Barockmusik mit "modernen" Instrumenten - ein Tabu ?

  • In meiner Jugend war es eigentlich noch selbstverständlich, daß Bach, Händel. Teleman und Vivaldi, sowie weitere Barockkomponisten mit modernen Instrumenten interpretiert wurden, ein Karajan am Pult der H- Moll Messe wurde eher als Ereignnis, denn als Stilbruch oder Ärgernis empfunden....


    Die Zeit hat sich gewandelt: Heute legt man im allgemeinen Wert auf historisches Intrumentarium, seien es Orioginalinstrumente der Zeit oder deren Nachbauten, ebenso wie auf Dirigenten die sich der historisch informierten Interpretationspraxis bedienen - was immer das auch heissen mag


    Es geht hier nicht in erster linie um die Frage ob die Goldberg Vartiationen mittels Cembalo oder Pianoforte, bz modernjem Flügel an die Leute gebrachte werden sollen, sondern um die Frage, WARUM man HEUTE wieder reuig zu den Originalionstrumenten zurückkehrt, bzw ob das überhaupt der Fall ist, ob nicht eine Renaissance "moderner" Instrumente allmälich um sich greift....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • das ist eine allgemeine Entwicklung, Schlösser werden wieder als Schlösser gezeigt, alte Meister im Museum werde immer häufiger nicht mittels "White Cube" präsentiert sondern der Museumsraum wird historisiert und so spielt man auch die Musik mit den angemessenen Mitteln.



    Ich denke es geht einfach darum diese vergange Kunst so weit wie möglich mit den Mitteln ihrer Zeit erfahrbar zu machen.
    Denn die Musik war auf bestimmte Instrumente zugeschnitten, auf bestimmte Ensemblegrößen bzw. Räume.


    Ich begrüße, dass das mittlerweile so gemacht wird.
    Den ich bin davon überzeugt, dass man so am ehesten das erfahren kann, was eigentlich beabsichtigt war.


    Die Art und Weise Kunst zu erfahren, ändert sich sowieso von Generation zu Generation.
    Karajans Interpretationsweise ist auch nur eine Mode gewesen.

  • Ich glaube nicht, daß sich das HIP-Rad wird zurückdrehen lassen. Freilich gibt es immer noch, hauptsächlich in Konzerten, Interpretationen etwa der Bach-Passionen auf modernen Instrumenten.
    Bei der Musik von Haydn bis Schubert praktizieren einige eine Art Hybrid-Stil mit gemischten Besetzungen (z:B. Naturhörner oder Cembalo, aber modernen Streichern) und historisch beeinflußter Phrasierung und Artikulation.


    Von Bachs, Händels oder Vivaldis Konzerten dürfte es Einspielungen mit traditionellen Orchestern in Zukunft wohl nur noch vereinzelt werden. Die 4 Jahreszeiten sicher, aber sonst wohl weniger.


    Weitgehend unangefochten bleiben freilich als Alternative moderne Instrumente nicht nur in der Klavier-, sondern auch in der Kammermusik. Weder werden sich Geiger und Cellisten die Solowerke Bachs noch Streichquartette diejenigen Haydns oder Mozarts nehmen lassen. Entsprechendes gilt für die restliche Kammermusik.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • So eine Hybrid-Aufführung mit HIP-Dirigenten und passender Generalbassgruppe und nicht-HIP-Orchester habe ich auch schon einmal live mit Händel gehört. Ob das auf CD einen reißenden Absatz erfährt, weiß ich nicht.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    So eine Hybrid-Aufführung mit HIP-Dirigenten und passender Generalbassgruppe und nicht-HIP-Orchester habe ich auch schon einmal live mit Händel gehört. Ob das auf CD einen reißenden Absatz erfährt, weiß ich nicht.


    Bei Bach oder Händel habe ich auch meine Zweifel, zu etabliert sind hier inzwischen die HIP-Ensembles (ich fand es schon ca. 1991 recht ungewöhnlich als die DG Brandenburgische Konzerte mit dem Chamber Orch. of Europe und Händel mit dem Orpheus CO herausbrachte).


    Konkret im Blick hatte ich die Praxis von Hugh Wolf, der Haydn in Frankfurt in etwas reduzierter Besetzung mit Cembalo und wohl auch einigen Naturhörnern oder Holzflöten hat spielen lassen und so auch einige CDs eingespielt hat, und Thomas Fey, der das in seinem begonnenen Haydn-Zyklus ähnlich macht, ebenso bei Aufnahmen von Mozart und Beethoven. Er hat auch Händel aufgenommen, aber da habe ich noch nichts gehört.
    Während Wolf stilistisch eher der Kammertradition von Marriner u.ä. entspricht, übertrifft Fey dagegen mitunter Harnoncourt, was Manierismen betrifft (und ist noch schneller und wilder als der). Das Ergebnis ist, ob HIP oder nicht, jedenfalls oft ungewöhnlicher als bei "braven HIPisten" wie Pinnock.
    Norringtons Aufnahmen mit modernen Orchestern gehörten vielleicht auch in diese Hybridschublade, ebenso Zehetmairs Bach-Konzerte. Überhaupt scheinen viele neuere Kammerorchesteraufnahmen von den Violinkonzerten, die eben auch die modernen Geiger noch spielen möchten, ungeachtet der Instrumente, in Tempo, Phrasierungen usw. HIP-beeinflußt.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ja, ich denke sogar, dass ein Karajan-Bach oder ein Brendel-Mozart nicht mehr gespielt werden wird, ganz unabhängig von den verwendeten Instrumenten.


    Was die Instrumente betrifft, sehe ich eher ein Kostenproblem. Freilich kann man jedes Orchester mit Naturhörnern ausrüsten. Aber alle Streicher mit einem modernen Instrument und einem barocken - das wäre ein ordentlicher Aufwand. Michael Schlechtriem hat ja einmal erzählt, dass sein Orchester mit "Bach-Bögen" ausgerüstet worden sei für eine Aufführung. Nun, wir werden sehen, was alles kommen wird ... Womöglich wird HIP die Nobel-Version sein und die Hybrid-Variante der Normalfall?
    :hello:

  • Ich schätze mal, daß es einreißen wird (so, wie es Ronald Brautigam vormacht), daß vermehrt nach der historisch informierten Art, allerdings auf modernem Instrumentarium, gespielt wird, z.B. bei seinen Beethoven-Klavierkonzerten, an denen nichts auszusetzen ist:


    ...


    Vereinzelt wird es vielleicht doch vorkommen, daß z.B. die Hörner (oder Trompeten) Nachbauten von HIP-Instrumenten sind, wie z.B. bei Gerrit Zitterbart:


    (das Coverbild ist hier eine Irritation, das verwendete Instrument ist 'modern').

    Gerade das Blech ist ja bei derlei Interpretationen recht markant im Klang (im Unterschied zu modernen Quietscheentchen).


    Unabhängig davon werden diese Interpreten natürlich zusätzlich auch stets auf historischen Instrumenten präsent sein, vor allem im Soloprogramm. Daneben werden natürlich 'echte' HIP-Ensembles wie z.B. Anima Eterna oder Cristofori, Terpsichordes, Festetics, Mosaiques, Ensemble Baroque de Limoges und dergl. auch weiterhin existieren.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Da nehme ich doch gern eine Gegenposition ein.



    Wenn Karajan nur Mode war, warum ist es HIP denn nicht?
    Mal im Ernst: Über die tatsächliche Aufführungspraxis weiß man mangels Tondokumenten doch quasi nichts. Man kann lediglich aus Textquellen und durch den Nachbau von Instrumenten oder Verwendung alter Instrumente eine Vorstellung des Klangbilds entwickeln.
    Ob die damals verwendeten Tempi und Aufführungspraktiken sich heute bewehren würden, sei dahin gestellt. HIP ist lediglich der Versuch, etwas instrumentenbautechnisch einer früheren Epoche anzunähern.


    Klassische Musik ist Interpretation und nicht einmal die Bibel wird heutzutage noch so verstanden wie vor 2000 Jahren. Wenn sich ein HIP-Ensemble einer Musik annimmt, bedeutet dies noch lange nicht, dass damit der Originalklang des Komponisten zu dessen Lebzeiten wiederhergestellt wird. Man verwendet lediglich die Instrumente, die dem Komponisten zur Verfügung standen.
    Da aber keiner weiß, welches Instrument letztlich für Bachs 6. Cellosuite zum Einsatz kam, dürfte man die also eigentlich nicht mehr aufführen. Das gilt auch für die Arpeggione von Schubert, weil man dieses Instrument quasi nicht mehr verwendet.


    Umgekehrt finde ich es nicht nachvollziehbar, all die schönen Einspielungen als minderwertig abzutun, weil da moderne Instrumente verwendet werden. Sollen also alle großen Orchester in Zukunft nur noch Programme ab Schostakowitsch aufwärts anbieten, damit wir andererseits Mozartopern nur noch im Stile Jacobs serviert bekommen?


    Dieser ganze Historisierungsquatsch, Entschuldigung, geht mir sowas von auf den Geist. Das ist alles nur Fassade. Möchte denn ernsthaft jemand, dass man in Venedig den Müll wieder in die Kanäle oder aus dem Fenster kippt? Und dann der Schwachsinn mit dem Berliner Stadtschloss: Hat sich jemand die Entwürfe angesehen? Außen machen wir einen auf Friedrich und innen einen auf Sozialismus. Das ist doch, Verzeihung, Scheiße.
    Meine Frau und ich schleppen uns im Italienurlaub in jede Kirche. Früher hat man sich um vergangene Stilepochen aber sowas von nicht geschert. Wenn da einer meinte, Barock sei besser als Romanik, dann hat man eben die Fresken übermalert und einen Marmoraltar in die Kirche gebaut.


    Klar sehen die wiedererrichteten Zentren so mancher ostdeutscher Stadt hübsch aus. Aber für die Bewohner hätte es auch keine Rolle gespielt, wenn man stattdessen das Geld für ein paar gute, junge Architekten ausgegeben und eine moderne Architektur hingestellt hätte.
    Wer ist denn bereit, auf all die modernen Errungenschaften zugunsten einer möglichst originalgetreuen Rekonstruktion des Lebens früherer Jahrhunderte zu verzichten? Und welche Epoche soll es denn bitte sein? Barock mit Plünderungen à la 30-jähriger Krieg? Wiener Kongress mit Restitution der Adelsvorrechte?


    Dieses Rückwärtsgewandte nervt mich. Ich wohne in einer Stadt mit einem ganz passablen Erbe alter und schöner Bauwerke. Und ja, ich würde gern in einer der Gründer- oder Jugendstilhäuser wohnen. Jetzt wurde mein Haus aber renoviert und sieht auch gut aus, modern und besser als der 50-Jahre-Stil von vorher.
    Wenn ich dann zu einem der schönen Schlösser fahre und mir die ansehe, oder einem Konzert in den Räumlichkeiten lausche, dann bin ich gerade im Winter doch froh, dass es da jetzt Heizung gibt und ich nicht wie in Schloss Esterhazy bei 15°C Zimmertemperatur frieren muss.


    Ich höre mir die Klaviersonaten von Beethoven und Haydn oder die Klaviermusik Bachs auch nicht gern auf einem Hammerklavier an. Und auch die Einspielung des WTP von Keith Jarrett auf Cembalo finde ich nicht so gut wie Hewitt. Ich mag die Instrumente, die es jetzt gibt. Und die Museen, wie sie sind. Die Vorstellung, in überfrachtete, schlecht ausgeleutete Ausstellungsräume zu gehen und dann flämische Meister in 4 m Höhe zu betrachten, finde ich blödsinnig.


    Ich möchte weiterhin den Brendel-Mozart. Über den Karajan-Bach kann man streiten. Wobei man aber sagen muss, dass viele Stücke Bachs an und für sich für kleine, kirchenkompatible Ensembles geschrieben wurden und die Übertragung auf den Konzertsaal für das Klangbild schon eine Rolle spielt.
    Aber ich höre mir gern Brendel an. Oder Perahia. Oder Gulda. Ich finde es großartig, wenn Bernstein das WPO oder Jansons das RCO dirigiert. Ich finde auch Antonini mit dem KOB gut. Ich will mir aber nichts diktieren lassen, keine Klangdiktatur. Es ist mir nicht wichtig, wie evtl. vor 250 Jahren ein Stück geklungen haben mag. Ich lebe heute und höre heute Musik. Ich kaufe mir eben auch keine Schellackplatten, weil das das einzig wahre Medium ist, auf dem Musik die Ewigkeit erwarten kann. Ich finde eine CD oder zur Not auch andere digitale Medien gut.


    Für mich soll Musik klingen. Die verwendeten Instrumente sind für mich dabei zweitrangig. Wenn einer Musik so originalgetreu wie möglich aufführt, es sich aber nicht gut anhört, dann wird die Einspielung nicht mein Freund. Wenn einer historisch unkorrekt eine Einspielung hinlegt, die mich fasziniert, ist mir das recht.


    Formalismus ist je ein böser Stalinbegriff und wurde ja genau für die Künstler verwendet, die es nicht waren. Ich wehre mich entschieden dagegen, Musik nur noch unter formalen Gesichtspunkten wie den "richtigen" Instrumenten, dem "richtigen" Tempo und was weiss ich für sonst noch "richtigen" Parametern zu bewerten. Musik soll unterhalten und nicht quasireligiös daher kommen.
    Ich habe schließlich auch keinen Bock, mir den Klimaschänder vorwerfen zu lassen, bloß weil ich die Hühner nicht persönlich kenne, deren Eier ich esse und dem Weizen beim Wachsen keine Lieder vorgesungen habe.

  • Zitat


    Sollen also alle großen Orchester in Zukunft nur noch Programme ab Schostakowitsch aufwärts anbieten, damit wir andererseits Mozartopern nur noch im Stile Jacobs serviert bekommen?


    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    warum nicht?
    sehe ich auch so ...


    Das würde dann auch automatisch diese unerträglichen Stilmixprogramme vom Plan fegen... es sei denn, der Veranstalter kann sich zwei Ensembles leisten :D


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich glaube vor allem daran, daß sich der Klang eines Stücks dann besonders entfaltet, wenn es auf Instrumenten seiner Zeit wiedergegeben wird. Schließlich kannte der Urheber des jeweiligen Werkes nichts 'besseres' - das dafür aber äußerst gut. Und das ist ja keine Diskriminierung. Man hängt ja auch einen (echten!) Rembrandt nicht in einem dm-Fotorahmen auf... :rolleyes:


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Außerdem hat man sowieso ein Problem, wenn man einerseits klagt, dass einen das "Rückwärtsgewandte nervt", andererseits aber Musik von Bach und Mozart hört. Diese Tätigkeit ist nämlich rückwärtsgewandt.

  • Zitat

    Wenn Karajan nur Mode war, warum ist es HIP denn nicht?
    Mal im Ernst: Über die tatsächliche Aufführungspraxis weiß man mangels Tondokumenten doch quasi nichts. Man kann lediglich aus Textquellen und durch den Nachbau von Instrumenten oder Verwendung alter Instrumente eine Vorstellung des Klangbilds entwickeln.
    Ob die damals verwendeten Tempi und Aufführungspraktiken sich heute bewehren würden, sei dahin gestellt. HIP ist lediglich der Versuch, etwas instrumentenbautechnisch einer früheren Epoche anzunähern.


    Klassische Musik ist Interpretation und nicht einmal die Bibel wird heutzutage noch so verstanden wie vor 2000 Jahren. Wenn sich ein HIP-Ensemble einer Musik annimmt, bedeutet dies noch lange nicht, dass damit der Originalklang des Komponisten zu dessen Lebzeiten wiederhergestellt wird. Man verwendet lediglich die Instrumente, die dem Komponisten zur Verfügung standen.
    Da aber keiner weiß, welches Instrument letztlich für Bachs 6. Cellosuite zum Einsatz kam, dürfte man die also eigentlich nicht mehr aufführen. Das gilt auch für die Arpeggione von Schubert, weil man dieses Instrument quasi nicht mehr verwendet.




    Du hast nicht verstanden was HIP ist und wie da vorgegangen wird.
    Mit Historisiernung hat das recht wenig zu tun.
    Polemik hilft da auch nicht weiter.



    Zitat

    Umgekehrt finde ich es nicht nachvollziehbar, all die schönen Einspielungen als minderwertig abzutun, weil da moderne Instrumente verwendet werden. Sollen also alle großen Orchester in Zukunft nur noch Programme ab Schostakowitsch aufwärts anbieten, damit wir andererseits Mozartopern nur noch im Stile Jacobs serviert bekommen?


    Mir persönlich ist das ziemlich egal, aber ICH will nur noch diesen Ansatz - kann sein, dass sich das mal wieder ändert.
    Aber welche Einspielung von Barockmusik auf modernen Instrumenten ist denn schön ??? mir fällt da auf Anhieb nichts ein. :D


    Denn es geht ja nicht nur um die Instrumente - viel wichtiger sind Gestaltung und Spieltechnik und das ist nunmal eine ganz andere, historische Instrumente verbunden mit diesen Techniken geben einen völlig anderes Bild des Werkes.





    Zitat

    Dieser ganze Historisierungsquatsch, Entschuldigung, geht mir sowas von auf den Geist. Das ist alles nur Fassade. Möchte denn ernsthaft jemand, dass man in Venedig den Müll wieder in die Kanäle oder aus dem Fenster kippt? Und dann der Schwachsinn mit dem Berliner Stadtschloss: Hat sich jemand die Entwürfe angesehen? Außen machen wir einen auf Friedrich und innen einen auf Sozialismus. Das ist doch, Verzeihung, Scheiße.
    Meine Frau und ich schleppen uns im Italienurlaub in jede Kirche. Früher hat man sich um vergangene Stilepochen aber sowas von nicht geschert. Wenn da einer meinte, Barock sei besser als Romanik, dann hat man eben die Fresken übermalert und einen Marmoraltar in die Kirche gebaut.


    wie gesagt, Du hast offenbar nicht verstanden was HIP eigentlich ist.
    Wenn Dir Alte Musik, bzw. "Historisierung" au den Sack geht, dann beschäftige Dich doch mit was anderem, niemand zwingt Dich - aber es gibt eben auch Leute die das anders sehen, und die sollte man respektieren!


    Zitat

    Klar sehen die wiedererrichteten Zentren so mancher ostdeutscher Stadt hübsch aus. Aber für die Bewohner hätte es auch keine Rolle gespielt, wenn man stattdessen das Geld für ein paar gute, junge Architekten ausgegeben und eine moderne Architektur hingestellt hätte.


    ähm .... wir reden von der gleichen Welt ?



    Zitat

    Wer ist denn bereit, auf all die modernen Errungenschaften zugunsten einer möglichst originalgetreuen Rekonstruktion des Lebens früherer Jahrhunderte zu verzichten?


    Eine ganze Szene die sich dem Reenactment verschrieben hat.


    guck z.B. hier:


    http://www.lumieres.de/


    http://www.mauritia.de


    http://www.18tes-jahrhundert.de/



    wenn Dir das nicht passt - dann ist das allein Dein Problem.


    Zitat

    Und welche Epoche soll es denn bitte sein? Barock mit Plünderungen à la 30-jähriger Krieg? Wiener Kongress mit Restitution der Adelsvorrechte?


    gibt es alles.


    Zitat

    Dieses Rückwärtsgewandte nervt mich.


    das darf es auch, aber wie gesagt, dann beschäftige Dich mit was anderem.


    Zitat

    Ich wohne in einer Stadt mit einem ganz passablen Erbe alter und schöner Bauwerke. Und ja, ich würde gern in einer der Gründer- oder Jugendstilhäuser wohnen. Jetzt wurde mein Haus aber renoviert und sieht auch gut aus, modern und besser als der 50-Jahre-Stil von vorher.
    Wenn ich dann zu einem der schönen Schlösser fahre und mir die ansehe, oder einem Konzert in den Räumlichkeiten lausche, dann bin ich gerade im Winter doch froh, dass es da jetzt Heizung gibt und ich nicht wie in Schloss Esterhazy bei 15°C Zimmertemperatur frieren muss.


    Schloss Esterhazy war ein Sommersitz, kein mensch hat sich da im Winter aufgehalten.
    Schlösser die über das ganze Jahr bewohnt wurden, hatten natürlich auch Heizungen - die Menschen von damals waren nicht blöd!


    Zitat


    Ich höre mir die Klaviersonaten von Beethoven und Haydn oder die Klaviermusik Bachs auch nicht gern auf einem Hammerklavier an. Und auch die Einspielung des WTP von Keith Jarrett auf Cembalo finde ich nicht so gut wie Hewitt. Ich mag die Instrumente, die es jetzt gibt. Und die Museen, wie sie sind. Die Vorstellung, in überfrachtete, schlecht ausgeleutete Ausstellungsräume zu gehen und dann flämische Meister in 4 m Höhe zu betrachten, finde ich blödsinnig.


    wenn Du meinst...




    Zitat

    Für mich soll Musik klingen. Die verwendeten Instrumente sind für mich dabei zweitrangig. Wenn einer Musik so originalgetreu wie möglich aufführt, es sich aber nicht gut anhört, dann wird die Einspielung nicht mein Freund. Wenn einer historisch unkorrekt eine Einspielung hinlegt, die mich fasziniert, ist mir das recht.


    meist ist es aber genau anders herum :D


    Zitat

    Formalismus ist je ein böser Stalinbegriff und wurde ja genau für die Künstler verwendet, die es nicht waren. Ich wehre mich entschieden dagegen, Musik nur noch unter formalen Gesichtspunkten wie den "richtigen" Instrumenten, dem "richtigen" Tempo und was weiss ich für sonst noch "richtigen" Parametern zu bewerten. Musik soll unterhalten und nicht quasireligiös daher kommen.


    eben genau das hat die HIP Bewegung abgestreift - wie ich schon sagte, Du scheinst über das was da wirklich gemacht wird nicht wirklich informiert zu sein.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • jepp, aber das meinte ich - die Stadtschlösser haben alle mehrere Heizmöglichkeiten.



    Allerdings kann es auch sein, dass man nicht heizt, weil man eben dafür die alten Öfen und Kamine in Betrieb nehmen müsste und da ist der denkmalschutz in unserem Land und die Brandverordnung ohne Mitleid.


    Es ist ja meistens auch verboten für spezielle Anlässe die Säle mit Kerzen zu beleuchten - Sicherheit geht eben über alles :rolleyes:

  • Dafür fackelt man die historischen Gebäude dann beim Dach-Reparieren ab ...
    :stumm:
    Wie war noch das Thema? ...
    Alfred fragte ja auch nach dem WARUM.


    Da wäre ich neugierig, was Luis meint, warum HIP im Barock die "moderne" Spielweise verdrängt hat - vor allem, wenn er meint, dass es schlecht klinge.


    Meine Erklärung wäre ja eher, dass die Musik so besser rüberkommt. Das ging auch nicht von heute auf morgen, "das Publikum" hat ein wenig Zeit gebraucht, vor 15 Jahren gab es noch öfter so etwas zu hören wie hier von Luis, selbst Adam Fischer hat vom Dirigentenpodest sowas ähnliches von sich gegeben - offenbar wurde er inzwischen bekehrt und seine Haydn-Gesamtaufnahme der Sinfonien scheint ja einen Stilbruch aufzuweisen. Ich habe auch den Eindruck, dass in der Dirigentenausbildung HIP inzwischen dazugehört, weshalb die Karajan- und Böhm/Brendel-Klänge recht bald aus den Konzertsälen verschwinden werden (Bach bis Haydn betreffend).

  • Na, da ist das Wespennest ja aufgescheucht.


    Jetzt mal langsam mit den Pferden.


    Ich habe nie behauptet, dass HIP schlecht klingt und auch nie gesagt, dass eine historische Aufführungspraxis grundsätzlich schlecht sei.


    Die Frage Alfreds und die ersten Repliken implizieren aber meiner Meinung nach, dass quasi sämtliche Aufnahmen, die bisher erschienen sind und nicht HIP sind, quasi minderwertig und dem Komponisten und seinen Vorstellungen nicht angemessen sind.


    Dagegen wehre ich mich. Ich verwehre mich gegen ein Kunstdiktat und eben gegen jegliche Form einer rückwärtsgewandten, verklärenden Ideologie. Wir leben im 21. Jht und nehmen die Errungenschaften, die uns nutzen und die unser Leben schöner, besser, leichter machen, als sebstverständlich hin.
    Und gleichzeitig besteht die Tendenz, dass alles Frühere viel besser und so viel schöner war.


    Wenn einer sein Cello von 1710 mit Darm- statt Stahlsaiten bespannt und es sich lieber zwischen die Oberschenkel klemmt als es mittels Stachel auf den Boden zu stellen, bitte. Und es ist mir auch völlig egal, ob jetzt der Lullist sich nur CDs mit HIP-Ensembles ins Regal stellt und sich mit dem Barock ausdauernd und umfangreich beschäftigt. Das finde ich sogar gut und ich lese die Beiträge auch mit Interesse, weil sie fundiert sind.


    Mich nervt nur das Kunstdiktat, so als wäre die Welt früher so viel toller gewesen und der Komponist hat wirklich nur für diese Instrumente und für dieses Klangbild gearbeitet. Es blieb schlicht keine andere Wahl als mit dem zu arbeiten, was da war. Hätte sich vermutlich auch keiner träumen lassen, dass man nicht mehr mit Kutschen fährt und nicht die Hälfte der Kinder wegstirbt.


    Wir leben in einem Zeitalter mit unfassbaren technischen Möglichkeiten und nutzen die lediglich dafür, das Alte wiederauferstehen zu lassen. Wollen wir dann auch bald den Absolutismus oder das Faustrecht zurück? Den Steuereintreiber, der sich den 10. gleich an der Tür abholt, egal, ob dann noch genug Essen für die Familie bleibt? Zwangsrekrutierung? Unbeheizte und ungedämmte Hütten?


    Ich bestreite nicht, dass barocke Pracht nicht nur beeindruckend, sondern auch schön ist. Und wenn ich Bach, Händel, Fasch höre, dann frage ich mich auch, wie es unsere Gesellschaft zu Schni-schna-Schnappi und Anton aus Tirol bringen konnte. Aber die schönen und angenehmen Teilbereiche machen noch kein gesellschaftliches Leben aus.


    Es soll dem Geschmack und dem Interesse des Hörers überlassen bleiben, welche Einspielung er bevorzugt. Oder gibt es dann auch bald Vorschriften, dass auch nationale Vorgaben beachtet werden müssen, Frauen nicht mehr mitspielen dürfen (da historisch vermutlich nur bedingt zulässig) oder wir beim Hören Perückenzwang haben?


    Ich schreibe nicht gegen HIP und ich kenne eine ganze Reihe hervorragender HIP-Aufnahmen. Ich will auch auf HIP in manchen Bereichen nicht verzichten. Ich will mir aber eine Wahl erhalten und ich möchte auch sog. Hybrid-Aufnahmen behalten. Ich verwehre mich nur gegen ein zwingend vorgegebenes Klangbild und gegen eine Pseudo-Restitution des öffentlichen Raumes. Oder schließen wir jetzt das Forum und kehren zur Depeschenüberbringung zurück?



    PS. Das mit den Temperaturen im Schloß habe ich in einem Film über Haydn erfahren. Das hat der Schriftsteller und Esterhazy-Nachfahre Peter erzählt. Ich nehme an, er hat sich dabei auch auf fundiertes Wissen berufen.
    Und mal unter uns: Die Öfen und Kamine, die in so einem Raum stehen, erzielen niemals einen ausreichend hohen Wirkungsgrad, um die zugigen, schlecht gedämmten, mit verzogenen Fenstern versehenen und reisengroßen Räume ausreichend zu beheizen.
    Da steht ein Kachelofen in einem Raum von 2-300 qm und einer Höhe von 6 m. Ich bin ja kein Wärmetechniker, aber so viel Erfahrung habe ich mit Zentralheizungen, um zu wissen, dass das nicht geht.

  • Zitat

    Eine ganze Szene die sich dem Reenactment verschrieben hat. guck z.B. hier:


    http://www.lumieres.de/
    http://www.mauritia.de
    http://www.18tes-jahrhundert.de/


    Ist die Frau von Louis nicht Psychologin? Für die muss das ja ein gefundenes Fressen sein!! :D :D :D


    Aber Scherz beiseite: ich glaube nicht, dass hier von passen oder nicht passen die Rede ist. Die Rolle rückwärts – und das ist nun meine Privatmeinung – empfinde ich hauptsächlich als Flucht aus einer unwirtlich empfundenen Welt in eine angenehmer gewähnte (die Kölner Hunnen-Horde - Brauchtumspflege nennen die das - passt auch ganz gut in dieses Bild).


    Was nun die Einspielungen betrifft sehe ich mich durchaus in einer gewissen Nachbarschaft zu Louis. Dass es sich um eine Mode handelt sehe ich indes nicht. Dafür fährt der HIP-Zug schon viel zu lange. Einzelne Proto-Hip-Bemühungen (das Wort danke ich JR) hinzugerechnet ist diese faszinierende Forschungstätigkeit seit den 1950er Jahren auf Tonträger dokumentiert.


    Die Anzahl der Neuaufnahmen, die nicht HIP sind, wird wohl tatsächlich zurückgehen und letztlich verschwinden. Warum auch nicht: diese Sichtweise ist in unüberschaubarer Menge bereits auf Tonträger veröffentlicht. Und mit der Öffnung der Rundfunkarchive nimmt diese Zahl munter zu.


    Verständlich, dass Neuaufnahmen heutige wissenschaftliche Erkenntnisse widerspiegeln. So gesehen ist HIP nicht die Rolle rückwärts, als die man es zuweilen ansieht. Muss mir nun das Aufbrechen meiner vertrauten Hörgewohnheiten gefallen? Nein, natürlich nicht. Und ich kann auch ganz gut damit leben, daß das Tatrai-Quartett die Haydn-Quartette den Noten nach richtig, dem Stile nach falsch spielt, wenn mir diese Aufnahme um Längen besser gefällt als die korrekte Deutung durch die Festetics.


    Aber – und das hat der Lullist an anderer Stelle des Forum schon ganz richtig festgehalten – das Kunstwerk muss mir gefallen. Mir. Ganz persönlich. Weder bin ich Musikwissenschaftler, noch ausübender Musiker; ich lade mir in meine Wohnung schlicht und ergreifend die Ensembles ein, die ich gerne hören möchte.


    Und des Lullisten Frage, welche nicht-hippen Einspielungen den schön seien, beantworte ich gern: alles, was Karl Münchinger an Barock dirgiert hat, Roberto Fasanos Solisti di Roma waren auch kein HIP-Ensemble, Bach mit Klemperer und Richte… Die Geschmäcker sind sehr verschieden.


    Dass es einige HIP-Einspielungen gibt, die ich außerordentlich schätze, will ich gar nicht unterschlagen (werden aus Sicht der HIP-Dogamatiker wohl die Falschen sein :pfeif: ) . Ein Dogma wird daraus aber für mich nie werden.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Ich will mir aber eine Wahl erhalten und ich möchte auch sog. Hybrid-Aufnahmen behalten. Ich verwehre mich nur gegen ein zwingend vorgegebenes Klangbild


    Aufnahmen behalten kannst Du sowieso ...
    ;)
    Wahl hat man auch genug, da im HIP-Bereich für Alte Musik die Differenzen gerade in der Klanglichkeit mE viel größer sind, als wenn man verschiedene Aufnahmen von Stockhausen- oder Boulezwerken vergleicht.


    Es wird aber manches verschwinden und das liegt weniger am Instrumentarium sondern eher daran, dass junge Musiker um HIP in der Ausbildung nicht mehr herumkommen werden - d.h. dass in einigen Jahrzehnten womöglich alle Orchestermusiker "historisch informiert" sind, und es somit keine "normalen" Orchester, wie sie heute gegen die HIP-Orchester ausgespielt werden können, mehr geben wird. Also in den Berliner Philharmonikern sitzen dann nur mehr Leute drin, die auch auf alten Instrumenten/Nachbauten Erfahrung haben und über Aufführungspraxis früherer Zeiten ein wenig Bescheid wissen.


    Womit ich wieder zu dem Punkt komme, dass die Hybrid-Aufführungen mit Kostenfragen zusammenhängen werden. Wieviele Instrumente bräuchte ein Klarinettist, um alles vom Barock-Chalumeau bis zu Werken von Jörg Widmann auf "Originalinstrumenten" präsentieren zu können?


    Also wird "Hybrid" der Normalfall sein und streng-HIP Luxus.
    :hello:

  • Ich danke Thomas Pape für seine Ausführungen. Und für den Satz von Claude Lévi-Strauss, der das alles noch mal sehr schön zusammenfasst.


    Entwicklungen wie vom KSM beschrieben werden nicht ausbleiben und auch nicht unbedingt aufgehalten werden können. Ob sie sinnvoll sind, weiss ich nicht. An Kunsthochschulen wird auch Kunstgeschichte gelehrt, deshalb malt aber auch keiner mehr im Stile Rubens'.


    Die Anfänge von HIP waren einer Idee geschuldet, eine Alternative zum "Standardklang" zu entwickeln. Das war interessant und ist zT auch heute sicherlich noch hörenswert. Was passiert aber mit einem Orchester wie dem WPO oder dem BPO? Streichen die nun die Hälfte ihrer Stellen, weil man für HIP in aller Regel deutlich weniger Musiker braucht? Baut man in der Münchner Staatsoper zwei Ränge ab, weil wegen des kleineren Orchesters natürlich auch der Gesamtklang leiser und dafür differenzierter wird, aber im 4. Rang Musik "verloren" geht?
    Muss ich mir in Zukunft aussuchen, ob ich ein HIP- oder ein modernes Abo will? Oder schleppen die Musiker zwei oder mehr Instrumente auf die Bühne, je nach Stück?


    Durch diese Entwicklungen geht für mich Vielfalt verloren wie sie durch HIP erst gekommen ist. HIP dient dann nicht mehr der Alternative, der Entdeckung eines möglicherweise authentischen Klangbildes, sondern wird schlicht normiert. Der Dirigent entwickelt dann einfach seine Interpretation anhand des Orchesters, das zur Verfügung steht. Er will ja nicht historisieren oder rekonstruieren, sondern interpretieren. Und damit führt sich der Sinn des HIP ad absurdum. Es geht dann tatsächlich nur noch um das Material und nicht mehr um die Musik.


    Und eines Tages kommt dann ein schlaues Kerlchen und denkt sich, warum eigentlich nur Schostakowitsch mit großem Orchester? Wie würde eigentlich Bach klingen??

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Streichen die nun die Hälfte ihrer Stellen, weil man für HIP in aller Regel deutlich weniger Musiker braucht?


    ?(
    Die WPO/BPO spielen schon heute Haydn in eher kleinerer Besetzung und warum sollte man bei einem HIP-Bruckner weniger Musiker brauchen als bei einem nicht-HIP-Bruckner?


    Zitat

    Muss ich mir in Zukunft aussuchen, ob ich ein HIP- oder ein modernes Abo will? Oder schleppen die Musiker zwei oder mehr Instrumente auf die Bühne, je nach Stück?


    Genau das ist die Frage. Womöglich wird es die Unterscheidung HIP / nicht-HIP nicht mehr geben.


    Zitat

    HIP dient dann nicht mehr der Alternative, der Entdeckung eines möglicherweise authentischen Klangbildes, sondern wird schlicht normiert.


    Ähm - HIP würde nicht "normiert" sondern eher "Norm". Eine "Normierung" von HIP wird nie stattfinden.


    Zitat

    Er will ja nicht historisieren oder rekonstruieren, sondern interpretieren. Und damit führt sich der Sinn des HIP ad absurdum. Es geht dann tatsächlich nur noch um das Material und nicht mehr um die Musik.


    Ich kann Dir nicht folgen.
    Was soll das bedeuten?


    Zitat

    Und eines Tages kommt dann ein schlaues Kerlchen und denkt sich, warum eigentlich nur Schostakowitsch mit großem Orchester? Wie würde eigentlich Bach klingen??


    Du verwechselst HIP mit kleiner Besetzung. Corelli hatte z.B. ein großes Orchester, was in HIP beim Ensemble 415 ebenso stattfindet. Das schlaue Kerlchen ist offenbar nicht sehr schlau.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape


    Ist die Frau von Louis nicht Psychologin? Für die muss das ja ein gefundenes Fressen sein!! :D :D :D


    Ich kann durchaus nachvollziehen, daß man der heutigen übertechnisierten Welt gerne entfliehen möchte, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, und sich nicht mit Technik - die ohnehin in den seltensten Fällen hält, was sie verspricht - herumplagen möchte, sondern lieber zu den einfachen Mitteln und einer anderen Lebensweise zurückgreift. Diese hat natürlich auch ihre unangenehmen Seiten, aber diese kann man wenigstens beseitigen - bei technischen Problemen hilft in der Regel nur ein Wurf durchs geschlossene Fenster...



    Zitat


    Verständlich, dass Neuaufnahmen heutige wissenschaftliche Erkenntnisse widerspiegeln. So gesehen ist HIP nicht die Rolle rückwärts, als die man es zuweilen ansieht. Muss mir nun das Aufbrechen meiner vertrauten Hörgewohnheiten gefallen? Nein, natürlich nicht. Und ich kann auch ganz gut damit leben, daß das Tatrai-Quartett die Haydn-Quartette den Noten nach richtig, dem Stile nach falsch spielt, wenn mir diese Aufnahme um Längen besser gefällt als die korrekte Deutung durch die Festetics.


    Ob die Festetics 'korrekt' interpretieren, sei mal dahingestellt: Ich erhöre hier oftmals in den hohen Lagen Unschärfen, die für mich falsch klingen. Ich ließ mich aber belehren, daß dies so richtig sei - gewöhnen kann ich mich daran nicht wirklich. Faszinierend ist jedoch der Klang der Instrumente! Problematisch ist allerdings der den Aufnahmen der 50er und 60er Jahre zugrundeliegende Notentext, der eben oftmals grob fahrlässig ist und leider in weiten Teilen nicht dem entspricht, was im Autograph steht. Ich sehe da z.B. Clara Haskils vielgerühmte Einspielungen der Mozartschen Klavierkonzerte - besser spielen kann man es sicher kaum - richtiger durchaus.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Nochmal langsam: HIP war doch, soweit ich das verstanden habe, gedacht, um eine historisch fundierte Aufführungspraxis zu ermöglichen, einen zur Zeit des Komponisten bestehenden Ensembleklang wiederherzustellen.


    Jetzt sind wir aber schon an dem Punkt, dass wir nur noch von den Instrumenten sprechen, uns also gar nicht mehr um den Originalklang bemühen. Ob der Corelli mit 20 oder 50 Musikern aufgetreten ist, spielt also keine Rolle mehr, Hauptsache Instrumente wie damals. Und die Konzertbesucher erscheinen mit Strumpfhosen und Perücke, egal, ob der Porsche statt der Kutsche vor der Tür steht.


    Wenn dann alle Orchester umgerüstet haben, kommt dann ein junger Bernstein, der sich nach ausgiebigem Partiturstudium und mit Beschäftigung von Klangbildern denkt: "Jetzt lassen wir es mal krachen, so wie ich mir das vorstelle". Er interpretiert Bach, Händel, Vivaldi wie er sich das denkt und kümmert sich nicht so sehr um das Leben der Herren Komponisten vor ein paar hundert Jahren. Wofür eine Händel-Oper im Tempo des 18.Jhts einspielen, wenn man es auch zügiger, mit mehr Kanten und verspielter machen kann, ist doch alles Interpretationssache. Der junge Bernstein hat schließlich nicht nur was über HIP, sondern auch über die Moderne gelernt.
    Und dann sitzen da die Musiker mit ihren alten oder nachgebauten Instrumenten und spielen das, wie der junge Bernstein es sich vorstellt. Klingt toll, hat nur mit HIP nichts mehr zu tun. Ist einfach eine neue Werkinterpretation, nur mit alten Instrumenten. Und weil der junge Bernstein es so schön macht, kommen die jungen Karajans, Böhms, Jansons auf die Idee, es genauso zu machen. Warum auch nicht, wenn es den Leuten gefällt?


    Und dann kommt ein junger Harnoncourt, der Schostakowitsch dirigiert und denkt: "Hoppala, wie würde sich eigentlich so ein Boccherini anhören, wenn man den mit einem so großen Orchester spielt? Gab es da nicht mal so einen Rostropowitsch, der die Cellokonzerte mit einem solchen Orchester aufgenommen hat?"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Jetzt sind wir aber schon an dem Punkt, dass wir nur noch von den Instrumenten sprechen, uns also gar nicht mehr um den Originalklang bemühen.


    Wie kommst Du zu der Idee?

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Jetzt sind wir aber schon an dem Punkt, dass wir nur noch von den Instrumenten sprechen, uns also gar nicht mehr um den Originalklang bemühen. Ob der Corelli mit 20 oder 50 Musikern aufgetreten ist, spielt also keine Rolle mehr, Hauptsache Instrumente wie damals.


    ?( ?( ?(


    Was tun wohl Instrumente, wenn man sie bespielt? ----> Klingen, genau. :beatnik:


    Und beim Streichquartett stellt sich die Frage nach Besetzungsgöße z.B. nicht immer...


    Im Ernst: Die HIPler achten durchaus auf eine angemessene Besetzungsgröße - insbesondere z.B. das schon w.o. genannte Ensemble 415, das eben kein unbewegliches Großensemble ist, sondern ein Instrumentalisten-Pool, der sich je nach Bedarf formiert.


    Zitat

    Wenn dann alle Orchester umgerüstet haben, kommt dann ein junger Bernstein, der sich nach ausgiebigem Partiturstudium und mit Beschäftigung von Klangbildern denkt: "Jetzt lassen wir es mal krachen, so wie ich mir das vorstelle". Er interpretiert Bach, Händel, Vivaldi wie er sich das denkt und kümmert sich nicht so sehr um das Leben der Herren Komponisten vor ein paar hundert Jahren. Wofür eine Händel-Oper im Tempo des 18.Jhts einspielen, wenn man es auch zügiger, mit mehr Kanten und verspielter machen kann, ist doch alles Interpretationssache. Der junge Bernstein hat schließlich nicht nur was über HIP, sondern auch über die Moderne gelernt.
    Und dann sitzen da die Musiker mit ihren alten oder nachgebauten Instrumenten und spielen das, wie der junge Bernstein es sich vorstellt. Klingt toll, hat nur mit HIP nichts mehr zu tun. Ist einfach eine neue Werkinterpretation, nur mit alten Instrumenten. Und weil der junge Bernstein es so schön macht, kommen die jungen Karajans, Böhms, Jansons auf die Idee, es genauso zu machen. Warum auch nicht, wenn es den Leuten gefällt?


    Ist das nicht sowieso so?


    Zitat


    Und dann kommt ein junger Harnoncourt, der Schostakowitsch dirigiert und denkt: "Hoppala, wie würde sich eigentlich so ein Boccherini anhören, wenn man den mit einem so großen Orchester spielt?


    Würd mich ehrlich nicht wundern... :baeh01:



    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Problematisch ist allerdings der den Aufnahmen der 50er und 60er Jahre zugrundeliegende Notentext, der eben oftmals grob fahrlässig ist und leider in weiten Teilen nicht dem entspricht, was im Autograph steht. Ich sehe da z.B. Clara Haskils vielgerühmte Einspielungen der Mozartschen Klavierkonzerte - besser spielen kann man es sicher kaum - richtiger durchaus.


    :hello:


    Ulli


    Das ist ein für mich sehr wichtiger Aspekt: das nämlich nicht nur die angemessene Spielweise erforscht wird, sondern auch der Notentext. Günter Wand hat in einem Interview erwähnt, dass er in den frühen 1950ern das Gürzenich-Orchester mit redigierten Beethoven-Partituren hat spielen lassen, die Besetzung auf die Vorgaben Beethovens reduziert und alle "romantisierenden" Eingriffe herausgenommen.


    Hinter solche Forschungsergebnisse kann es eigentlich kein zurück mehr geben (siehe auch die Sinfonien Bruckners, für die Ben Cohrs gegenwärtig eine verbindliche Ausgabe erarbeitet). Und ein Knaller wäre es wirklich, wenn einmal die Originalpartitur von Schostakowitschs 4. Sinfonie auftauchen würde.


    Um auf die Instrumente zurückzukommen: die historischen Instrumente sind doch schon recht früh wieder reaktiviert worden. Zumindest Soloinstrumente wie das Klavier. Und Exoten wie das Arpeggion, Viola d'amora u.ä. Beim Baryton bin ich mir jetzt nicht sicher, ob das nicht durch Bratschen ersetzt worden ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ist das nicht sowieso so?


    Das führt mich zu der Idee, dass wir ein historisch informiertes Publikum brauchen ...
    :faint:
    Der "Kenner" muss also nicht nur Musiktheorie und Instrumentalpraxis drauf haben, sondern auch über den aktuellen Forschungsstand in HIP Bescheid wissen.
    :baby:

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Beim Baryton bin ich mir jetzt nicht sicher, ob das nicht durch Bratschen ersetzt worden ist.


    [SIZE=7]Von regelmäßigen Unregelmäßigkeiten mal abgesehen:[/SIZE]


    Regelmäßig durch das Violonzell.


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose