"Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut!" – Dirigentische Großtaten im "Randrepertoire"

  • Die Idee zu diesem Thread kam mir gerade spontan im Zusammenhang mit Thielemann, der ja nun als neuer Chefdirigent an der Semperoper ab 2012 auch das italienische Fach dirigieren soll. Thielemann und italienisches Fach? Falsch gelesen? Nein. Was draus wird, werden wir sehen.


    Wie steht es um das Thema generell? Jeder hat doch vermutlich schon mal etwas von einem Dirigenten gehört (ob als Aufnahme oder live), das er ihm gar nicht zugetraut hätte, weil es untypisch für den jeweiligen Dirigenten war.


    Als Beispiel soll mal wieder Karl Böhm herhalten: Sein Repertoire umfasste in erster Linie Mozart, daneben Beethoven, Schubert, auch Wagner und andere – aber wer denkt bei Böhm bitte an Verdi? Und doch: Dem alten Herrn aus Graz gelangen sehr hörenswerte Verdi-Vorstellungen!


    Das nächste Beispiel ist wiederum ein Mozart-Dirigent, nämlich Josef Krips, ebenfalls Österreicher – und ebenfalls ein begnadeter Wagner-Dirigent, wie ich heute feststellen durfte. Würde man ihm gar net zutrauen!


    Noch ein Beispiel: Karl Richter. "Der" Barock-Dirigent der 60er und 70er. Aber wer würde ihm einen sehr guten Bruckner zutrauen? Allein der Gedanke erscheint einem ja auf den ersten Blick merkwürdig – und doch: auch hier positive Überraschung, wie einige Forianer berichteten.


    Welche Beispiele fallen euch noch ein?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Als Beispiel soll mal wieder Karl Böhm herhalten: Sein Repertoire umfasste in erster Linie Mozart, daneben Beethoven, Schubert, auch Wagner und andere – aber wer denkt bei Böhm bitte an Verdi? Und doch: Dem alten Herrn aus Graz gelangen sehr hörenswerte Verdi-Vorstellungen!


    Nun, zum einen war Karl Böhm ja nicht lebenslang ein "alter Herr" - und mit Wagner hat er ja hinreichend bewiesen, daß er es auch mal richtig knallen lassen kann. Vor einigen Wochen/Monaten habe ich mir auch die Frage gestellt, warum es denn keine Aufnahmen von Verdi-Opern unter Karl Böhm gibt - und da stieß ich auf DIESE Aufnahme - aufgenommen 1970 (live in der Wiener Staatsoper) veröffentlicht Ende 2008:



    Hier dürfte wohr eindeutig der Beweis erbracht worden sein, Böhm könne auch Verdi dirigieren (derzeit gibt es alerdings im Netz lediglich (etliche) Aufnahmen von "Macbeth" und eine von "Othello".....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    ich wage zu behaupten, dass Böhm sogar ein ausgezeichneter Verdi-Kenner war. 1961 hat er in Berlin mal eine "Aida" hingelegt - wenn man die in USA erhältliche Privataufnahme hört, kann man nur staunen.
    Aber da wir von "Großtaten im Randrepertoire" sprechen: 1945 (!) hat Karl Böhm in Wien die Messa da Requiem von Verdi dirigiert, in dieser Besetzung:


    Aufnahme: 1945, live, konz.
    Dirigent: Karl Böhm
    Wiener Philharmoniker


    Alt-Solo: Elisabeth Höngen
    Bass-Solo: Herbert Alsen
    Sopran-Solo: Irmgard Seefried
    Tenor-Solo: Anton Dermota


    Irgendie gab es beim Label "Melodram" die Aufnahme, leider zur Zeit unauffindbar.
    Trotzdem habe ich bei Amazon etwas entdeckt (nicht den Schuricht):


    <- ganz unten:


    Hier sind Ausschnitte als Bonus zu hören - man kann sie auch downloaden!


    (zum Heulen schön!)


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Die allermeisten Dirigenten mußten in ihrer frühen Zeit als Assistenten oder Provinzkapellmeister praktisch alles dirigieren (jedenfalls die üblichen Opern, inklusive Verdi). M.E. ist der Eindruck des "Spezialistentums" durch die Schallplatte verstärkt worden. Selbst noch eine Generation jüngere Dirigenten wie Sawallisch, Gielen u.a. haben alles Mögliche dirigiert, bis sie überhaupt Plattenaufnahmen machen oder besondere Schwerpunkte setzen konnten. Vermutlich ist Thielemann einer der ersten, der mit einem (jedenfalls) anfangs ziemlich schmalen Kernrepertoire überhaupt Karriere machen konnte.


    (Wenn jetzt ein grandioses "Sacre du Printemps" unter Böhm beim ORF ausgegraben worden wäre, DAS hätte mich tatsächlich überrascht ;))


    Damit will ich nicht abstreiten, daß es unwahrscheinliche, aber gelungen Interpret-Repertoire-Kombinationen gibt. Leider fällt mir gerade kein anderes ein. ;)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    (Wenn jetzt ein grandioses "Sacre du Printemps" unter Böhm beim ORF ausgegraben worden wäre, DAS hätte mich tatsächlich überrascht ;))


    Wer weiß...


    Die Suite aus dem "Feuervogel" hat er immerhin dirigiert:


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Noch ein Beispiel: Karl Richter. "Der" Barock-Dirigent der 60er und 70er. Aber wer würde ihm einen sehr guten Bruckner zutrauen? Allein der Gedanke erscheint einem ja auf den ersten Blick merkwürdig – und doch: auch hier positive Überraschung, wie einige Forianer berichteten.


    Kein Wunder, Richters Bach klingt ja auch wie Bruckner...

  • Zitat

    Kein Wunder, Richters Bach klingt ja auch wie Bruckner...


    Eigentlich hatte ich nach diesem meiner Meinung nach unqualifizierten Statement einen Aufscherei der Bachgemeinde erwartet.
    Kam nicht - aus welchen Gründen immer
    Aber ich möchte das so nicht unkommentiert stehen lassen.


    Richters Bach war zu Lebzeiten nicht umumstritten, aber nicht weil sein Bach nach Bruckner - also eher getragen klang, sondern weil er einen fur damalige Zeit zu forschen Bachstil begründete.


    Zitat "Das Neue Lexikon der Musik" ( 4 Bände - Metzler 1996)


    "Richter entwickelte als Dirigent eine neue dynamisch-temperamentvolle Bach-interpretation die als Gegenpol zu einer rein historischen Orientierung weithin zum Inbegriff einer idealen Darstellung wurde , aber auch auf Ablehnung stieß ..."


    Einen "dynamisch temperamentvollen Bruckner kann ich mir indes nur schwer vorstellen...."



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Widersprechen will ich dem natürlich auch. Der Grund, wieso ich es bis dato nicht tat, war, daß die Kommentare "aus dem Wiesengrund" meist provozierend, kurz und inhaltslos sind, so daß es sich gar nicht lohnt, hier ernsthaft zu diskutieren. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Servus,


    ich freue mich als notorischer "Richterianer" natürlich über den so vehementen Einspruch,
    der auch mir spontan auf der Zunge lag, als ich dieses Statement aus dem "Wiesengrund" las.
    Ich muß gestehen, daß ich, wie wahrscheinlich viele andere gleichfalls, auf eine Replik verzichtet habe
    nach dem Rubrum: "Was kümmert's die Eiche, wenn sich die Sau dran reibt" (bitte nicht persönlich nehmen !);
    denn jene alte Mär von Richters angeblich brucknergeschwängertem Bach ist offenbar so unausrottbar wie wohl-
    feil, freilich zugleich durch die Aufnahmen derart leicht zu widerlegen, daß es eigentlich fast keinen Spaß macht ;) .


    Grüße - und: Richter rules ! :jubel:


    Gerd

  • Hallo JosephII,


    als ich Deinen Thread-Titel laß dachte ich gleich an Gardiner.
    John Eliot Gardiner, den ich ansonsten nur mit Barockmusiken und allenfalls noch den Beethoven in HIP in Verbindung bringe, hat mit dem Philharmonia Orchestra London eine der besten Großtaten mit Holst - Die Planeten herausgebracht.


    Ich beriichtete darüber am 01.10.2009 im [EMAIL=http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=205&page=3]Holst - Planeten - Thread [/EMAIL]....
    alles weitere kann man dort nachlesen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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