15.05.2010 RHEINGOLD in Frankfurt

  • Lieber Taminoeaner/innen


    Der RING ist eines meiner wichtigen MUSIK-Lebens-Kapitel geworden.
    Es ist 42 Jahre her seitdem ich unter Hans Zender in Kiel mein erstes RHEINGOLD gehört habe.
    Vor ca 30 Jahren gab es in Frankfurt den Gielen-Berghaus-RING, in dem ich fast die Hälfte aller Vorstellungen gesehen haben dürfte.
    Die Schlußszene, in der die Götter nach Walhalla hochstelzieren, werde ich NIE vergessen,
    ich kriege jetzt - vor Faszination - noch eine Gänsehaut.
    Auf ca 30 cm hohen "Schuhabsätzen", der griechen Mythologie entliehen und bedeutungsschwer, wird die Wegstrecke gen WALHALLA zur Lebensstrecke, denn die Symbolik des ABSTURZES ist in doppelter hinsicht allgegenwärtig....
    auch wenn die Philosophie der Interpretation ganz profan hinter der Angst zurückstehen muß , der Sänger/in könnte sich den Knöchel oder gar was Schlimmeres brechen. (Trotzdem "MEIN RING")


    Dann kam der Wernicke RING vor ca 15 Jahren in Frankfurt unter Cambreling. Ich hatte diesen RING schon in Brüssel gesehen. Er war viel "intellektueller" als der BERGHAUS-Ring................mir hat er gefalllen- mit der permanent anwesenden Cosima auf einem Riesen-Flügel....und der Vereinigung von Brünnhilde und Siegfried (im SIEGFRIED) auf dem FLÜGEL. Großartig der Tänzer Thomas Stache als "Grane". Richtig gepackt hat mich der RING trotzdem nicht.....aber er war gut.


    Samstag, 15.05.2010, die 3. Vorstellung des Vorabends einer erneuten NEUINSZENIERUNG in Frankfurt. Ich gebe mal spontan Noten, wobei ich versuche auf meinen Eindruck während der Vorstellung zu fokussieren......
    Dirigent Sebastian Weigle 2,5
    Inszenierung Vera Nemirova 2,5
    Bühnenbild Jens Kilian 1,5
    Wotan Terje Stensvold 2,0
    Donner Dietrich Volle 3,0
    Froh Richard Cox 3,0
    Loge Kurt Streit 1,5
    Alberich J.Schmeckenbecher 2,0
    Mime Hans-Jürgen Lazar 3,0
    Fasolt Alfred Reiter 2,5
    Fafner M. Baldvinsson 2,5
    Fricka Martina Dike 3,0
    Freia Barbara Zechmeister 3,0
    Erda Meredith Arwady 1,5
    Rheinmädels Stallmeister/Magiera/Carlstedt 2,0


    Im Moment höre ich einen Mitschnitt der Premiere (In House)....das ist schon toll wie da (fast abgeklärt) sehr intensiv musiziert wird. Es ist eigentlich ein Dirigat welches ich für mich (über Sechzig) als altersgemäß bezeichnen müßte: niveauvoll, musikalisch (Orch + Gesang) auf hohem Niveau. ALSO, es war gut, vielleicht sogar sehr gut der gesamte Abend.
    Bei Gielen waren es 2.20- 2.25 Std, bei Cambreling 2.25 - 2.30
    Heute ABEND dauerte das RHEINGOLD 2.40 Std (!)
    Wenn ich eine solche abgerundete , gute Ensembleleistung, ein hohes musikalisches Niveau wie heute abend höre.......frage ich mich, wie es mir gegangen wäre, wenn es mit 24 Jahren mein 1. Rheingold gewesen wäre. (?) Ich bin nicht sicher, auf jeden Fall wäre ich nicht elektresiert gewesen....es war heute eine Vorstellung für "gewohnte Wagnerohren", für "Fortgeschrittene".
    Ich hätte mir mehr "Reibungsflächen" gewünscht, musikalisch, fast noch mehr als szenisch...aber auch da hätte es "spannender" sein können.
    Das Bühnebild ist ein ganz großer Wurf, Details der Regie sind großartig, aber es ist eher eine "kritische Familienclan-Geschichte", denn ein aufregende Phantasy-Storie, geschweige denn "Tatort"-Spannung, weder musikalisch (was natürlich "Geschmacksache" ist) noch szenisch....aber eine auf hohem Bildungsbürger-Niveau erzählter Vorabend.......ein knisterndes "VORSPIEL" :.) :.) ist es m.E. nicht.
    Der "Loge" von Kurt Streit allerdings hat das Format auch "Quereinsteiger" oder "Nicht-Opern-Erfahrene" zu verführen, oder zumindest zu begeistern. Er ist vielschichtig dargestellt, hat Anteile von Schlingensief und Brat Pitt. (Das ist doch was !!!)


    Summa Summarum habe ich Euch von einem RHEINGOLD auf hohem Niveau erzählt. Solltet ihr zum ersten Mal diese Oper sehen wollen, schenkt Euren "Eltern" oder "Wagnerfans" die Eintrittskarte.


    Gruß.................."Titan"

  • Leider sind alle Vorstellungen in dieser Saison bereits auf brutalstmögliche Art und Weise ausverkauft. No chance. Irgendwas scheint Wagner mit den Menschen zu machen...


    So wird das Rheingold wohl an mir vorbeischimmern...
    Aber ich habe mich mit meinem Schicksal bereits abgefunden.


    Deshalb muß ich mich hier mit anderen Vorstellungen trösten, so z.B. dem Billy Budd mit Peter Mattei, Clive Bailey und Paul Daniel und mit dem Palestrina mit Peter Bronder und Kirill Petrenko.


    Das Leben geht weiter...



    Agon

  • Zitat

    Original von WotanCB
    Hallo Titan,
    danke für deinen Bericht.
    Magst du vielleicht noch ein bisschen über die Inszenierung sagen?


    Es ist gar nicht so einfach in erster Linie etwas CHARAKTERISTISCHES über diese Inszenierung zu sagen,
    OHNE den aesthetischen Rahmen, der von Jens KILIAN geschaffen wurde.
    DAS heißt nicht, daß keine Inszenierung stattfindet und - wie in "Veronas Mausoleum" :.) :.) :.), sorry ARENA,
    die Sänger wie die Ölgötzen rumstehen oder mit den üblichen theatralischen Gesten hantieren.


    Frau Nemirova hat als "Frau" schon einen etwas anderen Blickwinkel als die meisten männlichen Kollegen.......ihre Akzente setzt sie z.B. bei Freia, deren Verstörung in Zusammenhang mit einer eventuell erzwungenen Liebe durch "Fasolt" durchaus Sinn machen. Neben dem Thema "Übergriffigkeit/Mißbrauch"....gibt es eine Szene die das Thema "Folter" andeutet....wenn Wotan und Loge "Alberich" herbeizerren und der in den Boden gerammte Speer Assoziationen an einen Marterpfahl hervorruft...der Tarnhelm, den Alberich über den Kopf gestülpt kriegt an ein dunkles Tuch erinnert, das bei Folter oder Erschießungskommandos eingesetzt wird...und Alberich ist auch an Händen und Füßen gefesselt.
    Diese beiden Szenen, die Bezüge zum HEUTE aufweisen, fallen mir ein...


    ABER !!! sie sind sehr diskret eingesetzt und beziehen sich auf die Handlung in der Oper. Geschrei von Traditionalisten ist völlig unangebracht. Schaut man sich die beiden genannten Beispiele an, gehe ich fast davon aus, daß sehr viele Zuschauer über meine Assoziationen zur Gegenwart eher überrascht wären.


    Soooo konsequent (wie bei den beiden beschriebenen Szenen)
    ist Frau Nemirova sonst eher nicht....denn es gibt viele andere Szenen wo sie beliebig bleibt...........aber sie ist feinnervig insofern,
    da sie ihre handelnden Figuren in Kilians geniale ekliptische , sehr verwandelbare Drehscheibe mit meheren Etagen und Verwandlungsebenen behutsam einfügt. Das scheint mir ihre Hauptarbeit am KONZEPT des RHEINGOLDs zu sein.


    Und vielleicht war das geniale Bühnenbild ja auch DIE Idee der Regisseurin, die Herr Kilian nur umzusetzen hatte. ???


    Das ist insgesamt eine befriedigende Personenregie.
    Ich persönlich hätte mir manche Szenen (Rheinmädchen und Alberich, z.B.) markanter gewünscht....
    mir war das zu unverbindliches Geplänkel.


    Ich zitiere mal Kilian aus dem Programmheft, um seiner absolut genialen Idee des Bühnenbildes etwas nahe zu kommen.


    NOTIZEN zum Bühnenbild:
    In der Natur existiert keine gerade Linie. Alles ist rund oder gekrümmt.
    Kreis und Strich sind die Grundformen allen menschlichen Schaffens.
    Immer wieder kommt man auf den Kreis, auf RINGE
    Nicht nur im Sinne wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auch als universelles Symbol.


    Das Atommodell mit seinem Kern.
    Der Saturn und seine Ringe.
    Der Sternenstaub, der das Leben auf die Erde gebracht hat.........


    Kilians Notizen gehen weiter...und je mehr ich darüber nachdenke, hat die Regisseurin ihre handelnden Figuren (vielleicht etwas zu diskret ? ) in diesem genialen System/Bühnenbild von Kilian agieren lassen. Für meinen Geschmack hätte die Personenregie etwas einfallsreicher sein können.


    Das RHEINGOLD verspricht aber VIEL für die nächsten 3 Abende.


    Gruß..............."Titan"



  • Lieber Wotan CB
    Ich hoffe, Deiner Frage über die Inszenierung einigermaßen gerecht worden zu sein. Vergessen habe ich das Orchester zu loben und das kann gar nicht genug betont werden


    Gruß...."Titan"

  • Ja, danke dir. Ich möchte immer ein bisschen informiert sein, was für eine Geschichte in der Inszenierung erzählt wird.
    Diesmal scheint das wohl ein eher ein zeitloser Ring zu sein?

  • Zitat

    Original von WotanCB
    Ja, danke dir. Ich möchte immer ein bisschen informiert sein, was für eine Geschichte in der Inszenierung erzählt wird.
    Diesmal scheint das wohl ein eher ein zeitloser Ring zu sein?


    lieber Wotan und Wagner-Interessierte unter den Taminoeanern/innen,


    ZEITLOS würde ich nicht sagen....


    das Anstoßen der Göttergesellschaft mit Champus am Schluß des RHEINGOLDS in den beiden gegeüberliegenden Logen auf Parkettebene, also in direkter Zuschauernähe.....
    deutete eher auf "WIR sitzen doch in einem Boot" in der Banken- und Finanzstadt Frankfurt"


    ....den mühsamen Weg hoch nach Walhalla, über diese herrlich
    spiralenförmige Endlostreppen der Weltenscheibe erspart sich die neureiche WOTAN-Clique und deswegen durchaus auch einen langen und mühsamen Weg zur Macht.


    Da wird der Umbruch von den bürgerlichen Werten hin zu den Geldsystemen angedeutet und die Dekadenz, vielleicht sogar bereits der Untergang unseres Systems sanft angedeutet......


    auch wenn es zur Götterdämmerung noch weit ist.


    Gruß.................."Titan"


  • Hallo Agon


    Ich habe bezüglich RHEINGOLD eine wichtige Information für Dich.
    Maile mich mal an, wenn Du möchtest wj598 (bei aol)


    Gruß "Titan"