Siegfried Wagner, geb. 6. Juni 1869 - gest. 4. August 1930
Von einem verkannten Komponisten kann man heutzutage nicht mehr sprechen. Die Veröffentlichung fast all seiner Opern in mustergültigen Interpretationen haben ihn aus der Warteschleife erlöst. Siegfried Helferich Wagner - in der schönen Schweiz geboren - hatte es selbst vorausgesehen, dass ihm eines Tages die Ehre zuteil würde, die ihm als Komponist gebühre.
Seine Zeitgenossen hatten den Blick ausschließlich auf den Vater gerichtet, der sich im Blickfeld der Öffentlichkeit sonnte und alle Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm. Doch Siegfried war zäh und willensstark. Er legte sich eine Strategie zurecht, die vorsah, den Übervater auf keinen Fall zu kopieren. Das ererbte Talent reichte vollkommen aus, eigene Pfade zu betreten. Den ursprünglich vorgesehenen Beruf eines Architekten legte er zur Seite, um schicksalhaft seiner Berufung zu folgen.
Doch sein gesellschaftliches Umfeld akzeptierte seine Bemühungen nicht, spottete seiner was ihn kränkte, aber auch beflügelte. Seinen Zynismus und seine Erwartungen ließ er in seine Opernfiguren einfließen und meißelte auf diese Weise seine Charaktere, die er meistens in ein historisches Umfeld stellte. Erfindungsgabe in der der Gestaltung von Situationen und Schauplätzen waren seine Stärke. Hochdramatisch setzt er seine Dichtkunst in einen plausiblen, wenn auch manchmal etwas skurillen Rahmen. Das Vermaß ist eher robust als poetisch. Lakonisch formuliert der Verfasser seiner eigenen Libretti seine Aussagen so knapp, wie zuträglich.
Zur Musik muss man sagen, dass sie sich der Dichtkunst des doppelt Begabten unterordnet. Handwerklich geschickt und reizvoll arrangiert, hat der Funke des Prometheus nicht mit der Wucht eingeschlagen wie bei dem mit ihm befreundeten Richard Strauss. Der eine schätze die Werke des anderen nicht; man verstand sich aber auf der sozialen Plattform. Siegfried Wagner bleibt sich selbst in seiner kompositorischen Arbeit, ohne vor- oder zurückzublicken, immer treu und lehnt sich an niemanden an. Intellektueller Anspruch schlägt sich selten als Beliebtheit nieder. Der Kreis seiner Bewunderer ist international daher klein, aber vorhanden.
Das Schicksal, erst posthum gewürdigt zu werden teilt der Schüler Engelbert Humperdincks mit Alexander Zemlinsky, dessen Opern auch erst in jüngster Zeit achtbaren Zuspruch erhielten.
Hingewiesen wird auf einen früheren Thread u.a. mit einem Beitrag von Joseph II. sowie der neuen Beschreibung des Spätwerks „Rainulf und Adelaisa“ im Opernführer.
© Januar 2010 für TAMINO - Engelbert