wolfsschluchtszene war ein mit Faltenwurf stilisierter Krater über die ganze Bühne (ähnlich einem alten Lampenschirm von innen), an dessen Boden die Akteure „Kasperletheater“ spielten und am oberen Kraterrand „wilde Tiere“ aus bemaltem Sperrholz vorbeigetragen wurden. Eine Verarsche allererster Güte – die Produktion wurde glücklicherweise nach ein paar Aufführungen aus dem Spielplan genommen.


    Wer mal ein Kuriosum sehen möchte, dem empfehle ich den Ausschnitt einer Inszenierung der Nationaloper Seoul…
    http://www.youtube.com/watch?v=XDqh-cv8C8k“

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