Regietheater ? - Das gab es doch schon immer !!

  • "Die Dosis macht das Gift"


    Paracelscus soll das gesagt haben
    Und wenn er es nicht gesagt hat - dann ist es gut erfunden
    und zudem auch noch wahr.


    In der Tat wurden seit es Theater bzw Oper im heutigen Sinne gibt - und man es rückverfolgen kann - Änderungen an Stücken vorgenommen. Allerdings natürlich in angemessener Form.


    Wenn kein Geld da war, dann natürlich auch in nicht angemessener Form - aber das ist eine andere Geschichte.


    Auf diesen Thread bin ich gekommen, als ich mich mit dem Verfassen des Opernführers befasst habe. Ich habe da gewisse Details in Bezug auf den Ablauf nachlesen wollen - und bin auf manche - wenn auch nicht bemerkenswerte, so doch signifikante Unterschiede in der Beschreibung gestoßen, Mal bricht Rudolfo , als der den Tod Mimis erkennt, schluchzend über der Leiche zusammen, mal erstarrt er zur Salzsäule. - das nur als Beispiel, es gäbe etliche.


    "Warum gibt es diese - zum Teil nicht unerheblichen Abweichungen der Opernführer untereinander"- so fragte ich mich.
    Irgendwann habe ich dann erkannt, daß viele Autoren einfach die Inhaltsangebe so verfasst haben, wie sie das Werk GESEHEN haben.


    Inszenierungen weichen ja immer ein wenig vom Libretto ab - deswegen gibt es sie ja - soll heissen sie sind notwendig um den Stücken Leben einzuhauchen, und - in seltenen Fällen - eine Aufführung überhaupt erst zu ermöglichen. "Jahrhundertaufführungen" kamen bei letzteren allerdings kaum je zustande - es waren in der Regel Notlösungen.


    Aber kleine Farbtupfer - und ich betone hier das Wort KLEIN, sowie Unterschiede in der Ausstattung - das gab es schon immer. Eine Inszenierung von Zefirelli beispielsweise unterschied sich schon gewaltig von Billigprodukten an mittleren Bühnen.


    Die Frage ist ja lediglich, WOZU ich Regie und auch Ausstattung einsetze. Beide sollten an sich eher unglaubwürdige Stücke so suggestiv auf die Bühne bringen, daß sich die Frage nach der Logik der Handllung gar nicht erst stellt.


    Man wirft den "Regietheatergegnern" stets vor, daß sie immer gleiche, am Libretto klebende Aufführungen favorisierten. - Das Gegenteil war der Fall. Jede Aufführung meiner Jugend strotzte nuir so von neuen Ideen, kleinen Gags und einfallsreichen Bühnenbildern und Kostümen.
    "Historische Treue" war nicht unbedingt angestrebt - wohl aber die ILLUSION "historischer Treue.
    Nimmt man beispielsweise die Meistersänger her, dann wird man feststellen, daß "historisch Treue" schon allein durch Wagners Musik unmöglich gemacht wird, denn die Musik des sechzehnten Jahrhunderts klang auch nicht ansatzweise nach Wagner ...


    Dennoch bringt Wagner mit seinen Figuren und seinen Handlungen glaubhafte Stücke auf die Bühne, deren Inhalt gar nicht hinterfragt werden muß - wird er nur überzeugend genug auf der Bühne dargestell.


    Ein gutes Beispiel ist hier Giuseppe Verdi, dessen Opern ja textlich nur teilweise Meisterwerke sind, es gibt etliche Opern mit verworrenem Text. Die tolle Musik in Verbindung mit einer idealen Ausstattung und Inszenierung lässt aber derlei Einwände schwinden - ganz ohne tiefgehendere Eingriffe in Zeit und Handlung des Stückes.


    Librettisten sind nun mal Spezialisten für Operntexte. Sie wissen was bühnenwirksam ist - und was nicht. Deshalb haben sie teilweise bereits existierende Sprechstücke so umgestaltet, daß sie auf eine Opernbühne passen und dort Bestand haben. Zumeist wurde eine Schärfung des äusseren Profils von Personen vorgenommen - auf Kosten einiger psychologischen Feinheiten des Charakters uind der Handlung. - Nicht immer war das von Vorteil - aber es war notwendig um Nebenpersonen streichen zu können und die Spieldauer der Opern in Grenzen zu halten.....


    Ich würde mir wünschen, die einstigen Schöpfer der Opern wären imstande, zu formulieren , wie sie sich denn die Aufführungen ihrer Opern WIRKLICH vorgestellt haben.


    Aber letztlich würde das auch nichts nutzen, man würde sich über die Wünsche dieser "STAUBIS" kühllächelnd hinwegsetzen und vor deren Augen die Werke zerstören.


    Seien wir froh: DAS ist ihnen zumindest erspart geblieben.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Natürlich mußte es immer Regie - genau so wie eine musikalische Interpretation- geben, denn das Werk muß ja in Szene gesetzt, sprich bühnenreif präsentiert werden.
    Auf der einen Seite steht die Handlung, die historische Zeit, in der das Werk spielt und der mehr oder weniger ausformulierte Wille der Schöpfer, sprich Komponist und Librettist.
    Der Regisseur sollte sich nun mit allen diesen Vorgaben penibel auseinander setzen und sie beachten. Dann muss er aber eine Deutung des Werkes finden und auch zeitgemäße Strömungen berücksichtigen und einbauen. "Geht die Oper nicht mit der Zeit - geht sie mit der Zeit[."
    Nun kommt aber meines Erachtens das Entscheidende: Das Werk darf nicht willkürlich verändert und auf den Kopf gestellt werden. Nur zwei Beispiele: Wenn im "Parsifal" der Gral in allen Szenen leuchtend strahlt und am Ende erlischt oder der Ring am Schluss der "Götterdämmerung" nicht den Rheintöchtern zurückgegeben, sondern ins Publikum geschleudert oder den in Walhall einziehenden Göttern zugespielt wird, dann liegt hier eine so starke Verfälschung vor, dass diese aus künstlerischer Verantwortung heraus nicht mehr statthaft ist. Höhepunkt dieser Werkverhunzungen war für mich, als im "Don Giovanni" am Ende Giovanni und Leporello auf dem Komtur knien und diesen würgen. Schlimmer geht es wohl nimmer!
    Nur wir als das zahlende Publikum lassen uns diese Verblödung - denn das ist keine Regie mehr - gefallen und nehmen es hin.
    So wie es eine Phalanx der Erneuerer - oft um jeden Preis - gibt und geben muss, sollte es eine Gewerkschaft des Publikums geben, die in (Tarif) Verhandlungen ihre Meinung einbringt und mit den Machern zu einem beide Seiten befriedigenden Ergebnis aushandelt. Natürlich gesponnen, aber mit einem Kern von Wahrheit.
    Diejenigen, die werkgetreuere Inszenierungen erwarten, müssen sich artikulieren und für ihre Auffassungen kämpfen.
    Das Tamino-Forum kann für eine faire Auseinandersetzung eine ausgezeichnete Plattform sein. Bisher habe ich den Eindruck, dass Alfred ein einsamer Kämpfer ist, der einen Thread um den anderen zu dieser Thematik eröffnet, aber dann auf ziemlich verlorenem Posten kiämpft. Ja noch schlimmer, er zieht alle Pfeile der Kritk auf sich. Alle, die der Meinung sind, dass Opernsinszenierungen zu stark in Richtung eines falsch verstandenen Regietheaters gekippt sind und eine Rückbesinnung bezw. ausgleichende Balance notwendig ist, sollten sich hier und jetzt zum Thema äußern. Die längste Reise fängt mit dem ersten Schritt an- Tun wir diesen im Tamino Forum!
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Das Tamino-Forum kann für eine faire Auseinandersetzung eine ausgezeichnete Plattform sein


    Das ist es auch.


    Zitat

    Bisher habe ich den Eindruck, dass Alfred ein einsamer Kämpfer ist, der einen Thread um den anderen zu dieser Thematik eröffnet, aber dann auf ziemlich verlorenem Posten kiämpft.


    Ich glaube, daß dieser Eindruck trügt.
    Gerade in letzter Zeit haben sich dem Forum erklärte Gegener des Regiethaeters einerseits angeschlossen, und die Haßtiraden und Verleumdungskampagnen gegen deas Forum und mich andrerseite verschärft. Mehr Erfolg kann man schließlich nicht haben.


    Soll sagen: Wir werden beachtet, beobachtet, kritisch beäugt und als potentielle Gefahr eingestuft. Sowas wird dann in der Regel nach altem Rezept lächerlich gemacht oder uns rechte Eck gestellt.


    Solche Rezepte indes funktionieren nicht immer, sie nutzen sich mit der Zeit ab.


    Ausserem gibt es wesentlich radikalerere Gegner des Regietheaters im Internet.


    Das liest sich dann so:


    Zitat

    Zum Thema:
    Ich hoffe, dass es eines Tages eine Art Kulturpolizei geben wird, die dieses ganze Regisseurs - und Indentandengesindel der deutschen Theaterlandschaft verhaften und für hoffentlich sehr, sehr lange Zeit einsperren wird!
    Dann kann man wenigstens wieder ins Theater gehen...


    Unhaltbare Behauptung ? Von mir erfunden ? -Mitnichten
    Beweise ? - Bitte sehr


    Ich weiß allerdings nicht wie lange dieser Link aktiv sein wird, derzeit also am 27. 3. 2010 ist er es jedenfalls:


    Eshandelt sich hiebei um Folge 15 einer Videoserie
    des von mir sehr geschätzten Musikkritikers Joachim Kaiser
    wo "Lesermeinungen" abgedruckt werden ...


    Thema: Hat sich das Regietheater überlebt ?


    http://www.youtube.com/watch?v=mVFQRfN5A5Q


    Auch das Tamino Forum kommt dort im Zitat vor

    Zitat

    Ja noch schlimmer, er zieht alle Pfeile der Kritk auf sich


    Das mag zwar in manchen Momenten unangenehm sein, ist aber zugleich ein Zeichen der allehöchsten Anerkennung.
    Wenn manche Klassik-Internet-Seiten eigene Threads zum Thema Tamino-Klassikforum eröffen, dann ist das höchste Anerkennung für mich und ein Armutszeugnis für diese Foren, die - in Einzelfällen - nur mehr aus dieser Thematik bestehen.


    Die Threads übers Regietheater sind gut besucht - und haben eine unerhörte Wirkung nach aussen. Ich wünschte ich könnte das über Kammermusikthreads auch sagen.......


    Aber DIESER Thread soll ja EIGENTLICH dazu da sein, zu beweisen, daß "konventionelle" Regie durchaus abwechslungsreich sein konnte und Sternstundfen der Oper und des Theaters zustandebrachte - ganz ohne zerstörende Verfremdung der Werke.


    Aber über die Frage ob die Vergraulung des typischen bürgerlichen Klassikpublikums nicht als das Leitmotiv des Regietheaters schlechthin zu betrachten ist werde ich bei Gelegenheit erörtern - in einem neuen Thread. Freund und Feind kann sich schon heute darauf freuen Vorfreude ist ja bekanntlich überhaupt das schönste.....


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Den Videobeitrag von Joachim Kaiser sollte jeder Opernfreund, der sich mit der Materie Regietheater beschäftigt, unbedingt ansehen. Hier werden zur Problematik sehr fundierte Einsichten und Antworten geboten.
    Ein Thema ist die angebliche Heranführung der Jugend an die Oper durch das Regietheater. Wir haben beim Heilbronner Sinfonie Orchester unsere in Abständen durchgeführte Publikumsbefragung im letzten Jahr wieder durchgeführt. über 300 Einsendungen mit klarer Dominanz von Klassik und Romantik. Dieses Mal baten wir um Altersangabe und siehe da die wenigen Einsendungen von jungen Besuchern bis 30 Jahre bewegten sich ausnahmslos ebenfalls im bekannten, bewährten Repertoire. Es wird offensichtlich das gewählt, was man kennt oder im Musikschulunterricht gehört hat.
    Ich glaube, dass dies im Opernbereich kaum anders ist. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass die jüngere Generation nur moderne Konzept-Inszenierungen erlebt und daher nicht mehr vergleichen kann.
    Ich meine aber, dass bei Tamino der Ball in verschiedenen Spielfeldern angestoßen ist und wir viel zu dieser Diskussion beitragen können.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich persönlich frage mich ja, warum immer wieder der Begriff "Regietheater" zu negativ besetzt ist. Ich finde eine gute Regie macht eine gute Oper noch zusätzlich spannend, bzw ein eher unbekanntes Werk kann dadurch enorm aufgewertet werden.


    Die Begriffe von Joachim Kaiser, das Video läuft gerade, Regisseurtheater oder Konzepttheater finde ich da viel treffender und können bei weitem negativer besetzt werden. Das Konzepttheater als ein Begriff für verkopftes Bild, das mit der Oper an sich wenig zu tun hat, er nimmt den Münchener "Lohengrin" als Beispiel (den ich an sich gar nicht so verkopft fand). Das Regisseurtheater ist das was ich persönlich noch weniger leiden kann, nämlich wenn sich der Regisseur für wichtiger hält als das stück, bzw die Musik.


    Ich persönlich bin ja durchaus ein Freund von modernen Inszenierungen, so fern sie nicht in albernen Porvokation enden. Sehr genial der Don Giovanni in Essen von Stefen Herrheim, der die Oper in die kathedrale verfrachtet und damit mehr Klassik, mehr Mystik und mehr Emotion auf die Bühne gebracht hat als alle Klasssichen Inszenierungen, die ich je gesehen habe. Grenzwertig auch hie die Eingriffe ins Librtto, so zum beispiel vertauscht er einige Male, im Rezitativ die Phrasen zwischen Don Giovanni und Leporello. Diesen Eingriff konnteich für mich nur gut heißen, da das Endergebnis des ganzen passte.


    Auch in Münster wurde die Musik im dritten Akt der Meistersinger unterbrochen, um in ein Festzelt auf dem Schlossplatz umzuziehen. Ich mag diiese Eingriffe nicht. Während des Umzuges fiel mir aber der Spruch von Wagner ein, den er Hans Sachs in den Mund gelegt hat: "Der Regel Güte man daran erwägt, dass sie auch mal ne Ausnahm verträgt". Dieser Eingriff war für mich eine solche Ausnahme.


    Ich denke was junge Leute heute nicht sehen wollen, ist einen unbeweglichen Sänger, der vorne an de Rampe klebt, während er eigentlich seine Emotionen zeigen sollte - und das nicht nur in der Stimme.
    Ich weiß aber auch das verkopfte Inszenierungen, wo man 10mal nachdenken muss um den Sinn zu durchschauen, ebensowenig auf viel Gegenliebe stoßen.

  • Es ist richtig, den Begriff Regietheater nicht per se negativ zu besetzen.
    Auch ich habe von Joachim Kaisers weiterer Differenzierung hin zur Konzeptregie dazu gelenrt.
    Regietheater allein garantiert noch lange keine Neudeutung oder Spannung. Besonders ärgerlich ist, wenn ein Erneuerer einen durchaus überzeugenden Einfall hatte, alle anderen aber dann wie Leminge diese Idee widerkäuen. Gerhart Asche hat dies in einer humoristischen Glosse mit dem Titel:"Der finale Todesschuss" in der Opernwelt herrlich süffisant karikiert. Einer hatte die Idee statt eines Dolches einen Revolver einzusetzen. Fatale Folge nun musste auch Scarpia, Carmen und selbst die arme Gilda mit einem "Mordgewehr" ins Jenseits befördert werden. Eine ganze Zeit schien auf der Opernbühne eine Reiseeuphorie ausgebrochen zu sein. Koffer, Koffer und nochmals Koffer dominierten die Szene. Kaum hatten wir geglaubt, die Reminiszenzen an die Schreckensherrschaft der braunen Horden endlich in der Oper überwunden zu haben, da gräbt Herheim in seiner Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung dieses abgegriffene Klischee wieder aus.
    Das sind wirklich keine weitreichenden Ideen, die ein Werk in neuem Licht erscheinen lassen, das ist unter einfallslosem Plagiat einzuordnen. Statt solchem pseudomodischem Regietheater würde ich die angeblich verstaubten aber emotional anrührenden "Meistersinger-Inszenierungen" von Everding oder Wolfgang Wagner gerne noch meinen Urenkeln zeigen. Also wenn schon Regietheater dann sollte wirklich Neues geboten werden und kein alter Wein in neuen Schläuchen oder ein fader Aufguss in neuem Gewande geboten werden.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich persönlich halte es nicht für falsch eine gute Idee eines Kollegen auch bei mir einzubringen, sofern man es im Programm auch kenntlich macht. Herheims Parsifal habe ich noch nicht gesehen, aber ich glaube, dass sein Nazi-Auftritt wohl sinnvoll ist, nach allem was ich über die Inszenierung gelesen habe. Zudem habe ich wenige Wagner-Sachen gesehen, die sich mit dem 3.Reich auseinandersetzten. Ob das notwenid ist, ist sowie so eine andere Frage, aber ich bin immer der Meinung, dass Oper auch durchaus in der Lage ist geschichtliche Vorgänge zu reflektieren.
    Was ich bestätigen kann sind so Requisiten wie Koffer - kein Rheingold mehr seit Chereau und Vorreiter ohne Göttergepäck - langweilig.

  • Angeregt durch die nicht nur bei Tamino, sondern auch in der Öffentlichkeit hitzig geführte Diskussion über die neue "Parsifal"-Inszenierung des Herrn Bieito an der Stuttgarter Staatsoper (siehe entsprechenden Thread unter "Gestern in der Oper"), wurde mir mal wieder sehr deutlich, daß Regietheater nicht gleich Regietheater ist.


    Herr Bieito bedient sich nicht nur der Provokation (nichts Neues seit Jahrzehnten), sondern auch der bewußten Umkehrung der Libretto-Handlung. Da heißt es etwa im Ersten Aufzug:


    Ein wilder Schwan flattert matten Fluges vom See daher


    [...]


    Der Schwan sinkt, nach mühsamem Fluge, matt zu Boden


    [...]


    GURNEMANZ
    Bist du's, der diesen Schwan erlegte?


    PARSIFAL
    Gewiß! Im Fluge treff ich, was fliegt!


    Bieito setzt dies nun dergestalt um, daß er aus dem Schwan einen Jungen macht und dieser von Gurnemanz (sic!) totgeprügelt wird. Anschließend verspeisen die Gralsritter die Leiche. :kotz:


    Vielleicht ist Herrn Bieito ja der Meister höchstselbst im Traume erschienen und hat ihm dies gleichsam diktiert. Vielleicht hat Herr Bieito das Libretto auch nie gelesen. Vielleicht aber ist Herrn Bieito das Libretto (und somit Wagners Vorgabe) auch schlicht vollkommen egal und er zieht "sein Ding" gnadenlos durch.


    Weitere geistige Ergüsse des Regisseurs fasse ich kurz zusammen:


    - Kundry wird von Parsifal schwanger und überlebt (die Schwangerschaft ist ein Witz, zumal Parsifal ein asexueller Asket ist; zudem stirbt Kundry laut Libretto am Ende)
    - Titurel wird ermordet (das Libretto besagt nur, daß "er starb – ein Mensch wie alle" – nicht der geringste Hinweis auf einen Mord)
    - Klingsor erscheint mit einem Flammenwerfer (Kommentar erübrigt sich)


    Vergleicht man dieses Regietheater mit jenem seines Schöpfers, wenn man so will, nämlich Wieland Wagner, so fällt auf, daß man im Laufe der Jahrzehnte immer mehr von der Grundidee abkam. Wo Wieland Wagner noch durch Reduzierung auf das Nötigste den Blick auf das Wesentliche freilegte, verstellen ihn Regisseure wie Bieito durch effektheischende Einfälle und verändern die Handlung nach ihrem Gutdünken. Ich glaube kaum, daß dies die Intention Wieland Wagners gewesen ist. Seine (Möchtegern-)Nachfolger haben da etwas gründlich mißverstanden.


    Wagners Musik wird diese Auswüchse überleben, wie so viele davor, doch waren sie wirklich nötig?


    Mit ratlosen Grüßen
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Also an diesem Beispiele wird schön deutlich, was ich als durchaus interssantes Konzept, als interessante Neudeutung sowie als ziemlich überflüssig halte.
    Dass Gurnemanz den Jungen tötet, wirft zwar eine neue Sichtweise auf den oftmals gemütlichen Märchenonkel gezeigten Menschen. Aber letztendlich ist der Zusammenhang mit dem Schwan mir zu verkopft.
    Dass Kundry schwanger ist, kscheint mir wie eine Art Klimax dieser Inszneirung wo eine verkommene Gesellschaft auf der Suche nach neuer göttlicher Hoffnung ist - daher durchaus ein interessanter Gedanke. Der Flammenwerfer stört mich gar nicht und dass Titurel durch diesen Männerorden getötet wird, nun das ist wirklich mal interessant, wenn es denn wenigstens in dem Moment einen Sinn ergibt.
    Ich finde die Regie sollte durchaus neue Wege finden, mit einem Werk umzugehen, baer ohne es gleich über alle Maßen zu entfremden.

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  • Über neue Sichtweisen, die sich in Regiegags äußern, können und müssen wir diskutieren. Der Geschmack ist eben verschieden und die Toleranzgrenzen unterschiedlich groß. Vielleicht wäre hier eine Diskussion über Ästhetik bei Inszenierungen interessant.
    Worum es allerdings geht ist die Verfremdung des Stückes und die selbstherrliche Neudeutung des Stückes durch den Regisseur. Joachim Kaiser prangert dieses Vorgehen in seinem klugen Videobeitrag als unzulässige Konzeptregie an.
    Im "ParsifaL" kann nur ein reiner Tor die Erlösung bringen. Dass Parsifal der Verführung durch Kundry nicht widerstanden hat und diese sogar schwängerte, widerspricht damit dem Wollen des Schöpfers, dadurch ist der Wille des Komponisten in m. E. gröbster Weise verfälscht. Es gäbe weitere Indizien für dieses Vorgehen, wie z. B. der Tod Kundrys usw.
    Der Punkt über den wir diskutieren ist schlicht, was darf der Regisseur und was darf er nicht? Wo endet sein Regieauftrag und sein Mandat?
    Herzlichst
    Operus
    :boese2: :boese2: :boese2:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von Joseph II.


    - Kundry wird von Parsifal schwanger und überlebt (die Schwangerschaft ist ein Witz, zumal Parsifal ein asexueller Asket ist; zudem stirbt Kundry laut Libretto am Ende)


    Mit ratlosen Grüßen
    :hello:


    Irre ich mich oder sagt nicht Lohengrin, dass er der Sohn des Parsifal ist ?!?!?


    Aber prinzipielle Asexualität schließt ja nicht unbedingt einen Zeugungsakt aus, wenn es dem Wohle aller dient... (und ich muss zugeben, dass die Idee, Lohengrin sei der Sohn von Parsifal x Kundry, schon reizvoll ist)

    Hear Me Roar!

  • Zitat

    Original von Dreamhunter


    Irre ich mich oder sagt nicht Lohengrin, dass er der Sohn des Parsifal ist ?!?!?


    Aber prinzipielle Asexualität schließt ja nicht unbedingt einen Zeugungsakt aus, wenn es dem Wohle aller dient... (und ich muss zugeben, dass die Idee, Lohengrin sei der Sohn von Parsifal x Kundry, schon reizvoll ist)


    Ja, du hast recht, das ist mal ein guter Gedanke. es muss ja nicht mal eine sexuelle Zeugung stattgefunden haben. schließlich hat es das in der geschichte schon mal gebeben :jubel:

  • Ja, der Gedanke, daß Lohengrin Parsifals Sohn ist, kam mir zwar auch, aber doch nicht ausgerechnet von Kundry. Offenbar findet seine Geburt erst später statt.


    Ich kann weiters Operus nur zustimmen, was Prof. Kaiser angeht, der etliche interessante Video-Beiträge zum Thema Oper verfaßt hat.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões