Verblichener Ruhm ? - Die Dirigenten

  • Liebe Forianer


    Kenner meiner Threadtitel werden wohl schon bemerkt haben, daß es sich nicht allein um verstorbene Dirigenten handeln kann, daß ich vielmehr auch das "Vergessen" die verbleichende Erinnerung hier mit einbeziehen will.


    Und genau gegen dieses Verbleichen will ich versuchen etwas zu unternehmen, obwohl es ja im Grunde ein Kampf gegen Windmühlenflügel ist.


    Große Namen von Dirigenten, welche vor ein paar Jahren noch die Klassikszene beherrschten, scheinen wie von der Bildfläche verschwunden.


    Generell war das schon immer so, aber man dachte, es sei darauf zurückzuführen, daß man einen verstorbenen Dirigenten eben nicht mehr hören kann, bzw in unzureichender Qualität. Mit Einführung der HIFI-Stereo Schallplatte schien dieser Bann gebrochen, man machte Musik für die Ewigkeit.


    Ein Irrtum - so scheint es - abgesehen von Karajan und einigen wenigen anderen verschwinden Aufnahmen einst berühmter Dirigenten - auch solche in erstklassiger Aufnahmetechnik - nach und nach aus den Regalen. Sir Georg Solti ist hier nur die Spitze des Eisbergs: einst mit Karajan Kopf an Kopf, gilt er heute nahezu als vergessen. Aber er ist nicht der einzige große Dirigent, der allmählich aus dem Bewusstsein der Klassikhörer verschwindet. Steckt hier System dahinter - oder ist deren Interpretationsstil heute nicht mehr attraktiv ?


    Die interessantesten Dirigenten dieses Threads wollen wir dann in ihren entsprechenden Threads wieder in Erinnerung rufen, bzw solche erstellen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Interessante Überlegungen, lieber Alfred,


    und ich halte auch direkt dagegen: im Nachruhm zeigt sich die eigentliche Qualität. Mit Toten ist im Klassikbereich nur bedingt ein Geschäft zu machen (und das ist ja wohl das Grundgesetz eines jeden ökonomischen Handelns). Karajan ist da ein ähnlicher Sonderfall wie Caruso. Nachrangig genannt vielleicht noch Callas. Punkt. Da endet es.


    Und das Nachleben? Nun, wenn ich an meine Idole Ansermet und Knappertsbusch denke, Schuricht und Wand noch hinzunehme und noch weitere, von mir geschätzte wie Münchinger so haben die alle noch ihre Liebhabergemeinde.


    Sie sind zeitlos.


    Dem Liebhaber sind fast alle präsent und es ist unfair, den Stern von Alten dadurch zum Erblassen bringen zu wollen, indem man ihnen die magere Aufzeichnugstechnik vorwirft.


    Im Thread der Brahmssinfonien dominierten in den Rankings die Einspielungen von Bruno Walter und Otto Klemperer. Da widerspreche ich nicht.


    Sagen wir es einmal so: der wirkliche Star der Klassikszene ist omnipräsent. Wir können heute schlicht nicht sagen, ob der hochgejubelte Künstler xy ein Stern, ein Fixstern gar, ein Komet oder nur eine Sternschnuppe ist.


    Ich greife jetzt als Beleg in die Publikatiosnliste eines meiner Idole, nämlich Jascha Horensteins: Mittlerweile übertrifft die Anzahl der posthumen Veröffentlichungen diejenige der offiziellen, von ihm abgesegneten. 35 Jahre nach seinem Tod haben seine Interpretationen eine Fangemeinde, eine Gemeinde, die ihm nahzu überall hin folgt.


    Als Schüler hat mich ein Satz eines meiner Lehrer sehr beeindruckt: "Vox populi, vox rindvieh" Der Mann hatte recht.


    Wenn ich mir die Neu- und Wiederveröffentlichungen von dahingegangenen Künstlern anschaue wird's mir fast bange um den Nachwuchs. So schnell, lieber Alfred, verbleicht niemand von Graden, ohne dem Nachfolger ein undankbares Erbe zu hinterlassen.


    Die Aufzeichnungstechnik hat den Künstlern auch ihre Grenzen gezeigt. Ein Karajan mochte Bach für die Schallplatte einspielen. Er wurde dadurch aber auch angreifbar. Weil nachhörbar. Definitif wird Karajan als ein ganz Großer überleben. Allerdings nicht mit den hinterlassenen 800 Platten, sondern nur mit vielleicht 200 (ist auch schon eine ganze Menge).


    In der abschließenden Bewertung von Karajan und Böhm geht es mir nicht um die Medienresonanz, sondern um die musikalische Leistung. Und da haben beide Ewigkeitsaufnahmen geschaffen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ...
    Sir Georg Solti ist hier nur die Spitze des Eisbergs: einst mit Karajan Kopf an Kopf, gilt er heute nahezu als vergessen.
    ...


    Das ist aber wohl eine kapitale Fehleinschätzung deinerseits! Ein Blick auf Amazon.de ergibt weit über 500 CD-Titel, die du großteils noch bekommen kannst. Das sind etwa 300 zuviel für einen nahezu vergessenen! Bei Solti ist es so, dass er nach seinem Abgang nach Amerika in Europa nicht mehr so präsent war und nur in den Sommern zur Festspielzeit bei uns zu sehen war. Vermutlich ist er daher heute in Amerika noch bekannter als in Europa.


    Von seinem riesigen Platten-Repertoire wird sicherlich am symphonischen Sektor einiges überdauern. An erster Stelle wohl Mahler, Bartok, Strauss, Beethoven. Aber noch viel präsenter ist er am Opernsektor.


    Allein die Tatsache, dass er den ersten vollendeten Studio-Ring dirigiert hat, macht ihn unsterblich. Weiters war er der erste Dirigent, der die großen 10 Wagner-Opern eingespielt hat. Und neben dem Ring haben zumindest noch Tannhäuser und Parsifal Ewigkeitswert. Mit Salome und Elektra hat er Monumente der Strauss-Diskographie hinterlassen, dicht gefolgt von Rosenkavalier, Ariadne, Arabella und FroSch. Es gibt ein paar sehr gute Mozart-Opern und von Verdi großartige Rigoletto, Maskenball, Don Carlos und Aida. Wieviele Dirigenten kennst du, die bei diesen vier Größen Bleibendes hinterlassen haben? Es sind schlicht und einfach deine musikalischen Präferenzen, die ihn bei DIR vielleicht vergessen haben lassen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Das ist aber wohl eine kapitale Fehleinschätzung deinerseits! Ein Blick auf Amazon.de ergibt weit über 500 CD-Titel, die du großteils noch bekommen kannst. Das sind etwa 300 zuviel für einen nahezu vergessenen! Bei Solti ist es so, dass er nach seinem Abgang nach Amerika in Europa nicht mehr so präsent war und nur in den Sommern zur Festspielzeit bei uns zu sehen war. Vermutlich ist er daher heute in Amerika noch bekannter als in Europa.


    Vermutlich. Wobei Solti meinem Eindruck nach ein recht "gleichmäßig" bekannter Musiker ist/war. Anders z.B. Ormandy oder Stokowski, die in den USA wesentlich angesehener waren oder noch sind und in Deutschland eher als Klangzauberer ohne Tiefgang galten.


    Zitat


    Allein die Tatsache, dass er den ersten vollendeten Studio-Ring dirigiert hat, macht ihn unsterblich. Weiters war er der erste Dirigent, der die großen 10 Wagner-Opern eingespielt hat. Und neben dem Ring haben zumindest noch Tannhäuser und Parsifal Ewigkeitswert. Mit Salome und Elektra hat er Monumente der Strauss-Diskographie hinterlassen, dicht gefolgt von Rosenkavalier, Ariadne, Arabella und FroSch. Es gibt ein paar sehr gute Mozart-Opern und von Verdi großartige Rigoletto, Maskenball, Don Carlos und Aida. Wieviele Dirigenten kennst du, die bei diesen vier Größen Bleibendes hinterlassen haben? Es sind schlicht und einfach deine musikalischen Präferenzen, die ihn bei DIR vergessen haben lassen.


    Und als Mozart- und Haydn-Dirigent war Solti auch zu Lebzeiten nicht in erster Linie bekannt (wiewohl die Wiener Zauberflöte ausgezeichnet ist und m.E. durchaus mit einigen berühmteren mithalten kann)).
    Dazu kommt auch noch die Decca-Klangqualität... Die Sinfonien von Mahler, Bruckner und Brahms sowie andere romantische Orchesterwerke dürften ebenfalls kaum je die Kataloge verlassen haben und sich immer noch ordentlich verkaufen.


    "Verblichen" sind m.E. ganz andere.
    Zum einen die, die vor dem LP oder Stereo-Zeitalter gestorben sind und daher keine oder verhältnismäßig wenige Einspielungen in guter Qualität hinterlassen haben, z.B. Weingartner, Fritz Busch, Koussevitzky. Selbst C. Krauss, E. Kleiber, Scherchen oder Schuricht sind heute eher Geheimtips. Unter den Prä-Stereo-Dirigenten dürften heute Furtwängler und Toscanini bekannter sein als der Rest zusammengenommen.


    Dann Dirigenten, die (nicht immer völlig zu Unrecht) als "biedere Kapellmeister" galten, mit Fokussierung auf dem deutsch-österreichischen Repertoire (wo die Konkurrenz übermächtig geworden ist), z.B. Krips oder Keilberth, Konwitschny, vielleicht sogar Jochum und Leinsdorf.


    Von französischen, tschechischen oder russischen Dirigenten der 40er/50er nicht anzufangen; die kenne ich selbst höchstens dem Namen nach.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    ...
    Dann Dirigenten, die (nicht immer völlig zu Unrecht) als "biedere Kapellmeister" galten, mit Fokussierung auf dem deutsch-österreichischen Repertoire (wo die Konkurrenz übermächtig geworden ist), z.B. Krips oder Keilberth, Konwitschny, vielleicht sogar Jochum und Leinsdorf.
    ...


    Nun ja, ob Krips und Leinsdorf unter "biedere Kapellmeister" fallen, möchte ich bezweifeln. Aber sie sind sicher heute schon ziemlich unbekannt. Hauptgrund ist natürlich, dass ihre Aufnahmen immer spärlicher zu bekommen sind und damit auch ihre Spitzenleistungen daher wegen mangelnder Präsenz nur mehr Kennern bekannt sind. Teilweise sind sie auch Opfer musikalischer Moden. Der Inbegriff eines klassischen Mozart à la Krips ist im Moment nicht so sehr gefragt. Glücklicherweise wurden seine Philips-Mozart-Symphonien jetzt unter dem Label Decca wieder herausgegeben - und sie werden nicht verramscht sondern wollen noch ordentlich bezahlt werden!


    Ein anderer Riese, von dem schon schmerzhaft selten zu hören und lesen ist, ist Rudolf Kempe. Obwohl von ihm noch einiges zu bekommen ist, streicht die EMI fleißig im Katalog oder verscherbelt ihn an Billigstlabel.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Nun ja, ob Krips und Leinsdorf unter "biedere Kapellmeister" fallen, möchte ich bezweifeln. Aber sie sind sicher heute schon ziemlich unbekannt.


    Es ging mir um letzteres, das Label ist eher versuchsweise geprägt, auch als Erklärungsversuch.


    Zitat


    Hauptgrund ist natürlich, dass ihre Aufnahmen immer spärlicher zu bekommen sind und damit auch ihre Spitzenleistungen daher wegen mangelnder Präsenz nur mehr Kennern bekannt sind.


    Da haben wir freilich ein Henne-Ei-Problem ;)
    Sind sie nicht bekannt, weil nicht auf dem Markt, oder nicht auf dem Markt, weil aus irgendeine Grunde nicht mehr populär?


    Zitat


    Teilweise sind sie auch Opfer musikalischer Moden. Der Inbegriff eines klassischen Mozart à la Krips ist im Moment nicht so sehr gefragt. Glücklicherweise wurden seine Philips-Mozart-Symphonien jetzt unter dem Label Decca wieder herausgegeben - und sie werden nicht verramscht sondern wollen noch ordentlich bezahlt werden!


    Ja, ähnlich überschätzt wie Böhm und insgesamt ziemlich langweilig :D
    Es waren aber zumindest einige dieser Sinfonien durchweg auch im CD-Katalog (die Opern sowieso) mit Klassikerstatus, und noch ich bin vor gut 20 Jahren damit aufgewachsen.


    Hier mal eine Liste, wer noch alles "verblichen" sein könnte...


    Ansermet war meinem Eindruck nach zwischenzeitlich auch mal fast in der Versenkung verschwunden, was sich aber wieder geändert zu haben scheint; es sind eine oder zwei Boxen wieder erschienen und bei "Australian eloquence" wohl der Großteil seiner Decca-Einspielungen.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Karajan ist ja so ziemlich der einzige Dirigent dessen Andenken unangetastet ist, vielleicht auch deshalb weil so oft versucht wurde es anzupatzen.
    Wie das bei Böhm aussieht, das weiß ich nicht genau - in meiner Gegenwart wird er immer wieder präsent sein- ob das meiner Umwelt nun passt oder nicht :untertauch: :P
    Allerdings ist hier ein gewisser Trend zu bemerken eher unbekannte Aufnahmen, zum Teil bisher unveröffentlichte Livemitschnitte aus den Archiven zu holen und zu veröffentlichen.


    Krips ist ein tragischer Fall, er ist neben Karl Böhm und Bruno Walter wirklich einer der ganz großen Mozart Interpreten gewesen - und natürlich auch von Gustav Mahler.


    Otto Klemperer, Georg Solti und Ernest Ansermet - sind sie am Plattenmarkt überhaupt noch präsent ? Zu Recht wurde übrigens darauf hingewiesen, daß Solti allein durch die Aufnahme des Rings bereits ein Stück Schallplattengeschichte ist ....


    Aber wie schauts aus mit Sinopoli und Giulini ?


    mfg


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ehrlich gesagt ist mein Eindruck genau umgekehrt, übrigens ganz besonders auch in diesem Forum:


    Die Toten, sie leben hoch!


    Böhm, Jochum, Klemperer, Szell, Barbirolli umd mal nur so einige zu nennen, werden gehört und gefeiert. Und dies obwohl viel -trotz aller digitaler Aufarbeitung - furchtbar klingt.


    Und über die kultische Verehrung der kürzlich Verstorbenen wie Kleiber, Wand oder Celibidache will ich erst gar nicht reden


    Manchmal kann man den Eindruck , die Rattles und Abbados kriegen nichts so richtig gebacken.

    marta

  • Von den vielen osteuropäischen Dirigenten sei hier doch mindestens einer erwähnt: der in Ungarn heute auch immer mehr "verblichene" Top-Dirigent János Ferencsik. Seine Diskographie ist hier zu lesen:


    http://www.hungaroton.hu/en/ca…t=&year=&month=&op=Search


    Meine geliebten Platten mit ihm sind:


    http://www.hungaroton.hu/en/node/2569
    Ein kleines Feuerwerk der "großen" Pianistengeneration Kocsis, Ranki,Schiff, Rohmann - im Namen von Mozart.


    http://www.hungaroton.hu/en/node/2150
    Das dritte Klavierkonzert von Bartók - ein mutiges Unternehmen vom jungen Dezso Ranki. Und nicht zu vergessen die rumänischen Kolinden (Christmas Melodien) und die Suite Op. 14 und die Sonatina Op. 15.


    :hello: KP

  • Klemperer war in den knapp 20 Jahren, die ich überblicke, immer auf CDs präsent; meinem Eindruck nach von den vor 1900 geborenen Dirigenten am besten vertreten (außer vielleicht Toscanini und natürlich Böhm, der aber deutlich jünger war). Zwar mitunter verwirrend, weil Editionen und Designs schnell abwechselten, aber fast alle wesentlichen Aufnahmen (Beethoven, Brahms, Mahler, Mozart) waren immer irgendwie greifbar. Einige länger vergriffene Haydn-Aufnahmen wurden unlängst in einer sehr günstigen Box herausgebracht. Ebenso erscheinen mehr und mehr Live-Aufnahmen auf Testament u.ä.
    Vergriffen sind seltsamerweise fast alle seine Bruckner-Sinfonien bei EMI, z. Zt. nur 4 und 6 erhältlich (es gibt noch 5, 7-9).


    Man kann Ansermet oder Klemperer m.E. nicht mit dem vermutlich am intensivsten vermarkteten Musiker der Jahrhunderts, HvK, vergleichen, der außerdem ja bis '89 gelebt hat. Aber diese Vermarktung ist sicher auch ein Grund für das Verbleichen manch anderer Größen. (Und schließlich kann ein Verbleichen auch ein angemessenes Urteil der Geschichte sein; es wird ja nicht nur zu unrecht vergessen.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat


    Original von Alfred
    Mit Einführung der HIFI-Stereo Schallplatte schien dieser Bann gebrochen, man machte Musik für die Ewigkeit. Ein Irrtum - so scheint es - abgesehen von Karajan und einigen wenigen anderen verschwinden Aufnahmen einst berühmter Dirigenten - auch solche in erstklassiger Aufnahmetechnik - nach und nach aus den Regalen.


    Nun hat es seitdem ja auch immer wieder Verbesserungen in aufnahmetechnischer Hinsicht gegeben - die Zeit blieb auch hier nicht stehen.
    Eine analoge Aufnahme aus den 70ern klingt meistens trotz bester heutiger Aufbereitungsversuche nicht so, wie eine hervorragend aufgenomme SACD-Multichannel ( und demnächst dann zunehmend Blu-Ray) aus dem Jahre 2009 klingen kann ( auf kein Fall muss, denn es kommt ja nicht nur auf die Technik der Aufzeichnungsmedien an, sondern vor allem auf die Mikrofonierung, den Raum, usw...dh. es kann auch in gewissen Fällen die ältere Aufnahme besser klingen)
    Die ersten Digitalaufnahmen der 80er wurden manchmal wohl aufgrund der Wortbreite und der niedrigen Samplingfrequenz als harsch und kalt klingend kritisiert, nicht immer zu Unrecht, finde ich.


    Hier wurde schon oft Karajan angesprochen.
    Sein in späten Jahren zunehmender Drang, etwas Ewiges, Unsterbliches zu hinterlassen, ist ja bekannt. Deswegen hat er auch diese Telemondial-Firma gegründet und jene Musikfilme im Kellerstudio produziert, die eigentlich für die digitale Bildplatte sein sollten.
    Er hat sich da insgesamt sehr verschätzt, denn dieses teure Medium setzte sich nicht durch.
    Telemondial war für ihn ein reines, privates Zuschussgeschäft, finanziell gesehen ein Flop...
    Zu seinen Lebzeiten konnte er z.B. auch nicht damit rechnen, dass das 4:3-Format irgendwann einmal abgelöst sein wird und seine Filme allein schon deshalb im Jahre 2009 irgendwie "alt"aussehen werden.


    Es kann also auch Gründe geben, Produktionen aus den 70er- oder 80er-Jahren aus technischen Gründen weniger nachzufragen - je nach Neigung und Schwerpunkt des Klassikkunden.


    Aber insgesamt stimmt das von Alfred beschriebene Szenario schon, doch es gilt m.E. für fast alle Dirigenten, Kammermusikensembles, Alte-Musik-Ensembles etc.
    Man muss manchmal unabhängig vom Geldbeutel zuschlagen, sonst kann es sein, dass man an bestimmte musikalisch hervorragende Aufnahmen überhaupt nicht mehr herankommt, höchstens im Glücksfall privat und gebraucht.


    Einerseits ist das eine bedauerliche und der künstlerischen Bedeutung sicher nicht immer entsprechende Entwicklung.
    Wie Johannes schon bemerkte, kann manchmal aber auch das Vergessen ein gerechtes Urteil der Geschichte sein.


    Für die heute lebenden Musiker erhöht sich durch dieses Vergessen aber andereseits die Chance, überhaupt noch auf dem Plattenmarkt wahrgenommen zu werden.
    Wer heute als Dirigent die Beethoven-Symphonien aufnimmt, der muss sich schon gegen eine langen Liste von "Mitbewerbern" am Markt durchsetzen. Diese oftmals berühmten Mitbewerber sind entweder noch lebendig oder schon tot.
    Das ist wohl schon schwer genug, weil man sich ja immer diesen Vergleichen aussetzt, die wir hier ja auch anstellen.


    Man stelle sich nur einmal vor, dass sämtliche Tondokumente Furtwänglers in DTS-HD-Master-Audioformat oder True-Dolby-HD vorlägen ( was ich mir wirklich sehr wünschte...) , vielleicht auch noch gleich mit HD-Bild in 1024er-Auflösung.
    Die Chancen für die heutigen Dirgenten, am Markt zu landen, wären wohl erheblich geringer, als sie es schon sind, denke ich.


    Trotzdem, ich wünschte mir, dass mit dem Erscheinen einer Neueinspielung nicht immer gleich ältere Aufnahmen im Bewusstsein der Leute und - manchmal auch suggeriert durch die entsprechende Werbung, die der Aufnahme etwas Neues zuschreibt-
    so zurückgedrängt sind, dass sie irgendwann keiner mehr haben will, und sie allein schon deshalb einfach vom Markt verschwinden.


    Letzten Endes sind auch hier die Marktgesetze bestimmend - sonst nichts.
    Man kann es sehr bedauern, aber ob wir es hier ändern können, bezweifle ich dann doch.
    Obwohl die Aufzeichnungstechnik die Unvergänglichkeit ermöglicht, wird es wohl am Ende doch so sein, dass mit der Zeit alles vergehen wird ( durch Vergessen) - nur gewisse Kompositionen nicht, z.B. die h-moll Messe Bachs.


    Dass es überhaupt diese vielen Furtwängler-CDs gibt, liegt m.E. nur daran, dass man weiss, dass bei diesem immer noch grossem Namen eine Nachfrage vorhanden sein wird.


    Ähnliches gilt für alles, was heute an Glenn Gould-Aufnahmen und Dokumentationen vorhanden ist und auch gut verkauft wird.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Verblichene Dirigenten gibt es zuhauf. Daß gerade Solti genannt wird, finde ich etwas seltsam, ist er ja, wie schon erwähnt, gerade in den Vereinigten Staaten noch omnipräsent (es kommt mir beinahe vor, als wäre er dort noch bekannter als Karajan).


    Aber wer außer dem Kenner kennt heute noch Dirigenten wie Hermann Abendroth, Berislav Klobucar, Lovro von Matacic, Carl Malles, Heinrich Hollreiser, Hans Zender, Dennis Russel Davies oder Edo de Waart?


    Von den meisten der vorgenannten gibt es im Gegensatz zu den allzeit präsenten wie Karajan, Bernstein oder Solti noch dazu kaum (Studio-)Aufnahmen, oft nur Live-Mitschnitte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo, Joseph II !


    Davies und Zender solltest Du aus der kleinen Liste wieder herausnehmen. Sie sind sicher nicht "verblichen". Zender ist ein Moderne-Spezialist und der 65jährige Davies hat erst gestern ein Konzert mit dem Bundesjugend- und dem Bundesjazzorchester dirigiert.


    Carl Melles ist keineswegs verstorben, ebenso wenig Edo de Waart.


    Ansonsten: einverstanden!


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Meiner Ansicht nach sollte ein Dirigent auch irgendwann einmal entweder längere Zeit Chef eines wichtigen Orchesters gewesen sein oder eine größere Anzahl von Aufnahmen hinterlassen haben. Wenn jemand noch nie besonders berühmt gewesen ist, ist das recht schnelle Vergessenwerden ja kaum verwunderlich.


    Abendroth fällt unter die, die kurz vor Stereo verstorben sind, dazu kam, daß er zuletzt in der damaligen DDR gewirkt hat.


    Von Matacic war meines Wissens nie längere Zeit Chef eines bedeutenden Orchesters; über die Diskographie habe ich keinen Überblick.


    Hollreiser oder Klobucar? Waren die irgendwann mal überregional bekannt?


    Ich würde da eher noch anführen:


    Paul Kletzki und Vaclav Neumann (sehr viele Aufnahmen für Supraphon) V. Talich ist ebenfalls vor dem eigentlichen Plattenzeitalter verstorben.


    Charles Munch (Chef in Boston, beinahe nur noch für Berlioz bekannt, was sehr einseitig ist, ein hervorragender Beethoven- und Brahmsdirigent)


    Pierre Monteux, immerhin der Premierendirigent des Sacre du Printemps, dank seines hohen Alters hat er noch recht viele Einspielungen in den 50er/60ern hinterlassen.


    Ich glaube, daß einige der "Spezialisten" für klassische Moderne wie Ansermet, Monteux, teils auch Markevitch oder Fricsay deshalb ein wenig ins Hintertreffen geraten sind, weil Musik von Debussy, Strawinsky usw. zum einen heute eben keines "Spezialisten" mehr bedarf (weil es jeder dirigiert, außer Thielemann) und natürlich von der Klangtechnik in höherem Maße profitiert als Beethoven (außerdem sind die Orchester mit der Musik viel besser vertraut und ebenfalls technisch im Mittel viel besser als vor 50 Jahren)
    Ein noch härteres Schicksal hat wohl inzwischen die seinerzeitigen Barockspezialisten wie Münchinger, Richter, Wenzinger, R. Baumgartner, F. Werner u.ä. getroffen.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Hallo Wolfgang,


    mit verblichen meinte ich nicht unbedingt bereits verstorben, sondern eher vergessen oder zumindest im Schatten anderer (auch Berislav Klobucar lebt noch). Carl Melles (richtig, mit "e" :O) ist zumindest laut Wikipedia bereits verstorben.


    Hollreiser nahm seinerzeit (Mitte der 70er) die bekannte Studioaufnahme des "Rienzi" mit Kollo und Schreier in Dresden auf.


    Matacic ist hier im Forum noch am ehesten durch den legendären "Lohengrin"-Mitschnitt aus Bayreuth 1959 unsterblich geworden.


    Was auffällt, ist, daß etliche der angeführten durch eine oder ein paar wenige Aufnahmen besonders bekannt sind, ansonsten eher "verblichen".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Ich hätte noch ein paar Kandidaten: Robert Heger (vielleicht eher unterschätzt als wirklich "verblichen"), André Cluytens (ein großer Dirigent des frz. Fachs und auch von Wagner!), Heinz Tietjen (ja, der dirigierte auch, zuletzt in Bayreuth 1959 den "Lohengrin"), Clemens Krauss, Karl Elmendorff, Franz von Hoeßlin usw.


    Zumindest die letzten haben gemein, daß sie vor der Stereo-Ära starben.


    Wenn wir nur lebende Dirigenten berücksichtigen, so fiele mir da noch ein Name ein, der m. E. zumindest hierzulande die letzten Jahre immer weniger präsent ist: Lorin Maazel. 1960 hatte er sein Bayreuth-Debüt mit 30 (!), das letzte Mal dirigierte er auf dem Grünen Hügel 1969. Seine Zeit als Staatsopern-Direktor (1982–84) dürfte unseren Wienern viel präsenter sein. Nach seiner Zeit als Chefdirigent des Symphonieorchesters des BR (1993–2002) ging er nach New York als Chef der dortigen Philharmoniker. Mag sein, daß er auch deswegen in Europa nicht mehr in dem Maße in aller Munde ist.

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    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.


    mit verblichen meinte ich nicht unbedingt bereits verstorben, sondern eher vergessen oder zumindest im Schatten anderer (auch Berislav Klobucar lebt noch). Carl Melles (richtig, mit "e" :O) ist zumindest laut Wikipedia bereits verstorben.


    Bei Melles war ich tatsächlich durch eine offenbar veraltete Quelle in die Irre geführt worden und hatte mich nicht mehr über wikipedia vergewissert. Tut mir leid!


    Den Namen Klobucar hatte ich im Gegensatz zu den anderen in diesem Thread genannten Dirigenten vor diesem Forum, also vor 2007 oder 2008, noch nie gehört. Das mag aber daran liegen, dass ich kein so großer Kenner von Opernaufnahmen bin.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Erst vorgestern gab es im Österreichischen Rundfunk eine 90-minütige Sendung zum 85. Geburtstag von Berislav Klobucar:



    Apropos Oper
    mit Prof. Gottfried Cervenka.
    Berislav Klobucar - zum 85. Geburtstag


    http://oe1.orf.at/programm/2009082511801.html


    wenn ich mich nicht irre, hat unser Freund operus hier im Forum auch schon über diesen Dirigenten geschrieben.


    Ihn zu den "Verblichenen" zu erklären halte ich für etwas verfrüht!


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo,
    mal abgesehn davon, dass es heißt, "Am Tag, nachdem er gestorben war, war Böhm tot", gab es diverse Dirigenten, die nie richtig "leben durften".
    Dazu gehört Paul Kletzki.
    Ich kann nur empfehlen, sich der wenigen Aufnahmen Kletzkis anzunehmen.
    Und wer beispielsweise "Das Lied von der Erde" mit ihm besitzt, weiß, das er ne Referenz in den Händen hält, die keinen Vergleich mit Klemp oder Bernstein oder etwa gar Horenstein zu fürchten braucht.


    Gruß S.

    2 Mal editiert, zuletzt von s.bummer ()

  • Da sprichst Du indirekt einen interessanten Aspekt an: der hat natürlich schon gelebt, der Kletzki. Aber wir haben uns angewöhnt zu denken, daß diejenigen Künstler leben, die es als Tonträger gibt.Ohne zu bedenken, ob denen das wichtig war oder nicht.


    Quintetto Chigiano? Die haben wohl wirklich lieber gemeinsam konzertiert und unterrichtet. Trio Santoliquido dito.


    Und Kletzki?


    Ein fabelhafter Dirigent, der das, was er aufführte - oder aufzeichnete - mit Leidenschaft bot. Nun, von seinem 33. bis 47. Lebensjahr war Kletzki auf der Flucht. In den 1950ern nahm er ein paar Platten auf. Sibelius, das Violinkonzert von Brahms mit Johanna Martzy, Chopin mit Samson Francois. Seine Einspielung einer Auswahl von "Slawischen Tänzen" Dvoraks höre ich nach wie vor mit großem Vergnügen, ebenso eine mono-Einspielung der Pastoral-Sinfonie Beethovens mit dem Orchestre de Paris für Concert Hall.


    Der komplette stereo-Zyklus der Sinfonien Beethovens erschien bei Supraphon. Eingesetzt hat Kletzki sich für Mahler und für Sibelius. Und mit dem Orchestre de la Suisse Romande hat er eine für mich unschlagbare Einspielung der 5. Sinfonie von Carl Nielsen hinterlassen.


    Vielleicht ist es so, daß die Tonkonserven eine gewisse Vergleichbarkeit von Interpretationen ermöglichen. Der Mensch sucht immer nach dem, was er kennt. Somit trifft das Angebot von Platten (CD's) auf eine Gruppe von Typen, die mit ihrer Interpretenkenntnis eine Selektion vornehmen. So bin ich übrigens vor 25 Jahren an meine Nielsen-Platte mit Kletzki gekommen. Nehmen wir also zur Kenntnis: es gibt einen synonymisierten Caruso. Es gibt einen synonymiserten Karajan. Es gibt eine synonymisierte Callas. Alles andere ist Zeitgeist. Ich bin mir ziemlich sicher, für die Dauer meines Lebens meine Ansermet, Kletzki, Horenstein etc. noch verfügbar zu haben. Alles andere kann mir ja gleichgültig sein.


    Werden wir an dieser Stelle einfach einmal persönlich: diese Lieblinge, die wir hier alle benennen, sind virtuell geschlossene Freundschaften. Sie halten vielleicht für den Rest unseres Daseins. Die Bedeutung aber, die die Herren Karajan und Böhm für die Generation von Alfred und auch von mir hatten, werden sie nie, niemals wieder haben.


    Aber das Plattengeschäft ist auch ein sehr anonymisiertes: dem mittlerweile 84-jährigen Aldo Ciccolini dürfte es erheblich besser gefallen, bei seinen Recitals in ausverkauften Häusern von 2.000 Leuten umjubelt zu werden, als darüber nachzudenken, an welcher Stelle des Rankings der Lebenden und Verstorbenen Pianisten er steht. Und wie sich seine Platten verkaufen.


    Es ist mit den Musikern wie mit jedem anderen Beruf: sie sind in aller - vieler - Munde, solange sie aktiv sind. Von Jo Ackermann wird man nicht mehr viel hören, wenn er sich einmal von der Spitze der Deutschen Bank zurückziehen wird, Bundeskanzler Schröder scheint auch die Ruhe des medialen Ruhestandes zu genießen. Was mit meinem Lehrgesellen aus der Firma, in der ich als Student als Maler und Lackierer gearbeitet habe, nun ist, weiß niemand. Er hat gearbeitet, er ist in Rente, vielleicht gar auch von uns gegangen. So ist das eben!


    Und so ist's auch mit Musikern. Die sind solange präsent, wie ihre Platten irgendwie im Umlauf sind. Hat mit ihrer fachlichen Kompetenz nix zu tun. Nichteinmal das Aufnehmen dieser Platten. Und überdies: Aus Wettbewerbssicht würde das bedeuten, dass alle aufgenommen worden wären, und man alle miteinander vergleichen könnte.


    Nein, ist nicht der Fall.


    Guter Hinweis also, der auf Kletzki. Indes: auch heute wird das LvdE noch toll aufgeführt. Und selbst bei mir als Horenstein-Fan sind die Aufnahmen des Werkes durch diesen Meister auf Platz 2. Platz 1 ist selbstverständlich Walter-Ferrier-Patzak.


    Vielleicht gibt es das ja auch mal mit Thielmann-van Otter-Vogt. Wäre auch interessant.


    Will heissen: der Star ist und bleibt die Musik. Der Interprte ist da nachrangig.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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