LA TRAVIATA (FLEMING, CALLEJA, HAMPSON) - Royal Opera House Covent Garden London, Juni 2009

  • Als ein Saison-Höhepunkt wurde die Serie von Traviata-Vorstellungen am Royal Opera House in London angekündigt, und tatsächlich wurde die mit großen Namen besetzte Verdi-Oper zu einem sensationellen Publikums- als auch Presseerfolg.


    Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei natürlich auf Renée Fleming in der Titelrolle. Man verbindet die Sängerin nicht unbedingt mit den großen Partien Giuseppe Verdi’s, doch mit der Rolle der Violetta Valery hat sie nicht nur an der MET große Erfolge gefeiert.


    Die Traviata ist eine schwierige Rolle, da die stimmlichen Anforderungen an die jeweilige Sängerin von Akt zu Akt sehr unterschiedlich sind. Im ersten Akt sind Koloraturfähigkeit bzw. vokale Agilität, im zweiten Akt Dramatik und im dritten Akt wiederum große Lyrik gefragt. Selten findet man eine Sängerin die vom Anfang bis Ende gleichermaßen überzeugen kann.


    Die Koloraturen des ersten Aktes gehören nicht zur Stärke der Fleming. Sie kommen eher verlangsamt, wobei der Dirigent auf diesen Umstand Rücksicht nimmt. Ab dem zweiten Akt ist die Fleming allerdings großartig. Mit ihrem herrlichen Timbre überzeugt sie in den dramatischen Ausbrüchen und nachdem ihre Darstellung der Figur im ersten Akt etwas zu aufgesetzt und übertrieben verspielt wirkt, ist sie ab dem zweiten Akt absolut glaubhaft, und sie ist durch und durch die Dame der Gesellschaft. Im letzten Akt ist sie berührend wie lange keine Traviata mehr. Vor einem intensiv vorgetragenem Addio del passato – sie singt beide Strophen – zitiert sie Germont’s Brief aus dem Gedächntis vor sich hinsagend, als hätte sie die Zeilen immer wieder gelesen und auswendig gelernt. Bei Parigi o cara wirken sie und ihr Gesang zerbrechlicher als je zuvor. Als sie versucht in ihr Kleid zu steigen und sie es einfach nicht mehr schafft, ist man als Zuschauer fast genauso entsetzt wie sie selbst, und nachdem sie zum Schluß eine Besserung ihres Befindens wahrzunehmen scheint, läuft sie rasch die ganze Bühne im Kreise ab – unter Alfredo’s hoffnungsvollem, Annina’s geschocktem und Grenvil’s hoffnungslosem Blick -, um, kaum wieder bei Alfredo angekommen, tot vor ihm zusammenzusinken. Unglaublich intensiv und sehr berührend.


    Der Alfredo ist für Joseph Calleja derzeit eine ideale Rolle. Er legt sehr viel Wert auf Ausdruck und die Arie Deh miei bollenti spiriti singt er makellos, wofür er den stärksten Szenenapplaus des Abends einfährt. Seine Höhen sind inzwischen viel besser geworden, daran scheint er gearbeitet zu haben, trotzdem verzichtet er bei O mio rimorso auf den hohen Schlußton. Es ist wirklich erfreulich eine so gesunde Stimme zu hören, die nicht über Fach singt. Calleja singt ja seit Anbeginn seiner Karriere immer noch die gleichen Rollen und der stetige Fortschritt dieses Sängers ist unüberhörbar.


    Wie schon bei seinem Wiener Alfredo festzustellen war, hat er sich auch als Darsteller enorm weiterentwickelt und er ist sehr expressiv. Zum einen ist er im dritten Bild voller Rage und er wirft sich förmlich in die Partie. Alfredo wirft in der Londoner Inszenierung übrigens nicht Geldscheine auf Violetta sondern Spieljetons. Zum anderen gibt er einen sehr leidenschaftlichen und auch sehr verliebten Alfredo, der seine Finger und Lippen nur schwer von Violetta lassen kann.


    Ich hatte zuvor meine Bedenken, ob die beiden Sänger wirklich zueinander passen, schließlich ist die Fleming fast zwanzig Jahre älter als Calleja. Doch das fällt kaum auf, denn die Fleming wirkt in dieser Produktion sehr jugendlich und erscheint dem Zuschauer kaum viel älter als ihr junger Kollege. Zudem stimmt die Chemie der beiden untereinander.


    Nicht ganz auf dem gesanglichen Niveau seiner Bühnenpartner agiert Thomas Hampson in der Rolle des Giorgio Germont. Seine Stimme klingt etwas abgenutzt und stellenweise neigt er leider etwas zum Brüllen und man wünscht sich hier doch mehr Verdi-Schöngesang. Im großen Duett mit Fleming weiß er trotzdem recht gut zu gefallen. Di provenza il mar ist allerdings – aus oben genannten Gründen – leider eine Enttäuschung. Auch die Reaktion des Publikums auf diesen Hit ist relativ moderat.


    Hampson spielt die Rolle allerdings sehr gut und wirkt sehr autoritär. Nach seiner Arie – wenn er seinen Sohn zurückhalten will – stößt er diesen brutal zu Boden. In der gleichen Sekunde erschrickt er selbst über sich und sein Verhalten, und mit Blicken entschuldigend sucht er die Nähe seines am Boden liegenden, ebenfalls total überraschten Sohnes.


    Die Nebenrollen sind mit Ensemble-Sängern des Covent Garden wunderbar besetzt und mit Antonio Pappano steht ein Dirigent am Pult, der immer den richtigen Ton findet.


    Das Publikum ist jedenfalls begeistert. Großen Jubel gibt es für die drei Hauptrollensänger, ganz besonders für Fleming und Calleja. Der Solovorhang von Calleja wird gar von wildem Fußgetrampel des Publikums begleitet.
    Kameras waren auch vor Ort. Somit ist mit einer DVD zu rechnen.


    Gregor