Joseph Haydn (1732-1809)
Die Schöpfung
Oratorium in drei Teilen
deutsch gesungen
Libretto: Gottfried Bernhard Baron von Swieten
nach John Milton's 'Lost Paradise'
Uraufführung am 29.03.1798 in Wien
Zeitdauer: etwa 110 Min.
Charaktere: Gabriel – Uriel – Raphael – Eva - Adam
INHALTSANGABE
ERSTER TEIL
1
Ein Orchestervorspiel stellt das Chaos vor.
2
Der Erzengel Raphael wiederholt die Worte, mit der die Schöpfungsgeschichte das ALTE TESTAMENT einleitet: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde .... Viel war nicht zu erkennen und deshalb musste erst einmal eine vernünftige Beleuchtung installiert werden.
3
Es gab kaum ein trockenes Plätzchen und deshalb schwebte der Geist Gottes über den Wassern, um sich zunächst einmal ein Bild über den aktuellen Zustand zu verschaffen - so schlussfolgert der Madrigal Chor. Ein zweiter Engel, der sich Uriel nennt – weiten Kreisen der Konzertbesucher kaum bekannt - erklärt, dass er die Idee mit dem Licht gut findet, denn es hat die störende Finsternis vertrieben. Im Grunde meint er nichts anderes als die Drehung der Erdkugel, lässt sich aber in eine naturwissenschaftliche Debatte nicht ein.
Verwirrung weicht und Ordnung keimt empor. Lichtscheues Gesindel - gemeint sind die Höllengeister - fliehen in des Abgrunds Tiefe, wo sie gut aufgehoben sind. Verzweiflung, Wut und Schrecken begleiten ihren Sturz.
ENDE DES ERSTEN TAGES
4
Das Firmament wird geschaffen. Gemäß Raphael kam zuerst die Erde an die Reihe und danach alles Übrige wie Mond, Sterne, Andromedanebel und sonstiger Klimbim.
Jetzt ist die Rede vom Wetter. Was wäre eine Erde ohne Bewegung? Brausende Stürme toben und feurige Blitze zucken. Schrecklich rollte der Donner und alles verheerende Schauer stürzen hernieder. Aber nicht alles ist schaurig. Ein erquickender Regen und leichter flockiger Schnee sollen künftiges Leben angenehm gestalten. Den Kreislauf des Wassers erklärt Raphael ziemlich verdreht, so dass man ihm kaum folgen kann. Von Naturwissenschaft hat er offenbar genau so wenig Ahnung wie Uriel. Vulkanismus scheint ihm völlig unwichtig zu sein. Er erwähnt ihn nicht einmal.
5
Gabriel kommt mit der Himmelsbürger froher Schar hinzu, um das bisher Geschaffene mit Staunen zu betrachten. Viel gibt es allerdings noch nicht zu sehen. Trotzdem ertönt des Werkmeisters Lob aus ihren Kehlen - wahrscheinlich Vorschusslorbeeren zur Aufmunterung.
ENDE DES ZWEITEN TAGES
6
Nun wird sortiert! Die Landmasse bekommt ihren eigenen Platz, indem das Wasser angewiesen wird, sich zurückzuziehen. Die Urkontinente sind damit geschaffen. Benannt wird auch. Das Wasser wird als Meer bezeichnet und das Land erhält den Namen Erde. Und Gott sah, dass es gut war, so lauten die Worte der Bibel.
7
Begonnene Arbeiten werden zu Ende geführt. Rollend schäumende Wellen bewegen ungestüm das Meer. Hügel und Felsen erscheinen, der Berge Gipfel steigt empor. Seine Fläche weit gedehnt durchläuft der breite Strom die Ebene. Leise rauschend plätschert im stillen Tal der helle Bach.
8
Neue Einfälle machen den Arbeitsprozess zum wahren Vergnügen. Die Erde hat Gras hervorgebracht und die Kräuter sollen Samen geben. Früchte werden die Obstbäume tragen, aber bitte nicht alles durcheinander auf einem Baum, sondern jeder Stamm soll sich an seinen Samen halten. So läuft es bis heute, bis der Mensch angefangen hat, zu klonen.
9
Dem Erzengel Gabriel macht eine Stipvisite. Ihm gefällt das frische Grün, welches sich dem Auge zur Ergötzung darbietet. Auch lässt er seinen anmutsvollen Blick über die vielen bunten Blumen schweifen. Heilpflanzen hat er ebenfalls bemerkt und sein schlanker Mezzosopran berichtet von der Früchte goldener Last unter denen sich die Zweige krümmen. Die Berge sind mit dichtem Wald bekrönt und der Hain bietet angenehmen kühlen Schatten.
10
Uriel erklärt, dass genug geschaffen wurde und verkündet das
ENDE DES DRITTEN TAGES.
Nun darf gelobt und gepriesen werden. Der Herr hört es gern und die himmlischen Heerscharen erfüllen diese Aufgabe mit Wonne, lassen sich aber vokal durch den Madrigalchor vertreten.
11
Es ergeht die Aufforderung, die Leier zur Hand zu nehmen und in die Saiten zu greifen, damit erneut Lobgesang erschalle. Der Herr hat Himmel und Erde in herrliche Pracht gekleidet, ist aber damit noch längst nicht fertig. denn die Woche ist noch nicht zu Ende.
12
Am zweiten Schöpfungstag wurde das Firmament nicht endgültig fertiggestellt. Es muss nachdekoriert werden. Weitere Sterne werden hinzugefügt und die Tierkreiszeichen wie Widder, Stier, Löwe und Skorpion finden im Universum ein feines Plätzchen.
13 - 14
In vollem Glanz steigt jetzt die Sonne strahlend auf. Ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn. Mit leisem Gang und sanftem Schimmer schleicht der Mond durch die stille Nacht, mal nimmt er ab, mal nimmt er zu oder er versteckt sich irgendwo. Den ausgedehnten Himmelsraum ziert ohne Zahl der hellen Sterne Gold. Die Engel und der Chor wechseln sich ab, Lob und Kunstverstand in die vier Himmelsrichtungen zu tragen. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und seiner Hände Werk.
ENDE DES VIERTEN TAGES
:]
ZWEITER TEIL
15 – 16
Es wird langsam Zeit, an die Schaffung von Lebewesen zu denken. Die Vögel des Himmels kommen zuerst an die Reihe. Mit starkem Fittich schwingt der Adler sich stolz der Sonne entgegen. Er teilt den Luftraum mit der Lerche, die den Morgen begrüßt. Vor Liebe girrt das zarte Taubenpaar. Aus Busch und Hain erschallt die süße Kehle der Nachtigall. Noch ist ihre Brust nicht auf Klage eingestimmt.
17 – 18
Von der Vogelwelt geht der Schaffensprozess weiter zum Walfisch. Jedes lebende Geschöpf wird gesegnet, damit es sich mehre. Die Bewohner der Luft sollen auf jedem Ast singen und die Flutenbeweger sollen fruchtbar sein, wachsen und in Schwärmen den Ozean durchfurchen und auf diese Weise ihren Gott erfreuen. Während die Engel ihre Harfen zupfen nähern wir uns dem
ENDE DES FÜNFTEN TAGES.
19
Es wird eine kleine schöpferische Pause eingelegt und Rückschau gehalten. Die Engel und der Chor rühmen nicht nur die Vielfalt, sondern auch die Quantität der geschaffenen Lebewesen. Wer fasst ihre Zahl? Der Herr ist groß in seiner Macht und ewig bleibt sein Ruhm
20 – 21
Vieh und kriechendes Gewürm fehlen noch in der Kollektion. Sogleich öffnet sich der Erde Schoß und Geschöpfe jeder Art in vollem Wuchs nimmt den neuen Lebensraum in Anspruch. Vor Freude brüllend steht der Löwe da. Der gelenkige Tiger schießt empor und das zackige Haupt erhebt der schnelle Hirsch. Mit fliegender Mähne wiehert voll Mut und Kraft das edle Ross. Auf der grünen Matte weidet schon das Rind und das wollereiche sanfte Schaf blökt unentwegt. Und nun die unappetitliche Überraschung: Wie Staub verbreitet sich in Schwarm und Wirbel das Heer der Insekten und in langen Zügen kriecht am Boden das Gewürm.
22
Raphael findet alles gut, egal was kommt. Opposition kann er sich auch nicht leisten – es ergeht ihm sonst wie Luzifer. Der Erzengel meint: Nun scheint in vollem Glanze der Himmel und die Erde prangt in ihrem Schmuck. Die Luft erfüllt das leichte Gefieder und das Wasser schwellt durch der Fische Gewimmel. Den Boden drückt der Tiere Last. Trotz allem, etwas fehlt noch! Es müsste jemand sein, der in der Lage ist, den Wert des Ganzen zu erkennen, um sich positiv auszulassen und sich der frohlockenden Engelschar anschließt.
23
Uriel weiß bereits, was die Schöpferkraft noch in die Wege leiten wird:
DIE ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN
Hören wir seinen Report: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde. Als Mann und Weib erschuf er sie. Den Atem des Lebens hauchte er ihnen ein und sie wurden zur lebendigen Seele.
24 – 25
Mit Würde und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärke und Mut begabt, gen Himmel aufgerichtet steht der Mensch – ein Mann und König der Natur. Die breitgewölbte erhabene Stirn verkündet der Weisheit tiefen Sinn und aus dem hellen Blick strahlt der Geist, des Schöpfers Hauch und Ebenbild. An seinem Busen schmiegt sich für ihn und aus ihm geformt die Gattin hold und anmutsvoll. In froher Unschuld lächelt sie ihm zu. Der himmlische Chor feiert das
ENDE DES SECHSTEN TAGES
mit lautem Gesang.
26
Vollendet ist das große Werk. Der Schöpfer sieht es und freut sich. Auch unsere Freude erschalle laut. Des Herren Lob gilt unser Lied. Uriel stellt fest: zum Herrn blickt alles auf und fleht ihn an um Speis und Trank. Er öffnet seine Hand und gesättigt werden alle. Die drei Engel erklären noch den Prozess von Werden und Vergehen. Der Herr nimmt den Odem weg und dann stirbt der Mensch. Er haucht ihn wieder ein und dann entsteht er, verjüngt an Gestalt mit neuer Spannkraft zu neuen Schandtaten bereit. Vollendet ist das große Werk. Alles lobt des Herren Namen, denn er allein ist erhaben. Alleluja!
:]
DRITTER TEIL
27 – 28
Von der Schönheit des Paradieses berichtet der dritte Teil des Oratoriums. Uriel beobachtet: Aus Rosenwolken bricht geweckt durch süßen Klang der Morgen jung und schön. Vom himmlischen Gewölbe strömt reine Harmonie zur Erde hinab. Das beglückte Paar geht Hand in Hand im Garten spazieren. Aus ihren Blicken strahlt des heißen Danks Gefühl. Die Welt so groß und wunderbar - sie ist das Werk des Herrn. Gesegnet sei seine Macht und sein Lob erschalle in Ewigkeit. In diesen Tönen geht es eine ganze Weile weiter.
29 – 30
Adam und Eva kommen nun selbst zu Wort. Mit tiefem Bass fordert der Erstgenannte seine Gefährtin auf, ihm zu folgen. Er wird sie leiten und jeder ihrer Schritte erweckt Freude in seiner Brust. Sie betrachtet ihn als ihr Ein und Alles. Sein Wille sei ihr Gesetz. Das Gehorchen bringt ihr Freude, Glück und Ruhm, piepst ihr heller Sopran. An der Seite der holden Gattin fließen sanft die Stunden dahin. Keine Sorge trübt den Augenblick. In Freude schwimmt ihr das Herz, denn seine Liebe ist ihr Lohn. Der Tau des Morgens - wie ermuntert er und die Kühle des Abends - wie erquickt sie. Überhaupt, wie reizend ist der Blumen süßer Duft. Wie labend ist der runden Früchte süßer Saft.
ENDE DES SIEBTEN TAGES
31
Uriel meint ganz trocken, dass der Glückszustand ewig anhält, wenn falscher Wahn die beiden nicht verleiten wird. Ahnt er bereits, dass Adam und Eva die Plantage bald nicht mehr bewirtschaften dürfen?
© Mai 2010 für TAMINO - Engelbert