Robert Schumann - Kerner-Lieder

  • Robert Schumann - Kerner-Lieder op. 35


    Schumanns Liederkreis op. 39 nach Gedichten von Eichendorff und Dichterliebe op. 48 nach Gedichten von Heine, haben - zumindest unter den Freunden des Kunstliedes - einen hohen Bekanntheitsgrad.


    Neben diesen Zyklen op.39 und op.48 gibt es jedoch auch den weniger bekannten Zyklus der Kerner-Lieder.
    Gerne greife ich die Anregung von von Johannes Roehl auf und starte zu Schumanns Kerner-Liedern einen eigenen Thread.


    Den Jubilar Robert Schumann braucht man hier wohl nicht vorstellen, aber Kerner ist wahrscheinlich nicht so sehr bekannt, weil er - wenn man Fachleuten glaubt - eher ein Dichter aus der zweiten Reihe ist.


    Dr. Justinus Kerner (1786-1862) war Oberamtsarzt, gilt aber auch als Wegbereiter des Spiritismus im 19. Jahrhundert. Seine mystische Veranlagung trug ihm den Spott Heinrich Heines ein.
    Juastinus Kerners Haus war gastlicher Treffpunkt der Romantiker; aus der stattlichen Gästeliste (die etwa 900 Namen erfasst) seien als Beispiele Lenau, Mörike, Tieck und Uhland genannt.
    In der Literatur findet man einerseits die Meinung, dass Kerner kein überragender Dichter gewesen sei, weil es ihm an künstlerischer Strenge und Selbstkritik fehlte... andererseits ist bekannt, dass Robert Schumann bereits 1827 Kerner-Texte auswählte, weil er der Meinung war, dass in diesen Gedichten schon jedes Wort ein Sphärenton ist...
    Insgesamt hat Robert Schumann immerhin 22 Kerner-Texte vertont.
    Die Kerner-Lieder des op. 35 selbst umfassen nur 12 Gedichte, die kein durchgehendes Thema oder eine Handlung haben, jedoch stimmungsmäßig zusammen passen.


    1. Lust der Sturmnacht
    2. Stirb, Lieb´und Freud´!
    3. Wanderlied
    4. Erstes Grün
    5. Sehnsucht nach der Waldgegend
    6. Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes
    7. Wanderung
    8. Stille Liebe
    9. Frage
    10. Stille Tränen
    11. Wer machte dich so krank?
    12. Alte Laute


    In diesem Zyklus wird ganz herrliche Musik geboten, das wohl populärste Stück ist das "Wanderlied" mit dem Text: "Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein" (die Rebsorte Kerner ist nach J. Kerner benannt)


    "Stille Tränen" ist ein Bravourstück für jeden Sänger und bietet einen ganz eigenwilligen Klavierpart - vielleicht kann ein Klavierspezialist dazu etwas Interessantes sagen...
    Nach "Stille Tränen" wird dieser Zyklus ganz sensibel und endet mit einem geradezu hingehauchten... weckt mich ein Engel nur.


    Wie bereits eingangs erwähnt, ist dieser Zyklus nicht so sehr bekannt, vielleicht können einige Foreaner noch Fakten oder eigene Impressionen hinzufügen.

  • Schumann hat bei diesem Opus 35 die von ihm ausgewählten Gedichte Kerners in eine von ihm so gewollte Reihenfolge gebracht.
    Er nennt das Ganze nicht "Liederkreis", wie sein Opus 39, sondern "Liederreihe".
    Eine Reihe ist auf ein Ende, einen Zielpunkt ausgerichtet. Es liegt also nahe, den Gehalt des ganzen Opus 35 von den beiden letzten Liedern her zu interpretieren.


    Sucht man nach dem zentralen thematischen Stichwort, dem "roten Faden" gleichsam, der sich durch die ganze Liederreihe zieht, dann findet man ihn eben dort, in Lied 11: "Krankheit".
    Dieses Lied sagt auch, von welcher Art diese Krankheit ist: Da leidet ein Ich an der Welt und den Menschen. Es ist die "Krankheit zum Tode", das, was Kierkegaard die "ungeheure Schwermut" nennt. Es gibt kein Heilmittel gegen sie, nur einen Ort, der Linderung verspricht: die Natur.
    Wirkliche Heilung kann sie nicht bieten, weil der Mensch nicht restlos in sie eingehen kann. Es bleibt immer ein Teil zurück, der leiden muss, weil dies sein Wesen, seine Bestimmung ist.


    Das alte romantische Dilemma klingt hier an, selbst bei einem so "späten" Dichter wie Kerner. Und damit wird auch klar, warum Schumann auf ihn ansprach. Kerner brachte die Seele des romantischen Komponisten zum Klingen, aber er sprach auch den Menschen Schumann an, der längst wusste, dass er ein kranker Mann war.


    Beim ersten, flüchtigen Hören denkt man, dieses so düstere Bild von Opus 35 könne doch nicht stimmen, es gebe da doch dieses schwungvolle und populäre "Wanderlied": "Wohlauf! noch getrunken...".
    Mit diesem Lied dem Hörer das Opus 35 schmackhaft machen zu wollen, das ist nicht nur wenig sachgerecht, es kommt fast einer Irreführung gleich. Rein kompositorisch ist es nicht nur eines der schwächeren Lieder der Reihe, es verführt auch zu einem Missverständnis, wenn man es aus dem Zusammenhang löst und nicht genau hinhört. Man überhört nämlich gar gern den Gehalt der vierten und der fünften Strophe. Da klingt Heimweh an, und Wehmut ist zu spüren.
    Was hier noch Andeutung ist, wird im zweiten Wanderlied der Reihe (Nr.7, "Wanderung") deutlicher hörbar:
    Da redet sich einer ein, dass er nicht verlassen sei. Ein fröhliches, unbefangenes, sorgloses Wandern ist das jedenfalls nicht, was in beiden Liedern thematisiert wird.


    Sie nehmen sich ohnehin ein wenig fremd aus in dieser Liederreihe, in der die leisen Moll-Töne die entscheidenden musikalischen Akzente setzen.
    Immer wieder wird die Natur beschworen und die lindernden Kräfte, die von ihr ausgehen. Den Sänger treibt´s von den Menschen fort, er klagt darüber, dass er die Wälder verlassen musste, die ihn so lindernd umfangen hielten. Vogelsang und Blütenschmuck sind das einzige, was "in arger Zeit" sein Herz noch mit Lust erfüllen kann.
    Und was steht am Ende?
    Ein Lied, das in der ergreifenden Tonlosigkeit der Klage und der vergeblichen Hoffnung auf Rettung an den "Leiermann" aus der "Winterreise" erinnert.


    Es sind die leisen, die stillen Lieder, die in diesem Opus 35 die wirklich großen sind. Das laute "Wanderlied" mutet in deren Umkreis merkwürdig fremd an. Ich überspringe es beim Hören gerne, weil es für mich das nachfolgende, so überaus zarte Lied "Erstes Grün" fast zu erdrücken droht.


    Opus 35 ist ein anderer Schumann als der der "Dichterliebe".
    Auffällig ist, dass das Klavier in seiner Rolle als "Mitspieler" stark zurückgenommen ist. In vielen Liedern follgt es in Parallelführung oder in schlichten Akkorden (Lied 10) einfach der Singstimme.
    Das Klavier ist längst nicht so emanzipiert wie in der "Dichterliebe" oder im "Liederkreis op.39".
    Nur hie und da, in Lied 8 und in Lied 10, gibt es mal ein typisch Schumannsches Nachspiel. Aber es erreicht längst nicht das kompositorische Niveau wie etwa das Nachspiel von "Ich hab´im Traum geweinet" aus der "Dichterliebe", von dem zu Recht festgestellt wurde, dass es eine der "unversöhnlichsten, längsten und leersten Stillen des gesamten romantischen Repertoires" sei (Pousseur).


    Muss man deshalb das Opus 35 als die weniger bedeutende Liederreihe einstufen, gemessen an dem, wozu Schumann kompositorisch in der Lage war?
    Ich möchte das bejahen, - bei aller Schönheit und Großartigkeit einzelner Lieder.

  • In der Tat dürfte op 35 eher weniger Beliebheit geniessen.
    Als ich mich - diesen Thread im Auge - bemühte - eine einigermaßen Brauchbare Aufnahme zu bekommen fand ich ihn Wien nur eine Einzige.
    Allderdings sagt mir persönlich der Sänger Hans Jörg Mammel vom Timbre her nicht besonders zu - sodaß ich Abstand vom Kauf nahm.


    Ich bin also noch auf der Suche nach einer mir Zusagenden Einspielung von op 35.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Helmut Hofmann,
    ich habe einige Schwierigkeiten mit der Interpretation Deines Textes:


    Zitat

    "Mit diesem Lied dem Hörer das Opus 35 schmackhaft machen zu wollen, das ist nicht nur wenig sachgerecht, es kommt fast einer Irreführung gleich. Rein kompositorisch ist es nicht nur eines der schwächeren Lieder der Reihe, es verführt auch zu einem Missverständnis, wenn man es aus dem Zusammenhang löst und nicht genau hinhört.]


    Meine Absicht war es keineswegs, dem potenziellen Hörer dieses Wanderlied "schmackhaft" zu machen, das sinnigerweise in einem schwäbischen Wirtshaus entstand, Herr Kerner hatte gerade seinen Doktor gemacht und etwas gefeiert...


    Im Prinzip unterstreiche ich Deine Analyse - aber im letzten Punkt widerspreche ich (natürlich ganz subjektiv)


    Zitat


    Muss man deshalb das Opus 35 als die weniger bedeutende Liederreihe einstufen, gemessen an dem, wozu Schumann kompositorisch in der Lage war?
    Ich möchte das bejahen, - bei aller Schönheit und Großartigkeit einzelner Lieder.


    Gott sei Dank "muss" man nicht!


    Aber die Sache hat eine ganz persönliche Voprgeschichte:
    Jahrelang hatte ich die bekannten Schumann-Zyklen von allen möglichen Sängern gesammelt und Vergleiche angestellt, wer das wohl am besten singt...- der oft auf diesen CDs "mitgekaufte" op. 35 fand bei mir keine besondere Beachtung.


    Anlässlich der SCHWETZINGER FESTSPIELE 2006 gab Christoph Prégardien hier einen Schumann-Abend und sang auch diese 12 Lieder, die ich erstmals im Konzertsaal hörte; seit dieser Zeit haben mich diese herrlichen Lieder nicht mehr losgelassen.
    Im Rahmenprogramm der SCHWETZINGER FESTSPIELE 2010 gab es ein Rundfunkgespräch zwischen Rüdiger Safranski und Christoph Prégardien. Im Verlaufe dieses Gesprächs erwähnte Prégardien u.a. auch, dass er persönlich diese Kerner-Lieder ganz besonders schätzt - ich war glücklich!

  • Lieber Alfred,
    schön, dass sich jemand dafür interessiert - es ist ja keine "Massenware"...


    Natürlich habe ich diese Lieder auch von Jörg Mammel, der mit seiner (aus meiner Sicht) an sich guten Stimme diese Lieder besser interpretieren könnte. Ich meine da immer, dem Sänger einige guten Tipps geben zu müssen - bei Fischer-Dieskau bin ich auf diese Idee noch nie gekommen...


    Aber diese Kerner-Lieder werden von folgenden Herren ganz vorzüglich dargeboten:


    Dietrich Fischer-Dieskau
    Matthias Goerne
    Thomas Hampson
    Christoph Prégardien


    Wenn man auf ältere Aufnahmen zurückgreift - als einzelnes Lied aus diesem Zyklus -
    Stille Tränen brillant gesungen von Peter Anders, eine Aufnahme von 1943.

  • Vielleicht wäre es angebracht, einmal darauf hinzuweisen, dass außer den "Herren", auf die hart hingewiesen hat, auch "Damen" op.35 von Schumann singen.
    Die schönste Interpretation, die ich diesbezüglich kenne, ist die von Margaret Price, begleitet von Graham Johnson (Aufnahme 1991, 1999 unter dem Label Hyperion veröffentlicht). Besonders in den Piano-Passagen der Lieder kann sie das weibliche Timbre ihrer Stimme sehr gut zur Geltung bringen. Höchst beeindruckend ist die Interpretation der beiden letzten Lieder.


    Interessant wäre es, hier einmal ein Urteil über die interpretatorische Leistung der von hart angeführten Herren zu lesen. Die ist aus meiner Sicht nämlich höchst unterschiedlich. Ein Thomas Hampson wirkt im Vergleich mit Fischer-Dieskau verblüffend einförmig, was die Möglichkeiten einer differenzierten Interpretation des Charakters der einzelnen Lieder anbelangt.


    Dass man in bezug auf die Einschätzung von op.35 nicht der Meinung sein muss(!), die ich hier vertreten habe, steht außer Zweifel. Mir ging es um die Einstufung dieses in sich geschlossenen Liederzyklus im Vergleich mit op.39 und op.48. Und da gibt es, wie ich glaube gezeigt zu haben, musikalisch-strukturelle Merkmale, die den beiden letzteren Zyklen - übrigens auch im Vergleich mit op.24 - den höheren Rang im Gesamtwerk Schumanns zuweisen.


    Dass op.35 in seiner Gesamtheit ein großartiges Werk ist, für das man sich begeistern kann und das allein schon Schumann zu einem der größten Liederkomponisten gemacht hätte, da stimme ich mit hart vollkommen überein.
    (Persönliche Anmerkung: Der Liederabend Prégardiens in Schwetzingen vom 16. Mai 2006 ist mir wohlbekannt. Prégardien sang in einer höchst beeindruckenden Weise. Nur Staiers Hammerklavier wollte nicht so recht harmonieren. Ist aber ein wirklich ganz subjektives Urteil!)

  • Ich kenne die Kerner-Lieder seit dem ich sie vor einigen Jahren von Simon Keenlyside live in einem Konzert gehört habe, und welche der Sänger immer wieder gerne in seinen Konzerten singt.


    Verständlich, handelt es sich doch um einen wirklich schönen Liederzyklus.


    Vor einigen Jahren hat Keenlyside diesen für das Label Hyperion aufgenommen, in welchem er diese Lieder wunderbar gestaltet und mit ausgezeichneter Textverständlichkeit vorträgt. :yes:






    Gregor

  • Ich habe mir im Schumann-Jahr 2010 zwei Aufnahmen der „Zwölf Gedichte. Eine Liederreihe nach Justinus Kerner“ (op. 35) zugelegt: Einmal mit dem jungen Dietrich Fischer-Dieskau und Herta Klust, aufgenommen am 23. März 1954 für den WDR, zum anderen mit Margaret Price und Graham Johnson, aufgenommen im Oktober 1991. Ich kannte diese Lieder vorher nicht.



    Beide Aufnahmen der sogenannten „Kerner-Lieder“ sind mit dem „Liederkreis nach Joseph Freiherr von Eichendorff“ (op.- 39) kombiniert. Das ist sicher eine vernünftige Kopplung. Allerdings werden viele Sammler bereits die eine oder andere Dichterliebe/Eichendorff-Kombination (opp. 48/39) im Regal stehen haben und würden mit diesen CDs eine eventuell unerwünschte Doublette zu op. 39 erhalten. Vielleicht wäre es besser gewesen, mit unbekannteren Werken Schumanns zu kombinieren, z. B. mit dem Liederkreis op. 24, mit den „Myrthen“ op. 25 oder mit „Sechs Gedichte von Lenau“ op. 90. –


    Dieser (kleine) Vorwurf kann für die historischen Aufnahmen mit Fischer-Dieskau natürlich nur eingeschränkt gelten – audite konnte schließlich nur das wiederveröffentlichen, was im WDR-Archiv vorzufinden war. Die FiDi-Fans werden dankbar sein über alle Aufnahmen aus der Frühzeit des Sängers, denn diese wird von vielen für die interessanteste Phase seiner Karriere gehalten. Die audite-Aufnahme scheint auch die erste Gesamteinspielung des wenig populären Zyklus‘ zu sein. Fischer-Dieskau selbst steuerte allerdings noch in den 1950er Jahren zwei weitere Aufnahmen bei, eine im Jahre 1957 mit Günther Weißenborn (Studio) und eine live bei den Salzburger Festspielen 1959 mit Gerald Moore. Später folgte die bekannte Studioaufnahme mit Christoph Eschenbach. Es soll angeblich noch weitere Rundfunkproduktionen des Zyklus‘ mit FiDi geben.


    Die Spielzeit ist mit jeweils ca. einer Stunde eher im Bereich des noch Akzeptablen. Da beide CDs derzeit sehr günstig zu haben sind, ist dies jedoch verschmerzbar. Dies gilt auch hinsichtlich der potenziell unerwünschten Doubletten zu op. 39.


    1. Lust der Sturmnacht


    FiDi beginnt fast ungestüm und mit großer Emphase (vor allem in dynamischer Hinsicht, weniger bzgl. Aussprache). Bei „ruht es sich …“ zärtlichere Phrasierung und Klangfarbe. FiDi legt das Lied auf dramatische Hervorhebung der Kontraste an. / Dame Margaret Price gibt das Lied eher als Einheit wieder und sucht die verschiedenen Affekte interessanterweise eher durch verschieden scharfe Aussprache voneinander abzugrenzen. Obwohl sie schneller ist, wirkt es nicht so dramatisch.


    2. Stirb, Lieb und Freud


    Das längste Lied der Reihe beginnt FiDi in einem Erzählton der leicht betulich wirken kann, was vor allem am fast verschleppten Tempo liegt. Berückend der Einsatz der „voix mixte“ bei den Worten des „Mägdeleins“. Die aberdutzend Schattierungen, die FiDi vornimmt, sind ganz große sängerische Kunst. Aber: Dem gedachten Erzähler liegt ja nicht an der illustrierenden Darstellung von Details, sondern an der Darstellung der Endgültigkeit des Entschlusses des Mägdeleins und der daraus resultierenden Verzweiflung („Stirb Lieb‘ und Licht“). / Margaret Price kann durch ein unmerklich schnelleres Tempo besser phrasieren und die erzählerischen Teile weniger ermüdend zusammenfassen. Für mich kommt dadurch die resignative Stimmung des Liedes viel besser zur Geltung. Es bleibt ein durchgehender Trauerschleier auf dem Lied, wodurch es gewinnt. Weniger Detaillierung scheint mir hier mehr.


    3. Wanderlust


    Dieses Lied gefällt mir mit FiDi ganz außerordentlich. Seine Differenzierungskunst kommt hier am angemessenen Objekt zur Geltung. Der jugendliche Schwung des Anfangs, die Innigkeit der „Heimat“-Strophe, alles das bringt er überzeugend unter einen Bogen – toll. / Bei Margaret Price klingt dieses Lied anfangs ein wenig pathetisch und gleichzeitig gebremst, als ob die Begeisterung nur gespielt wäre. Von diesem initialen Mangel an Impetus erholt sich das Lied nicht mehr.


    4. Erstes Grün
    5. Sehnsucht nach der Waldgegend


    Hier versagt sich FiDi seine (Über-)Differenzierung – mit Gewinn für beide Lieder. Er versucht nicht, die Lieder größer und bedeutender zu machen, als sie sind. Was bleibt, finde ich sehr geschmackvoll – Stil heißt „Weglassen“, genau das passiert hier. / Bei Margaret Price ist Nr. 4 vielleicht einen Tick zu leidend vorgetragen. Ihr Vortrag lässt sich zwar aus dem Text rechtfertigen, ich fand FiDis optimistischere Herangehensweise überzeugender. – Dafür finden sich herrliche Farbschattierungen und sehr gelungene, natürliche Rubati in Nr. 5.


    6. Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes


    Das Pathos von Frau Price passt zu der seltsamen Szenerie des Liedes, einige akzentuierte Schluss-„r“ und –„n“ (Florrr, Rebennn) sind erträglich. Es sei an dieser Stelle mal lobend hervorgehoben, wie verblüffend akzentfrei die walisische Sängerin die Texte zu artikulieren weiß. / Deutlich weniger sepulkral mutet das Lied bei FiDi an. Er wagt trotz der nicht unerheblichen Länge des Liedes eine intimere und auch einheitlichere Darstellung. Ich fand es sehr überzeugend und insgesamt schlüssiger.


    7. Wanderung


    Detaillierung und “großer Bogen“ sind bei FiDi wieder bestens balanciert. / Makellos der Vortrag der Price, mit viel Schwung


    8. Stille Liebe


    Tendenziell etwas schmalzig bei Fidi („Jaaaaiich würd in allen Weisen“, „tragen kann dichcherzgeliebte“). Ein etwas neutralerer Vortrag wäre hier vielleicht überzeugender als gleich alle emotionale Tiefen offenzulegen. / Mehr wohltuende Distanz höre ich bei Price, dennoch ist die Innigkeit tiefer. Diese Version berührt mehr.


    9. Frage


    Prächtig singt FiDi dieses kleine Meisterwerk aus, doch vielleicht zu intensiv, um die Wirkung nicht zu beeinträchtigen. / Subtiler hört sich dieses Lied bei der Price an, mehr von innen heraus – für mein Empfinden angemessener.


    10. Stille Tränen


    FiDi legt diesen Höhepunkt des Zyklus‘ auf große Bögen und Steigerungsdramatik an. Es klingt ein wenig äußerlich, ich musste an Wotans Abschied (Walküre) denken. / Auch Dame Margaret Price zeichnet die Musik in großen Abschnitten nach, bei ihr wirken die Steigerungen jedoch nicht so äußerlich. Geschmackssache?


    11. Wer machte dich so krank?
    12. Alte Laute


    Wie wohltuend ist FiDis Zurückhaltung nach dem vorhergehenden Ausbruch! Wie viel Wirkung dieser Sänger durch Zurücknahme seiner äußeren Gestaltungsmittel erzielen kann, ist wirklich außerordentlich. / Auch Dame Margaret Price singt beide Lieder (die bis auf Text sowie Vor- und Nachspiel identisch sind – ein singulärer Fall) sehr schlicht, hier ist es mir fast zu wenig an Detaillierung und Abschattierung von Farben und Differenzierung bei der Konsonantenbehandlung.


    Ich habe noch gar nichts darüber gesagt, was allen Liedern so gemeinsam ist, dass man es fast gar nicht bemerkt: Beide Interpreten singen mit tadelloser Intonation und mit fast immer einwandfreier Aussprache (rein technisch gesehen). Beide Stimmen haben hohen Reiz (jawohl, auch FiDi im Jahre 1954), beide stellen den äußeren Wohlklang aber nicht in den Vordergrund. Sie buhlen nicht um das Wohlgefallen des Hörers, sie biedern sich nicht vordergründig an. Beide stellen das Werk in den Mittelpunkt.


    Fazit: Patt. Die Stärken und Schwächen beider Aufnahmen sind eher Sache des persönlichen Geschmacks. Bei den Liedern der zweiten Hälfte habe ich oft den Vorzug der Version von Dame Margaret Price gegeben, da mir dabei ihre zurückhaltendere Gestaltung eher zusagte als die (manchmal) äußerlichere Gestaltung von Herrn Dietrich Fischer-Dieskau. Das ist natürlich Geschmackssache, und man mag von Lied zu Lied trefflich streiten, welcher Zugang der angemessenere sei. Von FiDi liegen wenigstens vier Aufnahmen des Zyklus‘ vor, so dass man ihn mit sich selbst vergleichen mag und fragen, ob er später durch Verinnerlichung mehr Tiefe zu erreichen in der Lage war. – Punkten kann er natürlich durch sein jugendliches Timbre. – Beide CDs haben mir sehr gut gefallen, ich freue mich aufs Wiederhören.

  • Danke, lieber Wolfram,
    das ist ja ein ganz ausgezeichneter Beitrag zu diesem Thema! Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich diese Lieder in der Interpretation von Margaret Price nicht kenne - noch nicht kenne, denn wenn auch Helmut Hofmann auf Margaret Price hinweist, dann muss da was dran sein...


    In Sachen Frauenstimmen bin ich nicht der Experte, aber Eure Hinweise bedeuten mir schon etwas, man soll nichts Schönes am Wegesrand liegen lassen.
    € 10,99 bei Amazon - man gönnt sich ja sonst nichts...

  • Lieber hart,


    gerne, danke fürs Feedback! - Die Aufnahme von Schumanns opp. 35 und 39 mit Dame Margaret Price ist bei jpc sogar für €7,99 zu haben (Stand 02. Juli 2010).

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  • Die Rede ist von "Stille Tränen" aus Schumanns op.35.
    Das ist ein in jeglicher Hinsicht außergewöhnliches Lied. Schon im Titel und der Anweisung des Komponisten "aus voller Brust zu singen" steckt ein merkwürdiger Widerspruch.
    Außergewöhnlich sind die fast arienhaft wirkenden, weit ausgreifenden Kantilenen, wie sie in keinem Lied sonst zu finden sind, Kantilenen mit Portamenti, die ansonsten doch im Liedgesang verpönt sind.


    Außergewöhnlich, zumindest für Schumann, ist, dass das ganze Lied nur aus einem einzigen musikalischen Motiv besteht. Und schließlich ist die Klavierbegleitung außergewöhnlich, - wiederum gemessen an dem, was man ansonsten bei Schumanns Liedern vorfindet. Sie ist von verblüffender Simplizität: Ein Sechsvierteltakt, 5 Akkordviertel aus jeweils drei bis vier Tönen folgen aufeinander, ein Ton im Bassbereich ist als Vorhalt vorangestellt.
    Diese Akkorde tragen die Singstimme bis zum Verklingen. Einfacher geht´s kaum.
    Erst danach kommt ein Schumannsches Nachspiel, das es freilich in sich hat. Es mutet an, als weine das Klavier sich aus.


    Das eigentlich Außergewöhnliche, ja Verblüffende aber ist die Erfahrung, die man beim Hören macht.
    Vom Titel des Liedes her erwartet man eigentlich in der Singstimme ein Piano. Das Kommt auch am Anfang, es wird aber in langsamer Steigerung schon in der ersten Strophe (bei "durch die Au") ein Mezzoforte erreicht, und in der dritten Strophe steigert sich die Singstimme bei dem Wort "Schmerz" sogar bis zum Fortissimo.
    Und doch empfindet man dieses Lied beim Hören an keiner Stelle als wirklich laut. Im Gegenteil, man hat am Ende das Gefühl einem stillen, innigen Lied gelauscht zu haben.
    Wie kommt das?


    Folgt man aufmerksam der Bewegung der Gesangsmelodie, dann stößt man bald auf die Antwort. Sie weist, wenn sie notengemäß interpretiert wird, eine innere Dynamik auf, die sich ganz eng an den Text anschmiegt.
    Der erste musikalische Akzent liegt sinngemäß auf dem Wort "erstanden". Die melodische Linie gipfelt dann bei dem Wort "Au", hält kurz inne und klingt dann langsam auf dem überaus vokalreichen "wunderblau" aus.
    Mit der zweiten Strophe ändert sich die Tonart, auch dies wieder vom Gehalt des lyrischen Textes her motiviert. Die Dynamik der Gesangsmelodie wirkt gedämpft, die Kantilenen greifen nicht so weit aus.


    Wenn das Lied dann an seiner zentralen Aussage angekommen ist, dem Schmerz, der in stillen Nächten geweint wird, dann empfindet es der Hörer als völlig angemessen, dass die Singstimme ihre höchste Lautstärke erreicht und dass dies alles auf diesem Lautstärkeniveau noch einmal wiederholt wird.
    Schmerz und Leid drängen aus dem Ich heraus und artikulieren sich in einer Art Klageruf.
    Kein mitfühlender Mensch wird dergleichen als "laut" empfinden.


    Ich höre dieses Lied am liebsten in der Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Gerald Moore, Salzburger Festspiele 1959, erschienen bei Orfeo.
    Allerdings macht mich jetzt die Bemerkung von Wolfram stutzig, seine Betonung der Kantilenen wirke "ein wenig äußerlich".
    Fischer-Dieskaus Interpretation bringt für mich die seelischen Regungen des Gedichts, die Schumann in wunderbar treffende musikalische Strukturen umgesetzt hat, am deutlichsten und differenziertesten zum Ausdruck.
    Aber da sind wir wieder bei unserem alten Thema: "Geschmackssache" ( an die ich aber noch immer nicht so recht glauben will).

  • Lieber Helmut,


    vielen Dank für Deine ausführliche und gut nachvollziehbare Beschreibung des Liedes! Ich habe leider keine Noten davon, so vermute ich aufgrund Deiner Worte, das mf und ff wurde so von Komponisten notiert?


    Die von Dir favorisierte Live-Aufnahme von den Salzburger Festpielen 1959 mit Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore kenne ich leider nicht und kann dazu nichts sagen. (Die Aufnahme steht auf meiner Wunschliste, zusammen mit dem Salzburger Mitschnitt der Dichterliebe. Es gibt bei orfeo allerdings auch eine Box der Salzburger Liederabende FiDis ... 10 oder 11 CDs ... immer diese Entscheidungen ...)


    Für mich ist die zentrale Aussage des Liedes nicht "der Schmerz, der in stillen Nächten geweint wird". Das wesentliche Thema ist für mich der Schmerz der zweiten Art, der dann entsteht, wenn derjenige, der nachts weinte, tagsüber denjenigen begegnet, die ihn für einen "stets fröhlichen" (letzte Liedzeile) Menschen halten. Schumann lässt die letzten beiden Zeilen des Liedes nicht ohne Grund wiederholen. ("Und morgens dann ihr meinet, / stets fröhlich sei sein Herz.")


    Das Thema ist also nicht primär der Schmerz und sein Anlass, sondern, dass der Schmerzensreiche bisher seinen Schmerz nicht an seine Umwelt kommunizierte. Warum auch immer. Dass man ihn eventuell auf die Rolle eines fröhlichen, optimistischen, zumindest aber ausgeglichenen Menschen festnagelt und seine anderen Empfindungen eventuell gar nicht sehen will, weil sie nicht zur Rolle passen, in der man ihn kennt.


    Daher meine ich, es geht um den doppelten Schmerz des lyrischen Ichs: Um den Schmerz erster Art, über dessen Ursache wir im Unklaren bleiben, vor allem aber um den Schmerz zweiter Art, der dadurch entsteht, dass die Umwelt den Schmerz erster Art nicht wahrnimmt bzw. nicht wahrnehmen will bzw. dadurch entsteht, dass das lyrische Ich meint, dass die Umwelt den Schmerz nicht wahrnehmen will.


    Ich meine, dass es Herrn Dietrich Fischer-Dieskau im Jahre 1954 nicht restlos gelungen ist, das zu hörende Fortissimo als eine "innere Stimme" darzustellen. Mir ist klar: Wir reden hier über feinste Nuancen und verlangen von einem Sänger, dass er in der Lage ist, intimste Gedanken und Regungen im Fortissimo adäquat auszudrücken. Es mag ja sein, dass es ihm in späteren Jahren (noch) besser, noch perfekter, in einer noch weniger Wünsche offenlassenden Art gelang, den Spagat von Intimität und Intensität zu bewältigen. - Ms. Price singt kein Fortissimo, dafür bleibt das Lied bei ihr in der Innigkeit. Wenn tatsächlich ff notiert ist, so lassen beide Interpretationen Wünsche offen.


    Es ist doch völlig akzeptabel, wenn der zum Zeitpunkt der WDR/audite-Aufnahme noch 28jährige Sänger das Werk mit einer anderen Dosierung der sängerischen Mittel zu bewältigen sucht als Dame Margaret Price, die im Jahre 1991 bereits 50 Lenze zählte. Ich bin auf spätere Aufnahmen FiDis von op. 35 gespannt.


    Viel Spaß mit Schumanns Liederschaffen wünscht
    Wolfram


    der sich in seinen Urlaub an der Ostsee verabschiedet.

  • Zitat

    das ist ein in jeglicher Hinsicht außergewöhnliches Lied. Schon im Titel und der Anweisung des Komponisten "aus voller Brust zu singen" steckt ein merkwürdiger Widerspruch.
    Außergewöhnlich sind die fast arienhaft wirkenden, weit ausgreifenden Kantilenen, wie sie in keinem Lied sonst zu finden sind, Kantilenen mit Portamenti, die ansonsten doch im Liedgesang verpönt sind.


    Auch dir, lieber Helmut Hofmann, ein Dankeschön für den Hinweis, dass Schumann diese Anweisung gab - das wusste ich nicht.

  • Lieber Helmut Hofmann,
    ja, es war angebracht ... inzwischen kann ich bestätigen, dass das ganz vorzügliche Aufnahmen sind. "Zu Augsburg steht ein hohes Haus ..." finde ich besonders gut für eine Frauenstimme, was Deine Feststellung zu den beiden letzten Liedern natürlich nicht infrage stellen soll.

    Zitat

    Vielleicht wäre es angebracht, einmal darauf hinzuweisen, dass außer den "Herren", auf die hart hingewiesen hat, auch "Damen" op.35 von Schumann singen.
    Die schönste Interpretation, die ich diesbezüglich kenne, ist die von Margaret Price, begleitet von Graham Johnson (Aufnahme 1991, 1999 unter dem Label Hyperion veröffentlicht). Besonders in den Piano-Passagen der Lieder kann sie das weibliche Timbre ihrer Stimme sehr gut zur Geltung bringen. Höchst beeindruckend ist die Interpretation der beiden letzten Lieder.

  • Ich hatte schon einmal angedeutet, dass die Interpreten von op.35, die hart aufgelistet hat, diese Lieder recht unterschiedlich singen. Das war damals ein Urteil, das ich aus der Erinnerung fällte.
    Durch Wolframs Liste von Interpretationseindrücken ( Dank dafür! ) fühlte ich mich angehalten, mein eigenes Urteil noch einmal anhand von "Stille Tränen" zu überprüfen.


    Ergebnis:
    Die Interpretationen sind tatsächlich höchst unterschiedlich. Diese Unterschiede ergeben sich offensichtlich aus einer Grundsatzentscheidung, die jeder Sänger/ jede Sängerin für sich treffen muss:
    In welchem Maß singe ich die weit ausgreifenden Kantilenen dieses Liedes aus?
    Wie stark lege ich Wert auf eine vom Text her gebotene Binnendifferenzierung der gesanglichen Linie?
    Welche Auswirkungen hat dies auf die Lautstärke, das Legato und das Tempo?


    Im einzelnen ergab sich folgendes Bild.
    MATTHIAS GOERNE (mit Eric Schneider / Decca):
    Äußerst behutsamer Stimmeinsatz, ausgeprägter Piano-Gesang mit optimalem Legato. Erst bei "Schmerz" volle Entfaltung der Stimme. Man hat den Eindruck, dass die extreme Zurückhaltung in der Entfaltung der Stimme auch die Ausdrucksmöglichkeiten einschränkt.


    THOMAS HAMPSON ( mit Geoffrey Parsons / Warner Classics):
    Deutlich lauter als Goerne. Insgesamt recht gleichförmiger, in sich wenig differenzierter Gesang. Bei "wunderblau" wird das "u" ungewöhnlich lange gehalten (Tempoverzögerung). Das ist wenig überzeugend. Insgesamt eine Interpretation, die wenig vom der Aussage des Textes her geprägt ist. Man hört vorwiegend Stimme, - allerdings schöne!


    CHRISTOPH PRÉGARDIEN (mit Andreas Staier, Hammerklavier, Mitschnitt des Liederabends Schwetzingen 2006):
    Weit ausgfreifende gesangliche Bögen. perfektes Legato. Der Spannungsbogen der ersten beiden Verse wird überaus expressiv aufgebaut und klingt dann aus. Die zweite Strophe im Timbre deutlich von der ersten abgesetzt. Die Interpretation ist hörbau von der Aussage des Textes her geprägt.


    WOLFGANG HOLZMAIR ("Schumann Lieder", mit Imogen Cooper, Philips):
    Ungewöhnlich rasches Tempo, wenig Differenzierung im stimmlichen Ausdruck. Die zweite Strophe ist nicht deutlich von der ersten abgesetzt. Das Ganze wirkt ein wenig flüchtig, wenig expressiv.


    DIETRICH FISCHER-DIESKAU ( mit Gerald Moore, Live-Aufnahme, Salzburg 1959, Orfeo):
    Die Stimme setzt äußerst behutsam ein und steigert sich mit Nachdruck hin zu einem Gipfel auf "Au", um dann auf "wunderblau" auszuklingen. Das "blau" wird nachdrücklich artikuliert. Das zweite Strophe ist von der ersten sowohl im Timbre als auch in der Lautstärke deutlich abgesetzt. Die vom Text her gebotene Binnendifferenzierung ist - im Vergleich mit den anderen Aufnahmen - am deutlichsten ausgeprägt. Typisch: Bei "ihr meinet" schwingt in der Stimme ein Ton der Vorwurfs mit, der ja vom Text her auch begründet ist.
    Interessant übrigens, dass Fischer-Dieskau in der Gesamtaufnahme der Schumann-Lieder mit Christoph Eschenbach ( bei DG ) etwas weniger textorientiert und expressiv singt.


    MARGARET PRICE (mit Graham Johnson, Helios),
    MITSUKO SHIRAI ("Liederkreis op.39 u. andere Schumann-Lieder, Capriccio):
    Bei der hohen Sopranstimme bestehen, gleichsam naturgegeben, weniger Möglichkeiten der gesanglichen Binnendifferenzierung. Dafür können die Kantilenen wunderbar ausgesungen werden, und das geschieht bei Margaret Price auch. Der seelische Schmerz kommt gut zum Ausdruck.
    Im Vergleich dazu singt Mitsuko Shirai mit ihrem Mezzo-Sopran deutlich differenzierter. Sie wählt ein langsameres Tempo und baut die Kantilenen mit sehr viel Innenspannung auf. Auffällig ist, dass sie behutsamer einsetzt als Margaret Price.


    ANMERKUNG: Natürlich ist bei diesem Lied, von seiner spezifischen musikalischen Struktur her, das Timbre der Stimme ein wichtiger Faktor für die Beurteilung einer Interpretation
    Man sollte aber bedenken, dass das Gedicht selbst eine ausgeprägte Expressivität aufweist. Es geht, wie Wolfram zu Recht betont hat, um den seelischen Schmerz, der aus der Einsamkeit des Leidens hervorgeht. Das sollte sich in einer entsprechenden gesanglichen Binnendifferenzierung niederschlagen.

  • Lieber Helmut Hofmann,
    Deiner Analyse stimme ich vollinhaltlich zu, dass Du überhaupt eine Lied-Aufnahme von Holzmair hast, hat mich indes etwas verwundert ...


    Hättest doch besser zu Peter Anders gegriffen (Berlin-Classics Vol.2) - bei jpc für 9,99 € zu haben, allerdings sind da nur fünf Schumann-Lieder drauf, aber Beethoven, Brahms, Wolf und Strauss haben ja auch Schönes gemacht ...

  • Ich besitze das alte DGG-Recital von Dieskau/Weissenborn von 57, Stille Tränen zumal mit lauten Kratzern, habe die Platte aber nie wieder gesehen. Hat mich seinerzeit schwer beeindruckt; heute scheint es mir, es sei alles etwas zu laut gesungen. Habe die junge Kiri Te Kanawa, Peter Schreier, Ian Bostridge und José van Dam auf Youtube verglichen und präferiere sehr den letztgenannten.


    "Stille Tränen"


    Du bist vom Schlaf erstanden
    Und wandelst durch die Au.
    Da liegt ob allen Landen
    Der Himmel wunderblau.


    So lang du ohne Sorgen
    Geschlummert schmerzenlos,
    Der Himmel bis zum Morgen
    Viel Tränen niedergoß.


    In stillen Nächten weinet
    Oft mancher aus dem Schmerz,
    Und morgens dann ihr meinet,
    Stets fröhlich sei sein Herz.


    Kein wirklich gutes Gedicht, pace, und Schumanns Vertonung ist eine theatralische Selbstherrlichkeit (man nehme bloß den visionären Anfang, der den Text sozusagen hinter sich läßt). Die Primitivität der Begleitung erinnert an "Ich grolle nicht". Das expressive Melos zehrt von der Bitterkeit der im Stillen vergossenen Tränen; so herausgebrüllt wie es die lyrischen Stimmen von Fischer-Dieskau, Schreier und Bostridge bieten, entlarvt sich das pathetische Selbstmitleid als schwer erträgliche Larmoyanz.


    Natürlich, die harmonische Rückung zu Beginn der zweiten Strophe läßt das konstruierte Bild der weinenden Regennacht vergessen.


    Einer Frauenstimme unerreichbar (denn Frauen zerfließen nicht so in Selbstmitleid wie die unverstandenen Männer).


    Van Dams Stimme muß den Pathos nicht erst in der Klimax erzeugen (und forcieren), sondern trägt ihn sicher durch das ganze Lied, in weit größerem Ebenmaß als die Konkurrenz. Soweit mein Höreindruck - natürlich ist das Lied ungeheuer wirkungsvoll und unverwüstlich wie Brahms´ "Von ewiger Liebe".


    Mein Ideal wäre hier vielleicht Fritz Wunderlich (Schmelz anstelle von Leidenspose im Stentor-Ton).


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ja, lieber farinelli,
    das Lied ist ungeheuer wirkungsvoll! Was schert mich Text, was schert mich Larmoyanz ...


    Nun habe ich das Problem an die von Dir empfohlene Aufnahme zu kommen, kannst Du da gelegentlich mal einen Tipp geben?

  • Farninelli meint: "Kein wirklich gutes Gedicht".
    Was ist das für ein Argument? Nach diesem Kriterium könnte man mehr als die Hälfte des deutschen Kunstliedrepertoires auf den Müll werfen.


    Was, bitteschön, ist unter "theatralische Selbstherrlichkeit" im Zusammenhang mit diesem Lied zu verstehen? Der Begriff macht mich ratlos.
    Kerners Gedicht ist sicher keine ganz große Lyrik. Er hat versucht, eine elementare menschliche Erfahrung in Verse zu fassen: Das stille (nächtliche) Leiden, von dem die Welt nichts wissen will, weil sie erwartet, dass man selbstverständlich immer "gut drauf" ist. Der in tiefer Einsamkeit wurzelnde Schmerz versucht sich zu artikulieren und drängt als Aufschrei nach draußen.


    Brentanos Gedicht "Das verlassene Mägdlein" greift ein ähnliches Thema auf. Es handelt sich dabei aber um eine ganz andere "lyrische Klasse". Das Gedicht ist übrigens großartig von Hugo Wolf vertont ( Elly Ameling, begleitet von Dalton Baldwin, interpretiert es in beeindruckender Weise).


    Nun gut, jetzt wissen wir´s: Kerners Text ist keine wirklich großes lyrisches Gedicht. Aber wir erleben hier doch, was wir alle zur Genüge kennen: Ein genialer Komponist macht daraus ein großartiges Lied!


    Danke für den Hinweis auf You Tube. Ich vergesse immer wieder, dass es diese Einrichtung gibt.
    Ian Bostridge ist eine Katastrophe. Hier ist der Begriff "theatralisch" nun wirklich angebracht, und zwar im negativen Sinne des Worts.
    Ich konnte mich an verschiedenen Stellen des Eindrucks nicht erwehren: Hier kräht ein Hahn!


    Van Dams Interpretation ist für mich nicht herausragend. Der Mann singt mit schöner Stimme die Kantilenen voll aus. Perfekter Gesang, mehr aber auch nicht. Von textbezogener Interpretation kann ich da nicht viel hören. Er erinnert mich ein wenig an Hampson.

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  • Lieber Helmut Hofmann,


    Verzeihung, wenn ich mich immer so unklar ausdrücke, ich meinte bloß, daß der Text strenggenommen die patheteische Berwegung der Komposition nicht hergiebt - man könnte auch sagen: Schumann benutzt den Text, um eine sehr persönliche Aussage zu instrumentieren.


    Das Gedicht ist nicht so stringent, wie es Schumanns Lied suggeriert; die Naturbilder sind teils zu allgemein (Au), teils nicht ganz stimmig (Der Himmel "liegt" ob den Landen; er vergießt Tränen - sind das die Tautropfen, die zur Aue passen, aber nicht niederrieseln, oder ein erfrischender Nachtregen? Worüber weint der Himmel?)


    Die Pointe des Gedichts müßte sein, daß man ein Leid nicht vehehlt und im Stillen austrägt, damit man heiter wie der Sommermorgen erschiene, sondern daß man - sich selbst unbewußt - im Schlaf reinigende Tränen vergießt. Also nicht des schlaflosen Harfners "Wer nie sein Brot mit Tränen aß", sondern eher "Ich hab im Traum geweinet".


    An Van Dam gefällt mir gerade die ebensmäßig geführte Kantilenen-Stimme, die den nicht malerischen Duktus des Lieds perfekt zur Geltung bringt (die lyrischen Baritone mißverstehen alles als Tonmalerei). Perfekter Gesang, mehr aber auch nicht - aber weniger ist hier eben mehr.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber farinelli!
    Zunächst: Das Wort "Verzeihung" berührt mich peinlich.
    Wenn ich etwas nicht verstehe, dann suche ich die Ursache erst einmal bei mir, und wenn ich nicht weiterkomme, frage ich nach.
    Das ist ja das Schöne am Forum, dass man miteinander kommunizieren, Unklarheiten ausräumen und sich gegenseitig ein Licht aufstecken kann.
    Das Wort ist also, aus meiner Sicht, unangebracht.


    Das das Gedicht "Stille Tränen" nicht ganz "stringent" ist, das sehe ich auch so. Das mit der "Pointe" kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen. Lassen wir´s aber dabei.


    Die Gesichtspunkte, die Du im Hinblick auf die Interpretation von Van Dam anführst, sind einleuchtend.
    Wenn man Schumanns Komposition als "persönliche Aussage" nimmt und das Lied auf diese Weise in seiner musikalischen Struktur als gleichsam vom lyrischen Text partiell abgehoben sieht - was man tun kann - dann muss einem eine "ebenmäßig geführte Kantilenen-Stimme" natürlich gefallen.


    Mir ist wohl bewusst, dass ich, als lebenslanger Fischer-Dieskau-Hörer, in meiner Fixierung auf das Wort beim Liedverständnis eine möglicherweise etwas einseitige Position vertrete.
    (Will sie aber beibehalten!)

  • Lieber Helmut Hofmann, da hast Du aber den Nagel auf den Kopf getroffen!

    Zitat

    Ian Bostridge ist eine Katastrophe. Hier ist der Begriff "theatralisch" nun wirklich angebracht, und zwar im negativen Sinne des Worts


    Das schaut ja auf YouTube aus wie eine Persiflage auf den Liedgesang. Aber YouTube bietet auch Besseres, eine Aufnahme des Liedes von Peter Schreier gesungen; zwar kein Konzertmitschnitt, aber mit schönen Rosenbögen als Hintergrundbild ...


    Die Aufnahme (1975) "Stille Tränen" habe ich auf einer Schreier-CD mit dem Titel:
    Robert Schumann
    In der Fremde
    Ausgewählte Lieder


    Aus Op. 35 ist nur noch das Lied "Wer macht dich so krank" drauf. Meine CD habe ich jetzt nur über "Google-Bilder" auf den Bildschirm bekommen. Aber heutzutage werden bei diesen Aufnahmen ja oft die Coverbilder gewechselt ...

  • Lieber hart,
    ich habe hier eine Lp vor mir liegen:
    Peter Schreier, begleitet von Norman Shetler, singt Lieder von Schumann: Kerner-Lieder op. 35, Lieder nach Rückert und von Platen. Eurodisc / Lied-Edition, Nr. 4, Aufnahme von 1973.
    Vielleicht gibt´s die ja noch als CD-Überspielung?


    Ich hatte sie bei meinem Überblick über die Aufnahmen von "Stille Tränen" schlicht vergessen.
    Ich gebe hier mal meine Notizen dazu wieder:
    Wenig Kantabilität. Die Stimme kllingt ein wenig gepresst. Das Tempo ist recht langsam. Das ist ja an sich vorgeschrieben, hier aber kommt mir´s etwas zu gedehnt vor, weil die gesangliche Linie abzureißen droht. Der große Bogen über "Au" bis zu "wunderblau" wirkt ein wenig brüchig.
    Aber es wird großer Wert auf die Berücksichtigung des lyrischen Textes beim Singen gelegt.


    Übrigens: Ich bin beim Hören und Sehen dessen, was Ian Bostridge auf You Tube diesbezüglich bietet, regelrecht erschrocken. Wie ist eine solche Vorstellung möglich?

  • Zitat

    Übrigens: Ich bin beim Hören und Sehen dessen, was Ian Bostridge auf You Tube diesbezüglich bietet, regelrecht erschrocken. Wie ist eine solche Vorstellung möglich?


    Genau diese Frage stelle ich mir auch ...
    Insgesamt habe ich Bostridge fünf Mal auf der Konzertbühne hier in Schwetzingen und in Schwarzenberg erlebt, aber ich habe ihn auch zunehmend theatralischer erlebt und weitere Konzerttermine deshalb ausgelassen.
    Das schönste Erlebnis hatte ich mit ihm in Schwarzenberg - als Zugabe sang er das Lied "Abschied" (D 475); ich kannte dieses Lied bisher nicht, er hat es ganz köstlich gesungen und Beifall kam erst einige Sekunden nachdem er geendet hatte auf ...
    Ja, auch das ist Ian Bostridge!

  • Ich bin mittlerweile der FiDi-Aufnahme der Kerner-Lieder von den Salzburger Festspielen 1959 habhaft geworden. Zunächst: Gerald Moore begleitet deutlich zurückhaltender und doch differenzierter als Herta Klust, mehr "Teppich" als rhythmische Struktur, doch welch Variabilität der Klangfarben in einem engeren dynamischen Spektrum ...


    Aber auch FiDi singt deutlich verschieden von der 1954er Aufnahme - es ist alles mehr in einer Linie, in einem Klangraum, es ist einheitlicher, es bleibt stets als innere Stimme zu hören. Die Anflüge von Äußerlichkeiten der 1954er-Aufnahme sind überwunden - großartig!


    Ich freue mich auf den Rest von op. 35 sowie auf op. 39.


    __________________

  • Ich besitze seit gestern die Aufnahme. Nachdem ich in einige Aufnahmen der Kerner-Lieder via Soundschnippsel hineingehört hatte und zu dem Schluss gekommen war, daß sie nicht zu meinen Lieblingen werden würden, habe ich lange darüber nachgedacht welche Aufnahmen ich quasi als Archivexemplar in meine Sammlung stellen wollte.


    Die Wahl war relativ leicht. In Wien gab es kaum Auswahl. Mir fiel die audite Wiederveröffentlichung der WDR-Aufnahmen aus dem Jahre 1954 mit Herta Klust in die Hände - und ich entschied mich für sie, auch deswegen weil Dietrich Fischer Dieskau zu meinen Lieblingsinterpreten zählt.
    Interessant auch deshalb weil ich die junge Stimme hören wollte. Überrascht war ich als ich (vor allem im ersten Lied "Lust der Sturmnacht" ) mit jennen Übertreibungen konfrontiert wurde, die man eigentlich erst dem älteren Fischer-Dieskau nachsagte, eine gewisse Überinterpretation. Man kann das natürlich auch anders sehen, nähmich als akribisch ausgefeilte Wiedergabe des Liedertextes mit Ausschöpfuing der vollen Dynamik. Aber als Fischer Dieskau-Fan stelle ich das lediglich fest - kritisiere es aber nicht, notabene, da seine Stimme zu jener Zeit fast alles erlaubte.


    Das Wanderlied -hier wurde geschirieben es passe nicht in den Zaklus - empfinde ich als Oase inmitten all der Tristesse. Ob die Fröhlichkeit nun echt oder (wahrscheinlicher) lediglich aufgesetzt ist - das halte ich eigentlich für gleichgültig - in Schuberts Zyklen finden sich ähnliche Stellen.


    Fischer Dieskaus Timbre macht die Lieder für mich vertrauter und eingängiger. Am Schluß- nämlich bei den Liedern "Was macht Dich so krank" und "Alte Laute" war ich regelrecht hingerissen von soviel Schmelz im feinsten Pianissimo.........


    Ich habe lediglich das Wanderlied mit der Aufnahme desselben Sängers mit Eschenbach verglichen und gebe der Klust aufnahme den Vorzug - wobei eiin seriöser Vergleich des Gesamtzyklus nicht stattgefunden hat...


    Mit freundlichen Grüßen


    aus Wien


    Alfred




    Bitte Nutzer Bernward GERLACH einen Leerbeitrag ohne Inhaltstext anhängen. EIN Wort muß jedoch enthalten sein, sonst funktioniert die Speicherung nicht.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Habe mich für diese Aufnahme entschieden. Hoffentlich geht es gut.



    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich nehme an, mit "Wanderlied" ist #3 "Wohlauf noch getrunken..." gemeint?


    Ich finde das keinen Fremdkörper. Die Lieder bilden eben keinen Zyklus, der Zusammenhang ist, wenn er überhaupt besteht, sehr lose.
    (Darin besteht übrigens ein großer Unterschied zu op.24, das so eng geknüpft ist wie "Dichterliebe", mit demselben Thema, nur eben in wesentlich bescheideneren Ausmaßen. Ich kenne die genaueren Entstehungsumstände nicht, die Opusnummern sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle dieser bekannten Lieder und Zyklen innerhalb eines Jahres geschrieben wurden, aber es könnte sein, dass op.24 recht deutlich Beethovens "Ferne Geliebte" zum Vorbild hat, denn wie sich im letzten Lied herausstellt, sind es ja Lieder an die ferne (Ex!)geliebte (das ist der Unterschied zu Beethoven...))


    Mag sein dass Helmut Hofmann mit "Krankheit" recht hat, ich sehe eher eine Sammlung allgemeiner romantischer Haltungen, besonders "Sehnsucht" nach allem möglichen. Besagtes Lied vertritt auf den ersten Blick hier das "Fernweh", wobei schon gesagt wurde, dass im Mittelteil eben auch andere Töne anklingen.


    Ich habe gestern abend eine weitere Fi-Di-Aufnahme gehört, DG studio 1957 (noch mono, auf CD wohl nur in einer "Original Masters" Box erhältlich gewesen) mit Weissenborn. Wie meist bei älteren Aufnahmen ist die Balance ein wenig zugunsten des Sängers, aber mir ist es diesmal weniger unangenehm aufgefallen als anderswo. Zum Vergleichen mit Pregardien oder Hampson fehlte mir bisher die Zeit.



    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Johannes Roehl stellt zu Recht fest: "Die Lieder bilden eben keinen Zyklus."
    Schumann hat ja sein Opus 35 deshalb auch ganz bewusst "Liederreihe " genannt.
    Jetzt kommt jedoch mein "Aber".


    Was die innere Einheit anbelangt, ist folgendes zu bedenken: Schumann hat die Gedichte Kerners selbst ausgewählt und in diese Reihenfolge gebracht, wie sie uns, in Lieder verwandelt, in diesem Opus 35 vorliegen.
    Er muss also Gründe dafür gehabt haben, die innere Struktur der Liederreihe eben genau so anzulegen. Es wäre dann also auch unsere Aufgabe, diesen Gründen nachzuspüren, wobei man dabei selbstverständlich zu keinen völlig gesicherten Aussagen kommen kann.


    Ich habe das versucht und bin zu dem Ergebnis gelangt, das ich schon versucht habe darzustellen.
    Es fällt auf, dass nach dem Lied Nr.7 (Wanderung) eine thematische "Verengung" in der Liederfolge stattfindet, die fast mit einer Art Notwendigkeit bei der Aussage landet: "Mich heilt kein Kraut der Flur".
    Alle Lieder nach der "Wanderung" durchweht diese tiefe Wehmut, eine seelische Not, von der letzten Endes nur ein Engel erlösen kann.
    Es gibt also doch so etwas wie einen "inneren Zusammenhang" der Lieder, der freilich anfangs schwerlich auszumachen ist, sich aber in der Abfolge der Liederreihe immer deutlicher herausschält.


    Ich habe versucht, sozusagen in einer Art Rückprojektion, die Lieder 1 bis 7 auch in diesen inneren Zusammenhang einzubeziehen.
    Meine These war und ist weiterhin:
    Die Fröhlichkeit, die in einzelnen Lieder durchklingt, besonders in Lied 3 und Lied 7, ist eine aufgesetzte.
    Ich habe herausgehört:
    Da macht sich einer Mut, da will einer mit Gewalt über die tiefe Trauer, die sich in ihm eingenistet hat, hinwegsingen.
    Sollte es nicht nachdenklich machen, dass beide Lieder mit einem lauten und regelrecht appellativen "Wohlauf!" beginnen?


    Bleibt noch die andere Frage:
    Warum schreibt einer ein Vierteljahr nach der Hochzeit mit der Frau, die sein Ein und Alles ist und um die er im wahrsten Sinne des Wortes gekämpft hat, eine solche Liederreihe?
    Diese Frage stellt sich übrigens auch bezüglich der "Dichterliebe", die ja auch alles andere ist als ein Loblied auf das Glück einer in Liebe gründenden Zweierbeziehung!


    Schumann, ich sag´s ganz offen, war mir immer schon ein wenig unheimlich!

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