Nikolaus Harnoncourt (1929-2016)

  • Am 06.12.1929 ist Nikolaus Harnoncourt in Berlin geboren.
    Gerstern, am 06.12.2009 hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert.


    Ich gratuliere hiermit herzlich und wünsche Kraft, Gesundheit, und dass sich der eine oder andere Lebenstraum noch realisieren lässt - sei er nun musikalisch oder nicht.


    Sich selbst hat Harnoncourt einen lang gehegten Traum erfüllt :



    Gershwins "Porgy & Bess". u.a. mit dem Chamber Orchestra of Europe



    Nach einigen JPC-Hörschnipseln meine ich erkennen zu können, dass es sicherlich sehr gut gemacht ist.
    Mehr kann ich leider nicht dazu sagen, weil ich mich mit dieser Musik nicht auskenne. Ich gebe gerne zu, dass es nicht gerade meine Musik ist...obwohl ich "reinen" Jazz sehr mag, dann allerdings moderner, z.B. einiges von Til Brönne, Keith Jarret ( gerade im Klaviertrio...) oder Chick Corea.


    Trotzdem wurde ja auch dafür gesorgt, dass auch eingefleischte Bach-Enthusiasten wie ich gehörig mitfeiern können:



    Hier hört und sieht man den Concentus musicus Wien der 80er-Jahre in Bestform.
    Interessant und unterhaltsam sind auch in Gesprächsform aufgezeichneten Werkeinführungen Harnoncourts, bei denen die Orchestermusiker mit vielen Musikbeispielen mitwirken.


    Besonders schön finde ich neben den Brandenburgischen Konzerten vor allem die Kaffeekantate mit Janet Perry, Peter Schreier (schade, dass der nicht viel mehr Bach mit Harnoncourt gemacht hat) und Robert Holl, und die hervorragend gespielte Orchestersuite Nr. 3 D-Dur.
    Für Besitzer grosser Bildschirme muss man sagen, dass die Bildqualität dem Standard der 80er-Jahre entspricht.
    Die Klangqualität ist ziemlich gut - insbesondere die Kaffekantate und die Suite, die sehr räumlich klingen.


    Ich kann mich bestens erinnern, diese Fernsehsendungen in den 80er gesehen zu haben. Umso mehr freue ich mich, dass es die Produktionen nun in besserer Qualität auf DVD gibt.


    Ausserdem gibt es eine neue Bachkantaten-CD, die ich selbst noch nicht habe:




    Harnoncourts Bedeutung für die Interpretationsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute ist sehr gross.
    Deren Umfang wird vielleicht erst in einigen Jahrzehnten allgemein erkannt, bzw. anerkannt werden.
    Seine Interpretationen sind meistens mutig und dementsprechend häufig entweder geliebt oder total abgelehnt.
    Für Diskussionen hierüber stehen uns ja die entsprechenden Tamino-Threads zur Verfügung, wovon ja auch schon sehr fleissig Gebrauch gemacht wurde.


    Für Interessierte gibt es weitere Informationen zum Thema Nikolaus Harnoncourt vor allem hier:


    "www.harnoncourt.info"



    Herzlichen Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Auch von mir alles Gute dem Grafen zum Geburtstag und noch viele Jahre der musikalischen Betätigung und vor allen Dingen Gesundheit!


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wenn man bei Google "Harnoncourt 80 Geburtstag" eingibt, dann stellt man fest, dass diesem Thema in der kulturell interessierten Öffentlichkeit in der Tat eine noch höhere Beachtung geschenkt wurde, als es bisher hier im Forum geschehen ist.


    Als interessante Links empfehle ich daher Interessierten Taminos und Mitlesern zur Lektüre:



    "http://www.welt.de/kultur/article5426699/Gelegentlich-war-Harnoncourt-wichtiger-als-Karajan.html"


    "http://www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/nikolaus-harnoncourt-interview-geburtstag-80-dirigent-mm-548990.html"


    und


    "http://www.zeit.de/2009/50/Diskothek-Klassik"


    [SIZE=7](die Anführungsstriche weil wir Links aus gewissen Gründen nicht setzen - d.h. einfach alles ausser den Anführungszeichen mit dem Mausgummiband selektieren und in einen neuen Browser, bzw. einen neuen Browsertab kopieren und dann Enter)[/SIZE]


    wobei ich hinsichtlich der Beurteilung der Bachinterpretation nicht in allen Punkten mit dem "Zeit"-Autor übereinstimme.
    Der Tenor der Darstellung "Früher der rhetorische Zeigefinger vs. "heute die Abgeklärtheit des Alters" passt gut für Leute, die sich vor allem aufs Schreiben, aber möglicherweise nicht ganz so stark aufs genaue Hinhören verstehen.
    Die Unterschiede zwischen damals und heute müsste man völlig anders beschreiben. In dieser Pauschalität und Oberflächlichkeit entfernt es sich soweit von der tatsächlich auf CD dokumentierten Musik, dass man diese verbale Darstellung zwar als griffig, aber insgesamt leider falsch bezeichnen muss.
    Da braucht man nur ein paar Takte vergleichend zu hören, um herauszufinden, dass diese scheinbar erkannte Tendenz mit der Musik auf den CDs nur wenig zu tun hat.


    Bei Gelegenheit werde ich auf die neue CD und die Unterschiede zur alten TELDEC-Aufnahme im Forum eingehen.


    Lesenswert ist m.E. dieser Artikel dennoch.



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich kenne von den allerneuesten Aufnahmen keine. Von den neueren, die ich habe (Matthäuspassion von ca. 2000, Haydns Pariser Sinfonien, Schöpfung) kann man nicht sagen, daß sie weniger "rhetorisch" wären als ältere Einspielungen. Die Haydn-Sinfonien sind alles andere als "abgeklärt". Daß die Brahms- und Dvorak-Aufnahmen der 90er natürlich nicht so klingen wie Bach oder Biber ist klar.


    Bei Mozart waren die Tempi schon vor knapp 30 Jahren teilweise ungewöhnlich und zwar im Gegensatz zu dem Artikel und dem, was manchmal im Forum hier verzapft wird, in beide Richtungen. So weisen etwa bei der Sinfonie Nr. 40 die ersten drei Sätze sehr schnelle Tempi auf, das Finale wird dagegen recht mäßig genommen. Das hat sich meines Wissens auch bei den etwas neueren Aufnahmen nicht grundsätzlich geändert. Bei Nr. 41 nimmt er (wie etliche andere HIPster aber auch) den Kopfsatz ziemlich breit, den langsamen zügig, aber nicht extrem viel schneller als üblich und die beiden anderen Sätze sind ebenfalls nicht ungewöhnlich im Tempo.


    An den "Geburtstagsaufnahmen" habe ich allerdings kein großes Interesse.
    Und wir haben, meine ich, auch schon genügend andere Threads zu Harnoncourt. Wir wollen das doch nicht inflationär werden lassen und auf das Niveau von Karajan oder Böhm bringen... :stumm: :D


    :hello:

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich gestatte mir, daruf hinzuweisen, dass heute der Tag ist, an dem


    Nikolaus Harnoncourt seinen 85. Geburtstag feiert.


    Und er hat die letzten 5 Jahre nicht auf dem Altenteil verbracht.


    Herzlichen Glückwunsch, Maestro!


    Willi :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dem schließe ich mich gern an.


    Man muss nicht immer seiner Meinung sein, innovativ und offen für Neues ist er dennoch steter als manch Jüngerer.
    Setzt sich immer wieder aufs Neue mit Werken auseinander, von denen wir glauben, sie zu kennen.


    Also: Herzlichen Glückwunsch, Maestro!


    Herzliche Güße,
    Mike

  • Auch ich schließe mich den Glückwünschen gerne an, ist Nikolaus Harnoncourt doch eine der prägenden, wegweisenden Figuren unter den Dirigenten, der mit seiner unkonventionellen, reflektierten, innovativen Art immer wieder vermeintlich bekannte Werke gegen den Strich bürstet. Herzlichen Glückwunsch!


    Ansonsten würde ich nur anregen, die Zahl im Threadtitel zu korrigieren - der flüchtige Leser würde sonst meinen Können, hier sei ein Fehler unterlaufen

  • Ansonsten würde ich nur anregen, die Zahl im Threadtitel zu korrigieren - der flüchtige Leser würde sonst meinen Können, hier sei ein Fehler unterlaufen

    Die Moderatoren könnten aber auch die Postings, die sich auf Harnoncourts 85. Geburtstag beziehen, in den Thread "Leben und sterben lassen" verschieben - direkt unter timmijus Beitrag - und schon stimmts wieder. :stumm:


    Übrigens brachte der Westdeutsche Rundfunk in seinem fünften Programm heute eine fünfzehnminütige Jubel-Sendung für Harnoncourt. Der Ablauf dieser Gedenksendungen ist bei engem Zeitrahmen immer gleich, man kann natürlich Tiefschürfendes nicht erwarten. Immerhin wurde an den Jubilar gedacht - und das finde ich gut.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber musikwanderer, vor Kurzem wurde es aber ausdrücklich begrüßt, dass Geburtstagswünsche von lebenden Musikern/Komponisten oder Erinnerungen an bereits Gestorbene auch in bereits bestehende Threads dieser Personen eingestellt werden, wie ich es zuletzt bei Mozart, Hotter und Harnoncourt gemacht habe. Und wenn mein Geburtstagswunsch hinter den von timmmiju eingeordnet würde, dann würde es eben nicht stimmen :D .


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Man hätte ganz einfach einen ganz neuen Thread eröffnen sollen, wie es der Forenbetreiber ja auch immer wieder anregt.


    Alles Gute dem bescheidenen Grafen d'Harnoncourt zum 85sten!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Alles Gute dem bescheidenen Grafen d'Harnoncourt zum 85sten!


    ...auch von mir! Höre in der letzten Zeit wieder seine Teldec-Aufnahme des Messias von Händel (live aus Stockholm) und entdecke immer neue Gründe, warum ich diese Aufnahme allen anderen vorziehe, vor allem instrumental. Er ist ein überaus unverwechselbarer und profilierter Vollblutmusiker, dem die Interpretationsgeschichte enorm viel zu verdanken hat.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Sehe gerade auf 3sat ein Konzert mit dem Concentus musicus Wien und Harnoncourt.....leider gibt es auf dem rechten Kanal immer wieder ein Knacken.
    Es wird für die Tontechniker der Supergau sein....Mann!


    Schön und unverkennbar gespielt....weiß nicht, was es ist, kam zu spät ins Programm.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich war gerade wieder auf dem "Beethoven-Sender" lieber Glockenton, Kanal "27 e-moll-op. 90", war auch schön. Ich freue mich aber, dass hier in diesem Thread wieder eine kleine Unterhaltung in Gang gekommen ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dass es Harnoncourt auch mit 85 noch kann, beweisen die jüngsten Aufnahmen. Die späten Mozart-Symphonien, die kürzlich offiziell erschienen, zeigen eine sicher streitbare, aber doch höchst respektable Zugangsweise. Auch sein "Figaro" von 2014 aus dem Theater an der Wien (bislang nicht auf CD erschienen) ließ aufhorchen. Wohl niemand seit Otto Klemperer 1970 hat diese Oper so zelebriert. Schon die Ouvertüre über 5 Minuten lang, aber nicht langweilig. Bruckners 5. Symphonie führte er Ende 2013 mit dem Concertgebouw-Orchester auf; das ist bereits auf DVD herausgekommen. Dass ihm das Werk liegt, konnte man bereits vor etwa einem Jahrzehnt mit den Wiener Philharmonikern hören, die er so auftrumpfen ließ, wie man sie schon seit langem nicht mehr gehört hatte.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke, lieber Michael, für den Link zu dem hochinteressanten Interview mit Harnoncourt und Lang Lang. Letzterer erscheint mir persönlich jetzt ein wenig sympathischer. Man erfährt auch ein bisschen darüber, wieso die beiden zusammenarbeiten.


    Nachdenklich macht mich diese Aussage Harnoncourts im Interview:


    "Bei mir muss man immer auch das nahende Ablaufdatum mit berechnen. [...] Ich habe mit den Wienern gerade die "Unvollendete" von Schubert erarbeitet, die habe ich bestimmt in den letzten zehn Jahren nicht mehr aufgeführt. Und ich werde sie sicher nun nie wieder in meinem Leben dirigieren."


    Aber mit Mitte 80 wird man zwangsläufig so zu denken anfangen. Wir sahen gerade in den letzten ein, zwei Jahren viele große Dirigenten in diesem Alter abtreten. Ich hoffe, dies gilt für Nikolaus Harnoncourt noch lange nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Sehe gerade auf 3sat ein Konzert mit dem Concentus musicus Wien und Harnoncourt.....leider gibt es auf dem rechten Kanal immer wieder ein Knacken.
    Es wird für die Tontechniker der Supergau sein....Mann!


    Schön und unverkennbar gespielt....weiß nicht, was es ist, kam zu spät ins Programm.

    Nachdem ich mich vor einiger Zeit schon einmal negativ über Mozart 39 mit dem Concentus Musicus unter Harnoncourt geäußert habe, habe ich mich noch einmal in die Übertragung der drei Symphonien, die heute auf 3Sat lief, eingeschaltet, sie waren gerade beim 1. Satz der 40. Und nach 15 min habe ich wieder abgeschaltet, denn mein Eindruck hat sich nur bestätigt. Wenn ich die Augen schließe, höre ich ein zweitklassiges Orchester uninspiriert Mozart buchstabieren. Sorry, aber das gefällt mir überhaupt nicht. Ich habe genügend Harnoncourt-Aufnahmen, die ich schätze, aber das hier geht für mich nicht. Da bleibe ich bei meinen alten Favoriten.

  • Naja, nun weiß ich ja auch, was es ist.....dieses Mozart-Symphonien-Gesamtwerk. Ich schreibe den Beitrag, während ich zuhöre....


    So manchen Kritiker wie lutgra kann ich jetzt übrigens recht gut verstehen. Es ist eine radikale Aufgabe, ja schon Zerstörung jeglicher auf Schönklang und angenehme Unterhaltung getrimmter Mozart-Tradition. Klang es in den 80er-Jahren mit dem Concertgebouw-Orchester und in den 90er-Jahren mit dem COE wenigstens noch vom gewohnten Klangbild her etwas weicher und "romantischer", so ist der Klang des Concentus hier absolut nur am dramatischen Ausdruck, nicht aber am Genuss des Gourmets orientiert. Ein Symphonieorchester wird mehr von einem weichen Streicherteppich getragen, während hier die Bläser viel stärker herauskommen. Schmetternde Naturtrompeten und relativ wenige, bis an die physikalische Grenze gespielte alte Streicher mit Darmsaiten, klingen nun einmal nicht so als ob die Berliner Philharmoniker eine warme Stelle aus Wagners Ring spielen.


    Die neue Erkenntnis mit der Zusammengehörigkeit der letzten Symphonien höre ich leider nicht so sehr als zwingend. Wenn sie das Orchester ohne Pause hintereinander live spielen soll, dann kostet der 100% radikale Ausdruckswille seinen Preis, nämlich in der handwerklichen Präzision und Spielkultur. Ich hörte so einige Intonationssachen bei den Streichern, aber auch woanders, interessanterweise nicht so sehr bei den Hörnern. Es wurde offensichtlich auch kaum Probenzeit in das Zusammenspiel investiert.
    Momentan läuft gerade der 2. Satz der Jupiter-Symphonie, den ich bis jetzt am besten finde (einige Stellen sehr zum Niederknien), während Satz 1 zwar tolle Details und einige neue Ideen hatte (man kennt ja Harnoncourts Interpretation), aber von der Konzeptrealisierung her trotz großem Ausdruckswillen scharf an dem Prädikat "nicht gelungen" entlangschrammt, auch wegen zu vielen plakativen, mittlerweile vorhersehbaren Dingen. Man will sehr viel, wohl schon zuviel, und ein Orchester, dass die Werke bei größter Ausdrucksforderung hintereinander spielen mußte, ohne dass die handwerklichen Basics im Ensemblespiel hier wirklich geübt wurden, kann dann zwar diese Expression, aber nicht mehr Perfektion und klanglichen Feinschliff anbieten. Da hilft es dann auch nicht, dass der Concentus in den 50er-Jahren gegründet wurde. Von denen sind ja nicht mehr so viele Leute dabei....


    O...jetzt die Hörner im 3. Satz...nun ja, auch der BVB hat ist nicht immer in Hochform - leider.


    Was die grundsätzliche Interpretationshaltung anbelangt, bin ich mit der klangsprachlichen, auf Streit und Dialog ausgerichteten Sichtweise sehr einverstanden. Ich frage mich nur, ob man mit den superkräftigen Ausrufezeichen vielleicht etwas sparsamer gehen sollte, oder einfach gesagt: Wenn man ständig in bald jeden Takt hineinpowert, dann geht dem Orchester und dem Publikum irgendwann die Luft aus. Man wartet dann von einem Schock auf den nächsten und kann irgendwann nicht mehr. Bei Harnoncourt brennt es, er will mehr und noch mehr Ausdruck. Irgendwann kommt die Gefahr auf, dass das Orchester und auch die Hörer vor lauter Anstrengung an ihren Grenzen ankommen. lutgra: Uninspiriert klingt es mir nicht, eher übermotiviert und schon überfordert. Es ist so, als ob ein Chorlauter immer "noch mehr" und "noch mehr" ruft.... Das Ergebnis geht dann in Richtung heiße Luft und ist dann in Wirklichkeit nicht "mehr" sondern schon "weniger".


    Dennoch ist es grundsätzlich von den Ideen und dem Grundverständnis her sehr toll und auch "richtig" so. Bei dieser Aufführung gab es jedoch möglicherweise viel zu viele Stellen, bei der man nur den Ausdruck, die Intention, das Drama, die Struktur etc. hörte und die "annehmbare" äußere klangliche Schönheit sowie die handwerkliche Präzision in Zusammenspiel und Intonation zu sehr ins Hintertreffen gerieten. Wahrscheinlich ist andererseits aber ein Konzert zur Zeit Mozarts nicht so perfekt gewesen, wir es uns so vorstellen. Die Musiker waren sehr gut und in dem Stil der Zeit sicher auch besser, allerdings ist es beim Zusammenspiel ja so, dass sie auch nur Menschen waren. Ohne Übung gibt es da einfach keine 100% Perfektion.


    Harnoncourt war meiner Ansicht nach die rein handwerkliche Perfektion nie allzu sehr wichtig, was er ja mit Furtwängler gemeinsam hat. Das genaue Zusammenspiel empfand Furtwängler ja sogar als nicht anhörbar....


    Nikolaus Harnoncourt betont immer, dass die große Interpretation nur beim vollen Risiko, ganz kurz vor einem grandiosen Scheitern entstehen könne, sozusagen auf Messers Schneide. Ein Spielen auf Sicherheit lehnt er ab.
    Wie gesagt, kann ich diejenigen verstehen, die es so hören, dass er bei dieser Mozart-Aufführung den Bogen überspannt hat, bzw. das Ganze ein hörbares Balanceproblem hatte, nämlich in dem Sinne, dass man ggf. doch nicht auf eine Spielkultur im Zusammenspiel und auch im Klanglichen derart konsequent verzichten sollte.
    Wenn er meint, dass es beim ersten Satz der großen g-moll Symphonie um Leben und Tod ginge, und dabei an die ihn sehr prägende Kriegsjahre in Graz dachte, dann konnte er diesen Eindruck vermutlich auch dem letzten Konzertgänger vermitteln. Hätte ich die Gelegenheit, das einmal zu interpretieren, würde ich es wohl langsamer und schuberthafter machen, also mehr innere als äußere Verletzungen zufügen. Es ist ein todtrauriges Drama, ja, aber man nimmt den Hörer ggf. mehr in die Geschichte hinein, wenn man etwas mehr auf innere statt äußere Blutungen setzt.


    Da man heute aus anderen Musik-Genres (nicht nur Klassik, auch z.B. Hardrock etc.) noch einiges mehr an Schocks gewohnt ist, darf man aus meiner Sicht die Frage stellen, ob diese kompromisslose Interpretation tatsächlich mit dem kleinen Kammerorchester auf alten Instrumenten heute noch so erschüttert, wie es Harnoncourt von der wie ich finde sehr richtig verstandenen "Kopfmusik" des Partiturlesens her eigentlich will.
    Ich kann mich an ein Konzert in den 90ern mit Mozart-Symphonien in der Bielefelder Oekterhalle erinnern, bei dem auch die Jupiter-Symphonie gespielt wurde, allerdings mit den Wiener Symphonikern. Die Wirkung war auch mich eine ins Mark gehende Erschütterung, vielleicht weil ich die musikalischen "Zumutungen" in diesem Klangbild einfach ernster genommen habe, was sicherlich auch mit meiner Sozialisation zu tun hat.


    Um es klarer zu machen, hier ein sehr gemeiner und überhaupt nicht zutreffender Vergleich: Wenn ein Löwe dich anbrüllt, nimmst du es ernster, als wenn es der Stubentiger von nebenan ist, selbst wenn der seine Stimme sehr forciert. Auch die sanften Stellen wirkten beim großen Orchester weicher, damals in der Oekterhalle.
    Ich gehe dabei nur von der Harnoncourtschen These aus, dass die Aufführung eines bekannten alten Werks heute nur einen Sinn macht, wenn man es als Neu-Erlebnis, wie eine Uraufführung hört, wenn ein Hörer dadurch wirklich ergriffen wird. Es ist klar, dass bei Bach die alten Instrumente dafür einfach geeigneter sind. Beim Mozart frage ich mich nach diesem Abend, ob manchmal nicht doch das "romantische" Symphonieorchester die eigentlichen Botschaften der Mozartmusik überzeugender vermitteln kann, jedenfalls wenn es aufgeführt werden soll, wie es Harnoncourt empfindet. Um eine museale Rekonstruktion eines historischen Klangbildes ging es ihm ja ohnehin nie und mir eigentlich auch nicht.


    Der Harnoncourt-Dokumentationsfilm danach war übrigens sehr schön und interessant...nur schade, dass die Rolle des Sprechers nicht bei Harnoncourt verblieben ist. Irgendwie endete der Film mir zu abrupt. Gerne hätte ich auch mehr von den älteren Filmausschnitten gehört und gesehen.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich weiß ja nicht, lieber Glockenton, was du zu diesem Werk des Maestros sagst, ich jedenfalls finde es grandios und das ist vor allem sein Verdienst, und ich habe es, seitdem es in meiner Sammlung ist, mindestens schon sechsmal gehört, ohne dass ich jetzt auf die Einzelheiten eingehen will. Ich galube, das habe ich schon getan, als ich meinen ersten ausführlichen Bericht hier gepostet habe.
    Jedenfalls habe ich diese Aufnaahme anlässlich seines 85. Geburtstages, die er im Jahr seines 75. Geburtstages dirigiert hat, mit größter Freude wieder gehört:


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Lieber Glockenton,


    ich wollte eigentlich jetzt ins Bett gehen, nachdem ich die wunderbare Züricher Aufnahme aus 2004 von Beethovens Fidelio (Regie Jürgen Flimm) gehört und gesehen hatte. Aber dann habe ich deinen Beitrag gelesen und mir überlegt, ob du das alles ernst gemeint hast. Wenn ja, dann lass mich auf einzelne Aussagen antworten:
    Zitat:" Es ist eine radikale Aufgabe, ja schon Zerstörung jeglicher au Schönklang und angenehmer Unterhaltung getrimmte Mozart Tradition".
    Du bist doch ein Mann der Praxis. Seit wann vergleichst du Mozart, sagen wir mal, mit André Rieu? Was der macht, ist, jedenfalls nach der Meinung vieler Leute, "angenehme Unterhaltung", aber doch nicht, was Mozart macht. Wie kannst du ihn nur derart herabwürdigen?
    Ein weiteres Beispiel deiner Ausführungen, wo ich überhaupt kein Verständnis für habe, ist dieses: Zitat: "Klang es in den 80er Jahren mit dem Concertgebouw-Orchester und in den 90er Jahren mit dem COE noch vom gewohnten Klangbild her etwas weicher und "romantischer", so ist der Klang des Concentus hier absolut nur am dramatischen Ausdruck des Gourmets orientiert.
    Was du generell über die Originalklang-Orchester sagst, stimmt natürlich, da haben es die Streicher schwer gegenüber den Natur-Blechbläsern.
    Wenn du natürlich die CD während der Übertragung des Spiel BVB gegen Hoffenheim gehört hast, ist das ja schon fast Blasphemie. Denn entweder konzentriert man sich auf Dortmund, oder auf Mozart. Beides geht nicht.
    Aber um auf Mozart zurückzukommen, seine Musik hat nichts gourmethaftes, sondre etwas, das vom Schönen bis zum Dramatischen reicht.
    Wenn ich nicht irre, bist dur doch Organist, und dann weißt du doch, was du mit deiner Orgel alles machen kannst.
    Vor einigen Wochen haben wir auf einer Orgeleinweihung, (100 m von meiner Wohnung entfernt), mit gregorianischen Chorälen zu dieser Feier beigetragen, und der Organist spielte u. a. das Rondo KV 382 in der Fassung für Orgel. Das war wunderbar, aber weder romantisch noch sonst etwas.
    Und wenn du Orgel spielst, bist du ja auch öfters in einer Kirche und hast vielleicht schon einmal das Requiem d-moll KV 622 oder auch die Krönungsmesse C-dur KV 317 oder auch die Missa brevis G-dur KV 140 gehört oder sogar dabei mitgewirkt.
    Kannst dur mir, lieber Glockenton, vielleicht erzählen, was daran romantisch ist, oder an den langsamen Sätzen in den Klavierkonzerten KV 271, 356 oder 482?
    Mozart war, um bei der Jupitersinfonie zu bleiben, von der Romantik ungefähr so weit entfernt wie der Jupiter von der Erde.
    Wenn man Mozart nicht mehr als einen Salonlöwen der Unterhaltungsmusik begreift, sondern als einen der Größten, und wenn man begreift, dass Harnoncourt genau aus diesem Grunde das gängige Mozartbild mit seinen Interpretationen zurechtrücken will, dann tut man beiden genüge.



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich kann mir denken, was Glockenton meinte. Dies ist auch der Fakt, den ich seit langem an Harnoncourt kritisiere: Er dramatisiert über die Maßen, er lässt das Orchester z.B. einen Mozart musizieren wo es gelegentlich zu Verzögerungen im Spielverlauf kommt oder die Temporelationen stimmen nicht oder er fordert vom Orchester eine so drastische Spielweise, die so einschneidend und laut ist, dass es de facto gar kein Zusammentreffen der Orchesterstimmen kommt, welches Mozart sich erdacht hat und jenen spezifischen Mozartklang traf, der ihn ja schon zu Lebzeiten so unverwechselbar und so berühmt gemacht hat.


    Nun kann man sich fragen, was ist das für ein Quatsch mit dem spezifischen Mozartklang. - Er ist überliefert. Durch die Aufführungspraxis und Aufführungstradition über Jahrhunderte hinweg, angefangen von Mozart selbst bis hin zur Gegenwart.


    Diesen Pfad hat Harnoncourt seit langem verlasen, geopfert seinem Drang nach Selbstdarstellung in Form von musikalischen Überzeichnungen und es unbedingt, koste es, was es wolle, anders zu machen...


    :hello: LT

  • Lieber Willi,


    ich muss feststellen, dass Du meinen Beitrag ganz und gar missverstanden hast und schiebe das einmal auf die späte Stunde der Erstellung Deiner Antwort (04.13). Ehrlich gesagt muss ich den Ball zurückspielen und fragen, ob Deine Antwort tatsächlich ernstzunehmen sei.


    Klar ist, dass man nicht immer Lust hat, lange Beiträge zu lesen. Wenn man sich aber dann darauf kritisch bezieht, dann sollte man einen solchen Beitrag auch wirklich gelesen und nicht nur überflogen haben. Allein die Tatsache, dass Du mich mehrfach falsch zitierst, lässt für mich den Schluss zu, dass es um 04.13 Konzentrationsprobleme bei Dir gegeben haben könnte.


    Aber ich will Dir eine Antwort nicht schuldig bleiben:


    ...ich wollte eigentlich jetzt ins Bett gehen, nachdem ich die wunderbare Züricher Aufnahme aus 2004 von Beethovens Fidelio (Regie Jürgen Flimm) gehört und gesehen hatte. Aber dann habe ich deinen Beitrag gelesen und mir überlegt, ob du das alles ernst gemeint hast. Wenn ja, dann lass mich auf einzelne Aussagen antworten:


    Bei einer genaueren Lektüre meines Beitrags wäre Dir ggf. nicht entgangen, dass ich mich sehr explizit auf genau eine Live-Aufführung bezog, die gestern auf 3Sat übertragen wurde. Das Konzert fand entweder 2014 oder 2013 statt, aber nicht 2004. Gespielt wurden drei Mozart-Symphonien mit dem Concentus musicus Wien, und eben kein Fidelio von Beethoven mit dem Opernorchester aus Zürich.
    Ich finde es problematisch, wenn Du auf meine Kommentare zu einem neulichen Mozart-Konzert antworten willst, ohne dieses auch gesehen und gehört zu haben. Ich glaube Dir gerne, dass die Fidelio-DVD von 2004 sehr toll ist, aber diese hat mit dem, worüber ich hier einige Gedanken äußerte, so gut wie nichts zu tun.


    Zitat:" Es ist eine radikale Aufgabe, ja schon Zerstörung jeglicher au Schönklang und angenehmer Unterhaltung getrimmte Mozart Tradition".


    Das ist ein etwas falsches Zitat. Ich empfehle die Zitatfunktion der Software und bei der Lektüre den Willen, auch verstehen zu wollen. Geschrieben habe ich:


    Es ist eine radikale Aufgabe, ja schon Zerstörung jeglicher auf Schönklang und angenehme Unterhaltung getrimmter Mozart-Tradition.


    Was ist daran falsch? Hast Du denn das Konzert irgendwo gehört? Seit Harnoncourt in den 80er-Jahren anfing, Mozart-Symphonien zu dirigieren, ist genau das sein Anliegen. Meine Aussage ist keine Wertung, sondern nur der Versuch der Beschreibung dessen, was zu hören war. Es war so, und ich unterstütze doch im Grundsatz die notwendigen Korrekturen am Mozartbild, die Harnoncourt in der Interpretationsgeschichte anbrachte.


    Seit wann vergleichst du Mozart, sagen wir mal, mit André Rieu? Was der macht, ist, jedenfalls nach der Meinung vieler Leute, "angenehme Unterhaltung", aber doch nicht, was Mozart macht. Wie kannst du ihn nur derart herabwürdigen?


    Wo habe ich denn das getan? Wenn Du meine Beiträge seit 2005 mitgelesen hättest, dann wüßtest Du, dass ich grundsätzlich gegen einen glattgebügelten Zuckerguss-Mozart bin und hinsichtlich der "Rede in Tönen", die Harnoncourts Credo für die Barockmusik bis Beethoven ist, diesen Interpreten immer im Grundsatz sehr unterstützt habe. Diesen Vorwurf muss ich jetzt als unsachlich zurückweisen.


    Ein weiteres Beispiel deiner Ausführungen, wo ich überhaupt kein Verständnis für habe, ist dieses: Zitat: "Klang es in den 80er Jahren mit dem Concertgebouw-Orchester und in den 90er Jahren mit dem COE noch vom gewohnten Klangbild her etwas weicher und "romantischer", so ist der Klang des Concentus hier absolut nur am dramatischen Ausdruck des Gourmets orientiert.


    Hier wurde in der Tat falsch zitiert. Ich schrieb:


    Klang es in den 80er-Jahren mit dem Concertgebouw-Orchester und in den 90er-Jahren mit dem COE wenigstens noch vom gewohnten Klangbild her etwas weicher und "romantischer", so ist der Klang des Concentus hier absolut nur am dramatischen Ausdruck, nicht aber am Genuss des Gourmets orientiert.


    Beim nachfolgenden Film sagte Harnoncourt in der mitgeschnittenen Probe zu diesem Konzert sinngemäß: "Von dem Takt ab verprügeln wir den Hörer bis zum Schluss." Ich bekomme die originale Formulierung nicht mehr ins Gedächtnis, aber er hat es so gesehen, dass die Musik derart dramatisch sei, dass es um Leben und Tod ginge, dass sie auf die Hörer geradezu eingeschlagen werden müsse. Für edlen Genuss an samtigen Streichern, an klassischem Ebenmass, klanglicher Wärme und Ausgewogenheit war da kein Platz, und das sollte es auch nicht sein. Die Aussagen aus der Probe haben mir meinen Höreindruck jedenfalls zu 100% bestätigt.
    Auch hier habe ich keine Wertung vorgenommen, sondern nur eine Beschreibung versucht. Meine Frau hat bis zur Jupitersymphonie Satz 1 noch ausgehalten, ist dann aber mitten im Satz nach oben gegangen, weil sie dieses Musizieren als zu anstrengend empfand. Harnoncourt mutete hier dem Zuhörer eine Menge zu, und zwar mit Absicht. Ich habe das noch nicht abgewertet, sondern nur beschrieben...


    Wenn du natürlich die CD während der Übertragung des Spiel BVB gegen Hoffenheim gehört hast, ist das ja schon fast Blasphemie. Denn entweder konzentriert man sich auf Dortmund, oder auf Mozart. Beides geht nicht.


    Willi, bitte den Ball flach halten, ok?
    Ich bezog mich auf hörbar falsche Töne in einem eigentlich sehr guten Orchester und habe das generell mit dem BVB verglichen, der ja eigentlich eine Top-Mannschaft ist, aber dennoch u.a. aufgrund von Einzelfehlern, Pech etc. in der Bundesliga am Tabellenende krebst, wo er ja eigentlich nicht hingehört. Wie Du darauf kommst, dass ich beim Mozarthören gleichzeitig Fussball gesehen habe, will sich mir nicht erschließen. Es war nicht so. Und wenn es um Blasphemie geht, dann muss ich klar sagen, dass ich weder Mozart noch Harnoncourt als Gottheiten ansehe, sondern "nur" als überaus geniale Musiker, jeder auf seinem Gebiet.


    Auf Deine Einlassungen zum Thema Orgelspiel etc. gehe ich jetzt nicht ein, weil sie mit der Sache einfach nichts zu tun haben.


    Kannst dur mir, lieber Glockenton, vielleicht erzählen, was daran romantisch ist, oder an den langsamen Sätzen in den Klavierkonzerten KV 271, 356 oder 482?


    Nach Ansicht von Harnoncourt ist Mozart der größte romantische Komponist überhaupt. Das hat er schon seit 1980 immer sehr griffig und häufig formuliert, und es stand auch in jeder Kulturspalte einer Zeitung oder im Fonoforum. Ich will dem Maestro hier ebenfalls gar nicht widersprechen. Er sieht bei seinem Mozartbild die Abgründe aber auch das Zarte und die Zwischentöne (im Grundsatz, manchmal fehlten sie mir in diesem Konzert) und lehnt ein Einebnen derselben ab. Es ist ein aufwühlendes, leidenschaftliches Mozartbild, dass in dieser Hinsicht tatsächlich romantische Züge trägt.
    Mein Frage war in diesem Zusammenhang, ob man bei einem solchen Mozartbild nicht auch die Instrumente des romantischen Symphonieorchesters vorziehen sollte.
    Für mich schreibt Mozart auch im Instrumentalwerk übrigens sehr opernhaft. So manche seiner Kantilenen oder auch lebendigen Figuren für das Klavier bei den Klavierkonzerten erinnern mich an Opernarien. Ich habe selbst einmal ein Mozart-Klavierkonzert spielen dürfen (A-Dur) und hatte oft den Eindruck, als würde ich in der rechten Hand eine Sopranistin aus irgendeiner Mozartoper haben.


    Mozart war, um bei der Jupitersinfonie zu bleiben, von der Romantik ungefähr so weit entfernt wie der Jupiter von der Erde.


    Sorry Willi, aber das sieht Harnoncourt, den Du hier gegen einen Harnoncourt-Verteidiger irrtümlich meinst verteidigen zu müssen, sehr anders.
    Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang "romantisch" nicht als "süßlich" im Sinne von Friede, Freude, Eierkuchen plus Zuckerguss missverstehen. Damit ist vielmehr emotional, leidenschaftlich, aufwühlend, erschreckend aber auch tröstend gemeint. Und ja, natürlich ist die Jupiter-Symphonie auch so.


    Wenn man Mozart nicht mehr als einen Salonlöwen der Unterhaltungsmusik begreift.....


    ....ausgerechnet mir eine Nähe zu Andre Rieu zu unterstellen, ist schon ein Ding. Aber ich will Dir einmal nachsehen und auf die späte Stunde schieben.


    ....und wenn man begreift, dass Harnoncourt genau aus diesem Grunde das gängige Mozartbild mit seinen Interpretationen zurechtrücken will


    Ich bilde mir ein, davon ein wenig in den letzten Jahrzehnten begriffen zu haben. Zudem stütze ich doch im Grundsatz die Mozartauffassung Harnoncourts, was auch bei einer konzentrierteren Lektüre meines Beitrags ersichtlich gewesen wäre:


    Was die grundsätzliche Interpretationshaltung anbelangt, bin ich mit der klangsprachlichen, auf Streit und Dialog ausgerichteten Sichtweise sehr einverstanden.


    Dennoch ist es grundsätzlich von den Ideen und dem Grundverständnis her sehr toll und auch "richtig" so.


    Mein Verständnis für gewisse Kritiker setzt da ein, wo Harnoncourt genau diese oben genannten Aufführungen dadurch angreifbar machte, dass er offensichtlich auf das Üben der elementar handwerklichen Dinge wie Intonation und Zusammenspiel und auf die Schaffung eines gewissen einheitlichen Ensembleklangs komplett verzichtete. Es ging ihm hier nur ums Drama, um den Konflikt um Leben und Tod, und er forderte einen extremen Ausdruck. Aus Büchern über Harnoncourt und aus Berichten über seine Proben weiß ich, dass er bestimmte Dinge einfach voraussetzt und manchmal mit einem Orchester gar nicht erst das ganze Stück durchspielte, sondern nur für ihn besonders wichtige Stellen in Sachen Ausdruck probt. Das kann gutgehen, aber es kann auch hörbar werden, und genau das war in diesem Konzert der Fall.
    Ich habe in meinem Beitrag auch unseren durch CDs entstandenen Anspruch auf Perfektion und Feinschliff relativiert, bzw. zur Diskussion gestellt, und zwar mit dem Hinweis auf Furtwängler, der ja bekanntermaßen exakte Einsätze und Perfektion um ihrer selbst willen sehr ablehnte.
    Der Zauber der Musik existierte für ihn im Moment des Musizierens, im Konzert. Da war dann nicht alles perfekt, aber es gab immer wieder auch Elektrizität in der Luft.
    Für mich ist Harnoncourt auch so einer, der diese Momente liebt und sie auch oft erreicht, in dem er hohe Risiken beim Musizieren eingeht. Er selbst betont das immer wieder. Die Gefahr des Scheiterns ist dann natürlich auch immer vorhanden, und das sagt er auch so.


    Noch ein anderer Punkt: Aus eigener Erfahrung als Dirigent und aus Dirigierklassen weiss ich, dass der Moment kommen kann, wo der Dirigent mehr will, noch mehr, und dann noch mehr, aber der Chor oder das Orchester schon längst am physikalischen Limit fährt. Die Verzweiflung beim Dirigieren steigt, und man fordert noch mehr, aber es kommt einfach nicht mehr.
    Von weitem klingt es dann paradoxerweise flacher - weniger wäre dann mehr gewesen.
    Ein wenig fand ich, dass Harnoncourt an dieser Falle bei diesem Konzert vorbeischrammte, ohne sie voll auszulösen.
    Ob Du das als bedenkenswerten Hinweis aus der Praxis akzeptieren kannst, oder darin eine Art Gotteslästerung siehst, bleibt Dir überlassen.
    Harnoncourt selbst würde es übrigens ablehnen, wenn man alles was einem vorgesetzt wird, einfach so schluckt, nicht hinterfragt. Er selbst hinterfragt seine eigenen Ansichten ständig und verändert sich dabei und hofft auch von seinen Zuhörern, dass sie nicht einfach alles lobpreisen, selbst wenn ein zurecht sehr berühmter Name damit verbunden ist, ja selbst wenn es sein eigener ist.


    Ich meine, dass man die Artikulation, die Gestik, die Agogik und auch die Dynamik im Grundsatz durchaus so wie er machen kann und es vielfach auch tun sollte (dafür könnte ich jetzt lange Begründungen verfassen), aber ich stelle zur Diskussion, ob man jedes "Event", jeden Effekt derart drastisch bis an die physikalischen Grenzen ausspielen muss. Die Gefahr des allzu Plakativen ist hier m.E. doch nicht zu übersehen. Bei dem Ausdruckswillen schien mir der Concentus hier -rein klanglich-physikalisch gesehen- schon nahezu überfordert. Die gewaltige Dynamik, die Harnoncourt offensichtlich haben wollte, hätte ein großes romantisches Symphonieorchester (als solche muss man unsere "normalen" Orchester wohl bezeichnen, denn sie spielen ja nicht auf elektronischen Instrumenten des 21. Jahrhunderts) durchaus spielen können, ohne den Eindruck von "am Limit" abzugeben und ohne die Absage an ein Minimum an Klangkultur bzw. Klangschönheit.
    Wenn man also mit einem kleinen Kammerorchester auf Originalinstrumenten spielt, dann kann und soll man ja all diese Dinge machen, nur frage ich mich, ob man dann den Ambitus der geforderten Dynamik den geringeren Möglichkeiten der alten Instrumente ggf. mehr anpassen müsste.
    Und ich finde schon, dass man sich durch offensichtlich nicht gut genug geübtes Zusammenspiel und durch zuviele Intonations"dinger" unnötig gegenüber den grundsätzlichen Ablehnern und Hassern angreifbar gemacht hat. Man kann über gewisse live-bedingte Sachen hinweghören, aber es fragt sich eben, ob man hier etwas länger und handwerklicher hätte proben müssen, um dem Ausdruckswillen nicht den physikalisch-elementaren Boden unter den Füßen unsicher zu machen.


    Ich lehne Mozart mit Harnoncourt keineswegs grundsätzlich wie hier so mancher ab, sondern es überzeugt mich meistens sehr. Allerdings finde ich, dass die Symphonien mit dem Concertgebouw oder dem COE überzeugender klangen - zahm war das gewiss auch nicht! Es gibt auch sehr gute Mozart-Aufnahmen mit dem Concentus, die nicht so wie dieses Konzert klingen und natürlich auch frei von spieltechnischen Schwächen sind.
    Nicht jedes Konzert kann und muss eine Sternstunde sein. Die grundsätzlichen Interpretation, die Harnoncourt im Kopf hat, ist m.E. in vielen Bereichen sehr berechtigt, aber die klangliche Umsetzung in die materielle Realität ist ihm früher m.E. schon besser gelungen. Man soll das auch nicht zu hoch hängen...


    Solche Aspekte als bekennender Harnoncourt-Fan einmal zu anzusprechen, ist sachlich vertretbar und legitim, und es hat weder etwas mit Fussball, Andre Rieu oder Blasphemie zu tun, will ich meinen. Mein Eindruck war, dass gewisse Überforcierungen und faktisch nicht zu überhörende handwerkliche Mängel zu sehr den Fokus des Hörers auf sich zogen. Grundsätzlich sind diese Interpretationen nämlich voll mit guten bis phantastischen Ideen. Wenn man die jedoch so ungeschliffen und handwerklich bedenklich umsetzt, wie in diesem Konzert, dann wundert es mich nicht, wenn Kritiker hier willkommene Ansatzpunkte finden. Vor diesem Hintergrund melde ich erneut Zweifel an, ob es gut ist, so herausfordernde Werke mit einem derart fordernden Dirigenten hintereinander als ein Werk zu spielen. Aber vielleicht wirkt das im Konzert anders, als wenn man es sich hinterher im Fernsehen ansieht/anhört.


    Gruß
    Glockenton


    Liebestraum: Eitle Selbstdarstellung im Sinne es unbedingt anders machen zu wollen, unterstelle ich gerade Harnoncourt nicht. Er meint es tatsächlich so. Wenn er davon erzählt, dass der Krieg in entscheidend prägte, dann muss man das einmal auf sich wirken lassen. Er stand auf einem Aussichtsturm in Graz und musste die Bombeneinschläge an die Feuerwehr melden und wurde manchmal vom Luftdruck der Bomben umgeworfen. Ob man diese Lebenserfahrungen hört, wenn er die dramatischen Akzente bei Mozart ins Orchester mit Fäusten hineinfeuert, so dass man schon an Bombeneinschläge denken kann? Ich bin mir sicher, dass solche dramatischen Dinge in der Mozartmusik durchaus auch enthalten sind, aber man fragt sich, ob die Akzente derart radikal gespielt werden müssen, was in dieser Besetzung besonders deutlich wurde.Diese Symphonien sind keine netten Divertimenti, ganz klar. Ich würde für maximal 80% der Lautstärken bei Akzenten plädieren und für etwas mehr Fokus auf das ganz normale Zusammenspiel, Intonation usw. Eine freie Agogik, etwa bei der Durchführung des letzten Satzes der g-moll Symphonie ist hingegen durchaus vertretbar und nachvollziehbar. Aber ich bin nicht in der Position, Harnoncourt Ratschläge zu geben.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    nachdem ich alles noch einmal gelesen habe, gebie ich dir vollkommen Recht, dass ich nicht gemerkt habe, dass sich deine Kritikpunkte hauptsächlich auf das Konzert bezogen, das ich leider nicht gesehen habe. Ich habe nur den Film gesehen, in dem Harnocourt sich über seine Intentionen äußerte. Das war schon radikal, was er da sagte, aber Einiges an der Umsetzung, was mir im Gedächtnis geblieben ist, gefiel mir sehr gut.
    Ich hätte wirklich deinen Beitrag genauer lesen sollen, dann hätte sich meiner in dieser Form erübrigt. Wahrscheinlich lag es wirklich an der späten Stunde, und deswegen entschuldige ich mich in aller Form. Ich werde jetzt wohl um die Anschaffung dieser Trias nicht herumkommen und sie mir dann aufmerksam anhören und hinterher in diesem Thread darüber berichten.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Alles klar Willi ! :-)


    Dir einen schönen Sonntag - muss jetzt zur "Lysmesse" und selber etwas spielen....


    LG
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Mir geht es ähnlich, lieber Glockenton, wir singen ein musikalische Andacht mit Werken von u. a. Händel, Osiander und Gluck. Auch Dir einen schönen Sonntag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Bereits im Oktober musste Nikolaus Harnoncourt, 85, sämtliche Auftritte aus gesundheitlichen Gründen absagen. Darunter waren u. a. zwei Konzerte im Wiener Musikverein mit Beethovens 7. und 8. Symphonie, die nun im April 2016 nachgeholt werden sollen.


    Gleichwohl plant Harnoncourt für die styriarte 2016 unter dem Motto "Es lebe die Freiheit — Viva la libertà", an zehn Abenden alle Symphonien von Beethoven aufzuführen. "Die Symphonien sind so kombiniert, dass die Quersumme immer neun ergibt, also 1. und 8. Symphonie zum Beispiel und die Neunte steht allein am Ende."


    Dass der fast 86-jährige Dirigent immer häufiger Konzerte gesundheitlich bedingt absagen müsse, sei "organisatorisch natürlich ein großes Wagnis, das man, angesichts eines 'Jahrhundertprokjekts' sehr gern eingeht".


    Seinen nächsten planmäßigen Auftritt wird Harnoncourt am 5. Dezember 2015, dem Vorabend seines 86. Geburtstages, mit einem Bach-Programm im Wiener Musikverein absolvieren.


    Quellen:


    http://magazin.klassik.com/new…ritte%20im%20Oktober%20ab
    http://www.kleinezeitung.at/s/…z-im-Zeichen-der-Freiheit
    http://www.krone.at/Steiermark…yriarte_2016-Story-483082
    http://www.harnoncourt.info/termine/

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nikolaus Harnoncourt sagt die unmittelbar bevorstehenden Konzerte mit dem Concentus musicus in Wien ab.
    Ein Brief an das Publikum der geplanten Konzerte (die von Erwin Ortner übernommen werden) deutet auf einen vollständigen Rückzug von der Leitung des CM hin, wohl auch vom Konzertpodium insgesamt.

  • "Die Presse" bestätigt dies bereits: http://diepresse.com/home/kult…oncourt-zieht-sich-zuruck


    Am Vorabend seines 86. Geburtstages erklärte Nikolaus Harnoncourt das Ende seiner aktiven Karriere.



    Sehr schade. Ich wollte eigentlich noch in eines seiner Beethoven-Konzerte 2016. Das hat sich damit wohl erledigt.


    Das Ende einer Ära. :(

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine Ära geht zu Ende.


    Es überrascht mich nicht, aber dennoch empfinde ich gerade ziemlich deutlich, wie so ein Gefühl von Traurigkeit und Wehmut sich in mir ausbreitet.
    Sicher sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch andere große Einflüsse für mich wichtig gewesen, doch weiß ich nicht nur von mir, dass es Leute gibt, die seinetwegen den Entschluss gefasst haben, überhaupt Musiker zu werden. Ohne sich gegenseitig persönlich zu kennen, gibt es da dennoch eine spürbare innere Verbindung zu ihm.



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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