Gustav Mahler - Die Sinfonien als Gesamtkunstwerk ?

  • Vielleicht ist der Threadtitel ein wenig irreführend. Deshalb ein Zitat von Eliahu Inbal, der verdeutlicht was ich fragen möchte:


    Zitat


    Für mich sind die Sinfonien von Mahler eine Einheit, eine gigantische Sinfonie mit elf Sätzen, besser noch ein einziger großer Roman mit elf Kapiteln. eben den zehn Sinfonien und dem "Lied von der Erde". Alles in diesem Roman bezieht sich aufeinander, wird verständlich - und richtig interpretierbar - nur aus dem Kontext des Ganzen.


    Das Zitat im vollen Wortlaut - und einige weitere recht interessante Seiten - findet ihr hier:


    http://www.la-belle-epoque.de/mahler/inbal_d.htm


    Seht ihr das auch so ? Habt ihr schon mal alle Sinfonien ohne größere Pause hintereinander gehört ?


    Viele Grüße, Berns


    P.S.: Ich habe eine ähnliche Fragestellung trotz intensiver Nutzung der Suchfunktion nicht gefunden. Sollte es sie schon geben, kann der Thread auch gerne wieder gelöscht werden.

  • In der Tat ein interessantes Thema.


    Inbal schreibt:


    Zitat

    Für mich sind die Sinfonien von Mahler eine Einheit, eine gigantische Sinfonie mit elf Sätzen, besser noch ein einziger großer Roman mit elf Kapiteln.


    Egal was er hier behauptet - er formuliert - wenn auch nur unterschwellig - daß es seine persönliche Sicht der Dinge ist - die er hier kundtut. Er postuliert hier kein Dogma.


    Zitat

    Man muss bei Mahler den Mut zum Hässlichen und Banalen als ästhetisches Ausdruckselement haben


    Das haben vor Inbal schon viele behauptet - bis weit in die sechtiger und siebziger Jahrhunderts (oder bis heute ?? - ehrlich gesagt ich weiß es nicht)- aber es war durchaus nicht positiv gemeint.


    Über "schönen" und "hässlichen, "süssen" und "schroffen" wurde schon viel geschrieben und argumentiert. Die einen behaupte , er wäre gar nicht so unanhörbar wie inest behauptet wurde, die anderen meine gerade in der Hässlichkeit wäre das große in Mahlers Werk zu suchen, die Schönen Stellen seine nur Parodie.


    Ich finde, bei aller Verbundenheit - die Sinfonien Mahlers sind durchwegs zu unterschiedlich um sie in EINE Schablone oder - wenn man so will - in EIN Konzept pressen zu wollen. All das ist meiner Meinung nach sehr persönliche Interpretation. Jeder Dirigent, der sich näher mit Mahler befasst hat gibt seine Persönliche Sichtweise bekannt - und diesese Sichtweisen divergieren gewaltig.

    Zitat


    Eine Katastrophe wie im Finale der 6. Sinfonie ist erst begreiflich nach Hiroshima und Auschwitz.


    Ich halte das für eine sehr gewagt Aussage. Zum einen hat die Menschheit stets Gräuel in Hülle und Fülle bereit gehabt, zum anderen lehne ich solche Vergleiche ab. Mahler kannte weder Hiroshima noch Auschwitz - er konnte sich darauf also gar nicht beziehen.


    Irgendwie könnte man auch Beethovens Sinfonien als "Einheit" sehen, als "Buch mit neun Kapiteln - und in gewisser Weise stimmt es ja auch: EIN symphonisches Gesamtwerk - aufgeteilt auf 9 Sinfonien...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gesamtkunstwerk ist insofern kein guter Ausdruck, da der in der Nachfolge Wagners eigentlich ein Werk meint, in dem mehrere oder alle Künste vereinigt sind, eben Wagnersche Musikdramen mit Text, Musik, Darstellung, Bühnenbild usw. idealerweise "aus einem Guss".


    Dass Mahlers (oder Beethovens, Bruckners, Brahms' Sinfonien) als jeweils Ganze eine "höhere Einheit" bilden, halte ich für falsch. "Zyklus" ist daher eigentlich nicht das richtige Wort. Haydns "Pariser Sinfonien" mögen vielleicht einen Zyklus, oder jedenfalls eine systematische Sammlung bilden, eigentlich ist Zyklus auch hier zu stark, aber Beethovens 9, die über fast 25 Jahre hinweg, mit zig anderen Werken zwischendrin geschrieben wurden?


    Man muss die selbstdistanzierenden Äußerungen, die von Beethoven überliefert sind (bisher nur Mist, neuer Weg einschlagen usw.) nicht völlig ernstnehmen, um sagen zu können, dass ihn zum Zeitpunkt der Komposition der 9. seine 1. wohl kaum noch besonders interessiert hat (allerdings hat er, wohl nicht allein des Umfangs wegen, die Eroica bis zur 9. als seine größte Sinfonie angesehen).
    (Und man kann bei Beethovens Sinfonien sicher niemals sagen, dass eine spätere eine Art "verbesserte" Version" eines ähnlichen Typs wie eine frühere sei, wie man es vielleicht bei einigen Klaviersonaten (op.10,1 u. op13 z.B) tun könnte.)


    Bei Mahler ist die Idee Inbals vielleicht naheliegender, da der praktisch nur Sinfonien geschrieben hat. Überzeugend finde ich es ohne handfeste Belege nicht.
    Dem widerspricht nicht, dass es zwischen einzelnen Sinfonien oder sogar Werkgruppen relativ enge Beziehungen unterschiedlicher Art geben kann.


    Eine übliche Einteilung bei Mahler zieht z.B. eine Trennlinie zwischen den ersten 4 "Wunderhorn"-Sinfonien und den drei folgenden rein instrumentalen. Die 1. ist zwar auch instrumental, aber durch die Gesellenlieder (die sich ihrerseits an die Wunderhornpoesie anlehnen) geprägt. Die 2. enthält außer "Urlicht" die "Fischpredigt" instrumental, die dritte außer dem "Bimm Bamm" "Ablösung im Sommer" ("Kuckuck hat sich zu Tode gefallen"). Die 4. ist beinahe ein Ableger der 3., denn "Das himmlische Leben" war ursprünglich als weiterer Satz der 3. geplant (unter "Was mir das Kind erzählt" analog zu weiteren Überschriften, die später gestrichen wurden.


    Instrumentale Liedzitate fehlen zwar auch nicht in den folgenden Werken (besonders in der 5.), ebenso Reminiszenzen an die Frühromantik (z.B. 1. Nachtmusik in der 7.), aber insgesamt scheinen diese rein instrumentalen Werke doch von einer neuen Strenge geprägt.


    Die 8. ist dann völlig sui generis, da sehe ich jedenfalls kaum Parallelen zu anderen Sinfonien. Ebenso beim Lied von der Erde. Die 9. (und vermutlich auch die 10.) würde ich dann wieder als "Fortsetzung" von 5-7 sehen.


    (Freilich findet man auch wieder Gemeinsamkeiten zwischen der 9. und dem LvdE usw. Irgendwas findet man immer. Aber das rechtfertigt noch lange nicht, die Stücke als ein riesiges Werk zu sehen.)


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Was das "Hässliche und "Banale" betrifft, so wurde das ja schon lange vor Mahler u.a. Beethoven (zigmal, anscheinend werden im 2. Satz von op.110 tatsächlich zwei zeitgenössische "Gassenhauer" verarbeitet) und sogar Haydn (parallele Oktaven und Quinten, sowie weitere aus der seinerzeitigen Tanz/Volksmusik übernommene Merkmale) und Komponisten wie Berlioz sowieso vorgeworfen.


    Ich glaube, dass im Falle Mahlers häufig die Art der Kontraste der Stolperstein gewesen ist. Ich behaupte mal, dass selbst die scheinbar banalsten Stellen in seinen Sinfonien für die, die Rossini, Verdi, Puccini oder Joh. Strauss u.a. akzeptieren, eigentlich unproblematisch sein sollten. :D Nun gelten für die Oper aber eben andere "Gesetze" als für "erhabene" Sinfonien, zumal wenn die mit einem gigantischen Anspruch daherkommen. Andererseits hat Mahler ja selbst gesagt, eine Sinfonie solle die ganze Welt umfassen oder selbst eine Welt sein oder so ähnlich. Besonders ein Stück wie die 3. Sinf. umfasst dann eben auch elementare "Naturlaute".


    Oder man denke, da etwas griffiger, an die 1. Sinfonie. Der Beginn mit einer erwachenden Natur (+ Morgensignal der Kaserne) ist m.E. außerordentlich stimmungsvoll. Der Walzer/Ländler des 2. Satzes scheint mir ebenfalls im wesentlichen ernst gemeint, auch wenn der Volkston vielleicht manchmal das Groteske streift. Musterbeispiel ist dann natürlich der 3. Satz mit dem "Bruder Jakob"-Kanon. Hier hat ja angeblich u.a. ein groteskes Bild Pate gestanden, in dem Tiere den Jäger zu Grabe tragen. Es ist ein verfremdeter Trauermarsch und die bizarre jüdisch-böhmische Volksmusik in der Folge bringt diese Groteske auf die Spitze.
    Der kontrastierende Abschnitt mit der "Lindenbaum"-Musik des 4. Gesellenliedes ist m.E. aber völlig unironisch.


    Mit ein wenig Hörerfahrung merkt man fast immer recht schnell, welche Passagen "ernst gemeint" oder "naiv" (klar für mich z.B. auch Urlicht, Posthorn in der 3., Herdenglockenstellen in der 6., Mittelteil der Rondo-Burleske in der 9.) zu verstehen sind und welche eher ironisch-parodistisch ("Fischpredigt-Scherzo der 2., das wird aber wohl kaum jemand als beispielhafte "schöne Stelle" nennen, 2. Satz der 9. u.a.). Gewiß gibt es auch einige ziemlich doppelbödige Stücke, wo sich diese Aspekte durchdringen: fast die gesamte 4. Sinfonie, Scherzo u. Finale der 5. u.a.


    Was auch immer mit besonders "hässlich" gemeint sein sollte; die Schroffheit z.B. der 6., des 2. Satzes der 5. oder der Rondo-Burleske scheint mir komplett ernst gemeint. Ebenso die eigentümliche Klangwelt des Kopfsatzes der 9. Das war für mich bem ersten Hören sehr seltsam und unverständlich (und das gestopfte Horn am Beginn wohl schon eher "hässlich"), aber inzwischen ist es für mich einer der emotional ergreifendsten Musikstücke überhaupt.


    Das ist aber eigentlich wieder ein anderes Thema als die vorgebliche Einheit aller Sinfonien zusammengenommen.



    JR

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    (Bob Dylan)

  • Hallo Bernd,


    ich finde was Inbal schreibt auch sehr lebenswert. Ich würde es jedoch so sehen wie Johannes, daß die Rede vom "Gesamtkunstwerk" eine Übertreibung darstellt. Der Begriff "Gesamtkunstwerk" bei Wagner ist natürlich in einem viel engeren - und präziseren Sinne - zu verstehen, als Inbal es meint, der davon ausgeht, daß alle Symphonien Mahlers so etwas wie eine große Symphonie bilden. Der Hintergrund ist wohl, daß es bei Mahler Andeutungen gibt, daß das kompositorische Schaffen Ausdruck seiner Lebensgeschichte ist, jede einzelne Symphonie demnach ein "Kapitel" dieser Lebensgeschichte. Das kann man durchaus so sehen. Die Übetreibung beginnt dort, wo man in diese Geschichte eine "Teleologie" hineininterpretiert, so als läge all dem ein großer einheitlicher "Lebensplan" zugrunde, wie das etwa Wilhelm Dilthey in seinen Biographien aufzuzeigen versuchte. Es ist zweifellos so, daß es Bezüge gibt zwischen den Symphonien und eine existentielle Grundproblematik, die wiederkehrt. Die Lösungsansätze sind aber doch sehr verschieden, insofern bleiben die einzelnen Symphonien eigenständig. Da gibt es den Versuch der Synthese von menschlicher Welt und Natur in der 1., die religiös-metaphysische Erlösungsproblematik in der 2. , den Humor in der 3. und 4., die sehr irdische Ausrichtung der 5. und 7., die Tragödie des Scheiterns in der 6., die pantheistische Naturreligiosität der 8., der Abschied in der 9. und 10. sowie im "Lied von der Erde" - das ja eigentlich auch eine Symphonie ist. Man kann sich z.B. fragen, warum das Konzept des Humors nicht mehr trägt - da spielen die Kindertotenlieder eine Rolle. Die Erfahrung des Kindstodes, der "unschuldigsten" Wesen schlechthin, bewirkt, dass Mahler die Welt nicht mehr naiv und unschuldig betrachten kann. Und in der 10. ist es freilich so, daß sie eine Art Synthese des Schaffens gibt. Angesichts des Todes ist die Zukunft verschlossen, der Komponist blickt auf sein reales und künstlerisches Leben zurück (beises ist eng miteinander verschränkt), wenn er etwa in der 10. die Phrase aus der 2., der Auferstehungssymphonie, zitiert, die zu den Worten gehört "Sterben um zu leben".


    Für die Gebrochenheit bei Mahler hat Inbal ein gutes Gespür. Nur ist der Vorwurf - und die dazu gehörende Apologie - des vermeintlichen "Kitsches" bei Mahler durchaus überdenkenswert. Mahler verwendet Vokabeln, wie ein Romanschriftsteller vorgeformtes Musikmaterial umgangssprachlicher Natur. Das generell als "Kitsch" zu qualifizieren, geschieht aus einem klassisch-romantischen Ideal heraus, wonach ein musikalisches Thema unverwechselbar-originell sein soll, eine Eigenschöpfung des Komponisten.


    Beste Grüße
    Holger

  • Zunächst einmal veieln Dank für eure Beiträge !


    1. Ich gebe zu, meine Wortwahl, insbesondere die Verwedung des Begriff "Gesamtkunstwerk" war ein wenig unglücklich. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, dass ich, da ich schon ahnte, dass der Titel zu Missverständnissen Anlass geben könnte, direkt in der Einleitung auf den irreführenden Titel hingewiesen und geglaubt, durch das Zitat deutlich zu gemacht zu haben, was ich meinte. Ich denke, insgesamt dürfte aber doch deutlich geworden sein, was ich meinte.


    2. Vorab: Inbal hat m.E. deutlich gemacht, dass seine Sichtweise durchaus nur eine mögliche und sehr subjektive Interpretation bedeutet. Seinen Hinweis auf Auschwitz und Hiroshima wird man auch aus seiner persönlichen Sichtweise zu verstehen haben. Ich glaube nicht, dass er andere Gräueltaten dadurch relativieren wollte.


    Man muss wohl unterscheiden, a) welche Intention Mahler selbst geleitet haben und b) ob und falls ja welchen Sinn man dem Sinfonienzyklus insgesamt unabhängig davon entnehmen kann (oder entnehmen zu können glaubt).


    ad a) Mahler schreibt:


    Zitat


    "Meine ... Sinfonien erschöpfen den Inhalt meines ganzen Lebens ... Und wenn einer gut zu lesen verstünde, müsste ihm in der Tat mein Leben darin durchsichtig erscheinen ... Der Parallelismus zwischen Leben und Musik geht vielleicht viel tiefer und weiter, als man jetzt noch zu verfolgen imstande ist."


    Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, S. 26; Brief an Max Marschalk vom 17.12.1895, in: Gustav Mahler Briefe S. 141


    Quelle: http://www.la-belle-epoque.de/mahler/berger_d.htm


    Dies scheint mir in die Richtung zu gehen, die Holger angedeutet hat, nämlich, dass man Mahlers Sinfonien durchaus in einen klaren Kontext zu seinem Leben setzen und aus diesem heraus interpretieren kann.


    Aber das dürfte nichts ungewöhnliches sein. Bei jedem Kunstwerk kann man mit recht die Frage stellen, ob und in welchem Umfange die persönliche Lebenssituation des Künstlers auf die Gestaltung Einfluss genommen hat.


    ad b) Viel spannender scheint mir aber die von Berger auch aufgeworfene Frage, ob es über diesen lebenszeitlichen Aspekt hinaus auch einen eigenen werkimmanenten Sinn gibt, der gleichsam - ohne das Mahler dies geplant hatte - seine Werk überspannt. Das soll nicht bedeuten, dass man nicht jede Sinfonie für sich betrachten kann. Aber die Frage die ich gerne aufgreifen wollte war, ob sich nicht aus dem Gesamtschau eine weitere, über die einzelnen Werke hinausgehender Bedeutungssinn erschließt. Berger gibt an der angegebenen Stelle ja einen Vorschlag.


    Dieselbe Frage stellt sich mir immer beim Hören der verschiedensten Einspielungen der Cello Suiten von J.S.Bach. Auch hier gibt es die extremsten Interpretationsversuche, in denen versucht wird, dem gesamten Werk einen übergreifender Sinn beizulegen - mit meines Erachtens wenig Erfolg.


    Viele Grüße, Bernd

  • Es mag vom Standpunkt des Mahler-Interpreten und Gesamtwerkaufnehmenden nachvollziehbar sein, dass man die Mahler-Sinfonien in ihrer Gesamtheit anders rezipiert.
    Betrachtet man indes die Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, die Entwicklungen Mahlers und die Einflüsse der Zeit, dann muss man diese Ansicht relativieren.


    Man sollte sich auch davon lösen, Mahler und seine Sinfonien als Einheit zu betrachten und zuviel in die Sinfonien hineinzuinterpretieren.
    Mahler war Dirigent und "Hobbykomponist". Er nutzte meist die wenigen Wochen in den Sommerferien, um in Höllentempo seine Riesenwerke zu schreiben. Das hat wenig damit zu tun, dass jemand eine Art musikalische Biographie verfasst. Man nimmt ja gern die dramatische 6. Sinfonie, um zu zeigen, dass Mahler sein Leben und die damit verbundenen Schicksalsschläge in der Musik verarbeitet. Und die 9. als Hinweis für sein Wissen um den baldigen Tod. Das ist aber alles wenig zutreffend und mystifiziert lediglich den Menschen Mahler. Bei anderen komponierenden Dirigenten wie Bernstein, Furtwängler, Boulez oder Walter würde auch keiner auf die Idee kommen, Lebenserfahrungen in der Musik finden zu wollen. Mahler war einfach auch "nur" einer der über die Maßen begabten Menschen, der seinen Schaffendrang eben nicht in der Musikwiedergabe und in Wein, Weib und Gesang auslebete, sondern im eigenen Musikschaffen.


    Für seine Werke bedeutet das, dass er sie natürlich nach seinen Ideen erschuf, aber nicht als musikalischer Fortsetzungsroman, sondern als sinfonischen Monolith, wie bei allen Musikern ergänzt um äußere Einflüsse, gleich ob biographischer oder impressionistischer Natur.


    Die Kraft der Sinfonien, die Vielfalt der Themen, das orgiastische und dramatische Erlebnis der Musik verführen zu einer metaphysischen Überhöhung (vgl. Celibidaches Ausführungen zur Musik Bruckners), die jedoch nicht dahingehend gedeutet werden sollte, ihnen einen Platz weit außerhalb der anderen Großen zuzugestehen.

  • Zitat

    Original von zatopek
    Dies scheint mir in die Richtung zu gehen, die Holger angedeutet hat, nämlich, dass man Mahlers Sinfonien durchaus in einen klaren Kontext zu seinem Leben setzen und aus diesem heraus interpretieren kann.


    Aber das dürfte nichts ungewöhnliches sein. Bei jedem Kunstwerk kann man mit recht die Frage stellen, ob und in welchem Umfange die persönliche Lebenssituation des Künstlers auf die Gestaltung Einfluss genommen hat.


    Hallo Bernd,


    das kann man in der Tat. In der Hermeneutik gibt es zwei Schulen: Die eine sagt - vertreten durch Wilhelm Dilthey: Ein Werk kann man nur verstehen, wenn man die Biographie seines Autors verstanden hat. Dagegen stellt sich die sogenannte "werkimmantente" Interpretation, für die solche biographischen Betrachtungen bloße "Psychologie" bleiben, das Werk soll ausschließlich aus sich selbst verstanden werden. Nun gibt es aber solche Autoren wie Thomas Mann, wo die autobiographische Ebene eine Schicht des Werkes darstellt, autobiographische und werkimmanente Betrachtung schließen sich also gar nicht gegenseitig aus, sondern ein. Bei Mahler ist das ganz ähnlich. Für ihn selbst drückt eine Symphonie immer etwas Allgemein-Menschliches aus, das wäre aber nicht möglich, wenn er das nicht ganz individuell als einen Konflikt erfahren hätte. Er >verarbeitet< also die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen und typisiert sie dann. Diese Typisierung ist entscheidend. Deshalb ist es natürlich problematisch, etwa Mahlers Musik als Ausdruck seiner Ehekrise mit Alma zu interpretieren. Das wäre allzu prosaisch.


    Inbal liegt durchaus nicht falsch, Mahlers Musik von der Problematik des Judentums her zu erschließen. Es gibt die folgende bittere Äußerung von Mahler: „Ich bin dreifach heimatlos: als geborener Böhme in Österreich, als Österreicher unter Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Überall bin ich ein ungerufener Gast, überall unerwünscht.“ Da kommt das Gefühl des Ausgeschlossenseins zum Vorschein, der Ahasfer, der ewige Jude, der in der Welt umhergetrieben wird und nirgendwo ein Zuhause hat. Dafür lassen sich in den Symphonien Belege finden, etwa im Motiv des "Urlichts" (2. Symphonie"). Da sucht das Subjekt nach dem Himmel als einer Tür, die offen steht. Der liebe Gott sol dem armen Menschen dafür ein Lichtlein in dei Hand geben, das ihm den Weg leuchtet. Ich denke an dieser Stelle auch an Kafkas Prosatext "Vor dem Gesetz". Da will einer in den Himmel kommen, und wird einfach nicht eingelassen! Diese Befindlichkeit ist Mahler sehr verwandt. Deshalb auch Mahlers Liebe zur Natur, die in seinen Symphonien vielfach zum Ausdruck kommt. Anders als für die Gesellschaft braucht man für die Natur nämlich keine Eintrittskarte, sie steht allen Wesen auf der Erde - auch dem Ahasfer - offen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Man sollte sich auch davon lösen, Mahler und seine Sinfonien als Einheit zu betrachten und zuviel in die Sinfonien hineinzuinterpretieren.


    Ja und nein, würde ich sagen, wenn man Mahler nicht isoliert sieht, sondern als Beispiel für eine romantische Künstlerexistenz. Die Romantiker haben eine solche Einheit von Kunstwerk und Lebenswerk ja regelrecht kultiviert, so daß man oft nicht mehr weiß, wo das Künstlertum aufhört und das Leben anfängt und umgekehrt. (Beispiel: Ludwig Tieck, da wird die vollständige Einheit von Kunst und Leben propagiert.) In Mahlers so zahlreichen brieflichen und anderen Dokumenten findet sich diese Verschränkung geradezu handgreiflich. Er, der eine >Leseratte< war, hat alle diese romantischen Autoren verschlungen geradezu. Das hat natürlich seine Spuren hinterlassen!


    Beste Grüße
    Holger

  • Ich bestreite keineswegs, dass zwischen Leben und Werk eines Künstlers eine Beziehung besteht. Wie sollte es auch anders sein. Mit dem Schritt zum eigenwirtschaftlichen Schaffen und einer individuellen Herangehensweise bringt man die eigene Person mit ein, das gilt schon für einen Handwerker. Ich sträube mich nur dagegen, aus den Schicksalsschlägen in der 6. Sinfonie auf die Schicksalsschläge in Mahlers Biografie rückzuschließen oder das Versiegen der Musik in der 9. als vorweggenommenen Herztod. Selbstverständlich war Mahler von seinen Zeitgenossen beeinflusst. Er traf sich regelmäßig mit anderen Künstlern, er war offen für Neuerungen. Und dies wirkte sich natürlich auf sein Schaffen aus. Nur dieses "Einssein" mit der Musik, das finde ich übertrieben, das gibt es nicht mal bei Wagner.


    Dass Mahlers Biografie sich im Werk niederschlägt, ist durchaus denkbar, aber auch da wäre ich ein wenig zurückhaltend, schrieb er die Werke doch für ein eher konservatives Publikum und sicher auch nicht als Ersatz für ein J'accuse, weil man ihn als Außenseiter behandelte oder anfeindete. Trotz aller Widrigkeiten war er Direktor der Wiener Staatsoper, des wichtigsten Postens im Musikbetrieb. Der von ihm erlebte Antisemitismus ist nicht mit dem von uns heute unter der Auschwitz-Erfahrung wahrgenommenen gleichzusetzen. Man muss ihn wohl eher mit dem Umgang, den westliche Gesellschaften heute mit muslimischen Minderheiten pflegen, vergleichen.


    Das Bsp. Thomas Mann ist durchaus treffend. Auch hier wird gern anhand des Tods in Venedig auf dessen Homosexualität rückgeschlossen oder von den Buddenbrooks auf seine Biografie. Natürlich gibt es Übereinstimmungen, aber Thomas Mann ist nicht gleichzusetzen mit den Protagonisten seiner Romane. Es finden sich selbstverständlich Parallelen, aber deshalb keine Autobiografie. Wie soll man denn auch Charaktere wie Hans Castorp, Thomas Buddenbrook und Adrian Leverkühn in der Person Thoams Manns vereinen? Und welcher Thomas Mann wäre das? Der aus den Betrachtungen eines Unpolitischen oder der Autor von Deutschland und die Deutschen.
    Auch für die Musik gilt, dass sie sich mit der Person des Komponisten entwickelt, ohne dass dieser deshalb immer wieder am zuletzt Geschriebenen anknüpft.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Holger :



    Dilthey , der 1991 gestorben ist, hat meines Wissens seine Lehre nicht auf die Musik hin durchdacht .


    Problematisch bleibt die - ungelöste - Frage der Einbeziehungen der modernen Naturwissnschaften ( schon Karl Jaspers hat darauf hingewiesen ) .


    Was ist " verstehbar " auch im Hinblick auf Biographisches ? Was ist "erklärbar " ? Und was bleibt " Deutung " im Sinne von S. Freud ( dessen Lehre Jaspers aus meiner Sicht zu Recht ablehnte ) .


    Dazu kommt die Problematik des Hinzufügens der verschiedenen richtungen der Sozialwissenschaften ( nicht nur im Sinne von Jürgen Habermas ) .


    Und wie " wahr " sind Biographien oder gerade auch Autobiographien im Hinblick auf unsere daraus resultierenden Analysenzugänge und -gewinne ?


    Und welche Rolle spielen denn dann unsere bzw. der Interpreten
    eigenen Biographien ?
    Wie " wahr " sind diese selbst ?
    Was stimmt an den Schilderungen Dritter über uns selbst ?


    Persönlich glaube ich nicht an den durch Releigionsunterricht tradierten Gott im Sinner der christlichen Amtskirchen .
    Dennoch kann es - rein theoretisch - spekulativ einen Gott geben .
    Hat diese agnostische Haltung von mir eine direkten Einfluss auf mein Erleben von Musik ?


    Ist eine Haltung " Ich weiss es nicht " nicht viel besser, weil sinnvoller als alles künstliche " Erfassen" und Verstehen , als jede willkürliche Deutung ?


    Diese Fragen spielten auch hier im Forum schon eine Rolle bei der Frage, ob und wie ggf. " Psychotherapie " einen Menschen , Künstler , seine Kompositionen wie Interpretation verändern kann . wobei man sich erst einmal darüber verständigen müsste, w a s wir unter Psychotherapie verstehen und ob überhaupt jeder Mensch psychotherapierbar ist .



    Beste Grüsse


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Was ist " verstehbar " auch im Hinblick auf Biographisches ? Was ist "erklärbar " ? Und was bleibt " Deutung " im Sinne von S. Freud ( dessen Lehre Jaspers aus meiner Sicht zu Recht ablehnte ) .


    Ich meine, es ist bei Künstlern so, wie bei Menschen mit anderen Berufen auch. Einige bringen stets ihr Pritvatleben, ihre Erlebnise, Freuden, Ängste, Frustrationen mit in ihre Arbeit ein, meist nicht zm Vorteil derselben.


    Andere hingegen können ihr Werk völlig von ihrer Pesönlichkiet lösen. U'n das ist ja auch das Mindeste was man verlangen kann, man stlle sich vor, das Essem im 3 Hauben Restaurant wäre verdorben, bloß weil der Koch private Probleme hat !!!


    Die Analyse auf Verarbeitung "persönlicher Konflikte" bzw "Lebensumstände" ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Kein Landesfüsrt des 18. Jahrhunderts hätte sich ernstlich dafür interessiert wenn sein Hofkomponist in seelischen oder realen Nöten steckte...


    Und das Publikum des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erst recht nicht....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Kein Landesfüsrt des 18. Jahrhunderts hätte sich ernstlich dafür interessiert wenn sein Hofkomponist in seelischen oder realen Nöten steckte...


    Bei besonders musikliebenden Fürsten würde ich aber nicht eine solche Gleichgültigkeit erwarten. Gegen die Gleichgültigkeit gegenüber der realen Nöte sprechen ja vielleicht auch die hohen Einkünfte der Hofkomponisten.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Die Analyse auf Verarbeitung "persönlicher Konflikte" bzw "Lebensumstände" ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Kein Landesfürst des 18. Jahrhunderts hätte sich ernstlich dafür interessiert wenn sein Hofkomponist in seelischen oder realen Nöten steckte...


    Und das Publikum des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erst recht nicht....


    Nicht des 20., sondern 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo die Methode der psychologischen Analyse groß in Mode kam. Die Literatur psychologisiert, die Philosophie, einfach alle. Und auch schon früher gab es das. Die Epoche der Romantik war geradezu >geil< auf Biographisches - man denke nur an die Mythen von Dorothea Schlegel über Beethoven als das chaotische Genie. Diese Art biographischer bzw. besser pseudobiographischer Literatur hatte damals einen riesen Erfolg. Alma Mahler hat dann Dorothea Schlegel imitiert (geradezu abgeschrieben) und Ähnliches über Ernst Krenek verbreitet, daß er in einer Wüstenei leben würde, die Partituren auf dem Fußboden etc. etc. Das ist alles frei erfunden - literatische Stilisierung von Biographie. Im Gegenteil: Das 20. Jahrhundert ist eher kritisch solch >psychologistischen<, biographischen Denkansätzen gegenüber.


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    Dilthey , der 1991 gestorben ist, hat meines Wissens seine Lehre nicht auf die Musik hin durchdacht .


    Lieber Frank,


    wenn Du den Dilthey meinst, den ich meine - also Wilhelm, dann sind seine Lebensdaten: geboren 19.11.1833, gestorben 1.10.1911. Im Bd. XVI. der Ges. Schr. findet sich ein freilich nicht allzu ausführlicher, programmatischer Text über das >musikalische Verstehen<, wo er seine hermeneutische Methode auf die Musik anwendet. Da heißt es mit Blick auf die Instrumentalmusik, sie habe "in ihren höchsten Formen das Leben selbst zu ihrem Gegenstand." Da spricht der Lebensphilosoph Dilthey!


    Zu den anderen - natürlich sehr grundsätzlichen Fragen: Es kommt natürlich darauf an, mit welchen Ziel man sich mit einer Biographie beschäftigt. Will man über das Werk den Autor verstehen oder über den Autor das Werk? Beides ist ja möglich und wirft ganz eigene Fragen auf.


    Die Frage nach dem Agnostizismus, ob er das Hören von Musik beeinflußt. Hält man sich an Schleiermachers "Reden über die Religion", dann ist Religion "Anschauung des Universums", muß also nichts mit Gott zu tun haben. (Weil Schleiermacher Religion ohne Gott begründet, mußte die Schrift damals anonym erscheinen!) Auch die Kunst kann eine religiöse Erfahrung vermitteln in diesem Sinne. Der Heidegger-Schüler Wilhelm Weischedel nennt das die "ontologische Erfahrung", die kann ich haben bei dem Anblick des Meeres, des Blaus von Matisse o.ä.


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Das Bsp. Thomas Mann ist durchaus treffend. Auch hier wird gern anhand des Tods in Venedig auf dessen Homosexualität rückgeschlossen oder von den Buddenbrooks auf seine Biografie. Natürlich gibt es Übereinstimmungen, aber Thomas Mann ist nicht gleichzusetzen mit den Protagonisten seiner Romane. Es finden sich selbstverständlich Parallelen, aber deshalb keine Autobiografie. Wie soll man denn auch Charaktere wie Hans Castorp, Thomas Buddenbrook und Adrian Leverkühn in der Person Thoams Manns vereinen? Und welcher Thomas Mann wäre das? Der aus den Betrachtungen eines Unpolitischen oder der Autor von Deutschland und die Deutschen.
    Auch für die Musik gilt, dass sie sich mit der Person des Komponisten entwickelt, ohne dass dieser deshalb immer wieder am zuletzt Geschriebenen anknüpft.


    Du hast ganz recht, es wäre ziemlich platt und falsch zu sagen, der Held im "Tod in Venedig", Gustav von Aschenbach, sei der Homosexuelle Thomas Mann selbst. Bei Th. Mann werden die Ebenen so kunstvoll miteinander verwoben, daß sie ineinander aufgehen: die biographische, die mythologische, die philosophisch-ästhetische, die kulturhistorische und geschichtliche (der Name verdichtet die Züge von Gustav Mahler und von Ernst v. Lukacz). Vom Autor aus gesehen ist das eine geradezu perfekte Sublimierung, wo jemand seine persönliche Problematik in eine Künstlerproblematik transformiert, bzw. mit dieser Mehrdeutigkeit spielt - ein Versteckspiel der Person durch den Künstler Thomas Mann, seinen Helden usw., das Th. Mann sehr virtuos beherrscht.


    Was ist nun, wenn Bernstein sagt in bezug auf die 9. Mahler, er höre da die unregelmäßigen Herztöne heraus? Wenn man das positivistisch wörtlich nähme, wäre das wiederum platt und falsch. Das meint Berstein aber auch gar nicht, daß der "Gegenstand" dieser Symphonie Mahlers Herztöne sind, die Musik also Ausdruck des Herzleidens des Komponisten wäre. Das wäre natürlich absurd. Nein! Aber was sie ausdrückt, ist eine beunruhigende Labilität in den Rhythmen. Und diesen Sinn kann der Hinweis auf die unregelmäßigen Herztöne sehr wohl erschließen - es gibt keinen Grund, eine biographische Kenntnis zur Sinnverdeutlichung des Ausdrucksgehaltes des Werkes nicht zu verwenden, wenn man dabei Werk und Biographie auseinanderhält. Mahler selbst hat mal zu seinen Programmen gesagt, das seien Leitern, die man zunächst brauche, aber wenn man am Ziel ist, sie schließlich wegwerfen könne. So ähnlich ist es auch mit der Biographie.


    Beste Grüße
    Holger

  • Ich entschuldige mich natürlich für den Tippfehler bezüglich des Todesjahres von Wilhelm Dilthey .


    Aus dem Zusammenhang müsset aber für jemaden, der Wilhelm Dilthey richtig zuordnen kann , einleuchten , dass dieser 1911 verstorben ist .



    Das Aneinanderreihen vor zig nicht zusamenhängender Zitaten , lieber Holger , nähert sich meinen dann doch gedanklichen Überlegungen nicht .


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    Ich entschuldige mich natürlich für den Tippfehler bezüglich des Todesjahres von Wilhelm Dilthey .


    Macht ja nix, solche Dreher produziere ich als Vielschreiber ständig....


    Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    Das Aneinanderreihen vor zig nicht zusamenhängender Zitaten , lieber Holger , nähert sich meinen dann doch gedanklichen Überlegungen nicht .


    Das waren auch eine ganze Reihe von natürlich vielen Themen, die ich in der Kürze kaum beantworten kann. Bernd hatte deshalb ja einen extra Thread aufgemacht zum Thema Musik und Religion. Da hatte ich geantwortet - nur ist dieser Thread wohl in den Orkus gewandert! Da gehört auch die DB hin: Baut High-Tech ICEs mit Klimaanlagen, die nur bis 32 Grad arbeiten. Man kann ja auch einen Düsenjet mit Holzflügeln bauen! Wenn ich wieder in einem solchen ICE-Glutofen fahren muß, dann ist nichts mehr mit Lesen von Dilthey als Reiselektüre...


    Schöne gute Nacht Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Dr. Holger Kaletha
    Bernd hatte deshalb ja einen extra Thread aufgemacht zum Thema Musik und Religion. Da hatte ich geantwortet - nur ist dieser Thread wohl in den Orkus gewandert!


    Nein, Holger, erstaunlicherweise - oder auch nicht - gibt es den Thread noch:


    http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=12251


    Zitat

    Original von Dr. Holger Kaletha
    Da gehört auch die DB hin: Baut High-Tech ICEs mit Klimaanlagen, die nur bis 32 Grad arbeiten. Man kann ja auch einen Düsenjet mit Holzflügeln bauen! Wenn ich wieder in einem solchen ICE-Glutofen fahren muß, dann ist nichts mehr mit Lesen von Dilthey als Reiselektüre...


    Ist zwar OT: alle reden nur von diesen ICE. Ich habe - als Pendler - in den Nahverkehrszügen schon ganz anders geschwitzt.


    Viele Grüße, Bernd

  • Lieber Bernd , lieber Holger !


    Meine Überschrift ist sicherlich für Bahn wie Bundesregierung mit dem Exzellenzminister Ramsauer das Unwichtigste . Bildung ? Dilthey ( bei dem sogar seltsame Widersprüche über das todesjahr besgtehen sollen ) .



    Aber die Deutsche Bahn AG bietet doch viel mehr :


    (1) Die Regionalexpresse = RE sind zu Stosszeiten in den Ballungsgebieten zwischen Köln und Dortmund meist gefährlich überfüllt .


    (2) Dank der grossen Unpüntklichkeiten aller ICE - Generationen
    hat der Bahn"gast" immerhin die Chance , einem Hitzestau so lange zu entkommen bis er wohl meist freiwillig einsteigt .


    Gäste " behandelt " man allgemein anders .


    (3) Die BD hat bereits eine fachkundigste Antwort . So hat der R + V - Versicherungsarzt dringend davor gewarnt, Klimaanalgen zu weit runterzudrehen . Gefahr : Kreislaufversagen .
    Man solle erste inmal alle fenster im Auto zwecks Durchlüftung weit öffen .
    T i p p : Vor der nächsten ICE - Fahrt bitte dort einmal ausprobieren !


    Da laut dem besagten versicherungsarzt die Körperanpassungsfähigkeit von klimatisierten Räumen in nicht klimatisierte Aussenwelt ost zum kreislaufkollaps führen kann , so empgfehle ich dann etwa ab 1 stunde vor Erreiche des Zielbahnhofes erst einmal die " Bord - klinik " aufzusuchen . So viel Zeit und innere ruhe sollte der fahrgast schon haben .
    Die Bahn hat es ja auch nicht so eilig . Ab Herbst (!) werden Teile der ICE - " Flotte " untersucht .


    Nachtrag : Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Gebührenbeförderungssummen bald anzupassen . Na denn .


    Viele Grüsse


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    Nachtrag : Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Gebührenbeförderungssummen bald anzupassen . Na denn .


    Die nächste Preiserhöhung kommt bestimmt - Begründung: Im Dienste des leidenden Kunden. Klimaanlagen nicht bis 32, sondern 35 Grad. Bis 40 Grad nur, wenn die Bahncard Pflicht für alle Kunden wird, als Option! Aber nun Schluß mit der Satire! :stumm:


    Beste Grüße
    Holger

  • Lieber Holger ,


    wie heisst es doch bei Grabbe ?


    " Scherz , Satire und tiefere Bedeutung " .



    Ich lese , dass Du heute beschlossen hast , Mitglied des DB - Vostandes zu werden ( wegen des Börsengangs - nur . ) ., die wohl kaum jemand wirklich verstanden hat .


    Solltest Du einmal Zeit finden, so würden mich Deine Gedanken zu Gadamer schon sehr interesssieren .



    Dir ab jetzt wieder eine Rückkehr in die Welt der korrekten Zahlen und der letzten Auflage von Karl Jaspers' " Allgemeiner Psychopathologie " , die wohl kaum jemand verstanden hat .


    Dir einen erholsamen Abend !


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Um nochmal aufs Thema zu kommen.


    Mahler selbst sagte bekanntlich: "Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen."


    Das stützt für mich die These, dass Mahler in jeder seiner Symphonien eine Welt aufbauen wollte. Jede Symphonie ein eigenes Buch, jeder Satz ein Kapitel. Aber von einem Gesamtkunstwerk spüre ich in den Symphonien nichts.

  • Zitat

    Original von Travinius
    Um nochmal aufs Thema zu kommen.


    Mahler selbst sagte bekanntlich: "Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen."


    Das stützt für mich die These, dass Mahler in jeder seiner Symphonien eine Welt aufbauen wollte. Jede Symphonie ein eigenes Buch, jeder Satz ein Kapitel. Aber von einem Gesamtkunstwerk spüre ich in den Symphonien nichts.


    Hallo Travinius,


    das sehe ich im Prinzip auch so! Er sagt ja nicht, "die Welt", sondern "eine Welt", d.h. Welten im Plural sind gemeint. Jede Symphonie beschreibt immer eine andere Welt. Dazu paßt auch Mahlers Äußerung, er hätte nie mehr als eine Symphonie schreiben können, wenn sein Leben wie ein Wiesenbach glatt dahingeflossen wäre. Jede Symphonie entspricht also einer anderen, gewandelten Lebens- und Welterfahrung. Andererseits hat er selbst zwischen den Symphonien Enwicklungszusammenhänge hergestellt, etwa die 1. bis 4. Symphonie als eine Einheit betrachtet. Der Interpret darf natürlich fragen, von welchem "Lebens"-Buch die einzelnen Lebenskapitel Kapitel sind. Die Reihenfolge der Symphonien ist nicht völlig zufällig. Nach der 6. etwa hätte er keine 4. Symphonie mehr komponieren können. Das meint wohl Inbal: Wenn man Mahlers Leben als eine einheitliche Lebensgeschichte überschauend betrachtet, dann ergibt sich auch so etwas wie ein Sinnzusammenhang in der Folge der Symphonien. Das als "Gesamtkunstwerk" zu bezeichnen, ist freilich eine Übertreibung. Das würde Inbal aber glaube ich durchaus zugeben!


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    Solltest Du einmal Zeit finden, so würden mich Deine Gedanken zu Gadamer schon sehr interesssieren .


    Lieber Frank,


    darüber können wir gerne mal philosophieren. Im Moment bin ich - für meine Studenten - mit dem Thema "Wissenschaft und Lebenswelt" beschäftigt - mit Alfred Schütz "Strukturen der Lebenswelt" und Erwin Straus "Vom Sinn der Sinne", der Versuch, eine anticartesianische Psychologie zu entwickeln. Das Buch kennst Du bestimmt!


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat

    Original von Dr. Holger Kaletha
    .... Das als "Gesamtkunstwerk" zu bezeichnen, ist freilich eine Übertreibung. Das würde Inbal aber glaube ich durchaus zugeben!


    Hallo Holger,


    nochmals: der Begriff "Gesamtkunstwerk" stammt nicht von Inbal, sondern ist eine verunglückte Bezeichnung des von mir angesprochenen Sachverhaltes, ob es einen inneren Zusammenhang zwischen den Symphonien gibt. Ich ziehe ihn hiermit ausdrücklich und offiziell zurück !


    Es ist völlig klar - und das wollte ich auch nie behaupten - dass Mahler keineswegs von Beginn an die Symphonien als einen Zyklus angelegt hatte.



    Ich möchte aber noch ein anderes Thema aufgreifen, nämlich die These wagen, dass es in der Tonsprache Mahlers zwischen der 1. und der unvollendeten 10. Symphonie eigentlich keine Entwicklung gibt. Im Grunde, so würde ich mit meinem laienhaften Verständnis behaupten, stand Mahler schon in der 1. Symphonie das gesamte Repertoire an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Abgesehen von vielleicht marginalen Erweiterungen kamen keine wesentlich neuen Elemente mehr hinzu.


    Ich fühle mich ein wenig bestätigt durch ein Zitat von Jens Malte Fischer in seiner großen Mahler-Biographie. Er schreibt:


    Zitat


    " Würde jemand alle Mahler-Symphonien außer der ersten kennen und hörte er diese zum ersten Mal, müßte er nach einer Minute im Bilde sein, von wem diese eigenartige Musik stammt..."


    Ich bezweifle, dass man das von anderen Komponisten auch sagen kann.


    Viele Grüße, Bernd

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Bei besonders musikliebenden Fürsten würde ich aber nicht eine solche Gleichgültigkeit erwarten. Gegen die Gleichgültigkeit gegenüber der realen Nöte sprechen ja vielleicht auch die hohen Einkünfte der Hofkomponisten.


    Dass Musik Ausdruck "seelischer Nöte" ist, ist, sofern man nicht einen Zusammenhang mit Freudscher Psychologie verlangt, ganz gewiß keine Erfindung des späten 19. Jhds.
    Musik als Therapie für seelische Nöte findet sich bekanntlich im Alten Testament (David spielt Harfe für den launischen und trübsinnigen König Saul). Der Schritt dazu, dass der Ausdruck des Seelenzustandes mit einer solch therapeutischen Wirkung zusammenhängen könnte, ist ebenfalls nicht ganz neu.
    Dowlands Lied "In darkness let me dwell" beschreibt mehr oder minder einen depressiven Zustand und die Unfähigkeit der Musik, diesen zu lindern ("My music's hellish jarring sounds").
    Es gibt ein Clavierstück von CPE Bach, dass so ungefähr "CPE Bachs Empfindungen" heißt und man zitiert ja gemeinhin als einen Unterschied der Musik der "Empfindsamkeit" gegenüber dem Barock eine Passage bei CPE Bach, wo es über den Vortragenden eiens Musikstücks heißt, dass niemand rühren könne, der selbst nicht gerühret sei.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von zatopek


    nochmals: der Begriff "Gesamtkunstwerk" stammt nicht von Inbal, sondern ist eine verunglückte Bezeichnung des von mir angesprochenen Sachverhaltes, ob es einen inneren Zusammenhang zwischen den Symphonien gibt. Ich ziehe ihn hiermit ausdrücklich und offiziell zurück !


    Es ist völlig klar - und das wollte ich auch nie behaupten - dass Mahler keineswegs von Beginn an die Symphonien als einen Zyklus angelegt hatte.


    Hallo Bernd,


    Letzeres meint Inbal, und das hast Du durchaus nicht unzutreffend mit "Gesamtkunstwerk" gemeint: alle Symphonien bilden eine große Symphonie. Inbal sagt: "Für mich sind die Symphonien von Mahler eine Einheit, eine gigantische Symphonie mit elf Sätzen, besser noch ein einziger großer Roman mit elf Kapiteln, eben den zehn Symphonien und dem "Lied von der Erde". Alles in diesem Roman bezieht sich aufeinander, wir verständlich - und richtig interpretierbar - nur aus dem Kontext des Ganzen. So ist z.B. die 8. Symphonie nur im Zusammenhang mit der 9. und dem "Lied von der Erde" richtig zu verstehen..." Das mit der 8. stimmt, ich habe ja gerade die Aufführung in der Bielefelder Oetker-Halle erlebt. Die Bezüge zum "Lied von der Erde" sind überdeutlich. Das ist aus der Perspektive des Interpreten gesprochen, dem in der Tat zu raten ist, alle Syphonien zu kennen. Da gibt es mannigfache Bezüge. Aber auch klar ist natürlich, daß Mahler seine Symphonien als eine "Mammutsymphonie" nicht konzipiert hat.



    Sicher, Mahler hat "seine" unverwechselbare Sprache in der 1. gefunden - dem geht allerdings sein op. 1, das "Klagende Lied", voraus. Die These, daß Mahlers Symphonik keine Weiterentwicklung kennen würde, ist allerdings sehr gewagt. Da gibt es z.B. die Technik der "entwickelnden Variation" in der 9. und 10. etwa, über die verfügt er in der 1. noch nicht.


    Beste Grüße
    Holger

  • Ich halte "Das Klagende Lied" bereits für sehr charakteristisch, vielleicht noch origineller als die 1. Sinfonie, und typisch Mahler. (Damit ist auch die Mär vom komponierenden Kapellmeister widerlegt.)


    Das scheint mir allerdings keine so große Ausnahme zu sein, sondern für die Trios und Sonaten op.1 und 2 von Beethoven, für Schumanns ABEGG-Variationen oder Papillons oder für Brahms' frühe Klaviersonaten op.1,2,5 ebenso zu gelten. Die sind alle schon sehr typisch für ihre Urheber.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich halte "Das Klagende Lied" bereits für sehr charakteristisch, vielleicht noch origineller als die 1. Sinfonie, und typisch Mahler. (Damit ist auch die Mär vom komponierenden Kapellmeister widerlegt.)


    Hallo Johannes,


    so denke ich auch: "Das Klagende Lied" ist wirklich "mahlerischster" Mahler! :pfeif:


    Beste Grüße
    Holger

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