War Karajan ein Tyrann ?

  • Ich weiß, es gab in letzter Zeit schon einige Karajan Threads, aber zum einen leiste ich hier eine Art Wiedergutmachung an ihm, der in unserem Forum immer wieder mit Dreck beschmissen wurde und ich habe es aus falsch verstandener Neutralität geschehen lassen, zum anderen ist der Mann hochinteressant - ein dankbares Obkekt für Diskussionen - und davon lebt ja ein Internetforum


    Initiert wurde dieser Thread durch folgendes Statement von Honoria Lucasta:


    Zitat

    Er war aber auch dadurch prägend für eine ganze Generation, vielleicht der letzte absolute Herrscher am Pult.


    War er das wirklich ?
    War er mediengeil ?
    War er ein Leuteschinder ?
    War er ein Partylöwe ?
    Hatte er ein unwiderstehliches Charisma ?
    War es seine sonore Stimme die jeden Widerspruch im Keime erstickte ?
    Oder die hünenhafte Gestalt ?
    Oder verstand er einfach nur sein Handwerk - pardon seine Kunst ??


    Der letzte absolute Herrscher am Pult war er mit Sicherheit nicht - das war allenfalls Celibidache - aber auch darüber wird man reden müssen....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es gab in der Tat noch andere "absolute Herrscher am Pult" nach Karajan. Celibidache wurde genannt, daneben auch Solti zu nennen. Jedenfalls ist die Ära der Diktatoren auf dem Pult seit etwa einer Dekade vorbei.


    Daß Karajan ein Tyrann war, glaube ich eher nicht. Verschiedene Aufnahmen von Proben zeigen ihn als eher zurückhaltenden, fast schüchternen Mann, der sehr genau weiß, was er will, und es dem Orchester sehr kollegial mitzuteilen versucht.


    "Mediengeil" war er schon eher, er war eben "up to date" und in der Hinsicht vielen voraus.


    "Leuteschinder" – alles, was ich hörte, auch von ehemaligen Orchestermitgliedern, besagt eher das Gegenteil. Sicher, die letzten Jahre waren wohl schwierig und angespannt, aber er war eben auch 35 Jahre Chefdirigent in Berlin.


    Ein "Partylöwe" war er ganz sicher nicht. Er war, wie gesagt, eher introvertiert, auch wenn er es gekonnt überspielen konnte.


    Charisma hatte er auf jeden Fall, das wird wohl (fast) jeder bestätigen, der ihn gesehen hat. Das kommt sogar noch in den Videos herüber, auch in den späten.


    Sein "Stimmchen" war, wie schon mal geschrieben, ja eher brüchig und unscheinbar. Vielleicht machte ihn das aber auch sympathisch.


    War er wirklich hünenhaft? Eher ein recht kleiner Mann, glaube ich.


    Sein Handwerk verstand er zweifellos. Der Beweis liegt in unzähligen sehr guten bis referenzträchtigen Aufnahmen vor und braucht kaum geführt zu werden.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wenn man von Anne-Sophie Mutter hört, wie sie Karajan kennen gelernt und wie er ihre Entwicklung geprägt hatte, dann käme einem niemals das Wort Tyrann über die Lippen.
    Bei anderen Künstlern hört sich das wieder ganz anders an.


    Seine musikalische Kompetenz war für mich immer respekteinflößend, wenngleich nicht einmalig. Was er nicht konnte: Autofahren. Die Probefahrt seines fabrikneuen Porsche 959 endete nach wenigen 100 Metern im Graben :D

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Seine musikalische Kompetenz war für mich immer respekteinflößend, wenngleich nicht einmalig. Was er nicht konnte: Autofahren. Die Probefahrt seines fabrikneuen Porsche 959 endete nach wenigen 100 Metern im Graben :D


    Ich glaube, der Unfall war 1988 – kein Wunder, mit 80 Jahren und ohne Brille. :D


    Es gibt doch auch diesen Film über Karajan in Salzburg, da fährt er im Affenzahn im Porsche.


    M. W. bekam er von Porsche auch noch einen neuen geliefert. :faint:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hünenhaft war er sicherlich nicht.Er kämmte seine Haare stets himmelwärts,um größer zu wirken.Seine wahre Größe war seine Kunst.Die Berliner Philharmoniker hatten ihn zu ihrem Dirigenten auf Lebenszeit gewählt,was sie bei einem Tyrannen sicher nicht gemacht hätten.
    Er verstand es ,die Medien zu nutzen.Sowohl die Medien,die über ihn berichteten als auch die Medien,die seine Kunst für spätere Generationen festhielten.
    Ich glaube,daß er ein bescheidener Mensch war,der sich in erster Linie seiner Kunst widmete. Natürlich präsentierte man sich zur damaliger Zeit mit Posche und Privatflugzeug als Zeichen des Wirtschaftswunder. Selbst Lieschen Müller legte ihre Nerzstola nicht ab,wenn es ihr im Konzertsaal zu heiß wurde.Man zeigte,was man hatte.
    Für mich als CD-Hörer ist es wichtig,daß sich Karajan stets das Resultat seiner Musik-Aufnahmen vorführen ließ,weil er wissen wollte,wie seine Musik im Wohnzimmer klingt.Und deshalb hatte er bei der Produktion der Tonträger aktiv mitgewirkt. Er wußte,daß Musik im Konzertsaal anders klingt als im Wohnzimmer.

    mfG
    Michael