Orchester-Dirigenten - Rochaden und ihre Auswirkungen

  • Liebe Forianer


    Der Auslöser für diesen Thread war folgender Satz, in bezug auf Roger Norringon:


    Zitat

    Sein Vertrag als Chefdirigent beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart endet 2011. Ab der Spielzeit 2011/12 wird er Chefdirigent des Zürcher Kammerorchesters.


    Mir kam bei dieser Gelegenheit in den Sinn , daß d Billy ebenfalls das Orchester wechselt, ebenso Thielemann.


    Und mir kam bei dieser Gelegenheit in den Sinn, daß in früherer Zeit diese Wechsel eher seltener waren, oft war ein Gespann von Dirigent und Orchester ein beinahe lebenslängliches - wobei es natürlich einzelne Anfälle des Fremdgehens gegeben hat.


    Karajan, wenngleich er auch mit den Wienern gearbeitet hat, war mit den Berliner Philharmonikern als Einheit verbandelt, wie Furtwängler zuvor. Karl Böhm, der für DGG viele Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern gemacht hat, war der ungekrönte "Chefdirigent "der "Wiener"


    Solti verbinde ich mit Chicago, Bernstein mit New York und Celibidache mit München.


    Der andauernde Wechsel jedoch, der seit einigen Jahren in Mode ist, verwischt meiner Meinung nach sowohl das Profil des Orchesteres, sowie das des Dirigenten......



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat von Alfred:
    "Der andauernde Wechsel jedoch, der seit einigen Jahren in Mode ist, verwischt meiner Meinung nach sowohl das Profil des Orchesteres, sowie das des Dirigenten......"


    Das sehe ich genauso. Aber warum? Bei Fußballprofis würde ich sagen, es liegt ein besseres Angebot vor. Kann es auch bei Dirigenten daran liegen oder wollen sich die Häuser nicht mehr längerfristig binden? Kontinuität wäre hier sicher Garant für Qualität, aber ist das in unserer heutigen schnelllebigen Zeit noch wichtig ??


    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Diese ständigen Wechsel sehe ich auch skeptisch. Allerdings gab es schon früher Dirigenten, die zwei oder gar mehrere Orchester in Personalunion führten, was man ja auch kritisch beleuchten könnte.


    Dirigenten, die heute Jahrzehnte lang ein und dasselbe Orchester führen, sind wohl tendenziell seltener geworden.


    Insofern haben die Berliner Philharmoniker eigentlich richtig entschieden, indem sie Sir Simon Rattles Vertrag bis 2018 verlängerten. Das wären dann immerhin 16 Jahre. Andererseits gibt es ja jetzt bereits Gerüchte, Thielemann würde die Staatskapelle Dresden, die er 2012 offiziell übernimmt, nur als Sprungbrett nach Berlin ansehen, wo er Rattle nachfolgen könnte.


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Insofern haben die Berliner Philharmoniker eigentlich richtig entschieden, indem sie Sir Simon Rattles Vertrag bis 2018 verlängerten. Das wären dann immerhin 16 Jahre. Andererseits gibt es ja jetzt bereits Gerüchte, Thielemann würde die Staatskapelle Dresden, die er 2012 offiziell übernimmt, nur als Sprungbrett nach Berlin ansehen, wo er Rattle nachfolgen könnte.

    dann würden die Berliner Philharmoniker musikalisch, und was das Repertoire betrifft, völlig bedeutungslos werden... aber es gibt genug andere gute Orchester, auch in Berlin...
    :hello:

  • Die heutige Generation von Orchestermusikern ist in der Regel exzellent ausgebildet. Da auch ein Überangebot am Markt besteht, sind in den Orchestern viele anspruchsvolle Individualisten. Da werden an den Dirigenten höchste Asprüche gestellt Knorrige Autokraten, wie z. B. Hans Knappertsbusch oder patriarchalische Vaterfiguren a la "Papa Heger" sind heute anachronistisch. Der Dirigent muss ein Teamplayer sein, moderne Führungsmethoden beherrschen und praktizieren , er muss wirtschaftliche Zwänge und dadurch kanppe Probenzeiten akzeptieren. Darüberhinaus muss er auch noch politisches Gespür haben, um mit dem Gewerkschaftseinfluss, den Orchestervorständen und den Zuschußgebern verhandeln zu können. Er sollt auch Medienverbindungen haben und für das Orchester nutzbar machen können. Auch großzügige Gewährung von Freizeit für "Mucken" macht Orchester gefügig. Also insgesamt ziemlich komplexe Aufgaben. die auf unseren dirigierenden Musikmanager zukommen und von ihm gelöst werden müssen.


    Häufig gibt es hier mit andauernder Zeit Gewöhnungseffekte und Abnutzungserscheinungen. Nur allzu schnell heißt es dann im Orchester, dieser Orchesterleiter motiviert uns nicht und bringt uns nichts mehr. Wie im Sport, immer ist der Trainer schuld! Rasch wird dann der Wunsch nach einem neuen Motivator und Wunderknaben laut. Die Zeit der Dirgenten, die einen Klangkörper wie ein kostbares Juwel behandeln und mit der Zeit immer mehr perfektionieren und zum typischen Klangbild führen können, scheint vorbei zu sein. Der langjärige Orchestererzieher ist out, gefragt ist der komentenhaft aufsteigende Star, auch wenn er rasch verglüht.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    gefragt ist der komentenhaft aufsteigende Star, auch wenn er rasch verglüht.

    Solch ein Trend ist generell nicht auszumachen. Wenn die Laufbahnen folgender Dirigenten unter die Lupe genommen wird, dann drängt sich alles andere als auf, als der komentenhaft aufsteigende Star, der.. rasch verglüht, :
    Hans Zender, Ingo Metzmacher, Susanna Mälkki, Pierre Boulez, Roland Kluttig, Marc Albrecht, Cambreling, Amandine Beyer, Paavo Järvi, Zagrosek, Gielen, Oli Knussen, Emilio Pomarico, Brabbins, Ashbury, Savall, Eötvös, Gilbert Amy..etc etc etc .


    Nein., bei den genannten ist vielmehr das Streben nach künstlerisch gewissenhafter und wenn möglich – gründlicher – Erarbeitung der Werke, oft verknüpft mit Missionsbewusstsein vorherrschend, z.B. der Einsatz für die Moderne/Avantgarde, „neue“ Lesarten von Bach und Beethoven.....
    Die Laufbahn der älteren Jahrgänge dieser Musiker hält doch bis zur Gegenwart an (z.B. Gielen, Boulez, Zender, Amy..)
    „Verglühte“ einer dieser Musiker ?


    Auch bei den jüngeren aus dieser Aufzählung ist dieser „Trend“ nicht auszumachen..
    :hello:

  • Tatsächlich frage ich mich ob hier nicht der Schein trügt bzw. wir uns durch die zunehmende Medienaufmerksamkeit auch in der Klassikbranche trügen lassen!? Ich habe mal die von Alfred gegebenen Beispiele durchgeschaut und wenn alles stimmt, dann


    - ist Norrington seit 1998 beim RSO, also immerhin elf Jahre. Zum Vergleich Celibidache "nur" sechs von 1971 - 1977.
    - war Bernstein, den wohl jeder mit dem New York Philharmonic verbindet, dort ebenfalls "nur" elf Jahre (1958 - 1969).


    Und so wird man sicherlich viele Beispiele und Gegenbeispiele für eine These der zunehmenden Wechselbereitschaft finden. Ob hier allerdings eine statistische Auswertung lohnen würde, mag ich bezweifeln. Sicherlich spielen hier viele Faktoren eine Rolle - früher, wie heute. Und wahrscheinlich sind heutzutage sogar noch eine ganze Menge Faktoren hinzugekommen, die operus richtigerweise aufführt. Insbesondere spielen sich aktuell leider auch immer wieder Fragen des zur Verfügung stehenden Kulturetats in den Vordergrund, an welchem in Zeiten knapper Kassen neben dem Bildungsetat immer als erstes gespart wird X(


    Umgekehrt läßt sich fragen, was einen Dirigenten dazu treibt, lange bei einem Orchester zu bleiben (wobei lange definiert werden müsste)? Dies funktioniert m.E. nur, wenn "die Chemie stimmt" und dann kommt eigentlich immer etwas großes dabei heraus (Solti 22 Jahre in Chicago, Hatink 25 beim Concertgebouw, Mengelberg sogar 50!). Insofern würde ich immer unterschreiben, dass umso länger ein Dirigent bei einem Orchster bleibt, desto besser für die künstlerische Entwicklung beider und damit am Ende auch desto besser für uns, die wir dann auf der CD oder im Konzerthaus davon profitieren. Geht andereseits jemand schon nach zwei Jahren wieder, hätte es vielleicht länger auch nicht funktioniert und was dabei herausgekommen wäre, hätte niemand hören wollen ?(


    Aber wie gesagt: Es gibt Beispiele und Gegenbeispiele und die statistische Auswertung erspare ich - obwohl Mathematiker - mir.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Aber wie gesagt: Es gibt Beispiele und Gegenbeispiele und die statistische Auswertung erspare ich - obwohl Mathematiker - mir.


    Endlich ein Berufsgenosse!


    Thielemann bei den Berliner Philharmonikern wäre nichts, was mich beim Lesen mit Wonne erfüllen würde.


    Die kurzen Verweildauern von Dirigenten bei Orchestern folgen natürlich dem gesellschaftlichen Trend: Auch die Halbwertszeiten von Ehen und Arbeitsverhältnissen haben ja abgenommen.

  • Endlich ein Berufsgenosse!


    Na, da gibts aber hier noch mehr... :yes:

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)