Vom Barockspezialisten zum Brucknerguru und zurück ??

  • Zugeben, der Threadtitel ist wieder einmal reisserisch.
    Und natürlich ist es nicht so arg, wenngleich ein Körnchen Wahrheit in diesem Aufhänger steckt.
    Angesprochen sind in erster Linie die Herren Harnoncourt, Gardiner, Jacobs und Rilling. Wahrscheinlich habe ich einige weiter vergeesen zu erwähnen - das mag jemand anderer nachholen.


    Es geht hier um die Frage, ob diese Dirigenten einfach für alles gut sind, gewissermaßen zum "Universaldirigenten" geboren, ob sie erst beim Wechsel vom Barock zu Klassik, Bz Romantiik etc.. ihre wahre Größe offenbarten, oder ob sie nicht vielleicht doch beim angestlmmten Barockrepertoire geblieben wären.....


    Mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Es geht hier um die Frage, ob diese Dirigenten einfach für alles gut sind, gewissermaßen zum "Universaldirigenten" geboren, ob sie erst beim Wechsel vom Barock zu Klassik, Bz Romantiik etc.. ihre wahre Größe offenbarten, oder ob sie nicht vielleicht doch beim angestlmmten Barockrepertoire geblieben wären.....


    Das ist natürlich schlecht zu objektivieren. Jedenfalls begrüßte ich diese Experimente, wenn auch deren Ergebnisse nicht immer mit meinem Geschmack übereinstimmen. Jacobs zum Beispiel...


    Zitat

    Angesprochen sind in erster Linie die Herren Harnoncourt, Gardiner, Jacobs und Rilling. Wahrscheinlich habe ich einige weiter vergeesen zu erwähnen - das mag jemand anderer nachholen.


    An Rillings Stelle würde ich dann doch eher Jordi Savall sehen. Er nämlich und Gardiner decken zumindest den Bereich der Musik ab, der mich am meisten interessiert: Barock und Klassik.


    Die anderen beiden Herren sind mir zu verkopft:


    Zitat

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


    Deswegen muß ich es noch lange nicht wissen. Denn - ich schrieb es bereits an anderer Stelle - jeder Note einen zu tiefen Sinn zu geben, halte ich für zu verkopft - und so klingt es dann auch. Der 'natürliche' Fluß der Musik wird immens beeinträchtigt. Derlei 'Interpretationen' (m. E. sind es keine) dienen allenfalls der Analyse - genießen kann ich soetwas nicht.


    Ich bin ja als HIPist selbst erstaunt, daß mir ausgerechnet die 'großen' HIPisten zumindest in der Wiener Klassik meistens überhaupt nicht zusagen. Ob das viel mit Geschmack zu tun hat, weiß ich nicht... es wirkt (leider) alles zu strategisch, zu geplant zu ausbalanciert und zu sehr einstudiert - eben leblos. Knallende Pauken sind eben nicht alles...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Früher war das ja der Normalfall. Zwar wurden aus Barock und Vorklassik nur einzelne wenige Werke gespielt; aber die meisten Dirigenten haben natürlich die Matthäuspassion ebenso selbstverständlich geleitet wie eine Brahms-Sinfonie oder eine Verdi-Oper. Die stärkere Spezialisierung kam vermutlich durch die Alte-Musik-Bewegung und die Schallplatte.
    Die Alte-Musik-Dirigenten waren ja zunächst keine Maestri, sondern Instrumentalisten und Chorleiter und wollten sich wohl auch im Gebaren von den "Stars" oder "Gurus" absetzen, u.a. dadurch, daß sie oft vom Instrument aus leiteten. Die, die als Chorleiter starteten, wie Gardiner, Norrington, Rilling u.a., haben vermutlich auch schon vor ihren großen Karrieren andere Musik als Barock dirigiert; etwa Mendelssohn, Brahms oder 20. Jhd.
    Wenn man dann etabliert ist und Gelegenheit hat, auch anderes zu machen, ist nachvollziehbar, daß man zugreift. Vielleicht auch, weil man sich als "Barockspezialist" nie ganz ernst genommen gefühlt hat (diese Haltung bestand noch vor 20 Jahren durchaus in gewissen Kreisen).
    (Jacobs hat meines Wissens noch nichts neueres als Haydn dirigiert; weit ins 19. Jhd. (Offenbach) ist Minkowski vorgedrungen.)


    Noch vor ein paar Jahren hat aber z.B. Herreweghe in einem Interview eingeräumt, daß er sich schlag- oder probetechnisch nicht zutrauen würde, eine Bruckner-Sinfonie zu leiten. Inzwischen hat er das mehrmals getan, auch CDs eingespielt. Ich kann nicht beurteilen, inwiefern das (technisch) schwieriger ist als eine Matthäuspassion und wieviel man später noch dazulernen kann oder inwiefern gute Vermittlungsfähigkeiten und eine kooperatives Orchester hier einiges ausgleichen können.


    Ich gehe schon davon aus, daß hier ein tatsächliches künstlerisches Interesse besteht (wobei auch traditionelle Dirigenten für Gesamtaufnahmen Werke eingespielt haben, die sie sonst nie oder kaum dirigierten).
    Es ist aber sicher auch kommerziell interessanter für Harnoncourt gewesen, etwa sämtliche Sinfonien Schuberts, Schumanns, Brahms und etliches von Bruckner einzuspielen anstatt mehr Telemann oder Haydn. Viele Hörer finden diese Aufnahmen anscheinend ziemlich gut und es verkauft sich sicher besser. Im Falle Harnoncourt kann ich zu den Brahms-, Dvorak- und Bruckner-Aufnahmen nicht viel sagen, obwohl ich je ein oder zwei CDs besitze. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß diese Aufnahmen tendenziell eher weicher und lyrischer sind als sonst üblich. Von der angeblichen Schroffheit ist hier nicht viel zu hören.
    Die Beethovensinfonien, -ouverturen und Missa gehören m.E. zu seinen besten Aufnahmen und zu den interessantesten dieses Repertoires in den letzten Jahren.
    Es gibt aber jedenfalls keinen direkten Zusammenhang zwischen "Stammrepertoire" und der kontroversen Beurteilung einiger Aufnahmen. "Figaro" oder "Messiah" dirigiert Harnoncourt seit 25 bzw. über 30 Jahren und ich bezweifle, daß seinen Dvorak-Aufnahmen solch ein Befremden entgegengeschlagen ist wie diesen Interpretationen. (Vielleicht sind die Dvorak-Fans aber auch einfach nur entspannter ;))


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Im Rahmen meiner Arbeiten am Thread-Directory ist dieser Thread gewissermaßen in mein Schußfeld geraten. Und es ist ja interessant wie sich die Karierren jener Dirigenten, auf die der Threadtitel zutrifft weiterentwickelt haben. Sind sie beim "neuen Genre" geblieben - sind sie reumütig zu ihrer Kernkompetenz zurückgekehrt - oder sind sie inzwischen lediglich Randerscheinungen der Geschichte ? Wie sagte schon ein großer japanischer Philosoph zu diesem Thema ? "Nichts ist unmöglich"..... :baeh01:


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !