Gedanken zu Wagners "Ring"

  • Ich habe in den letzten Tagen mal wieder viel in Wagners Ring und auch in Peter Jacksons Film "Der Herr der Ringe" reingeschaut und da kam bei mir wieder eine Frage zum Vorschein, die ich mir schon oft gestellt habe.


    Während ich beim "Herrn der Ringe" die Macht des Ringes verstehen kann (er ist ja direkt mit dem bösen Herrscher Sauron verbunden) fehlt mir diese Erkenntnis bei Wagner. Was genau macht denn den Ring so mächtig? Es wird gesagt, wenn man der Liebe entsagt, dann kann man aus dem Rheingold einen Ring schmieden, der einen zum Walter der Welt macht. Aber wie genau? Ganz oft wird im Rheingold gezeigt, dass Alberich den Ring hochhält und die Zwerge rennen kreischend davon und ich frage mich immer: Warum tun sie das? Geht eine böse Kraft von dem Ring aus, ähnlich wie beim Herrn der Ringe? Dann wundert mich, das Wagner das nicht zur Sprache gebracht hat, oder wird genau das im "Ring-Motiv" ausgedrückt?


    Ich bitte um Gedanken, Hinweise, Anstöße, Diskussion. Bei Gelegenheit folgt noch eine weitere Frage.

  • Eine der amüsantesten und frechsten Ring-Einführungen und Ring-Deutungen ist Beranrd Shaws Wagner-Brevier.



    Für Shaw ist dort der Ring nichts anderes als das Symbol, die Quintessenz für das Rheingold, welches sich in geraubtem Zustand zu Kapital in marxistischem Sinn verwandelt, welches "an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung" setzt und "den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt."
    Meines Erachtens liegt da Shaw gar nicht so falsch, denn Wagner war politisch. So hat der liebe Richard doch mit dem Anarchisten Michail Bakunin, welcher einige Jahre später mit Karl Marx in London die I. Internationale gegründet hat, die Dresdner Oper abgefackelt und etliche wirklich deftige Kampfschriften verfasst, weswegen er als steckbrieflich gesuchter Terrorist ins Ausland hat fliehen müssen. Dort dann hat er nachweislich Umgang mit seinen alten Mitstreitern gepflegt, wobei ganz besonders Georg Herwegh zu erwähnen ist, welcher als Redakteur bei der von Marx herausgegebenen Rheinischen Zeitung arbeitete, aber auch Ferdinand Lasalle, mit dem er sich ebenfalls getroffen hat.


    Tolkien nun dürfte sich durchaus von Wagners Ring zu seinem Herrn der Ringe ispiriert worden sein, wobei aber dann letztendlich ganz etwas anderes herausgekommen ist: Ein episches Märchen, getragen von einer ausgeprägten Sehnsucht nach einer idealisierten vorindustriellen Zeit.


    Jackson nun hat in seinen Filmen die Sache dahingehend wieder aktualisiert, in dem er konsequent die (rüstungs-) industrielle Welt Sarumans und Saurons mit der vorindustriellen der Elben, Hobbits, Zwerge und Menschen kollidieren läßt und somit auch wieder eine größere Nähe zu Wagner geschaffen.
    Diesen "kapitalismuskritischen" Ansatz hat Jackson in einem Interview zugegeben, wobei dieser aber nicht aus der traditionell linken Ecke, sondern von der Ökoseite her kommt.


    Zitat

    Was genau macht denn Ring so mächtig?


    Weil er der Schlüssel zu dem Schließfach ist, in dem das in schier unermesslichem Maße drinnen ist, mit dem man sich gleichsam die ganze Welt kaufen kann und nicht nur die, sondern auch ihre Repräsentanten aus Legislative, Judikative und Exekutive.
    Die Nibelungen fliehen davor, weil er ihnen ein Symbol ist für Unterdrückung und Ausbeutung, weil durch ihm jeder Zeit die Repressionsmittel erworben werden können, mit denen mürrische Nibelungen fügsam oder zusammenkartäscht werden können.


    Dass dafür der Liebe entsagt, dass dafür selbige verflucht werden muss, ist logisch, wird doch damit jedwede Achtung vor Leben und Schöpfung als geschäftsstörend über Bord geschmissen: en gros und en detail!


    Wotans Macht dagegen beruht auf Überlieferung, auf Tradition, auf Religion und Magie oder salopp formuliert auf Gottesgnadentum, derweil die Macht des Ringes doch völlig rational ist. Würde Alberich übernehmen, wäre es mit Wotan gleich vorbei, seine magischen Fähigkeiten würden sofort als Firlefanz entlarvt, sein Speer wäre nur noch ein Stück dekoriertes Holz und sein Zauberschwert bestenfalls noch eine gute Klinge, die sich an der bloßen Masse der industriell gefertigten Schwerter über kurz oder lang bis zur Unbrauchbarkeit abnutzen würde.


    Von dem her wäre es jetzt interessant zu untersuchen, in wie weit die Person des Bayernkönigs Ludwig II Wagner bei seiner Gestaltung Wotans beeinflusst hat, hat doch Ludwig II als Herrscher genau unter dieser Problematik gelitten.


    Viele Grüße
    John Doe

  • An sich bin ich ein nicht- Wagnerianer - aber allein die Fragestellung war denn doch zu verlockend für mich, wenigstens ein wenig nachzulesen.


    Ehrlich gestanden verstehe die diee Problematik der Frage nicht, denn doch teuflische Konstruktr kamen son seit der Bibel vor, später dann in Sagen und Märchen. Teuflisch deshalb, weil umd die scheinbar höchste Lust zu erlangen (Die Weltherrschaft) einer anderen oft noch höher eingeschätzten entsagt werden muß - nämlich der Liebe.


    Damit ist der Ring schon als Unglücksbringer prädestiniert.
    Ein Schäuferl draufgelegt wird dann noch durch Alberichs Fluch.


    Zitat

    Was genau macht denn den Ring so mächtig


    Was genau macht denn ein Paar Bündel Papier ( gemeint ist das Geld - oder auch Aktien) oder das Gold lediglich eine gelblich glänzendes Metall so mächtig, daß Staaten daran zerbrechen, oderMenschen sterben um in den Besitz zu kommen etc.


    In Legenden wird nicht so genau definiert wie in der Realität. "Verleiht "Herrschaft über die Welt" ist schwammiger formuliert als: "Man kann alles darum kaufen und Macht über andere ausüben"
    weil hier mehr gemint ist - nämlich Allmacht und -wahrscheinlich - sogar Unsterblichkeit.


    Zitat

    Ganz oft wird im Rheingold gezeigt, dass Alberich den Ring hochhält und die Zwerge rennen kreischend davon und ich frage mich immer: Warum tun sie das? Geht eine böse Kraft von dem Ring aus, ähnlich wie beim Herrn der Ringe? Dann wundert mich, das Wagner das nicht zur Sprache gebracht hat, oder wird genau das im "Ring-Motiv" ausgedrückt?


    Es schaut mir eher nach einem Regieeinfall aus, der dann von vielen Inszenierungen übernommen wurde - oder aber der "Gag" wurde schon im Libretto vermerkt.
    Ich finde die Ide ausgeprochen gelungen - da sie genau das anregt, was DU hier machst, nämlich nachzudenken, einen scheinbar tieferen Sinn - den es vielleicht gar nicht gibt - zu vermuten - und dem Stoff mehr Bedeutung zuzu messen als er vermutlich verdient. Ähnlicher Kniffe bedient sich übrigens Schikaneder in der Zauberflöte....
    Auf jeden Fall wird auf dies Weise optisch die Macht - und Macht birgt immer auch die Möglichkeit des Bösen in sich - des Rnges visuell gezeigt.


    In vergangener Zeit waren Autoren und Librettisten nicht bestrebt alles auszuformen, der Zuschauer wurde praktisch eingeladen gewisse offengelassene Fragen selbst zu ergänzen, woraus resultiert, daß 10 verchiedene Zuschauer das Werk unterschiedlich erleben...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Lieber Alfred, liebe Taminoeaner/innen
    Im Ansatz von John Doe, angelehnt an B. Shaw, sehe ich ein gutes richtungsweisendes Moment für die Ring-PARABEL.


    Nehmen wir uns einfach mal für einen kurzen Moment aus dem Alltag raus, indem wir -- unserer Über-ICH-Struktur,-- Vernunft, dem tagein-tagaus-täglichen Trott, all unseren wichtigen antrainierten Fähigkeiten, unserem Ehrgeiz und unseren ganz speziellen inneren Schweinehunden, die ROTE KARTE ZEIGEN....................(es braucht doch nur ganz kurz sein, keine Panik bitte !! :.)


    ........um für einen kurzen Moment frei zu sein, frei von den Zwängen des Alltags, um zu phantasieren, Luftschlösser zu bauen (z.B. mit dem Namen Walhalla) und für diesen kurzen Moment können nicht nur die eigenen Dinge auf den Kopf gestellt werden, sondern wir könnten unsere Ketten durschneiden........denn Träume sind nicht automatisch "Schäume", sondern
    enthalten lebensnotwendiges Energie-Potential und das brauchen wir
    (durch die Kunst).


    Ich möchte gerne "Loge" sein.........."wer weiß was ich tu"
    Unsere Abgründe müssen und sollten wir in vielen Punkten kennen, doch "Siegfried" als Produkt des Inszests von Sieglinde und Siegfried kann uns trotzdem gefallen, irritieren, geil machen oder ängstlich und unsicher werden lassen.
    WIR BRAUCHEN "Parabeln" wie den RING, mit seinen tausend Herausforderungen, Doppeldeutigkeiten, Grenzüberschreitungen, Denkanstößen und VIELEM mehr.


    Es gibt nicht einen RING, nicht einen richtigen oder falschen,........................
    sondern es gibt vorallem unsere unendlich unterschiedlichen und vielschichtigen Regungen, Charakteraufundniederschwünge,und noch die Unzahl anderer entdeckungswerter Dinge,
    Herr der Ringe
    als wenn mir doch jetzt
    nachts um zwei Uhr dünge
    mache Schluss Geselle
    der RING
    begleitet Dich Dein ganzes Leben
    manchmal ist es toll oder auch daneben
    weder Schenk, noch Wieland, Berghaus, Götz Friedrich,
    der Wilson gar, das spanische Enfant Terrible als Stripper,
    Wotan eventuell mit einem Tripper,
    Erda geht der Walküren wegen auf den Strich
    (bitte nicht Wotan verraten !)
    ALLES DAS erwürgt uns nicht
    denn Wagners RING
    ist nicht irgendeiner,
    Deiner, meiner, tausendfach
    für jedes Seelenfach, für Macht und Intrige
    Kampf, Lust und Friede
    auf das die Individualität der Parabel siege !!!


    Gruß........."Titan"

  • Zitat

    n Legenden wird nicht so genau definiert wie in der Realität. "Verleiht "Herrschaft über die Welt" ist schwammiger formuliert als: "Man kann alles darum kaufen und Macht über andere ausüben" weil hier mehr gemint ist - nämlich Allmacht und -wahrscheinlich - sogar Unsterblichkeit.


    Natürlich Allmacht, natürlich Unsterblichkeit, aber keine göttliche, wie sie Wotan hat oder der Mensch im Paradies, bzw. im himmlischen Jerusalem, sondern eine selbst zurecht gezimmerte, eine technokratische, also gleichsam eine Parodie der richtigen (z.b. in Form eines täglichen Back Ups eines Menschens, das immer wieder neu geladen werden kann).
    Als Beleg dafür ist die Liebesentsagung, bzw. der Liebesfluch anzuführen, der auf sehr einfacher Ebene auch einen Reproduktionsstopp beinhaltet; ein synthetischer und somit künstlich unsterblicher Mensch braucht sich ja nicht mehr fortpflanzen, hat er doch den Höhepunkt für seine Existenz erreicht, um den dann jedweder gleichwertige Erbe konkurrieren würde.


    Und damit es dem unsterblichen Alberich nun nicht langweilig wird, fängt er an, seine Triebe, bzw. die Erinnerung an die selbigen zu befriedigen. Er entfernt der Sexualität ihren höheren Sinn und reduziert sie zur Ware, zur Pornographie.
    Oder wie der noch natürliche Alberich sagt: "Der Welt Erbe gewänn ich zu eigen durch ihn? Erzwäng ich nicht Liebe, doch listig erzwäng ich mir Lust?" Ein Angebot, eine Chance, die kein Alberich dieser Welt ablehnen könnte.


    Man kann Wagner viel vorschmeissen, aber dass im Ring in seinen ganzen 15 Stunden auch nur eine Textzeile zu viel drin ist, das mit Sicherheit nicht. Eher zu wenig!


    Viele Grüße
    John Doe

  • Um mal wieder auf Wagner zurückzukommen: Der Ring selbst verleiht Alberich lediglich "maßlose Macht" über das Volk der Nibelungen, wobei der Tarnhelm noch zusätzlich zur angstgeschwängerten Atmosphäre seiner usurpierten Macht beiträgt. Unsterblich wird Alberich dabei allerdings nicht (auch wenn er wahrscheinlich die "Götterdämmerung" überlebt) und allmächtig schon gar nicht (denn dann wäre der Ring schon im "Rheingold" zuende und würde mit dem Sieg Alberichs enden). Wie Alberich ja selbst gegenüber Wotan und Loge zugibt, will er sich den Weg zur Weltherrschaft erst durch das von den Nibelungen zwangsweise geförderte Gold erkaufen. Der Ring steht also für eine auf Usurpation beruhende Diktatur, während der Vertragsspeer Wotans Symbol einer auf rationale Verträge gegründeten Herrschaft ist, also die Autokratie in Form einer absolutistischen Herrschaft verkörpert. Beides Herrschaftsformen, denen Wagner keine sonderlich großen Sympathien entgegenbringt.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Da sind schon sehr interessante Gedanken dabei, danke sehr :yes:
    Wenn ich das richtig lese, dann ist für euch alle der Ring nur ein Symbol, sowie auch unsere Geld-Scheine ein Symbol ist. Ich habe mich halt immer daran gestört, dass Alberich ja offensichtlich mit dem Ring durchaus Kräfte hat.


    Iirgendwie gelingt es ihm mit dem Ring seine Nibelungen zu rufen, damit sie den Goldschatz an die Oberfläche holen. ("Wohlan die Nibelungen rief ich mir nah") Andererseits habe ich mich immer gewundert, warum er - wenn der Ring eine direkte, auswirkende Kraft hat (vor der z.B. die Nibelunegn kreischend wieder davon laufen - nicht auch Wotan und Loge sofort unterwirft, oder auch noch auf dem Weg an die Öberfläche. So kann man eine Allmacht also wirklich ausschließen. Ich könnte mir die Kraft des Ringes auch so erklären, dass ja nur jemand den Ring schmieden kann, der der Liebe entsagt hat (ich liebe das Motiv dafür!). Und wer diesen Schritt gegangen ist alles was mit Liebe zu tun hat (Nächstenliebe, Elternliebe, usw) zu negieren, der ist wohl zu jedem weiteren brutalen schritt in der Lage. Und das amcht dann schon Angst.

  • Hallo Wotan,


    hm, ich versuche mal, die dritte Frage aus dem Libretto zu beantworten:


    Zitat

    Ganz oft wird im Rheingold gezeigt, dass Alberich den Ring hochhält und die Zwerge rennen kreischend davon und ich frage mich immer: Warum tun sie das? Geht eine böse Kraft von dem Ring aus, ähnlich wie beim Herrn der Ringe?


    Wellgunde:
    Der Welt Erbe gewänne zu eigen,
    wer aus dem Rheingold schüfe den Ring,
    der maßlose Macht ihm verlieh'.


    Wenn die Macht maßlos ist, so kann der Besitzer des Ringes offenbar durch pure Willensanstrengung Dinge auslösen. Z. B. den Zwergen Schmerzen bereiten. - Dass Alberich in diesen Momenten den Ring hochhält (je nach Inszenierung), ist wahrscheinlich gar nicht nötig, sondern nur eine unterstreichende Geste. - Vielleicht ist das Hochheben aber auch nur die Drohung, die Macht des Ringes anzuwenden. Das würde dann heißen, dass die Zwerge damit schon ihre Erfahrungen gemacht haben.


    Zur zweiten Frage:


    Zitat

    Es wird gesagt, wenn man der Liebe entsagt, dann kann man aus dem Rheingold einen Ring schmieden, der einen zum Walter der Welt macht. Aber wie genau?


    Das wird nicht gesagt. Es heißt nur:


    Woglinde:
    Nur wer der Minne Macht entsagt, [von Wagner persönlich gegebende Anweisung: versagt statt entsagt]
    nur wer der Liebe Lust verjagt,
    nur der erzielt sich den Zauber,
    zum Reif zu zwingen das Gold.


    Also: Der Schmiedevorgang bedarf bereits des Zaubers, den nur der erzielt, wer auf Liebe verzichtet. - Loge sagt dies im zweiten Bild so:


    Loge:
    Ein Runenzauber zwingt das Gold zum Reif.
    Keiner kennt ihn;
    doch einer übt ihn leicht,
    der sel'ger Lieb entsagt.


    Das ist im Kern dasselbe, was Woglinde sagte.


    Zur ersten Frage:


    Zitat

    Was genau macht denn den Ring so mächtig?


    Auch das wird nicht gesagt. Es bleibt verborgen, genauso wie das Hessesche Glasperlenspiel. Der Verzicht auf technische Details macht übrigens m. E. genau das mythische (und mystische) solcher Erzählungen aus. Es bleibt immer ein unerklärter - weil unerklärbarer - Rest. Wer das enthüllen wollte oder per Inszenierung erklären wollte, wo nichts zu erklären ist, würde das Werk einer wesentlichen Dimension berauben. - Man könnte genauso fragen: Was macht Zeus denn so mächtig? Wäre es erklärbar, und könnte man das eventuell imitieren, so wäre Zeus nicht mehr Zeus, sondern ein Produkt.


    (Wotan ist im Übrigen ein Produkt im obigen Sinne, Produkt seiner Verträge. Absolut, d. h. losgelöst von allen Bindungen, sind nur der Ring und die mit ihm verbundenen Runenzauber.)


    Es ist Teil des Machbarkeitswahns unserer Kultur, diese Dinge verstehen zu wollen. Überspitzt gesagt: Erkenntnisgewinn kann zur geistigen (oder geistlichen) Verarmung führen. Wer mehr versteht, wird dadurch andere Dinge verlieren. - Der Mythos dazu ist übrigens die Vertreibung aus dem Paradies: Als Adam und Eva durch Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis wussten, was gut und böse ist, hatten sie dafür das Paradies verloren. - Man stelle sich vor, man würde die Liebe verstehen. Man würde dadurch ihren Zauber unrettbar verlieren, weil man ihn durchschaut. - Es ist wie mit einem Kind, das einen Zaubertrick sieht: Es staunt nur, solange es nicht weiß, wie er funktioniert.

  • Der nächste Punkt, mit dem ich mich immer gern befasse, hat seinen Ursprung am Ende der Walküre. Wotan ruft: "Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie."


    Will Wotan damit seiner Macht absichtlich ein Ende setzen?
    Er weiß, dass seine bestrafte Tochter Brünnnhilde seinen Willen und Wunsch kennt, ihn auch sobald sie aus dem Schlaf erweckt ist ausführen wird.
    Aber dafür muss man Wotans Speer nicht kennen, sprich auch nicht fürchten.


    Bevor Siegfried kommt, im dritten Siegfried-Akt, hat Wotan noch ein Gespräch mit Erda. Am Ende dessen ruft er ihr zu "dem herrlichstem Wälsung weis ich mein Erbe nun an. ... Die du mir gebarst, Brünnhild, weckt sich hold der Held" Doch am Ende kommt es zum Kampf mit Siegfried, sein Speer bricht. Meine Frage nun: Ist dieser Kampf von Wotan beabsichtigt? Die Musik und der Text drücken aus, dass er jetzt plötzlich absolut unwillig ist, Siegfried auf den Berg zu lassen. Will er dass Siegfried seinen Speer zerhaut? Hätte er ihn nicht so auf den Berg ziehen lassen können und somit noch ein Stück seiner Macht bewahren können? Da Siegfried ihn nicht kennt, somit auch nicht seinen Speer, kann er sich damit auch nicht vor ihm fürchten.... was treibt Wotan zu dieserm Sinneswandel?


    Meinungen, Diskussionen erwünscht :jubel:

  • Lieber WotanCB,


    eine schnelle Antwort, aus dem Bauch heraus (wie sooft) ist :
    Wotan ist in diesem Punkt sehr menschlich, er drückt seine Gedankengänge und Absichten aus, als aber der Zeitpunkt da ist, Siegfried zu akzeptieren, findet er ihn nicht passend. Er stellt sich Siegfried in den Weg und tut das, was er eigentlich nicht wollte. Emotion !


    Meint der
    Operngernhörer :hello:

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  • Wotan hat seiner Welt Normen gegeben, die ihm dann selbst zum Hinderniss geworden sind, die er selbst übertreten hat:
    Er hat Walhall bauen lassen und selbiges wissentlich mit Diebesgut bezahlt. Und zwar mit Diebesgut im doppelten Sinn: Alberich stahl das Rheingold den Rheintöchtern und Wotan stahl es gemeinsam mit Loge Alberich.
    Um dieses Problem, diesen Rechtsbruch, der sein gesamtes normatives Gefüge in Frage stellt, ja mehr noch, gefährdet, zu bereinigen, braucht er einen absolut unwissenden Held, der mehr oder weniger durch Zufall den Rheintöchtern das Rheingold wieder beschafft.


    Die absoluten auf Gottesgnadentum beruhenden Monarchien der damaligen Zeit haben sich im Zuge der diversen Revolutionen alle Verfassungen gegeben, welche sich immer mehr das Kapital zu nutze gemacht hat. Die monarchische Autorität, die ererbte Autorität des alten Adels wurde immer mehr von der des hohen Kontostandes untergraben.
    Wagner geht davon aus, dass dieses Problem den Monarchen bewußt war, genau so wie er davon ausgeht, dass die Lösung desselbigen nur eine radikale sein kann, genauso wie er davon ausgeht, dass die Monarchien das ohne Rechtsbruch nicht mehr bringen können, da sie sich selbst mit ihren Verfassungen gebunden haben und ein Bruch der selbigen auch das Ende der Monarchien bedeuten würde.


    Wer kann also diese Problematik lösen? Doch nur einer, der sich an diese ganzen Gesetze, Normen und Traditionen nicht gebunden fühlt, weil er nicht unter ihrer Gültigkeit aufgewachsen ist bzw. weil er sie aus eigener Machtvollkommenheit nicht respektiert, weil er sie ablehnt.


    Zitat

    "Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie."


    Dieses Feuer brennt nur, wenn man daran glaubt. D.h. Wotan will nicht, dass ein einfacher Rechtsbrecher, ein Angehöriger der bestehenden Ordnung das Feuer durchschreitet, sondern einer, der mit der ganzen Sache als solcher nichts zu tun hat bzw. nichts zu tun haben will, also einer außerhalb des Systems steht. Deswegen nicht, weil es bei einem einfachen Rechtsbrecher es letztendlich nur eine Veränderung des Personales, aber keine des Systems gäbe.
    Oder um es kürzer zu formulieren, Wotan braucht einen Anarchisten, der ihm seine Probleme löst. Da selbige aber nicht auf den Bäumen wachsen, schafft er sich einen und hofft insgeheim, sich mit diesem später auf irgendeine Art und Weise arrangieren zu können.
    Dass er sich dabei auch wieder über seine eigenen Normen hinwegsetzt, spielt insofern keine Rolle mehr, als dass Wotan in seiner Verzweiflung auf die Anarchie setzt. Denn beachte: Siegfried, der aus einem Inzest hervorgegangene Enkel Wotans, soll nun mit seiner Tante Brünhilde verkuppelt werden, in der Hoffnung, dass alle Ordnung zerschlagen wird und man sich bei der Errichtung der neuen der Familienbande besinnt.


    Diese ganze Sache ist Wotan natürlich bewußt, weshalb ihm der Zweikampf mit Siegfried auch doppelt ernst ist: Zum einen geht es ihm ja wirklich um die Erhaltung seiner Ordnung, zum anderen ist er aber auch die Nagelprobe dafür, ob Siegfried nun auch der richtige ist.
    Meines Erachtens geht nun da - beim Zerbrechen seines Speeres - erst Wotans Auge auf, und er begreift auf was er sich da eingelassen hat, nämlich, dass Monarchie und Anarchie unvereinbar sind.


    Viele Grüße
    John Doe