Berliner vs. Wiener Philharmoniker – Wer liegt vorn?

  • Der Thread-Titel ist reißerisch, aber bekanntlich ziehen reißerische Titel mehr Aufmerksamkeit auf sich. ;)


    Kann man diese beiden Spitzenorchester überhaupt miteinander vergleichen? Vieles spricht dafür, manches dagegen.


    Die Berliner gelten als bestes deutsches Spitzenorchester, haben eine illustre Reihe an Chefdirigenten aufzuweisen. Die Wiener sind fraglos das erste Orchester in Österreich und brüsten sich seit Jahrzehnten, keinem Chefdirigenten untertan zu sein. Beide Orchester sind bekannt in aller Welt. Große Dirigenten wie Karajan und Böhm haben in der Vergangenheit viel mit beiden Orchestern eingespielt, etliches mit beiden, was zu interessanten Vergleichen anregt. Eine Auflistung dessen, was die "Großen" doppelt mit den Berlinern und Wienern eingespielt haben, wäre einmal aufschlußreich.


    Man liest häufig, daß der Berliner Klang sich kontinuierlich veränderte seit Furtwängler, daß der Wienerische aber konstant geblieben sein soll wie zu den besten Zeiten von Böhm.


    Was zeichnete beide Orchester in der Vergangenheit aus, was zeichnet sie heute aus?


    Ein Thread, der gewiß viele Beiträge erhalten wird ...


    Mit freundlichen Grüßen aus Dresden
    von einem Berliner- und Wiener-Bewunderer
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Aufnahmen-Vergleiche Berliner vs. Wiener Philharmoniker:


    Im folgenden einige Beispiele, wo doppelte Aufnahmen sowohl aus Berlin wie auch aus Wien vorliegen:


    Beethoven/Abbado:



    Beethoven/Böhm:



    Beethoven/Karajan:



    Bizet/Karajan:



    Bruckner/Giulini:



    Bruckner/Karajan:




    Holst/Karajan:



    Mozart/Böhm:




    Puccini/Karajan:



    Schubert/Böhm:



    Strauss/Karajan:



    Tschaikowsky/Karajan:



    Verdi/Karajan:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Sollten und können diese beiden Spitzenorchester miteindander verglichen werden?
    Meine ganz persönliche Meinung: Wenn die Wiener einen guten Tag haben, dann sind sie besonders durch die Qualität ihrer Streicher, unübertrefflich. Vielleicht sind die Berliner Philharmoniker das disziplinietere Orchester mit gleichmäßigeren Leistungen, besonders auch im Bereich der zeitgenössischen Musik.
    Sofort fallen mir aber auch die New Yorker Philharmoniker als ganz besonders virtuoser Klankörper ein.Viele andere Spitzenorchester wären ebenfalls zu erwähnen. Für die Beurteilung ganz wichtig ist noch, welches Repertoire und unter welchem Dirigenten gespielt wird.


    Also solche pauschalen Vergleiche sind schwierig und nicht allzu ergiebig.
    Freuen wir uns doch, dass es Spitzen-Klangkörper mit diesen Leistungen gibt und verehren und würdigen wir jedes dieser Orchester in den Bereichen, wo es seine Ausnahmestellung hat.
    Um diese exakt herauszuarbeiten sind detaillierte Vergleiche von Aufnahmen und Kaufempfehlungen, wie sie in hervorragender Weise in unserem Tamino-Forum gegeben werden eine wirkliche Hilfe. Besonders auch deshalb, weil diese Hinweise von kompetenten Musikfreunden ohne jegliche finanzielle und Werbeinteressen gegeben werden.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Der Aussage von Operus kann ich mich bedingunslos anschließen.


    Diese Spitzenorchester bestehen aus hervorragenden Musikern,


    die auch zum größten Teil an Musik-Hochschulen unterrichten.


    Wenn es kleine Unterschiede in den Interpretationen gibt, dann


    entstehen die durch den jeweiligen Dirigenten.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • So ist es!


    Operus und Herbert haben es auf den Punkt gebracht.


    Die etwas provokante Frage wäre nur dann zu beantworten, wenn sich Vertreter beider Orchester mal bei ein Ruderregatta messen wollten.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Nun - ich pflichte bei, daß ein QUALITATIVER Vergleich in diesem Falle kaum möglich erscheint, vielleicht will aber jemand - anhand einer der genannten - oder anderen zur Verfügung stehenden Aufnahmen - einen Vergleich der unterschiedlichen Interpretation en ziehen, in der Richtung welcher Gesamteindruck im einen oder anderen Falle entsteht.
    Natürlich wird auch hier das Urteil nicht neutral sein, da Geschmäcker, Vorlieben und Abneigungen bekanntlich nicht kontrollierbar und beeinflussbar sind.
    Aber vielleicht kommt man Interessantes hier zum Vorschein, und eventuell kännten verschieden Sichtweisen den Thread sogar zum "kochen" bingen - in allen Ehren - versteht sich....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Aufnahmen-Vergleich I:


    Bruckner: Symphonie Nr. 8/Karajan:



    Berliner Philharmoniker, 1975



    Wiener Philharmoniker, 1988


    Direktvergleich 4. Satz "Finale":


    Berlin 1975: 24'04
    Wien 1988: 23'59


    Karajan und Bruckner – das ist entgegen der häufig zu lesenden Meinung keineswegs eine Liaison, die erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt zur Höchstblüte gedieh. Dennoch sind heute die ganz späten Wiener Aufnahmen der VII. und VIII. Symphonie ungleich bekannter als jene Studio-Aufnahmen aus Berlin, entstanden Mitte der 70er Jahre, vermutlich, weil sie sozusagen das musikalische Testament Karajans darstellen. Beim direkten Vergleich – hier der VIII. – zumal des Finalsatzes fällt auf, daß die Berliner Aufnahme noch eine Spur "zackiger" daherkommt, was man anhand der reinen Spielzeiten gar nicht erst vermuten würde, zumal sie nahezu identisch sind. Die Wiener Einspielung wirkt "altersmilder", ruhender, nicht ganz so impulsiv, doch freilich unglaublich klangschön. Beides sind sie Weltklasse-Aufnahmen, gewiß unter den besten je eingespielten dieser gewaltigen Symphonie. Die geniale kontrapunktische Schlußcoda gelingt m. E. in der Berliner Aufnahme noch besser, daher ist sie bei mir knapp vorne.



    Aufnahmen-Vergleich II:


    Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 "Pathétique"/Karajan:



    Berliner Philharmoniker, 1973



    Wiener Philharmoniker, 1984


    Direktvergleich 3. Satz "Allegro molto vivace":


    Berlin 1973: 8'18
    Wien 1984: 8'30


    Rein von den Zeiten her ist kein allzu großer Unterschied feststellbar, doch sind die gefühlten Unterschiede m. E. unverkennbar. Die Berliner Aufnahme wirkt ungleich vorwärtsdrängender, energischer, tollkühner, während die späte Wiener Aufnahme einen viel ruhigeren, tiefgründigeren Eindruck macht. Sie ist es, die mehr dem Karajan-Klischee vom "Schönklang" verpflichtet scheint. Das Spiel beider Orchester ist – wie könnte es auch anders sein – exquisit. Wo die Berliner Aufnahme auf der Skala der Extrempositionen zwischen Mrawinsky (DGG, 1960) und Bernstein (DGG, 1986) eher dem Russen zuneigt, ist die Aufnahme aus Wien schon recht nahe am späten Bernstein mit seinem Extremen. Ich finde an sich beides sehr interessant. Wirkt bei der Berliner Aufnahme alles wie aus einem Guß, sind bei der Wiener Aufnahme eher Tempoverschiebungen festzustellen. Im Marsch am Ende des Satzes nimmt Karajan das Tempo etwas zurück (freilich nicht so stark wie Bernstein) und erzielt damit einen sehr pathetischen Effekt, was bei dieser Symphonie schwerlich als verfehlt mißgedeutet werden kann. In der Berliner Aufnahme hingegen meint man, er lege noch an Tempo zu. Alles in allem zwei sehr gute Aufnahmen, bei denen es schwer fällt, eine Empfehlung auszusprechen. Dramatischer ist auf jeden Fall die Aufnahme aus der Berliner Philharmonie, und somit mein knapper Sieger.



    Generelle Anmerkungen zu den beiden Orchestern unter Karajan:


    Ich stelle unter Karajan weniger einen expliziten Unterschied zwischen Berliner und Wiener Philharmonikern als vielmehr zwischen frühem/mittleren Karajan und spätem Karajan fest. Vergleicht man etwa die frühere Wiener Aufnahme der "Tosca" von 1962 mit jener späten aus Berlin von 1979, so fällt die in letzterer viel vordergründigere Rolle des Orchesters auf. Daß dies keineswegs an den Berlinern lag, sondern vielmehr an Karajans Lesart, zeigt sehr gut die Wiener "Turandot" von 1981, die ähnlich orchestergewaltig daherkommt. Auch in der 1980er Berliner "Zauberflöte" ist dies im Vergleich zur Wiener Aufnahme von 1950 festzustellen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Aufnahmen-Vergleich III:


    Mozart: Symphonie Nr. 40/Böhm:



    Berliner Philharmoniker, 1961/62



    Wiener Philharmoniker, 1976


    Direktvergleich 1. Satz "Molto allegro":


    Berlin 1961/62: 8'26
    Wien 1976: 8'55


    Auf den ersten Blick scheint es, als müßte die Berliner Aufnahme mit ca. einer halben Minute weniger Spielzeit spritziger sein – doch wieder einmal erweisen sich reine Spielzeiten als unzureichend für einen Eindruck. Die späte Wiener Aufnahme weist m. E. viel mehr Innenspannung auf. Das ist Mozart, wie ich ihn hören will! Es ist irgendwie auch noch klangschöner (die Berliner Aufnahme klingt etwas schroffer), und die Aufnahmetechnik ist auch anderthalb Jahrzehnte weiter. Wenig, was in diesem Falle also für die Berliner Einspielung spricht (für sich genommen schlecht ist diese freilich auch nicht).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich hatte eigentlich vor gerade diese beiden Aufnahmen der Sinfonien Nr 40 oder 41 vergleichend zu beschreiben - weil hier eindurchaus auch für Laien hörbarer Unterschied besteht.
    Um einigermaßen fair zu bleiben, hatte ich vor, meine Erinnerungen durch Abhören eines ausgewählten Satzes - genau wie Du - aufzufrischen.
    Du hast mir jedoch die Arbeit abgenommen, im wesentlichen deken sich unsere Beobachtungen.
    Die Berliner Aufnahme ist durchaus gut, aber das Spezifische, das Böhms Ausnahmerang ausmacht, ist nur in der Wiener Aufnahme zu hören.
    Die Berliner Einspielung ist DGG-Typisch etwas zu schlank geraten, den Instrumenten fehlt der Körper, der bei der Wiener Aufnahme plastischer aufgenommen wurde. Das Baßfundament ist kerniger - ohne jenes verwaschene Wummern, das manche Aufnahmen späterer Jahre "auszeichnet"


    Hier stellt sich IMO die Frage ob wir hier nicht Aufnahmetechnik an Stelle von Orchesterklang bewerten.
    EGAL - Was letztlich zählz ist das Gesamtergebnis


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Jospeph,


    im Gegensatz zu Herbert, Siegfried und Operus finde ich schon, dass man die Karajan-Aufnahmen miteinander vergleichen kann und sollte.
    Dabei ist es ganz unerheblich welches Orchester spielt, sondern wie die Interpretation gelungen ist ! Wir wollen ja hier nicht die Spitzenqualität beider Orchester vergleichen/bewerten und am Ende zu dem Schluß kommen, dass eines besser wäre - das geht nicht !


    Deinen Vergleichen I und II möchte ich Dir zustimmen. Meine Eindrücke gehen in die gleiche Richtung wie Du es beschreibst. Karajans große Aufnahmen mit den Wiener Ph sind mir auch zu altersmilde. Ich schätze die zupackenderen früheren DG-Aufnahmen mit den Berliner PH bei Bruckner und Tschaikowsky ebenfalls höher ein. Ich möchte diesen Eindruck aber auch noch auf die hochgelobte Bruckner Sinfonie Nr.7 (die Du nicht nennst) mit dem WPO ausweiten, die mir mit den Berlinern ebenfalls mehr liegt.


    Noch krasser sehe ich den Vergleich bei den Tschaikowsky-Sinfonien, die ich mit Karajan/Berliner PH auch in den noch schätzenswerteren Aufnahmen aus den 60er-Jahren (DG) habe. Die DG-Aufnahmen aus Berlin in den 70er, sind in der GA enthalten, auch fabelhaft, aber fallen schon im Vergleich stellenweise zurück. Ganz enttäuschend (also weit mehr als Du) fand ich dann die Interpretationen mit den Wiener PH. Du schreibst sie seien weniger dramatisch ! Das finde ich, die 60er-Jahre-Aufnahmen der 5 und 6 im Ohr, noch absolut harmlos ausgedrückt . Ich habe mich von diesen Enttäuschungen getrennt...
    Übrigens, die noch früheren Karajan-Aufnahmen auf EMI kenne ich auf LP. Sie sind schon von klangtechnischen Standpunkt für mich absolut entbehrenswert ( :( ein schlimmes EMI-Gekreische in den höheren Lagen; zudem sehr flach und dumpf).


    Zu deinem Mozart-Vergleich III kann ich nichts sagen. Hier bin ich mit Böhm in Berlin als meine einzige Aufnahme zufrieden. Sicher hat Alfred gute Gründe diese höher zu schätzen, sie sind ja auch 15Jahre jünger und klingen dann natürlich besser.


    Den gleichen klangtechnischen Vorzug muß ich auch bei Karajans Richard Strauss-Aufnahmen vermerken. Die mit den Wiener Ph (Decca) sind interpretatorisch unheimlimlich starke Aufnahmen, die leider durch einen Rauschteppich gemindert werden (seltsamerwiese bei Also sprach.. am auffälligsten). Aber auch seine spätern analogen aus den 70ern von der Interpretation in die gleiche Richtung gehen, aber klangtechnisch spitze sind, ziehe ich zumindest bei Also sprach... diese vor, die nun mit Berliner PH gespielt sind.
    Till Eulenspiegel, Don Juan und Tod und Verklärung mit den WPO (Decca) sind allerdings interpretatorisch so stark, dass seine auch guten DG-Aufnahmen hier leicht zurückstehen.
    Da ich vermute das seine Digitalaufnahmen auch wieder in Richtung altersmilde gehen, sehe ich nach dem vorliegenden Erfolg gar keine Gründe dies noch auszutesten.


    Die Planeten von Holst finde ich in beiden Aufnahmen sehr gut, sowohl von der klangtechnischen wie auch interpretatorischen Seite. Dort sehe ich eine gute Ausgewogenheit, denn man wird bei beiden Aufnahmen im Werk Stellen finden die bei der Anderen vorzuziehen sind.


    :hello:;) Zum Abschluss nochmal der Hinweis, dass ich die Interpretationen/Aufnahmen vergleiche und nicht die Orchester.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Lieber Wolfgang,
    Ich habe ja geschrieben, das der interpretatorische Unterschied, auch beim selben Orchester vom Dirigenten abhängig ist. Auch wenn z.B. Karajan Die BPh. dirigiert hat und zehn Jahre später noch einmal, können es ganz veschiedene Interpretation sein. Der Threadtitel ist aber eine Frage: Welches Orchester liegt vorne?
    Oder soll die Frage bedeuten: Welches Orchester hat die meisten Einspielungen gemacht?
    Meiner Meinung nach, liegen beide Orchester gleich vorne.


    :hello:Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Der Threadtitel ist aber eine Frage: Welches Orchester liegt vorne?

    DAs ist völlig richtig - aber ichj glaube- man braucht ihn icht allzu wörtlich nehmen
    Klappern gehört zum Handwerk....
    Der Titel weckt Interesse - und vilelleicht auch "Kampfbereitschaft" für "sein" Orchester einzutreten - aber in Wahrheit wissen wir alle, daß beide hervorragend sind - und es mehr oder weniger um spezielle Unterschieder in der Interprtation und im Klang geht.


    Ich hatte übrigens mal das Glück im Schallplattengeschäft da Caruso" in Wien mit einem Mitglied der Wiener Philharmoniker, der bei der Aufnahme der Beethoven Sinfonien unter Karl Böhm mitgewirkt hatte, ein paar Bemerkungen austauschen zu können.
    Ich meinte, daß dioe Winer Aufnahme wesentlich klangschöner geraten sei, als Böhms Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. "Na ja, das ist halt eine Geschmachssache, wir spielen das halt etwas weicher"
    Mehr war ihm nicht zu entlocken, er war nicht zu einem Urteil über die Berliner Aufnahme zu bewegen, sah das ganz professionell, und ließ durchblicken, daß beide Aufnahmen "in Ordnung" seien, jede auf ihre Art. Superlative aller Art vermied er......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Forianer,


    Alle haben Recht und dennoch ist es nicht ganz fair, die beiden Orchester nur über Tonträger-Aufnahmen zu vergleichen. Das fängt mit dem Aufnahmestudio - Berliner Philharmonie oder Musikvereinssaal an und hört bei Gülich, Hermanns und wie die Tontechniker sonst noch heißen mögen, auf. Hierüber kann man in der Literatur vieles nachlesen. Besonders Karajan hat beim Abhören genaue Angaben gemacht, wie es zu klingen hat.


    Mit wäre es lieber gewesen, eine Live-Aufnahme, die man mit beiden Orchestern selbst gehört hat, zu vergleichen. Auf die Frage, welches das beste Orchester sei, gibt es aus Dirigentenkreisen unterschiedliche Antworten. In einem Fernsehinterview hat Solti gemeint, das beste Opernorchester
    seien die Wiener, das beste Sinfonieorchester die Chicagoer. Ein anderer Dirigent antwortete auf die Frage, wer ist das beste Orchester, Berliner oder Wiener, das Concertgebouw.


    Ich besitze 279 CD mit den Wienern und nur 259 Aufnahmen mit den Berlinern.


    Grüße aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich denke, dass man hier vor allem über das Thema Klang reden muss, wenn man schon zwischen diesen Weltklasseorchestern vergleicht.
    Die Interpretation hängt hauptsächlich vom jeweiligen Dirigenten ab.
    Selbst wenn ein und derselbe Dirigent dieselben Werke mit beiden Orchestern aufgeführt/aufgenommen hat, wird die Interpretation immer mehr oder weniger unterschiedlich sein.
    Interessant wäre es in diesem Zusammenhang einmal, wenn man einen Dirigenten wie Abbado fragen könnte, in wie weit der spezifische Wiener oder Berliner Orchesterklang eine wechselseitige Rückwirkung auf das musikalische Ergebnis hatte, d.h. ob seine Interpretation davon beeinflusst wurde.


    Generell ist mir die Interpretation noch wichtiger als der Eigenklang.
    Beethovens Pastorale höre ich z.B. lieber in Abbados Wiener Fassung als in der späteren Berliner Version, obwohl ich eigentlich den Klang der Berliner Philharmoniker etwas lieber mag.
    Der Klang der Wiener Oboen und Hörner hat mich des öfteren schon gestört.
    Hier empfinde ich den runden, schon in Richtung Klarinette gehenden Klang der Berliner (Z.B. Albrecht Mayer) als wesentlich angenehmer.


    Bei den Streichern klingt es bei den Berlinern meinem Eindruck nach irgendwie "grösser" und voller.
    Ob und in welchem Ausmass das vom Raum und der Aufnahmetechnik beeinflusst ist, kann ich schwer beurteilen.


    Es fragt sich ja ohnehin, wie sehr der "hausübliche" Raum (z.B. Berliner Philharmonie) schon zum Eigenklang des Orchesters dazugehört.
    Aufgrund der akustischen Gegebenheiten sind die Berliner Philharmoniker gewohnt, einen grossen und saftigen Klang zu machen ( nicht nur deswegen, sondern auch wegen der Klangtraditionen aus der Ära Furtwängler und Karajan)
    Haitink sagte einmal, dass er sie in Holland des öfteren bat, dynamisch etwas zurückhaltender zu spielen, weil es in jenem Saal (wohl Concertgebouw) an bestimmten Stellen einfach zu viel des Guten wurde.


    Bei einer meiner Brahms- Lieblingsaufnahmen spielen die Berliner Philharmoniker im berühmten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.
    Für mein Ohr klingt diese Kombination sehr warm und angenehm.


    Aufnahmen, bei denen die Wiener Philharmoniker in der Berliner Philharmonie spielen, sind mir nicht bekannt.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Der Hinweis auf den Klang ist ein sehr wichtiger, die Interpretation kann von Fall zu Fall variieren, wenngelich auch hier eine gewisse Linie vorgegeben ist.


    Und ich würde persönlich den Wiedergaberaum durchaus als wichtigen Faktor sehen. Zum einen ist das Orchester an eine bestimmte Akustik gewohnt und kann mit ihr umgehen, bzw sie einsetzen oder korrigieren.


    Aber man tut hier gerade so, als wäre ein Orchester ein festgefügtes Ganzes, das über die Jahrzehnte seine Eigenschaften beibehält und sich niemals wandelt. Dabei ist gerade das bei einem Orchester der Fall.
    Es tritt schrleichend ein Generationswandel ein, alte Musiker gehen in Pension und werden durch neue, jüngere ersetzt. Und natürlich breingen diese Musiker auch ihre Instrumente mit. -Und all dies verändert, wenn auchnicht gleich offensichtlich - nach und nach den Klang.....


    Auch wenn ein Orchester ein Kollektiv ist, so setzt sich dieses Kollektiv dennoch aus etlichen einzelnen Individualisten zusammen, die ihre eigenen Vorstellungen von einem Werk haben. So klangen die Wiener (Berliner) Philharmoniker vor 70 Jahren anders als vor 30 Jahren und damals wieder anders als heute.......



    Wir können also nur von Momentaufnahmen sprechen, Orchesterkleng ändert sich im Laufe der Zeit, wobei es immer wieder Höhen und Tiefen gibt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Reden wir über die Vergangenheit oder die Gegenwart?


    Ein wesentlicher Unterschied ist, dass sich die Wiener keinen Chefdirigenten holen und die Berliner sich sehr lange an einen Chef binden. Da kann man sich nun fragen, was für die Klangentwicklung besser ist.
    Neulich war in der SZ ja ein hymnischer Artikel über Celi und seinen Einfluss auf die MPHIL zu lesen. Celi hat, trotz seines schwierigen Charakters, den Orchesterklang neu geformt, das Musizieren gefördert und u. a. durch öffentliche Proben die Musiker an die Anforderungen des Konzertierens gewöhnt. Das ist sicher ein großer Verdienst.
    Problematisch ist es, wenn ein Dirigent - das Thema hatten wir ja erst - dem Orchester ein sehr spezielles Klangbild vorschreibt, also zB vibratofrei zu spielen. Natürlich ist ein Profimusiker in der Lage, auf Vibrato "umzuschalten", aber der Klang und damit die Reaktionen beim Zusammenspiel ändert sich.
    Was man HvK vorwirft, dieses breite, süffige streicherzentrierte Spiel des BPO, ist zugleich Fluch und Segen dieses Orchesters.
    Anders die Wiener: Da weht halt immer der Gedanke an die Strauss-Dynastie herein.
    Bei diesen zwei Orchestern - wir sprechen immerhin von den auf Platz 2 und 3 gewählten Orchestern weltweit - sind Qualitätsunterschiede quasi nicht vorhanden. Der Klang ist ein rein subjektives Merkmal.


    Zu meiner Eingangsfrage zurück: Ich bin mit Rattles Aufnahmen - wie schon oft erwähnt - nicht ganz zufrieden. Aber er ist ein Kaufmagnet in der englischspr. Welt (Stichwort EMI). Es ist schon ein Vorteil der Wiener, wenn sie eben die Wahl heben zwischen den Spitzendiriegenten und erst mit Rattle, dann mit Thielemann und vielleicht mal mit Jansons oder Järvi oder sonstwem den Beethovenzyklus aufnehmen können.


    Zum Schluss noch ein Hinweis: Ich werde immer mehr Fan der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Sie ist - auch durch ihre Geschichte - ein hervorragender Mix aus beiden Welten: Neben einem Chef hatten sie - zur Devisenbeschaffung - auch immer hervorragende Gastdirigenten, mit denen sie großartige Aufnahmen gemacht haben. Wenn jemand mal einen richtigen Kracher kaufen möchte: bei jpc gibt es die GA der Schubert-Sinfonien mit der Staatskapelle unter Blomstedt für 7,99. Zwar ist es eine lieblose Box ohne Booklet, aber die Musik entschädigt dafür. Und auch die GA der Orchesterwerke von R Strauss unter Kempe ist herausragend.


    Aber das nur am Rande...

  • Es kommt auch aufs Repertoire an.
    Meine eher spontane Haltung wäre, dass der Klang der Wiener (immer noch) charakteristischer ist, was in traditionellem Repertoire von Mozart bis Mahler ein Bonus sein mag. (Wenn man diesen Klang schätzt, was wie im Forum schon häufig ausgeführt, zB bei den Holzbläsern keineswegs selbstverständlich ist.)
    Die Berliner scheinen mir eher flexibler und daher besser geeignet für ein breiteres Spektrum, das auch die klassische Moderne einschließt. Nun liegt aber eben mit den Wienern bei z.B. Debussy, Bartok oder Strawinsky so wenig auf CD vor, dass ich das gar nicht beurteilen mag. Spätestens seit Abbado u.a. in den 1980ern scheint sich jedoch auch in Wien ein bißchen bei der klassischen Moderne getan zu haben.


    Mir bringen Vergleiche wie sie Joseph oben andeutet wenig, wenn es sich um Interpreten wie Karajan handelt, die mir eh nicht besonders zusagen.


    Ich besitze mit beiden Orchestern nicht viele neuere Einspielungen. Mit den Wienern hauptsächlich Bernstein (Mahler, Schumann, ein wenig Brahms und Beethoven) aus den 1980ern, ebenso Giulinis Bruckner und natürlich diverse Neujahrskonzerte. Mit den Berlinern mehr aus den 1950ern und 1960ern, Schumanns Sinfonien mit Levine aus den 1980ern, Brahms' Chorwerke unter Abbado. Unter Rattle nur die relativ rezenten Haydn-Sinfonien, die habe ich aber noch nicht komplett gehört...
    Ich habe sicher keines der Orchester bewußt vermieden, aber wenn ich z.B. meine Beethoven-Sinfonien ansehe, sind sie beide nur sporadisch vertreten: Historisches mit Furtwängler (beide) und E. Kleiber (Wiener), #9 mit Fricsay, 5+6 mit Maazel, 5-7, 9 unter Karajan/1962 und ebenso aus Bernsteins Wiener Zyklus. Meine vollständigen Zyklen sind Harnoncourt, Brüggen, Norrington, Gielen, Wand, Leibowitz, Scherchen. Ich sehe eigentlich auch keinen Ergänzungsbedarf durch einen der späteren Zyklen unter Böhm, Karajan, Abbado oder Rattle mit besagten Orchestern...


    Wie Luis sehe ich ebenfalls ein Orchester wie die Staatskapelle Dresden im traditionellen Repertoire mindestens auf Augenhöhe mit den anderen Traditionsorchestern, ebenso Concertgebouw (die überdies schon in den 60ern Debussy und Strawinsky konnten.)



    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Celi hat, trotz seines schwierigen Charakters, den Orchesterklang neu geformt, das Musizieren gefördert und u. a. durch öffentliche Proben die Musiker an die Anforderungen des Konzertierens gewöhnt


    Ich würde sagen WEGEN seines schwierigen Charakters. Leute mit angenehmen Wesen gelingen nur selten Höchstleitungen - und wenn - dann werden sie nicht wahrgenommen.
    Ich werde darauf an anderer Stelle zurückkommen um hier nicht den Thread ins OT zu führen-


    Zitat

    Zu meiner Eingangsfrage zurück: Ich bin mit Rattles Aufnahmen - wie schon oft erwähnt - nicht ganz zufrieden. Aber er ist ein Kaufmagnet in der englischspr. Welt


    Rattles Problem könnte sein, daß seine Aufnahmen im Vergleich mit den "großen Toten" den Erwartungen nicht entsprechen. Das muß nicht unbedingt an Rattle liegen, er kämpft quasii gegen zwei Titanen an (Furtwängler und Karajan) die längst von ihren Anhängern so glorifiziert, und von ihren Gegner verteufelt wurden, daß sie de facto zu überirdischen Wesen hochstilisiert wurden - und das schafft wohl niemand.


    Was wäre denn passiert, wenn Rattle seiner (mutmaßlichen) innreren Einstellung nachgegeben hätte und das Orchester "Berliner Philharmoniker" in Richtung "Moderne" geführt hätte, weit radikaler, als er es in der Realität tut?
    (Mit den Wienern wäre sowas ohnedies undenkbar)


    Ich bin kein Prophet, vermute aber, daß er einem ziemlichen Sperrfeuer ausgesetzt wäre....


    Und über die "Staatskapelle Dresden" und das Concertgebouw Orkeest Amsterdam wird an anderer Stelle noch zu reden sein....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Nun liegt aber eben mit den Wienern bei z.B. Debussy, Bartok oder Strawinsky so wenig auf CD vor, dass ich das gar nicht beurteilen mag. Spätestens seit Abbado u.a. in den 1980ern scheint sich jedoch auch in Wien ein bißchen bei der klassischen Moderne getan zu haben.


    Sie spielen aber jedes Jahr ein Konzert bei Wien Modern, es gibt dazu auch eine CD mit Werken von Ligeti und Rihm. Ligeti soll die Atmosphères der Wiener besonders geschätzt haben - aber ich weiß nicht, was von solchen Gerüchten zu halten ist.
    :hello:

  • @ Alfred:
    Es mag sein, dass Rattle mit einem moderneren Klang seine eigene Position geschärft hätte. Problematisch ist dabei aber eben, dass die Berliner Philharmoniker eben DAS deutsche Vorzeigeorchester sind und EMI mit Rattle international CDs verkaufen möchte. Das gelingt eben eher mit dem "Kernrepertoire" von Haydn bis Schostakowitsch.
    Mir gefallen seine Einspielungen einfach nicht so gut, unabhängig von Karajan oder Furtwängler. Und was mich eben auch ein bisschen stört, ist eine unklare Ausrichtung des Orchesters. Mal ein bisschen hier, dann ein bisschen da. Dann wieder in Wien Beethoven. Dann Mussorgsky, dann Mahler, dann Haydn. Gerade vor dem Hintergrund, sich ein Repertoire zu erarbeiten, fände ich es eben schön, wenn er sich mal dem und dann dem widmen würde. Jetzt gibt es eine Einspielung mit Brahms. Okay. Kein großer Wurf. Warum hat er sie gemacht? Business? Thielemanns Output ist zu wenig. Aber immerhin ist ein Konzept erkennbar. Bei Rattle habe ich immer ein wenig das Gefühl, er werde zu Aufnahmen gezwungen. Es war früher nicht alles besser, aber als er in Birmingham war, schien man ihm mehr Freiraum zu lassen. Das Ergebnis waren wirklich erstklassige Zyklen mit Mahler und Sibelius. Und auch sonstige Aufnahmen, zB Bartok, Elgar, sind sehr gut. Ist er lustlos, weil er sich eingezwängt fühlt in ein starres Regime eines Weltunternehmens BPO? Ich zweifle nicht daran, dass er es nicht könnte. Ich bin eher enttäuscht, weil er viel mehr könnte.

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  • Die Berliner Aufnahme ist durchaus gut, aber das Spezifische, das Böhms Ausnahmerang ausmacht, ist nur in der Wiener Aufnahme zu hören.

    Das mag im Vergleich zu Mozart (von den Sinfonien 40 und 41 ist die Rede) ja auch zutreffen. Nachdem ich nun in aller Ruhe mir die Eroica mit Böhm und den Wienern und den Berlinern angehört habe, stelle ich fest, dass mir bei dieser Sinfonie die Berliner besser gefallen, obwohl sie 10 jahre früher aufgenommen wurde. Ändert sich mit zunehmendem Alter der Geschmack oder der Höreindruck? Übrigens wurde die Eroica in Berlin im Dezember 1961 in der Jesus-Christus-Kirche aufgenommen. Zu der Zeit fanden hier viele Einspielungen statt. Tonmeister war Heinrich Keilholz.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    Ändert sich mit zunehmendem Alter der Geschmack oder der Höreindruck?


    Vor allem ändert sich das Hörvermögen.
    Ich musste leider feststellen, daß die Wiener Aufnahmen, die geringfügig dunkler klingen als die Berliner für mich nun nicht mehr so durchhörbar sind, wie in meiner Jugend....
    Und natürlich ändert sich auch der Geschmack...

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Was Offenheit gegenüber Dirigenten, die man gemeinhin der HIP-Szene zurechnet, angeht, sind die Berliner Philharmoniker den Wienern weit voraus. Dass ein Ton Koopman oder ein Trevor Pinnock mit den Wiener Philharmonikern spielt, werden wir etwa kaum mehr erleben. Sir John Eliot Gardiner hat mit ihnen in den 90ern ein paar wenige Aufnahmen gemacht — seither ward er dort nicht mehr gesehen. Selbst Günter Wand hatte nur ein einziges Mal das "Vergnügen", Anno 1960. Herbert Blomstedt haben die Wiener Philharmoniker in einer geradezu beispiellosen Dreistigkeit erst 2013, mit 86 Jahren (!), erstmals ans Pult gelassen. Einige wahre Größen der klassischen Musikwelt wurden von den Wiener Philharmonikern Jahrzehnte lang ignoriert, ohne dass es ihnen nachhaltig geschadet hätte, darunter auch Klaus Tennstedt oder Jewgenij Swetlanow, die beide mit den Berliner Kollegen zusammenarbeiteten. Anders sieht es übrigens bei den Wiener Symphonikern aus, die heuer sogar ihr Silvesterkonzert mit Koopman bestreiten (es gibt Beethovens Neunte). Dafür gehen mittelmäßige Kapellmeister wie Welser-Möst bei den Philharmonikern in Wien ein und aus. Die Dirigentenauswahl kann einen teilweise wirklich nur wundern. Übrigens haben auch andere Spitzenorchester auf der Welt keine Probleme mehr mit "Außenseitern". Ich habe zig Aufnahmen etwa aus Chicago oder Cleveland, wo diese dirigieren.


    Wäre dann wenigstens die Qualität der Wiener Philharmoniker noch unantastbar. So oft ich sie bisher hörte, stellte sich leider kein besonderes Aha-Erlebnis ein. Mag sein, dass im Staatsopernorchester nicht immer die Besten sitzen, aber dennoch. Gerade die Oper müsste doch ihre Domäne sein. Anders als die Berliner Philharmoniker sind sie eben primär ein Opernorchester. Ein mir bekannter Professor, der auch als Korrepetitor arbeitet, konstatierte, dass es in Österreich faktisch unmöglich sei, kritisch über die Wiener Philharmoniker zu berichten. Dabei sei da durchaus Raum für Kritik vorhanden, so auch seine Meinung.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich bin (natürlich) nicht mit allem einverstanden, was "Joseph II" hier geschrieben hat. ich glaube nicht, daß Blomstedt "nicht ans Pult gelassen wurde" - es hat sich einfach nicht ergeben.
    Die Wiener Philharmoniker sind sicher nicht in erster Linie ein Opernorchester. Ein Teil des Orchesters spielt in der Tat in der Staatsoper - aber das Orchester bestreitet zeitgleich natürlich seine Orchesterverpflichtungen, Daß (meinen Informationen zufolge) jeder Philharmoniker-Anwärter zuerst lange Zeit in der Oper eingesetzt wird, lässt erahnen, daß das eher als "Pflichtübung" gesehen wird.
    Die Wiener Philharmoniker "brüsten" sich nicht damit, keinen Chefdirigenten zu haben - sie wollen einfach keinen.
    Sie wollen unabhängig bleiben und räumen auch der Politik kein Mitspracherecht ein. Aus diesem Grunde haben sie vor etlichen Jahren auf eine zusätzliche Subvention von 6.000.000.-- Schilling (= ca 900.000DM = ca 450.000.-- Euro jährlich verzichtet, damit ihnen niemand dreinreden kann.


    Kommen wir zu einem Orchester, das zumindest klanglich den Wiener Philharmonikern näher ist als die Berliner:
    Die Wiener Symphoniker - Dieses Wiener Orchester hat es IMO bis heut nicht geschafft, sich einen ähnlichen Nimbus, wie die Wiener Philharmoniker zu schaffen - und daran wird sich natürlich auch in Zukunft nichts ändern.


    Das hat sicher nichts mit der Qualität dieses Orchesters zu tun - sondern mit dem Vorurteil.
    Generell sind sie einen anderen Weg gegangen als die Wiener und haben sich - neben klassischem - schon immer mit zeitgenössischem Repertoire befasst. Sie haben einen Chefdirigenten - derzeit Philippe Jordan. Über die interne Struktur weiß ich wenig, ich werde den Thread über die Wiener Symphoniker heute hervorkramen und weiterführen.....


    Zurück zu den Wiener Philharmonikern. Sie haben sich nicht dem Trend der "Globalisierung" angeschlossen - wenngleich sie gerne ihre "Weltoffenheit" bestätigen. Mit ihrer Linie sind sie bisher ausgezeichnet gefahren - besser als die Berliner.


    Quasi als Anhängsel möchte ich noch etwas über die Rattle-Aufnahme der Beethoven Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern machen.
    Mein persönlicher Eindruck war, daß man - kurz bevor Simon-Rattle-Superstar - damals war er das noch - allzu fix an die Berliner Philharmoniker gebunden war - noch eine ultimative Gesamteinspielung mit ihm machen wollte - was mehr oder weniger die Berliner daran hindern würde, ebenso eine solche zu machen - In dieser Hinsicht wäre die Rechnung aufgegangen - so meine Vermutung überhaupt stimmt.
    Offiziell galt es als Versuch der Wiener, auszuprobieren, wie denn eine moderat "kantigere" Aufnahme beim Publikum ankäme. Rattle erschien als der geeignete Dirigent. Nun - das Publikum, und die Plattensammler reagierten eher unwillig oder desinteressiert auf diese Lesart. Ich war bei einer der Aufführungen, wo mitgeschnitten wurde, anwesend und mein Logennachbar meinte: "Das ist nicht mehr MEIN Beethoven....."
    Die Aufnahme ist im übrigen besser als ihr Ruf..


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !