Grosse Künstler der Vergangenheit und ihr Schicksal

  • Liebe Taminoeaner


    Vieleicht kennt Ihr auch das Problem, sehr viele Aufnahmen zu besitzen und prozentual gesehen dazu doch zu wenige von den Schätzen zu kennen. Entweder reicht die Zeit nicht, oder die Sammlerwut ist größer als die Muße sich regelmäßig die Aufnahmen anzuhören. Vielleicht bin ja auch ein krasser Fall, denn ich denke, daß ich über die Hälfte meiner Aufnahme nicht gehört habe oder irgendwann flüchtig reingehört habe und das oft vor längerer Zeit.


    Ich bin erst seit 3 Wochen bei Tamino. Es ist für mich sehr interessant frühere Diskussionen zu lesen und für mich viele neue Informationen dadurch zu bekommen. Es sind zwar erst relativ wenige Themen die ich bis jetzt durchstöbert habe....
    aber einer von diesen hat mich dazu gebracht vor einer Woche mit dem Hören historischer Aufnahmen von Schubert-Liedern zu beginnen.


    Joseph II hatte über Wilhelm RODE geschrieben.
    Es entwickelte sich eine spannende und teils sehr informative, wie auch kontroverse Diskussion.
    ................ ich wurde an andere grosse Sänger erinnert, die z.T. allerdings aus verschiedenen Gründen einen ganz anderen Weg gegangen sind, oder gegangen worden sind


    Ich nahm mir die beiden Casetten mit jeweils 3 CDs der historischen SCHUBERT-Lied Edition der EMI vor.


    Einige der Sänger/innen beschäftigen mich.....und obwohl ich kein Experte auf diesem Gebiet bin, reift in mir das Interesse meine Begeisterung über das Gehörte zu versuchen zu Papier zu bekommen... und sehr gerne mit Euch darüber zu diskutieren.


    Neben den künstlerischen Leistungen sind auch die unterschiedlichen Schicksale dieser Künstler von Interesse. Da ich bei etlichen Grössen der Vergangenheit ausser dem Namen, ein paar Details aber meistens nicht doch nicht sehr viel weiss, bin ich neugierig auf Eure Kenntnisse und Meinungen.


    Als erstes : OTTILIE METZGER


    Ich bin auf sie gekommen, da mir ihre Interpretation von Schuberts
    AN DIE MUSIK (D 547), Text von Schober,
    sehr gefallen hat. Die Aufnahme stammt von 1910 und die Sängerin begleitet sich selbst am Klavier.
    Ich habe Christa Ludwig, Kathleen Ferrier, Lotte Lehmann, Marion Anderson und andere Aufnahme mit der Metzgers verglichen und kam wegen der Klarheit der Diktion und der Nachdrücklichkeit die sie diesem wichtigen Liedtext im Stande ist zu verleihen, öfter ihre Aufnahme gespielt. Neben einigen anderen Liedern habe ich heute 3 Opernaufnahmen von ihr gefunden, die ebenfalls ihren hohen künstlerischen Rang belegen. Vorallem aus Glucks ORPHEUS die Arie des Orpheus "Deh! placatevi con me" zeugt von einem großen noblen Gesangsstil. Im Vergleich zur Onegin singt sie weniger "belcantesk" aber keineswegs mit weniger Ausstrahlung und Wärme.


    Otilie Metzgers Schicksal war mir bis jetzt nicht bekann. 1878 in Frankfurt/Main geboren, mußte sie 1939 nach Brüssel zu ihrer Tochter fliehen. Sie arbeitete dort für kärgliche Honorare als Gesangspädagogin. 1942 wurde die 64 jährige im besetzten Belgien von Deutschen oder deren Häschern auf offener Strasse gestellt und nach Ausschwitz verschleppt. Dort ist sie umgekommen.


    Ihre klangreiche, vielschichtige Mezzo-Stimme ist tief timbriert und muss sehr voluminös gewesen sein. Ich will versuchen eine Carmen-Aufnahme von ihr zu bekommen, denn das war eine ihrer Glanzrollen. Sie war auch eine gr0sse Wagner-Sängerin in den Partien der Brangäne, Waltraute, Fricka und Erda. 1910 hat sie bei der Uraufführung von Mahlers ACHTER in München den Altpart gesungen. 1933 hatte sie unter Bruno Walter in Berlin und Otto Klemperer in Dresden ihre letzten Auftritte.


    Gruss................"Titan"

  • Zitat

    Original von Titan
    Joseph II hatte über Wilhelm RODE geschrieben.
    Es entwickelte sich eine spannende und teils sehr informative, wie auch kontroverse Diskussion.


    Ich glaube, bei Rode wird vielfach übersehen, daß er zumindest in seinen Anfangsjahren gesanglich wirklich gut gewesen sein muß – anders hätte ihn der sicher sehr kritische und politisch moderate Siegfried Wagner kaum als "besten Bariton seiner Zeit" bezeichnet.


    Gerade gestern fand ich Rodes berühmt-berüchtigten Schlußmonolog von 1935 wieder bei youtube (er war eine Zeitlang gelöscht). Die Rollengestaltung gerät zeittypisch natürlich extrem, doch kann ich mir vorstellen, daß die Zeitgenossen diese Darbietung nicht kalt ließ, ist sie doch so intensiv wie kaum eine zweite (wenn auch in einem zweifelhaften Sinne, versteht sich).


    Das ist doch ein ähnlicher Fall wie v. Manowarda oder Prohaska. Eine Diskussion allein über ihre stimmlichen Fähigkeiten ist kaum möglich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • http://www.youtube.com/watch?v=BlmJ8k4nJEk&feature=related


    zwei treffende Kommentare (youtube):


    Ich habe das Gefühl, daß er nicht immer den Ton trifft - oder?


    Er übertreibt es maßlos und schreit beinah, was die musik teilweise verschandelt



    *



    Ich finde es schwer erträglich, auch wenn man beide Male konzediert, daß ja der Sachs eine gewaltige Partie ist und wir hier den Schlußmonolog hören.


    Darstellung und gesangliche Gestaltung haben etwas Gewaltsames, erzwungen Demagogisches; ich hab gut reden, aber es hört sich an, als wüßte der Rode, wie schlimm er distoniert - ich höre nur die Aufgeblasenheit, das "Wer-brüllt-hat-Unrecht"; und sowohl dem "H.H." des Publikums nach Goebbels Rede wie auch dem Chor nach der Sachs-Rede ist eine gewisse Begeisterungslosigkeit anzumerken.


    Wie anders wirkt der Fidelio zur Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955, dessen grandioses Finale ja auch bei Youtube zu sehen ist. - Es gibt hier Taminos, die das noch erlebt haben! :jubel:


    Und von aller Politik abgesehen: welch beglückender Stilwandel zu Frantz unter Kempe oder Schöffler unter Knappertsbusch. - Doch schon bei Nissen 1927 finde ich diese Güte, diese abgetönte innige Wärme, die ja den Sachs zutiefst ausmacht.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • [quote]Original von Titan


    Als erstes : OTTILIE METZGER


    Sie war auch eine gr0sse Wagner-Sängerin in den Partien der Brangäne, Waltraute, Fricka und Erda.


    Liebe Taminoeaner


    Mich würde sehr interessieren WER von Euch die Stimme der Ottilie Metzger kennt? Oder ist sie nur noch ein Name aus der Vergangenheit.???
    Nachdem ich durch ihr Schubert-Lied "An die Musik" Feuer gefangen hatte....und mich vor einigen Tagen auf die Suche machte, um den mir seit langem bekannten Namen auch mit einer dazugehörigen Stimme verbinden zu können.............bin ich heute wieder fundig geworden.


    In der 12 CDs umfassenden Wagner-Box "100 Jahre Bayreuth auf Schallplatte" gibt es von der Metzger zwei Mitschnitte aus Bayreuth, die schlichtweg sensationell sind.
    Das RHEINGOLD gehört schon immer zu meinen Lieblingsopern.....und der Auftritt von ERDA passiert ja plötzlich und wirkt fast wie ein Wunder, da sie gut zwei Stunden in der Oper überhaupt nicht existent ist. Plötzlich ist sie ganz praesent, ALLE Protagonisten schauen gebannt auf die "Urmutter", die dem nach Macht strebenden Wotan den Spiegel vorhällt und ihn zurechtweist.
    Genau mit dieser fast imperialen Diktion singt Ottilie Metzger die Erda und sie imponiert mit ihrer warmen Schwärze in der Stimme, macht überzeugend glaubhaft, daß sie als Verantwortliche Wotan zum einlenken bringen muß um eine Katastrophe zu verhindern.


    Fast noch beeindruckender habe ich beim heutigen Durchhören (erstmals) ihre WALTRAUTE in der Götterdämmerung erlebt. Zwischen 1904 und 1912 gab sie diese Rolle in Bayreuth. Bis heute gibt es wahrscheinlich nicht viele die ihr das Wasser reichen können. Die Aufnahme ist gestern vor 99 Jahren in Berlin aufgenommen worden.(!!) Der Klang dieser epochalen "Gesamtkunsttat" von Gebhardt ist bewundernswert. Solche Eindringlichkeit der Gestaltung hab ich in den vielen Vorstellungen die ich seit 40 Jahren gehört habe, eigentlich nur einmal in einer Vorstellung in Essen (Aalto Theater) erlebt. Die Sängerin war Julia Juon, die für 15 Minuten in der Szene mit Brünnhilde in einem Ausmaß praesent und stimmlich domierend war, daß sie diese wichtigen Szene zwischen den Schwestern ihren Stempel aufdrückte.


    Ottilie Metzger singt "Seine Raben beide sandt er auf Reise" mit einem fesselnden Ausdruck, der mich nicht nur vollends überzeugte, sondern ihre singuläre Größe und ihre Ausnahmestellung in der Gestaltung dieser Rolle der Waltraude uns auch fast 100 Jahre später noch staunend zurückläßt. Einfach großartig!!!


    Kennt jemand die Waltraute der Metzger unter Bruno Seidler-Winkler?? (1911 aufgenommen)


    Gruß............."Titan"

  • Hallo Titan,


    ein schöner und wichtiger Thread. Danke.


    ja, ich kenne Ottilie Metzger. Sie war von 1900 bis 1903 in Köln engagiert. Auf der CD "Die Kölner Oper von der Jahrhundertwende bis -mitte" ist sie mit der Habanera vertreten. Bei meinen Recherchen zur Köner Operngeschichte fand ich auch mehrere Fotos mit ihr und erfuhr von ihrem Schicksal.


    LG,


    Knuspi

  • Liebe Taminoeaner




    >>Ich nahm mir die beiden Casetten mit jeweils 3 CDs der historischen SCHUBERT-Lied Edition der EMI vor.


    Einige der Sänger/innen beschäftigen mich.....und obwohl ich kein Experte auf diesem Gebiet bin, reift in mir das Interesse meine Begeisterung über das Gehörte zu versuchen zu Papier zu bekommen... und sehr gerne mit Euch darüber zu diskutieren.


    Neben den künstlerischen Leistungen sind auch die unterschiedlichen Schicksale dieser Künstler von Interesse. Da ich bei etlichen Grössen der Vergangenheit ausser dem Namen, ein paar Details aber meistens nicht doch nicht sehr viel weiss, bin ich neugierig auf Eure Kenntnisse und Meinungen.


    Als erstes : OTTILIE METZGER


    Ich bin auf sie gekommen, da mir ihre Interpretation von Schuberts
    AN DIE MUSIK (D 547), Text von Schober,
    sehr gefallen hat. Die Aufnahme stammt von 1910 und die Sängerin begleitet sich selbst am Klavier.<<




    Zum Zweiten : HERBERT JANSSEN


    1892—1965


    In Anlehnung an eines der heutigen wichtigen gesellschaftlichen Themen von Brisanz, kam ich auf den großen Deutschen Bariton Herbert Janssen, einen echten Kölner Jung, 1892 dort geboren (1882 hab ich auch schon gelesen)


    Nach dem Tod des couragierten Mitbürgers, der in der Münchner U-Bahn im letzten Jahr seine Hilfsbereitschaft mit dem Tode bezahlte, da er nicht wegschaute und beherzt einschritt,
    ist NICHTWEGGUCKEN und ZIVILCOURAGE zeigen,
    wenn Unrecht geschieht , in VIELER Munde.


    Heute Abend gab es in der ARD mit dem guten und glaubwürdigen Götz George einen solchen wachen und engagierten Mitbürger, der deswegen in Gefahr gerät. (ich habe nur kurz reingeschaut)



    In der genannten historischen Schubert-Edition hab ich Herbert Janssen als Liedsänger entdeckt.
    Bis jetzt kannte ich ihn vor allem in seinen Paraderollen als Wolfram, Hans Sachs, Wotan etc.
    Ich würde ihn in Richtung Hüsch und Hotter einordnen,
    sein Timbre hat von beiden etwas.
    Er hat mich wiedermal darin erinnert, dass es viele Querverbindungen zwischen dem Schubert’schen Liedduktus und der Wagner’schen balladesken Erzählkultur gibt.


    Janssen’s Gesangskultur ist sonor, vorbildlich in Deklamation und Textverständlichkeit. Obwohl er ja in erster Linie Opernsänger war, ist sein Liedgesang nicht arienhaft aufgebläht.
    (Negativbeispiel : Jon Vickers` „Winterreise“)


    Seine poetische Textbehandlung und geradezu edle Tongebung begeistern mich immer wieder
    Besonders gefielen mir die „Romanze“ und „Kriegers Ahnung“. Seine hervorragenden Hugo Wolff-Lieder möchte ich noch erwähnen.


    Zum Thema Zivilcourage und bedrohlichen Entwicklungen in der Gesellschaft, passt der Beginn von „Kriegers Ahnung“.


    "In tiefer Ruh liegt um mich her
    der Waffenbrüder Kreis,
    mir ist das Herz so bang und schwer........."


    Bis jetzt wusste ich nicht, dass Janssen ohne äußere Not Deutschland 1937 verließ. Er war kein Verfolgter.
    Noch im Frühjahr desselben Jahres ist ihm neben Kollegen, die Parteimitglieder waren, der Titel „Kammersänger“ verliehen worden.


    Es muß seine innere Not gewesen sein, die ihn ohnmächtig gemacht hat. Einschreiten, wäre einem sicheren „Opfertod“ gleichgekommen. Aber ihm müssen die Braunhemden unerträglich gewesen sein, so dass er in die USA emigrierte.
    Auch hat er Verfolgten damals geholfen.
    In den USA hat er Gleichgesinnte wiedergetroffen. Außerdem hat er viele Kolleginnen und Kollegen gefunden, die neben ihrer inneren Not in Hitler-Deutschland auch ihr Leben bedroht sahen, da die meisten von ihnen Juden waren.


    Gruß.......................“Titan“

  • Vielen Dank für den Hinweis; habe mir auf youtube gerade einiges mit Janssen angehört, darunter ein Holländer-Duett mit Flagstad unter Reiner aus Covent Garden von 1937 :jubel:


    Zum Thema Zvilcourage: bei Wikipedia steht, Janssen sei selbst Parteimitglied gewesen und habe Nazi-Dl. verlassen müssen. Vielleicht kann uns da ein Kenner der Materie aufklären.


    Obwohl deutlich OT: Der Götz-George-Film war grauenvoll. Der couragierte Antiquar wurde immer isolierter, zuletzt von Freunden und Familie im Stich gelassen. Im Gegenzug rüsteten die Balkan-Emigranten weiter auf; der halbwüchsige Täter und sein erwachsener Bruder verfügten über jew. eine Privatgang. "Wie lange sollen wir noch warten?" konstruiert hier eine sehr fragwürdige Überfremdungs-These am Beispiel einer fiktiven Neuköllner (?) Straße.


    Die Eskalationsdramaturgie mündete in einem Erziehungskitsch sonder gleichen: Eine Beinah-Analphabetin wird durch die Romeo-und Julia-Lektüre auf den rechten Weg gebracht, sie erkennt, was für ein Schwein ihr Lover ist, und alles wird gut. Der plakative Aufruf zur Selbstjustiz (die Exekutive schläft schließlich); die verlogene Annäherung von Bildungsbürger und Harz-IV-Milieu; die Desavouierung einer verständnisvollen Haltung gegenüber den Kriegsemigranten (die Tochter, die wegzieht; die Frau des besten Freundes: "sollen sie doch kommen , so lange sie knackig sind!"); die Gleichsetzung von Kriegstrauma und Ehrbegriffen mit einer professionell mafiösen Gewaltmaschinerie - ich habe das nur mit sehr unguten Gefühlen anschauen können.


    Das eigentliche Opfer, ein bösartiger Alkoholiker mit osteuropäischem Namensanklang, fand nicht mal beim Drehbuch Mitleid. - Soviel dazu.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!