Nebenprodukt oder Kunstwerk? - Mozarts Lieder als die unbekannten Schönen

  • Thema:
    Finden Mozarts Lieder im Schatten seiner anderen Werke zu Recht oder Unrecht wenig Beachtung?


    Einleitung:
    Man kann Wolfgang Amadé Mozarts Bedeutung als Komponist unterschiedlich bewerten. Damit ist kaum die qualitative Wertschätzung seiner Werke, sondern die Art und Weise WIE man ihn und somit auch seine Musik betrachtet gemeint:


    Mit einiger Mühe kann man Mozart in die Geschichte der Entwicklung der Musik und der Composition eingliedern und bei nachfolgenden Componisten weitergeführte Tendenzen und Errungenschaften suchen, die Mozart besonders begründet, weiter entwickelt oder zumindest stark vertreten habe.
    In diesem Fall sieht man Mozart als einen im Sinne der Musik-Entwicklungss-Historie "gewöhnlichen" aber natürlich äußerst talentierten und empfindsamen und somit genialen Componisten.


    Eine andere Sichtweise - der ich weitaus mehr zustimme - rückt Mozart aus dem Hauptstrom der Musik-Entwicklung zur Seite und stellt ihn auf einem Nebenpfad dar, der weniger nach compositorischer Weiterentwicklung per se als nach formvollendeter Schönheit strebt. Dieser Seitenpfad stellt somit gleichzeitig aber auch eine ('positive' Form von) "Sackgasse" dar, dessen DIREKTE Weiterführung oder -entwicklung gar nicht möglich war. (Symbolisch-esoterisch Interessierte würden hier vermutlich noch anfügen, dass möglicherweise aus diesem Grund, Mozarts direkte Nachfahren bereits in der direkten Generation nach ihm ausgestorben sind (also seine Kinder!) :D).
    Mit diesem Bilde sieht man Mozart als einen wahrhaft besonderen Componisten, weil er es auf dem Nebenwege der Schönheit so unglaublich weit gebracht hat.
    Direkt anknüpfen konnte ein anderer daran nicht, so sieht man ja dass etwa Beethoven weitaus mehr auf Haydn, als auf Mozart aufbaut.


    Es geht bei diesen Sichtweisen um Tendenzen - Verallgemeinert will das ausdrücken, dass sich Musik im Lauf der Zeit weiterentwickelt, aber nicht auch im Lauf der Zeit automatisch schöner würde: Sie verändert sich "nur" mit ihrer Entwicklung. Das wäre also der Hauptpfad und immer dann, wenn (wie eben z. B. bei Mozart) das Hauptbewegende eines Componisten nicht in der Weiterentwicklung (oder bloßen Fortführung wie im Falle vieler zweitrangiger Componisten), sondern auf einem bestimmten (Schönheits-)Ideal liegt, betritt jeder einen gewissen persönlichen Seitenpfad. (Dass ergibt dann das was ich mir unter einem Musik-Stammbaum vorstellen würde ;))


    Hauptteil:
    Die in der Einleitung gemachten Überlegungen kann man nun im Kleinen ebenso für Mozarts Lieder im speziellen in Betracht ziehen:
    Die einen reihen seine etwa 30 Liedcompositionen in die wesentliche Entwicklung des Kunstliedes ein und verweisen sowohl rückwärts auf die Vorformen und Ursprünge die Mozart aufgegriffen hat (das "norddeutsche, einfache Lied", bzw. die "Zweite Berliner Schule" à la Carl-Friedrich Zelter einserseits und im gewichtigeren Maß die französische Ariette und die italienische Canzonetta andererseits) und deuten andererseits auf die Lieder nach Mozart (bes. die Schuberts) bereits voraus (insbesondere das schon von mir anderswo genannte "Lied der Trennung" KV 519, f-moll), dass mit Schuberts "Louisens Antwort", D319 *man beachte die Nummern* eine (vermutlich allerdings bewusste) direkte Widerspiegelung in Schuberts Werk fand; die Texte beziehen aufeinander).
    Die anderen sprechen dem mozartischen Lied kaum eine musikhistorische Bedetung zu - loben aber meist trotzdem die große Schönheit. Damit führen sie wieder auf die "Seitenpfad"-Entwicklung hin.


    Ich denke die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Gewiss scheint Mozart Lieder MEIST mehr als Gelegenheitswerke und Gefälligkeitsstückchen für Freunde, bzw. kleine AUftragwerke etwa für Lieder-Almanache betrachtet zu haben. Und doch waren zumindest die späteren Lieder keine für ihn wertlose Nebensächlichkeit. Das kann man zum einen daraus schließen, dass er sich zu fortgeschrittenen Wienerjahren ein Büchlein anlegte, in dem er "vertonenswerke" Gedichte und Texte sammelte. Warum sollte er dies für eine ihm gleichgültige Musikgattung tun? Zum anderen HAT er das Lied nicht bloß in der noch schlichten Form seiner Zeitgenossen weitergeführt, sondern es sich in seinem Charakter als Dramatiker und Operncomponist zueigen gemacht. Er deutet die verwendeten Texte und Gedichte stets im dramatischen Sinn und vertont sie entsprechend. Darübert hinaus entwickelt er immerhin für sich selbst das alte Strophenlied zumindest teilweise in durchkomponierte Liedform um - was mit dem Lied "Das Veilchen" (auf einen Text Goethes!) einen Höhepunkt findet.
    So sind zumindest das eine oder andere kunstvolle kleine Wunder an Schönheit entstanden.


    Was die übrigen Texte angeht sind diese bis auf Ausnahme des Veilchens alle von minderbedeutenden Dichtern, oft sogar nur unterer Durchschnitt. Es ist ein einhelliger Kritikpunkt, dass Mozart sich mit solcherlei zufrieden gab, aber:


    Mozart lebt eben auch in den Liedern seinen Dramatiker-Charakter aus und bleibt seinem früheren Ausspruch treu, dass "die Sprache der Musik gehorsame Tochter" sein muss. Er braucht also gewissermaßen nicht den geistig allzu anspruchsvollen Text, sondern kann sich mit zur Vertonung passenden schlichten wie beliebten Volkstextchen zufrieden geben. Er will damit mehr durch die Schönheit der Musik als durch den Gehalt des vertonten Textes Zuspruch finden.


    Wenn ich der "Seitenpfad" Theorie mehr zustimmen, so gillt dies auch insbesondere für die Lieder Mozarts. Es ist in gewissem Sinn garnicht von belang, ob sie großartige Bedeutung besitzen, allein aufgrund ihrer Schönheit haben sie zumindest ein gewisses Maß von Aufmerksamkeit verdient.


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    Ausblick:
    Nach dem ich mit diesem allgemein gehalten Einstiegs-Knüppel um mich gekeult habe, überlasse ich nun erstmal anderen das Feld: Entweder zunächst meine allgemeinen Gedanken zum Mozart-Lied zu kommentieren, zu ergänzen oder zu verreißen - oder mit der Bennung und Betrachtung einzelnerm Lieder fortzufahren. Letztere Details werde ich sonst im Lauf der Zeit nachreichen.


    Im übrigen ist hier auch einfach unreflektierte Aussprache über Mozarts Lieder willkommen!


    Ebenso wird noch über Interpretationen zu sprechen sein


    :hello:


    Peter

  • Lieber Peter,
    Vielen Dank für diese hervorragende Einführung.


    In der Tat werden Mozarts Liedr in unserer Zeit unter ihrem Wert gehandelt, aber gilt das nicht für alle Lieder vor Schubert ?
    Selbst Beethovens Lieder werden kaum einer näheren Betrachtung für würdig gefunden.


    Interessant ist der Gedankengang von Mozarts Musikgeschmack als "Nebenpfad" - völlig der Schönheit - und nicht der Entwicklung der Musik gewidmet.- in der Tat war Mozart nicht eigentlich ein "Neuerer" sondern eher "konservativ" - oder anders ausgedrückt - ein herausragender Vertreter seine Zeit. Vieles Erstklassige,das wir bei Mozart finden. findet sich auch bei anderen Komponisten - aber nicht in dieser geballten Form.


    Und so finden sich in Mozarts Gesamtwerk auch Lieder.
    Was zeichnet Mozarts Lieder eigentlich aus ?


    Eine eingängige, oft leicht tändelnde, perlende, stets einfach gehaltene Melodie vertont einen meist einfachen Text, der in vielen Fällen ein Couplet darstellt.Der Gesamteindruck ist der eines Ohrwurms.
    Dramatischer Ausdruck, wie später bei Schubert und mehr noch später bei Mahler fehlt hier in aller Regel. Er wäre auch nicht zeitgemäß gewesen. Mozart ist hier in jeder Hinsicht ein Kind seiner Zeit, was allzugern vergessen wird. Mozart lebte im Rokoko, ein Ausdruck der heute immer wieder mißbilligende Blicke ausläst, wenn man ihn gebraucht, ebenso wie man gerne das Biedermeierliche in Schuberts Kompositionen verleugnen möchte.


    Wirklich populär wurde ja Schubert in erster Linie durch seine "gefälligen" und "leichten" Lieder - bzw solche die man dafür hielt.
    Fragt man den oft zitierten "Mann auf der Straße" nach jeweils dem berühmtsten Schubert- bzw Mozartlied, dann wird man in der Regel bei Schubert das Heideröslein oder "Am Brunnen vor dem Tore" , bei Mozart "Kommlieber Mai und mache..." als Antwort bekommen, wobei die meisten Leute den wirklichen Titel nicht parat haben dürften.


    Mozarts KV 596 nach einem Text von Christian Adolf Overbeck (1755-1821) ist eines der letzten Werke von Mozart - und zugleich eines seiner bekanntesten (Welch ein Verlust wenn wir es nicht hätten.
    An Schlichtheit und kindlicher Naivität ist es kaum zu überbieten.
    Und dennoch hat es seine Wirkung auf Generationen von Liederfreunden kaum je verfehlt.


    Schlichtheit und Naivität ist generell eineHaupteuigenschaft der meisten Lieder Mozarts, Kindliche Naivität ist aber heute verpönt, alles muß hintergründig und tiefschürfend angelegt sein. Vielleicht ist hier die Ursache zu suchen, daß Mozarts Lieder derzeit ein wenig in den Hintergrund des allgemeinen musikalischen Bewusstsein verdrängt wurden.


    Mozarts Lieder können weder auf spektakuläre doppelbödige Texte zurückgreifen, noch sind sie progressive Meilensteine der Musik ihrer Zeit.
    Sie wurden jedoch mit bezaubernderm einfacher Melodik ausgestatet, etwas das Mozarts Zeitgenossen durchaus zu schätzen wussten und zu dessen Lebzeiten absolut dem Stand der Zeit entsprach....


    Ich habe mich ein wenig kundig gemacht, welche Interprten sich in Sachen Mozartlied engagiert haben - und es waren doch eine ganze Menge, wenngleich vileles nicht lieferbar ist. Mehr in Sachen Mozartlieder-Interpreten . demnächt in diesem Thread....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Durch einen Fehler meinerseits wurde dieser Thread GESCHLOSSEN-
    Es war daher nicht möglich einen Beitrag zu verfassen. Das war in keiner Weise beabsichtigt - und ich habe es leider erst heute bemerkt.


    Dieser Moderatorenhinweis wird demnächst von mir gelöscht, damit der Thread dadurch nicht erneut gestört wird. Ab jetzt kann hier wieder gepostet werden.


    MOD 001 Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Peter,
    den Namen Mozart assoziiert man nicht unbedingt mit dem Lied, während einem "Die Zauberflöte" fast schon automatisch einfällt ...


    Bei Richard Wagner ist es ähnlich - wer denkt da schon gleich an die Wesendonck-Lieder?


    Richard Strauss hat da in Sachen Lied, neben seinem anderen Schaffen, dann auch schon rein mengenmäßig etwas mehr auf die Beine gestellt.


    Aber bei Loewe, Schubert und Schumann sieht das doch ganz anders aus, das waren die Spezialisten im Bereich Kunstlied!


    Mit Begriffen wie "minderbedeutend" und "unter Durchschnitt" habe ich so meine Schwierigkeiten, das wird der Hörer wohl selbst empfinden, was seiner Seele gut tut ...

  • Natürlich habe ich als Mozart-Enthusiast auch seine Lieder im Regal stehen. Ebenso natürlich stelle ich sie nicht auf die gleiche Stufe mit Liedern von Schubert, Schumann oder Wolff. Vergleiche sind nicht angebracht, Alfred hat Gründe dafür genannt.


    Die Frage ist, ob sich Nebenprodukt und Kunstwerk a priori ausschließen? Ich denke nicht! Aber Alfred Einstein dachte so, doch sein harsches Urteil über Mozarts Liedschaffen ist revisionsbedürftig: Im späten 18. Jahrhundert besaß die Gattung Lied einen anderen Stellenwert als heute, wo das Kunstlied beispielsweise durch Schuberts, Schumanns und Wolffs Werke höher bewertet wird. Mozarts Lieder waren einfach nur für das gesellige Musizieren gedacht und bestimmten Interpreten in die „Gurgel“ geschrieben.


    Um so bemerkenswerter, daß darunter einige Lieder sind, die den Anspruch geselliger Unterhaltung weit überschreiten. Beispielsweise "Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte" KV 520: Eine kleine Szene, die die emotionale Zerrissenheit einer Alleingelassenen durchaus nachfühlend vermittelt.


    "Das Veilchen" KV 476, Mozarts einziges Goethe-Lied, das aber damals nicht unter dem Namen des Dichterfürsten, sondern unter Johann Wilhelm Ludwig Gleims Namen veröffentlicht wurde, empfinde ich als eine dramatische und herzbewegende Szene. Mit nur scheinbar einfachen kompositorischen Mitteln zeichnet Mozart das Veilchen-Schicksal in einem ausdrucksbetonten Moll-Abschnitt mit rezitativischer Textur.


    "Die Abendempfindung an Laura" KV 523 ist Mozarts vielleicht zukunftsweisendste Lied-Komposition und, neben dem "Veilchen" und "Sehnsucht nach dem Frühling", mein Lieblingslied. Das umfangreiche, durchkomponierte Lied folgt einem ausgereiften Tonartenplan, als roter Faden fungiert ein kurzes Klavierzwischenspiel, das mehrmals aufgegriffen wird. Hier, so schrieb Wolfgang Hildesheimer, ist Mozart „in ein neues, gänzlich unerwartetes Gebiet vorgestoßen, eine gesteigerte, oft fiebrige Leidenschaftlichkeit“. KV 523 ist am 24. Juni 1787 komponiert worden, also unmittelbar nachdem Mozart der Tod des Vaters bekannt wurde. Die hereinbrechende Dämmerung im Liedtext mit dem Tod in Verbindung zu bringen, zeigt Mozarts „weiterschauendes Einfühlungsvermögen“(Robbins-Landon) in den Text. Und dabei sprengt er den Rahmen des Liedes hin zu einer Klage, die eine Mediation über das Ende des Tages als Metapher für das Ende des Lebens darstellt.


    Ich könnte ohne zu Zögern auch noch "Ridente la calma", wohl die Bearbeitung eines Orchesterliedes von Myslivecek, und "Un moto di gioia", für die Wiederaufnahme des FIGARO 1789 und Adriana Ferraresi del Bene geschrieben, nennen. Auf jeden Fall aber ist "Die Alte" KV 517 ein Kabinettstückchen. In einer Opera buffa stehend hätte dieses Lied allgemeine Aufmerksamkeit gefunden!


    Mozarts Lieder, sicher ein Nebenprodukt seines Schaffens, sind also für mich durchaus kleine Kunstwerke. Wie sollte es auch anders sein? Warum sollte Mozart, wenn die Texte auch manchmal Zeitschriften oder sogar einem Roman (wie bei KV 390 bis 392) entstammen, zu diesen Texten keine "textdeutende" Musik eingefallen sein? Bei seinen Operntexten gelang es ja auch!

    .


    MUSIKWANDERER

  • Mozarts Ausnahmerang besteht m.E. ja dadurch, dass er in ALLEN Musiksparten aussergewöhnliches komponiert hat, daher sind seine Lieder in seinem Schaffen zwar nicht ganz oben anzusiedeln, aber grosse Qualität haben sie allemal.
    Vielleicht - ich bin kein Musikwissenschaftler - hat er ja die Lieder eher für Laiensänger komponiert und ihnen selber nicht die ganz große Bedeutung beigemessen !
    Trotzdem ist für mich die "Abendempfindung" eines der schönsten Lieder, die überhaupt komponiert wurden.

  • Die Lieder von Mozart sind für jeden Sänger ein Bonbon, sie sind so gegensätzlich zu Mahler oder Schubert, Schumann, Mendelssohn, dass sie fast schon im Studium Pflicht sind. Viele sind sehr humorvoll, fast mit naivem Inhalt, andere wieder sehr ernst und fast traurig. Ich kenne keinen Kollegen der nie ein Mozartlied wie z.B. das Veilchen gesungen hat.


    Meine Favoriten waren:
    Die Alte
    Die kleine Spinnerin
    Warnung
    Der Zauberer
    Die Verschweigung


    Diese Lieder müssen sehr gut interpretiert werden, ja geschauspielert und das ist das, was ich am liebsten mache.