Des Maestros Vermächtnis – Letzte Aufnahmen großer Dirigenten

  • Ein Thema, das mir schon länger durch den Kopf geht, ist, was die letzten Aufnahmen im Leben großer Dirigenten angeht. Bei manchen wurden diese Aufnahmen von der Schallplattenindustrie geschickt inszeniert und als Quasi-Vermächtnis hochgespielt – obschon sie wohl in den seltensten Fällen vom jeweiligen Dirigenten als letzte Aufnahmen geplant waren.


    Prominentestes Beispiel dürfte Karajans letzte Aufnahme, Bruckners 7. Symphonie von 1989, sein. Sie wurde als sein allerletztes Bekenntnis gesehen, als Hinwendung zum österreichischen Katholizismus interpretiert und desweiteren mehr. Wahr ist, daß Karajan offenbar eine Vorahnung hatte, daß dies seine letzte Aufnahme sein könnte. Er soll nach einer der Aufnahmesitzungen in Tränen ausgebrochen sein. Die DG hat diese Einspielung kurz darauf geschickt vermarktet. Plakativ prangt auf dem Cover der Schriftzug "Seine letzte Aufnahme".



    Ein nicht unähnlicher, gar viel dramatischerer Fall betrifft die letzte Aufnahme von Bernstein. Es handelte sich um ein Live-Konzert, das wegen eines starken Hustenanfalls Bernsteins fast abgebrochen werden mußte. Er dürfte sich bewußt gewesen sein, daß es eines seiner letzten Konzerte sein könnte. Auch hier wirbt die DG mit dem Titel "The Final Concert".



    Karl Böhms letzte Aufnahme wurde im Forum bereits hinreichend gewürdigt. Es war Beethovens 9. Symphonie. Es ist sicherlich eine der allerbesten auf dem Markt erhältlichen. Die Alterssicht Böhms erwies sich als geradezu ideal für diese "Jahrhundert-Aufnahme". Bereits damals erkannte man offenbar ihre Qualität, und in großen Lettern zierte ein "Karl Böhms letzte Aufnahme" die kurz darauf erschienene LP-Cassette.



    Die Aufnahme eines der übrigen "Titanen" unter den Dirigenten, Sir Georg Solti, kam dagegen erst zehn Jahre nach seinem Ableben überhaupt auf den Markt. Es handelt sich um eine Rundfunkaufnahme der 5. von Mahler mit dem Tonhalle-Orchester Zürich (hat schon wegen der ungewöhnlichen Kombination Kuriositätenwert), welche die Decca dann für die CD-Veröffentlichung tontechnisch wohl noch etwas optimiert hat.



    Aus dem Stegreif fiele mir noch eine weite "letzte Aufnahme" eines großen Dirigenten ein: Knappertsbusch. Sie war gewiß nicht als solche geplant. Es handelt sich um den Live-Mitschnitt des "Parsifal" von den Bayreuther Festspielen 1964. Ein Oberschenkelhalsbruch, an dessen Folgen "Kna" dann auch verstarb, verhinderte einen letzten Auftritt 1965.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wo ich gerade dabei bin:


    Ich weiß zwar nicht, ob dies Kempes allerletzte Aufnahmen sind, aber zumindest einige seiner letzten, denn sie entstanden in den Jahren 1975/76, und Kempe starb ja bekanntlich 1976.
    Ich beziehe mich nur auf die vier Brahmssinfonien, die er 1975 mit den Münchner Philharmonikern gemacht hat. Ehrlich gesagt: vom Hocker haben mich diese Aufnahmen nicht gerissen. Die Klangqualität ist ziemlich gruselig: enges Klangbild, irgendwie schrill und scheppernd, dünn und unausgewogen. Die Münchner Philharmoniker spielen hier wirklich nicht auf Weltklasseniveau: die Streicher klingen dünn und unbeseelt, das ganze Orchester kommt nicht richtig in Fahrt, wirkt zurückgenommen und nicht präsent, die Pauken zu Beginn der Ersten klingen fast lächerlich, generell kommt keine brahmsische Wärme auf. Alles wirkt "unterspielt", kalt und unzureichend geprobt. Mir fällt es schwer, so etwas zu schreiben, da Kempe für mich einer der besten Dirigenten überhaupt war, aber hier finde ich einfach nichts wirklich Gutes.


    Ich besitze folgende Ausgabe, zusammen mit den Brucknersinfonien Nr. 4 & 5:



    4 CDs, Membran Music Ltd., 24bit/96khz-Remastering


    Der Bruckner kommt wesentlich besser rüber, vor allem präsenter und mitreissender.
    Den Brahms scheint es ja auch in anderen Ausgaben zu geben. Ich habe mich gefragt, ob Membran evtl. schlechte Masterbänder verwendet hat? Vielleicht weiß ja jemand mehr zu diesen Aufnahmen.


    Die o.g. genannte Box gibts momentan für 3,99 EUR bei Wohlthat.



    Agon

  • Hallo,


    mir fällt da die letzte Aufnahme Günter Wands ein:


    Am 28. bis 30. 10. 2001 nahm er in der Hamburger Musikhalle die 4. Bruckner und die 5. Schubert auf. Er rechnete aber wohl nicht mit seinem baldigen Ableben, obwohl er am 07. 01. 2002 das 90. Lebensjahr vollendete.
    Zu der Zeit lag mir schon ein Teil des neuen Programms des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals 2002 vor, in dem geplant war, dass er das Eröffnungskonzert mit der 4. Bruckner dirigieren sollte.
    Infolge eines Treppensturzes kurz nach seinem Geburtstag verstarb er am Valentinstag 2002.
    Im Eröffnungskonzert gab dann Kent Nagano Bruckners 3. Sinfonie in der Urfassung.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Diese CDs sind bei Testament erschienen und zeichnen das letzte Konzert des alten Meister auf.
    Am 28.9.1971 hat er noch Mozarts Serenade No. 11 im Studio vollendet. Dann war Schluss, wenn auch unbeabsichtigt.
    Am 22.1.1972 sollte er Bruckners 7. dirigieren, aber er war zu schwach und besorgte sich ein ärztliches Attest, dass er nicht dirigieren könne (ordentlich oder?).
    Dann entsagte er komplett allen Liveauftritten.
    Im Januar 1973 trat er endgültig zurück und seine Tochter Lotte sorgte dafür, dass er als "Chef Conductor" gestrichen wurde.
    Am 6.7.1973 verstarb er kurz nach seinem 88. Geburtstag


    Gruß S.

  • EMI Records plante eine Studio-Gesamtaufnahme vom "Ring" mit Furtwängler. Es kam jedoch nur noch 1954 zur Einspielung der "Walküre".



    Dies ist seine letzte "Aufnahme" in dem Sinne, dass Furtwängler dabei wusste, dass sein Dirigat mitgeschnitten wurde und zur Veröffentlichung vorgesehen war. Ob es noch "Piratenmitschnitte" von Konzerten des Todesjahres 1954 gibt, welche nach den Studioaufnahmen zur "Walküre" stattfanden, ist mir nicht bekannt.


    Jewgenij Mrawinskys letzte Aufnahme wurde am 30. April 1984 in Leningrad mitgeschnitten. Er dirigierte die Sinfonie Nr. 12 von Schostakowitsch. Der Mitschnitt ist bei Erato und bei Russian Disc erschienen.


    2 Mal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()


  • Das ist dann diese Doppel-CD:


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Diese Günter Wand-CD kann man sich schenken. Eine absolut entbehrliche Aufnahme der Vierten Bruckner und Fünften Schubert. Langweiliger war Günter Wand nie. Das Orchester hatte keine Lust, Wand war schon scheintot, und die Bedingungen waren schlecht.



    Agon

  • Ob es seine allerletzte Aufnahme war, weiß ich nicht genau, auf jeden Fall aber seine letzte Aufnahme mit dem Concertgebouworkest: Bruckners 5. unter Eugen Jochum vom Dezember 1986. Die Jubelstürme in den Rezensionen überschlagen sich förmlich.



    Fricsays letzte Aufnahme war "Der Zauberlehrling" von Dukas (1961) und befindet sich auf dieser Doppel-CD:



    Eine der, wenn nicht die letzte Aufnahme Karl Richters war die zweite Einspielung der "Matthäus-Passion" von 1979:



    Leopold Stokowskis letzte Aufnahmen entstanden 1977 mit 95 (!) Jahren. Es handelte sich um Brahms' 2. und Mendelssohns 4. Symphonie. Damit dürfte er den Rekord halten.



    P.S.: Weiß jemand, welche die letzte Aufnahme Celibidaches ist? Ich konnte darüber leider nichts ausfindig machen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.


    Fricsays letzte Aufnahme war "Der Zauberlehrling" von Dukas (1961) und befindet sich auf dieser Doppel-CD:




    Das ist ein Konzertmitschnitt, nur zur Info, ich will nicht bestimmen, ob das "zählt". Es gibt von 1961 noch eine ganze Reihe Studioaufnahmen und Mitschnitte; allerdings unterschiedlicher Qualität. Die Eroica auf dieser CD ist extrem schleppend, eine der langsamsten überhaupt und m.E. eher problematisch. Der Dukas ist aber gut, soweit ich erinnere.
    Was die letzte Studioaufnahme gewesen ist, weiß ich nicht.


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Swjastoslaw!


    Am 04.10.1954 hat Furtwängler noch einmal die Wiener in einem Konzert mit der 8. Bruckner dirigiert und am 06.10. waren dann die Walküren - Aufnahmen beendet.



    Lieber Agon!


    Das Wort "scheintod" im Zusammenhang mit dem greisen und leider bald darauf verstorbenen Günter Wand findet ich einfach nicht angebracht, auch angesichts der leistungen, die er in seinen letzten Lebensjahren noch vollbracht hat. Ich habe das Konzert damals erleben dürfen und wir waren alle begeistert von der Kraft und Frische eines Neunzigjährigen.


    :hello: Gustav

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Gustav
    Lieber Swjastoslaw!


    Am 04.10.1954 hat Furtwängler noch einmal die Wiener in einem Konzert mit der 8. Bruckner dirigiert und am 06.10. waren dann die Walküren - Aufnahmen beendet.


    Lieber Gustav,
    vielen Dank für Deinen Hinweis! Ich habe es jetzt auch noch einmal in der Fachliteratur nachgeprüft: Furtwängler dirigierte die Berliner Philharmoniker letztmals öffentlich bei den Berliner Festwochen am 19. und 20. September 1954 (Programm: Furtwängler 2. Sinfonie / Beethoven 1. Sinfonie). Sein Gehör war bereits so beeinträchtigt, dass er das Fagott-Solo zu Beginn seiner eigenen Sinfonie nicht hörte. Er sagte seiner Frau nach dem letzten Berliner Konzert: "Nie wieder will ich hier stehen". Die Firma Siemens baute ihm jedoch ein spezielles Hörgerät, dessen Sender in das Orchester zu stellen war und dessen Empfänger an Furtwänglers Gürtel befestigt werden sollte. Zum Ausprobieren dieses Hörgeräts fand noch eine Probe mit seiner 2. Sinfonie statt, welche Furtwängler jedoch nach einer Viertelstunde resigniert abbrach. Er hörte den Fagott-Beginn seiner Sinfonie immer noch nicht ordentlich und schämte sich vor seinen Musikern. Diese Probe war seine letzte Begegnung mit den Berliner Philharmonikern.


    Am 28. September 1954 begannen die Aufnahmen für die "Walküre" und dann geht es so weiter, wie Du das beschrieben hast. Für den Rest des Jahres 1954 hatte sich Furtwängler frei genommen, also (trotz einer Anfrage des Philharmonia Orchestra London) kein weiteres Orchester mehr dirigiert. Die "Walküre" von 1954 ist also tatsächlich der Abschluss seines Künstlerlebens.


    (Quellen: Herbert Haffner, Furtwängler, Parthas Verlag 2006, S. 433-435; ferner das Büchlein "Wilhelm Furtwängler - Die Programme der Konzerte mit dem Berliner Philharmonischen Orchester 1922-1954, 2. Auflage, F.A. Brockhaus 1965)

    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Hallo Swjatoslaw,


    was Furtwängler betrifft, so hatte ich nach meiner Rückkunft von der Chorprobe und einem kleinen Nachtmahl das, Glück, die letzten 20 Minuten einer Sendung auf Classica über ihn zu sehen, in der seine Frau Elisabeth zu Wort kam. Sie erzählte am Schluss des Films die erschütternde Geschichte über das Ende ihres Mannes, dass er nämlich, es war sicherlich um diese Zeit, beschlossen habe, nicht mehr leben zu wollen, ohne dabei jedoch an Selbstmord zu denken. Sie sagte, er sei davon überzeugt, dass er jetzt baldigst sterben werde. Als sie dann, wenn ich richtig erinnere, in Baden-Württemberg waren, sei er ins Krankenhaus gekommen, und bald seien sehr viele Ärzte in seinem Krankenzimmer versammelt gewesen, und er sei kurz darauf, wie sie gesehen hatte, nach einer kurzen Schnappatmung gestorben.
    Der Professor, der ihn behandelt hatte, wurde dann noch zitiert: Wenn jemand sterben wolle, könne man als Arzt nichts mehr machen, und er habe dann ein Buch über das Sterben geschrieben, in dem er auch Furtwänglers Fall zitiert habe.
    Was mich in diesem kurzen Ausschnitt musikalisch so faszinierte, war ein Farbvideo, in dem Furtwängler, eben auch kurz zuvor, die Ouvertüre zu "Don Giovanni" dirigierte. Überwältigend!


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Gustav,


    deine Worte haben mich sehr gefreut. ich bin ein großer Verehrer Günter Wands, ich habe zwar nicht dieses sein letztes Konzert erleben dürfen, aber eines, das nur einige monate vorher stattfand, nämlich das Eröffnungskonzert im Juli 2001 beim Schleswig-Holstein-Musik-Festival, wo er vor der Pause Schuberts "Unvollendete" dirigierte und nach der Pause, wenn man so will, Bruckners "Unvollendete", nämlich die Neunte. Alle im Saal spürten, dass hier etwas ganz Besonderes geschah, und wenn man sah, welche Spannung noch in diesem Körper steckte, konnte man ihn nur bewundern ob dieser Leistung.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Original von William B.A.
    ich bin ein großer Verehrer Günter Wands


    Lieber Willi!


    Da haben wir etwas gemeinsam.


    Beim Festival habe ich ihn nur einmal erlebt, Bruckners 5. im Dom, und es war grandios wie er den unglaublichen Nachhall mit aufnahm. Unvergessen. Seine Hamburger Konzerte in den letzten 10 Jahren konnte ich alle erleben und es war jedesmal ein Erlebnis! Unvergesslich die Liebe dieses Mannes zu der Musik, die er dirigierte und die Demut, mit der er sich den Werken nahte und auch die Liebe und Dankbarkeit, die die Hamburger ihm entgegenbrachten. Und mit dieser Liebe und Dankbarkeit werde auch ich mich immer an ihn erinnern.


    Zu Furtwängler: Ist die Geschichte mit dem Hörgerät und auch sein Ende in seiner Tragik nicht fast eine von diesen "Bigger-than-life-Geschichten"? Und passt das nicht genau zu diesem Mann, der immer so dirigierte, eben "bigger-than-life"? Aber letzten Endes ist es eben unendlich tragisch und es tut einem wirklich weh.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von William B.A.
    Sie erzählte am Schluss des Films die erschütternde Geschichte über das Ende ihres Mannes, dass er nämlich, es war sicherlich um diese Zeit, beschlossen habe, nicht mehr leben zu wollen, ohne dabei jedoch an Selbstmord zu denken. Sie sagte, er sei davon überzeugt, dass er jetzt baldigst sterben werde. Als sie dann, wenn ich richtig erinnere, in Baden-Württemberg waren, sei er ins Krankenhaus gekommen, und bald seien sehr viele Ärzte in seinem Krankenzimmer versammelt gewesen, und er sei kurz darauf, wie sie gesehen hatte, nach einer kurzen Schnappatmung gestorben.
    Der Professor, der ihn behandelt hatte, wurde dann noch zitiert: Wenn jemand sterben wolle, könne man als Arzt nichts mehr machen, und er habe dann ein Buch über das Sterben geschrieben, in dem er auch Furtwänglers Fall zitiert habe.


    Zitat

    Original von Gustav
    Zu Furtwängler: Ist die Geschichte mit dem Hörgerät und auch sein Ende in seiner Tragik nicht fast eine von diesen "Bigger-than-life-Geschichten"? Und passt das nicht genau zu diesem Mann, der immer so dirigierte, eben "bigger-than-life"? Aber letzten Endes ist es eben unendlich tragisch und es tut einem wirklich weh.



    Lieber Willi, lieber Gustav,
    Furtwängler hatte wirklich unglaubliche Angst, dass er das Schicksal Beethovens erleiden und taub werden würde. Sein Lebenswille war gebrochen. Als er in die Klinik nach Ebersteinburg gefahren wurde, sagte er seinem Arzt: "Alle glauben, ich bin hierher gekommen, um gesund zu werden. Ich weiß, ich bin hierher gekommen, um zu sterben". Seine Witwe beobachtete voller Schrecken, dass er aufgehört hatte, für sich selbst zu dirigieren. "Dieses mir so vertraute, leise vor sich Hinsummen und Dirigieren geschah nicht ein einziges Mal mehr. Er war fest konzentriert auf das Sterben, und das ohne die geringsten Anzeichen von Angst" (Quelle: Herbert Haffner, Furtwängler, Parthas Verlag 2006, S. 436).


    Wenn man dies alles weiß, sind die letzten Aufnahmen des Sterbenden aus dem Jahr 1954 umso höher einzuschätzen. Furtwängler war wirklich ein solcher Ausnahmedirigent, dass ich kaum Worte außer solchen der tiefsten Bewunderung finde. Die von Dir verlinkte CD, Gustav, werde ich mir allein schon wegen des Aufnahmedatums besorgen. Ich bin zwar schon reichlich eingedeckt mit Bruckner Nr. 8-Aufnahmen mit Furtwängler, aber die darf es dann auch noch sein!

    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Zitat

    Furtwängler war wirklich ein solcher Ausnahmedirigent, dass ich kaum Worte außer solchen der tiefsten Bewunderung finde.


    Lieber Swjatoslaw!


    Du spichst mir aus dem Herzen! Je häufiger ich ihn höre, je mehr bewundere ich seine Kunst, die Werke aus ihrem Geist heraus fast neu zu erschaffen. Es ist alles sehr subjektiv, es alles immer anders, aber es ist immer der Komponist, sprich es ist nie eine Vergewaltigung und es ist eigentlich immer groß. Es ist das, was, ganz anders auch Wand erreicht hat, der ihn übrigens sehr bewunderte. Das waren zwei Dirigenten, die gedient haben, auch wenn es bei Furtwängler manches Mal nicht so erscheinen mag. Sie haben immer dem Werk gedient und es lebendig werden lassen. Es war nie Selbstzweck!


    :hello: Gustav

  • Lieber Gustav,
    ich freue mich unglaublich, dass ich als Neuling in diesem Forum (der die Verhältnisse natürlich noch nicht so gut kennt) solchen Zuspruch wie von Dir finde, was meine Furtwängler-Besessenheit angeht. Ja, Furtwängler ist als Dirigent für mich das Maß aller Dinge, wie Richter für mich als Klassik-Pianist und Bill Evans als Jazz-Pianist das Maß aller Dinge sind. Ich schaffe mir lieber die achte Furtwängler-Version einer Beethoven- oder Bruckner-Sinfonie auf CD an, bevor ich mir irgendwelche Thielemanns antue. Aber ich möchte hier keine solche Diskussion losbrechen. Jeder soll das hören, was er schön findet. Ich aber liebe nun mal Furtwängler in seinem Repertoire sowie Mrawinsky und Bernstein und Barbirolli in ihren jeweiligen Fachgebieten. Furtwängler liebe ich im sinfonischen Bereich am allermeisten. Schön, dass Du ihn auch magst. Und, um nicht falsch verstanden zu werden: Wand finde ich natürlich auch toll. Vielleicht warst Du auch in dem Konzert, als er in Hamburg die Fragmente aus "Le Martyre de Saint Sébastien" von Debussy dirigierte? Oder als er die "Bilder einer Ausstellung" auf dem Programm hatte? Wand war weit mehr als nur ein Beethoven-, Schubert-, Brahms- und Bruckner-Spezialist. Ein großer, großer Dirigent.

    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Zitat

    Original von William B.A.
    Alle im Saal spürten, dass hier etwas ganz Besonderes geschah, und wenn man sah, welche Spannung noch in diesem Körper steckte, konnte man ihn nur bewundern ob dieser Leistung.


    Lieber Willi,


    ich glaube, das Gefühl des "Besonderen" umgab alle späten Konzerte Wands.


    Meine letzte "Begegnung" mit ihm datierte vom April 2001:



    Damals wirkte Wand körperlich sehr gebrechlich, fast schon zerbrechlich. Aber am Pult stehend wirkte er mit einem Mal zehn, zwanzig Jahre jünger.
    Seine Schlagtechnik hatte bis zum Schluß nichts an Präzision verloren (man vergleiche diesbezüglich einmal mit dem "greisen Klemperer", bei dem von einer "Technik" keine Rede mehr sein konnte), und er war stets in der Lage mit Gesten und Augen-Blicken dem Orchester die nötigen Impulse zu einer herausragenden Leistung zu vermitteln.


    Nie vergessen werde ich, daß Wand nach dem begeistertem Schlußapplaus sein Orchester mehrfach energisch auffordern mußte aufzustehen, damit es auch den ihm gebührenden Teil des Applauses empfangen durfte...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Swjatoslaw
    Ich schaffe mir lieber die achte Furtwängler-Version einer Beethoven- oder Bruckner-Sinfonie auf CD an, bevor ich mir irgendwelche Thielemanns antue.


    Lieber Joachim!


    Die achte oder neunte oder... Version schaffe ich mir natürlich auch an, weil Furtwängler wirklich jeden Abend anders war. Faszinierend ist immer wieder, wie er auf außermusikalische Einflüsse reagiert hat und wie seine Spontaneität sich jeden Abend wieder Bahn brach. Von daher steht sein gesamtes Oeuvre bei mir auf der Anschaffungsliste und ich schlage meist sofort zu, wenn ich irgendwo noch 'ne 4. Brahms oder 'ne 5. Beethoven finde.


    Thielemann tue ich mir übrigens zusätzlich an :D , aber das ist natürlich Geschmackssache.


    Richter habe ich noch 3mal in und um Hamburg erleben können, einmal mit der Leonskaja zusammen. Das waren schon Erlebnisse ersten Ranges, auch wenn mein pianistischer Hausgott Horowitz bleibt und seine beiden Hamburger Konzerte für mich persönliche Sternstunden waren. Ich bin in dem Bereich aber ganz eindeutig nicht so versiert wie du.


    Wands Debussy habe ich leider nicht erlebt, das muss in seiner Zeit als Chefdirigent des NDR gewesen sein. Damals habe ich ihn relativ selten gehört, da ich sowieso eher in der Oper als im Konzert war. Erst seine Zeit als Dirigent auf Lebenszeit habe ich dann vollständig begleitet und natürlich dabei auch die seltenen Gelegenheiten erlebt, in denen er einmal nicht sein "Standartrepertoire" dirigierte (Mussorgsky, Stravinsky, Tschaikowsky, Strauss). Er ist mit Sicherheit nach und neben Furtwängler der Dirigent, den ich am meisten liebe. Schließlich habe ich ihn auch am häufigsten erleben dürfen und man ist in dieser Zeit so stark mit ihm verwachsen gewesen, sprich, er hat mich so lange und intensiv begleitet und ich habe bei niemanden sonst im Konzertsaal so stark und so häufig das Gefühl gehabt, so und genau so muss es sein.


    Lieber Norbert!


    Ich erinnere mich gut an all die Konzerte in den letzten Jahren, in die man immer mit dem Bewusstsein ging, es könnte das letzte Mal sein. Interessanterweise habe ich ihn selten dirigieren gesehen, weil ich meist einen besonderen Platz ganz oben gewählt habe, auf dem mit die beste Akkustik herrscht und wo ich meine langen Beine ausstrecken konnte. ;) . Leider ist der Platz aber gerade ohne Sicht auf den Dirigenten.


    An diese spezielle Geste erinnere ich mich auch sehr gut. Häufig verlor er aber auch den kleinen "Kampf" mit dem Orchester und wurde gezwungen, den Jubel erst einmal alleine entgegenzunehmen. Die Verwandlung von diesem wirklich zerbrechlichen, so wie eine großer Schreitvogel wirkenden Körper in einen alles kontrollierenden Drigenten war aber in der Tat jederzeit spür- und hörbar. Sehr faszinierend.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    man vergleiche diesbezüglich einmal mit dem "greisen Klemperer", bei dem von einer "Technik" keine Rede mehr sein konnte


    Hallo,
    das war es schon vorher nicht. Nur als er sehr alt war, sah er auch noch "gefährlich eingefallen" aus.
    Bei You tube kann man bestaunen, wie ökonomisch er dirigerte.
    Man schaue sich mal das Gewitter aus der 6 in der 1970iger Version an. Er verteilt die Einsätze und sorgt fürs Tempo, welches allerdings recht langsam ist. Oder das Andantino der 7. Da sitzt er quasi vorm Orchester und bewegt die Finger. Doch wenn es drauf ankommt, ist er da!
    Extrem eindringlich! Und nur Fritz Reiner hat kleinere Taktstockausschläge.


    Gruß S.

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  • Zitat

    Original von Gustav


    Ich erinnere mich gut an all die Konzerte in den letzten Jahren, in die man immer mit dem Bewusstsein ging, es könnte das letzte Mal sein. Interessanterweise habe ich ihn selten dirigieren gesehen, weil ich meist einen besonderen Platz ganz oben gewählt habe, auf dem mit die beste Akkustik herrscht und wo ich meine langen Beine ausstrecken konnte. ;) . Leider ist der Platz aber gerade ohne Sicht auf den Dirigenten.


    Lieber Gustav,


    eben, das Bewußtsein, man könnte eins der letzten Konzerte von und mit Günter Wand erlebt haben, machte -neben der stets vorzüglichen Interpretation- aus jedem Konzert etwas ganz besonderes.


    In dem o.g. Konzert wurden meiner damaligen Herzensdame und mir unvermittelt zwai Karten von einem NDR-Orchestermusiker für die dritte Reihe Parkett, Plätze fast in der Mitte, geschenkt.


    Ursprünglich hatten wir Karten für den 2. Rang Balkon, einen links oder rechts von der Mitte, gehabt.


    So war die Sicht auf Wand optimal.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • In den Aufnahmen, die ich gesehen hatte (auch sehr später Beethoven aus den 70ern), nutzte er keinen Taktstock, und es sah mehr nach "Rudern mit den Armen" aus als nach Dirigieren.


    Sei's drum, der künstlerischen Leistung taten diese "Dirigierbemühungen" oder "der Tribut ans Alter" keinen Abbruch.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Norbert
    So war die Sicht auf Wand optimal.


    Lieber Norbert!


    In der Tat, beste Sicht, was in der Musikhalle ja nicht unbedingt für alle Plätze gilt. ;)


    Aber bald kommt ja was Neues!


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von s.bummer
    Extrem eindringlich! Und nur Fritz Reiner hat kleinere Taktstockausschläge.
    Gruß S.


    Irgendwo habe ich einmal Strauss in Frontalansicht beim Dirigieren gesehen. Köstlich. Man hatte das Gefühl, ein älterer Herr denkt an seinen letzten Skatabend durchaus mit Genuss zurück und, ach ja, hier noch ein Einsatz. Aber was dabei herauskam, erstaunlich.


    :hello: Gustav

  • Ab 1967 hat er wieder mit Taktstock dirigiert, vorher nicht.
    Quelle: Natürlich Heyworth, wer sonst.
    Davor gab es diese Arm-Rudern! aber das war vorher! Vor 1967!
    Deshalb empfehle ich nochmals als Sichtkontrolle die Aufnahmen aus seinem letzten Zyklus 1970. Inzwischen gibt es auch die 8. Sehr schön!
    Mit Taktstock!


    Übrigens: Günni Wand, den ich jahrelang in HL bewundern durfte, wofür ich wirklich dankbar bin, denn es waren Sternstunden!!,hatte eine deutlich größere Amplitude beim Dirigieren.
    Vor allem, wenn er so keck wippte.
    Gruß S.

  • Bruno Walters letzte Aufnahmen entstanden im März 1961 mit dem Columbia Symphony Orchestra. Es handelte sich um eine Reihe von Mozart-Ouvertüren.



    Die letzte Aufnahme Fritz Reiners war eine Einspielung der 4. von Brahms mit dem Royal Philharmonic Orchestra, ebenfalls von 1961. Kurz nach der Aufnahme erlitt Reiner einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholte.



    George Szells letzte Aufnahme war ein Live-Mitschnitt aus Japan vom 22. Mai 1970. Gegeben wurden Sibelius' 2., Mozarts 40., Webers "Oberon"-Ouvertüre und Berlioz' "Rákóczy-Marsch". (Die SACD ist übrigens auf der offiziellen Seite des Cleveland Orchestra erhältlich.)


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    George Szells letzte Aufnahme war ein Live-Mitschnitt aus Japan vom 22. Mai 1970.


    Diese Aufnahme ist einfach nur göttlich. Ein wahres Vermächtnis.
    Der todkranke Szell legt nen Sibelius hin, der noch 100 Jahre Gültigkeit haben wird!!
    Dagegen kann man nahezu jede andere Aufnahme vergessen!


    Gruß S.


  • Meine Quelle ist mein Gedächtnis, in sofern will ich mich nicht streiten... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Kompliment für dieses spannende Thema, Joseph. Das ist wirklich interessant, in dieser Richtung auf die Suche zu gehen.


    Sir John Barbirolli, einer der ganz großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts, starb am 29. Juli 1970. Sein letztes Konzert gab er mit "seinem" Hallé Orchestra Manchester vier Tage zuvor beim King's Lynn Festival am 25. Juli 1970. Ich habe nicht ausfindig machen können, ob es von diesem Konzert einen Mitschnitt gibt. Also werden seine letzten beiden Studio-Aufnahmen vom Juli 1970 mit ziemlicher Sicherheit seine letzten Aufnahmen sein: er dirigierte das Hallé Orchestra mit den beiden Delius-Werken "Appalachia (Variationen über ein altes Sklavenlied)" und "Brigg Fair (An English Rhapsody)". Diese beiden Aufnahmen sind auf der CD 1 des 2 CD-Sets von EMI enthalten



    Über das letzte Szell-Konzert habe ich nun schon soviel Gutes gelesen, auch hier wieder in diesem Thread, dass man sich diesen Mitschnitt wohl wirklich mal zulegen müsste.

  • Lieber Norbert,


    diesen Eindruck hatte ich auch immer von ihm (Günter Wand), und ich habe ich immer gefragt: wie hält der alte Mann das nur aus, eine 85-Minuten-Symphonie ohne Pause in dieser Schlagtechnik zu dirigieren, und die Antwort kann nur sein, dass ihm die Musik die Kraft verliehen hat.
    Ich habe seit 1986 alle Konzerte von Günter Wand in Lübeck bzw. Kiel gesehen, leider bis auf das letzte nur im Fernsehen, (aber deswegen konnte ich sein Gesicht und seine Augensprache immmer sehr gut mitverfolgen.
    Sicherlich wäre es ebenso faszinierend gewesen, ein Konzert von Wilhelm Furtwängler live mit zu erleben, aber so alt bin ich denn ja (Gottseidank) doch noch nicht.
    Übrigens: hast du seine Biografie gelesen "So und nicht anders" (Hoffman und Campe)? Wenn nicht, ist sie meiner Ansicht nach sehr empfehlenswert.


    liebe Grüße aus Rosendahl (in der Nähe von Münster)


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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