Dirigenten im Spannungsfeld zwischen Zeitgeist und Individualität

  • Dieser Thread ist thematisch NICHT identisch mit seinem älteren Bruder:


    Künstler vs Publikum: Wer bestimmt den Kurs ?


    wenngleich es gewisse Überschneidungen geben mag.


    Heute geht es um die Frage inwieweit Dirigenten sich dem Zeitgeist - wie immer man den definiert unterwerfen mussten um Erfolg zu haben, ob sie sie dem Zeitgeist entziehen konnten, oder sich entziehen hätten können, oder aber, ob sie nicht selbst es waren , die den Zeitgeit beeinflusst, bzw geprägt haben.


    Nur als Beispiele:


    War Karl Böhm zu Lebzeiten als Mozartdirigent DESHALB so gesucht, weil er den Zeitgeist bediente, oder war es seine Interpretation, die vorgab wie eine gute Mozartinterpetation vom Dirigat her auszusehen hatte?


    Was wäre mit Karajan passiert, hätte er versucht sich mit originalem Orchesterklang der Wiener Klassik zu befassen ? (Sein Bruder, Wolfgang von Karajan, hat es ja getan...)


    Das waren nur zwei Beispiele, es gäbe hunderte, wenn wir danach suchten.....


    Für wen haben diese Dirigenten dirigiert, denen man heute vorwirft historisch nicht "informiert" gewesen zu sein - Für das zeitgenössische Publikum, für die Nachwelt, für die Kritiker ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als meinen ersten Beitrag versuche ich mich einmal an diesem Thema.
    Ich glaube nicht, dass Dirigenten den Zeitgeist "machen", das geht ja in Richtung Männer / Frauen machen Geschichte. Ich glaube auch nicht, dass sie sich dem Zeitgeist unterworfen haben, Heuchelei und Anbiederung rächt sich meistens (zum Glück). Es ist wohl eher eine Frage von zur rechten Zeit am rechten Ort. Letzlich ist es wohl ein Zusammenspiel von historischen, gesellschaftlichen und auch technischen Bedingungen- und einem Menschen, der diesen Strömungen (zunächst) unbewusst einen Ausdruck verleiht. Ein Böhm hat nicht die Fünfziger und Sechziger bedient, sondern diese Jahrzehnte fanden sich in ihm wieder. Das ist jetzt nicht diskreditierend gemeint, obwohl die Fifties oft ja keinen guten Ruf haben. Übrigens gilt dies ja auch für alle anderen Künstler.
    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang aber auch die Frage, wieso Künstler, die sich selbst als nicht der Zeit entsprechend ansahen (Furtwängler) oder nach allgemeiner Auffassung als einer anderen Zeit enstammend (Horowitz) trotzdem Erfolg hatten und haben.
    Ich merke es an mir selber. Ich liebe René Jacobs bei Mozart, seine Spannung und Vitalität und gleichzeitg auch Furtwängler, obwohl er in diesem Fall eigentlich nicht meinen Klangvorstellungen entspricht. Warum ist in einer ansich (so empfinde ich es jedenfalls) sehr HIP-betonten Zeit die RIAS-Edition mit Furtwängler solch ein Erfolg?
    Soweit bis heute. Ich merke dass ich noch weiter denken muss, verschiebe dass aber auf später.
    Grüße Gustav

  • Ein interessantes Thema, aber eben auch eins , dass die eigenen gesellschaftspoltischen und kulturellen Wurzeln anspricht und ähnlich fordert wie z.B. die Diskussion über das Musiktheater. Ich denke in erster Linie an die große Zeit der Dresdener Oper seit Ende der Zwanziger unter Fritz Busch. Der Zeitgeist wurde zunehmend ein "BRAUNER". Furtwängler hat damals zwar auch gegen den Zeitgeist, als Individualist in seiner teils naiv-unpolitischen, wie auch seiner humanistischen Gesinnung folgend, drauf bestanden mit jüdischen Künstlern aufzutreten. Ich gehe davon aus, dass er das kalkulierende politische Kalkül der Nazis dies lange Zeit mitzutragen, nicht durchschaut hat. Fritz Busch war nicht nur ein durch und durch humanistisch gesinnter freiheitlicher Geist, sondern auch einer mit politischem Durchblick und dem typischen Dickschädel des Siegerländers. Als es ab ca 1932 immer öfter Opernaufführungen von braunen Horden organisiert gestört wurden, da etliche jüdische Künstler an der Semper Oper sangen, stellte er sich eindeutig vor seine Künstler. Er hat tatsächlich dem Zeitgeist getrotzt und ist dann letztendlich emigriert obwohl er kein Jude war und Goering ihn unbedingt halten wollte. Richard Strauss hatte ihm die Uraufführung seiner Daphne anvertraut, sie dann aber relativ kleinlaut Clemens Krauss übergeben, was Busch sehr gekränkt hat.


    Gruss..................."Titan"