Parnasso in Festa - ein unbekannter Händel

  • Ein unbekannter Händel? Eine etwas irreführende Frage, die wirklich einen falschen Schluß zuläßt, der hier aber überhaupt nicht gemeint ist. Eines aber stimmt schon: Liebhaber der Musik Händels werden das Werk kennen, einer breiten Öffentlichkeit dürfte es jedoch völlig unbekannt sein; der Einstieg in die Werkgeschichte erklärt auch die Gründe. Diese Aufnahme habe ich heute sehr günstig erworben



    ...und kann sie ohne Einschränkung allen Händel-Freunden (die das Werk noch nicht besitzen) empfehlen. Das King's Consort mit seinem Chor bieten mit den hervorragenden Solisten in historischer Aufführungspraxis klangliche und spieltechnische Brillanz.


    Während Händel seinerzeit den im Libretto vorgesehen Chor aus den mitwirkenden Solisten rekrutierte, wird in dieser Aufnahme ein etwas größerer Chor eingesetzt.


    Hinsichtlich der Orchesterbesetzung impliziert der Einführungstext eine Angleichung an Händels Orchesterstärke, die in der Regel 24 Streicher, Oboen, Fagotte, zwei Cembali und Theorbe vorsah. Die Partitur von "Parnasso in Festa" weist allerdings auch noch Flöten, Blockflöten, Hörner, Trompeten und „timpani scordati“ (gedämpfte) Pauken aus. Die Hörner werden (lt. Einführungstext) als Verdoppelung der Trompeten, allerdings nach unten oktaviert, eingesetzt. Da die Quellen, so heißt es dort weiter, keine exakten Angaben über diese Einsätze machen, ist ein gewisses Maß an Spekulation erforderlich.


    Hier die Interpreten:


    PARNASSO IN FESTA
    per li sponsali di Teti e Peleo


    Apollo/Euterpe Diana Moore, Mezzosopran
    Clio Carolyn Sampson, Sopran
    Orfeo Lucy Crowe, Sopran
    Calliope Rebecca Outram, Sopran
    Clori Ruth Clegg, Alt
    Marte Peter Harvey, Baß


    Im Händel-Werke-Verzeichnis (HWV) hat dieses Opus die Nummer 73 erhalten und wird dort unter den Oratorien aufgeführt. Tatsächlich ist es aber mit „Serenata“bezeichnet.


    Der Anlaß für die Komposition war die Hochzeit von Prinzessin Anne mit dem Prinzen Wilhelm von Oranien. Aus dem gleichen Grund schuf Nicola Porpora im Auftrag der "Opera of the Nobility" das Oratorium "Davide e Berseaba". Ich möchte jedoch bezweifeln, daß diese Geschichte von Ehebruch, Mord und erzwungener Buße, von Paolo Rolli in ein Libretto gebracht, eine glückliche Wahl für eine Hochzeit war. Händels Serenata dagegen kam dem Geschmack des höfischen Publikums schon eher gelegen.


    Das "Daily Journal" kündigte in seiner Ausgabe vom 11. März 1734 Händels neueste „Unterhaltungsmusik“ an und beschrieb es als „einen Versuch über mehrere verschiedene Arten von Harmonie“. Es hatte zwar nur vier Aufführungen, sollte aber deshalb nicht als Reinfall gewertet werden, denn als Komposition für ein ganz spezifisches Ereignis war auch nicht mehr zu erwarten. Interessant ist aber, daß Händel "Parnasso in Festa" im März 1737 in Covent Garden, im November 1740 in Lincoln's Inn Fields und am 14. März 1741 am King's Theatre wieder aufgeführt hat. Das läßt einen Rückschluß auf seine eigene Einschätzung gegenüber diesem Werk zu. Ebenso interessant ist auch der Blick auf die letzte Aufführung vom 14. März 1741: Es war der 7. Hochzeitstag der Prinzessin Anne und Händel ließ die originalen Kulissen und Kostüme, die das Theater aufbewahrt hatte, zu dieser Gelegenheit wieder verwenden. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß "Parnasso in Festa" bei der Uraufführung nicht konzertant, sondern szenisch gegeben wurde.


    Das Königshaus besuchte die erste Aufführung am 13. März 1734 und am folgenden Tag fand die Trauung in der Queens Chapel des St. James Palace statt.


    König Georg II. hatte die umfangreiche Zeremonie selbst organisiert und für die kirchliche Feier noch Händels Anthem "This is the day which the Lord hath made" (HWV 262) ausgesucht. Die Sonderstellung Händels, sowohl im öffentlichen als auch im zeremoniellen Bereich, ist vielleicht der Tatsache geschuldet, daß die Prinzessin nicht nur seine Lieblingsschülerin, sondern auch seine treueste Anhängerin innerhalb der Königsfamilie war. Jacob Wilhelm Lustig, der Händel 1734 in London traf, berichtete, Händel habe die Prinzessin als „Blüte aller Prinzessinnen“ bezeichnet und angemerkt, daß ihn nichts dazu bringen könnte, Musikunterricht zu erteilen – mit eben einer Ausnahme: Prinzessin Anne.


    Wie üblich, wurde für das Publikum ein Textbuch gedruckt und dieses nennt als originalen Titel "Parnasso in festa, per li sponsali di Teti e Peleo". Der Librettist Händels ist übrigens bis heute anonym geblieben, auch wurden keine älteren Vorbilder für die Serenata gefunden; das gedruckte Textbuch von 1734 enthielt lediglich den Hinweis, daß „Mr. George Oldmixon“ das italienische Original „ins Englische übersetzt“ habe. Die heute übliche Bezeichnung "Il Parnasso in Festa" erscheint erstmals im Rahmen der von Friedrich Chrysander erstellten Händel-Gesamtausgabe und ist möglicherweise von ihm selbst erfunden worden.


    Das Werk ist das einzige Beispiel für eine "Sereanta teatrale" in Händels Schaffen; diese Sparte war in England äußerst selten, hatte sich aber im europäischen Raum als Musik für festliche Anlässe, wie königliche Hochzeiten, fest etabliert. Die Erwatung des hochgestellten Publikums ging nicht nur auf eine konzertante, abendfüllende, weltliche Unterhaltung hinaus, sondern mußte auch das spezifische Ereignis, das gefeiert wurde, textlich gebührend herausstellen.


    "Parnasso in Festa" ist auf Griechenlands mythischem Berg, in der Nähe von Delphi gelegen und von den alten Griechen mit Apollo assoziiert, angesiedelt. Apollo, der Gott der Künste, und die neun Musen, allesamt Kinder des großen Zeus, hatten auf diesem Berg ihre Heimstatt.


    In Händels Serenata treten drei dieser Musen, Kalliope, Klio und Euterpe, unter Anführung von Apollo und seinem Sohn Orpheus, sowie dem Gott des Krieges, Mars, auf. Sie begleiten die Jägerin Chloris zum Hochzeitsfest des sterblichen Königs Peleus (der einer der Argonauten des Jason war) mit der Meeresnymphe Thetis.


    Peleus hatte seine Braut gewonnen, indem er sie trotz ihrer heftigsten Verwandlungen auf dem Boden festhalten konnte. In der griechischen Mythologie stellte diese Heirat einen glückverheißenden Anlaß dar, denn Eris, die nicht eingeladene Göttin der Zwietracht, warf unter die Gäste jenen goldenen Apfel, der zu dem vom trojanischen Prinzen Paris beurteilten Wettstreit führte. Peleus und Thetis wurden später die Eltern des Achilles.


    Diese mythologische Hochzeit auf dem Parnassus war also eine durchaus attraktive Grundlage für Händel, dem Brautpaar, aber auch dem Publikum, beste Unterhaltung zu bieten. Außerdem war es für die Gäste nicht schwer, die Parallelen zwischen dem Jubel auf dem Parnass und dem aktuellen Hochzeitsjubel in London zu ziehen.


    Interessant ist aber, daß Händel den gesamten ersten Teil dieses Werkes der Geschichte von Apollos fehlgeschlagenem Versuch, die Nymphe Daphne zu verführen, widmete. Denn damit griff er ein Thema auf, daß er schon 24 Jahre zuvor in der Kantate "La terra è liberta, Apollo e Dafne" (HWV 122) musikalisch verarbeitet hatte. Wahrscheinlich war diese frühe Komposition in Venedig begonnen, aber erst in Hannover zu Ende gebracht worden; dort hatte Händel nämlich als Kapellmeister des Kurfürsten sein Amt angetreten. Eine Aufführung vor dem kurfürstlichen Hof damals könnte somit der erste Beitrag zum musikalischen Leben der jetzigen englischen Königsfamilie gewesen sein. Und die nunmehr durch "Parnasso in Festa" geehrte Braut war bei der Kantatenaufführung 1710 sogar schon geboren - allerdings erst wenige Monate alt.


    Wie es Händel bei vielen seiner Werke gehalten hat, so hat er auch bei dieser Serenata einen großen Teil früher komponierter Musik entnommen: Das meiste wurde aus dem Oratorium "Athalia" adaptiert, das 1733 in Oxford uraufgeführt worden war, bis dahin jedoch noch nicht in London. Händel konnte also davon ausgehen, dem Publikum Musik zu bieten, die ihm unbekannt war.


    Im Einführungstext der bei Hyperion erschienenen Aufnahme vertritt David Vickers die Auffassung, daß Prinzessin Anne den Wunsch geäußert haben könnte, etwas von der Musik aus "Athalia" zu hören, bevor sie England verließ, um sich mit ihrem Gatten in ihrer neuen niederländischen Heimat anzusiedeln. Ohne diese Spekulation bewerten zu wollen, muß man sagen, daß "Athalia" zur Feier einer königlichen Hochzeit ebenso ungeeignet war, wie das schon genannte Werk von Porpora. Das Libretto des Oratoriums stellt uns eine usurpierende und tyrannische Monarchin vor ihrem Sturz vor, und war von daher keine geeignete Wahl für eine hannoveranische Hochzeit in England. Musik aus dem Oratorium für die Serenata zu verwenden und damit der Prinzessin etwas aus dem älteren Werk zu Gehör zu bringen, war dagegen für Händel durchaus ein Argument für eine „Zweitverwertung“.


    Die Handlung


    Im ersten Teil stellt Klio die Bewohner des Parnassus vor, die an den Hochzeitsfeierlichkeiten von Peleus und Thetis teilnehmen.


    Apollo bittet die Musen, „das heilige Feuer der Liebe zu besingen“ und der Chor antwortet, daß vom Himmel inspirierte Musik allen Leben verleiht, die sie hören.


    Orpheus besingt eine „himmlische Flamme“, die die eigene Brust anregt, „von edler Liebe zu singen“. Darauf betet Apollo zu Jupiter, Segen über die Welt zu streuen. Der Chor wirft bestätigend ein, daß alle Herden, Früchte, Blumen Geschenk von Jupiter sind.


    Klio erinnert sich an die Geschichte von Apollo und Daphne, an die sich auch Apollo liebevoll erinnern kann; sie weist ihn aber darauf hin, daß Daphne ihn abgelehnt und sich in einen Lorbeerbaum verwandelt habe, um ihm zu entkommen. Apollo wechselt schnell das Thema und fordert alle zum Lobe des Bacchus auf. Da kann Gott Mars nicht widerstehen: Aus voller Kehle lobt er den Göttertrank, der allen Sterblichen hilft, Stürme zu überwinden. Apollo lädt dann alle ein, mit Lied und Tanz dem Bacchus zu huldigen.


    Klio teilt, beschwipst, mit, sie fühle Bacchus' „Einfluß in meiner Brust, ich bin froh, inspiriert und zufrieden“. Orpheus und seine Mutter Kalliope stimmen mit dem Chor in den Freudentaumel ein.


    Im zweiten Teil fühlt Kalliope ein "Feuer in der Brust, von Orpheus und seiner himmlischen Leier zu singen“. Ein Trio, die Jägerin Chloris, Klio und Euterpe, drückt seine Bewunderung für Orpheus aus: „Der die düsteren Mächte der Hölle bezaubern und ihre Herzen berühren kann, wird auch unsere anrühren“.


    Apollo versucht, Orpheus zu überreden, seine Trauer zu vergessen; Klio merkt an, Orpheus' Gesang könne die Natur zum Schweigen bringen und die Vögel ihren Gesang vergessen lassen, aber Chloris beschwert sich darüber, daß in Apollos Palast nie andere Klänge als besänftigende Töne zu hören sind. Dazu liefert der Chor die Musik, die Chloris bevorzugt und bemerkt, daß ein glorreicher Jäger „nie die quälende Wunde der Liebe fühlt“. Chloris beschreibt ihr „Schweifen durch die Wälder“, bei dem sie „das Wild verfolgt, bei dem das Herz immer frei ist und sie keine Furcht vor den Gefahren der Liebesfallen“ habe.


    Kalliope ignoriert diese Bemerkungen über eine erfolgreiche Jagd und fragt Orpheus, warum er seine Augen zurück gewandt habe, als er mit Euridice aus der Unterwelt kam. In der folgenden Arie beschreibt sie, daß er immer noch von Furien gequält werde, seit er Euridice verloren hat. In dem anschließenden Accompagnato, dem einzigen in dieser Serenata, wünscht sich Orpheus, diese „traurige Erinnerung“ zu vergessen und klagt, daß er auch im Elysium keine Freude finden könne. Seine anschließende Arie beklagt, daß sein „Himmel nie mehr heiter“ sein werde und er bittet alle um Mitleid. Apollo tröstet sein Sohn und Klio sagt ihm, daß „Ruhm und Ehre“ ihm zustehen würden.


    Alle weisen dann darauf hin, daß das königliche Paar Peleus und Thetis die Erde mit einer Größe segnen würde, die Orpheus' Macht gleich käme.


    Auf Apollos Geheiß blasen die Tritonen zum glorreichen Hochzeitstag von Peleus und Thetis. Händel setzt anstelle der Trompeten die Hörner ein – womöglich, weil das Libretto auf Instrumente hinweist, die wie Muscheln aussehen.


    Der dritte Teil widmet sich dem Jubel über das Hochzeitspaar: Eine Sinfonia kündigt die Ankunft von Mars an, der den Nachkommen der Götter Tribut zollt und ihnen die „zukünftige Glorie“ erklärt. Der Chor stimmt ein und verkündet, welchen Ruhm die Ehre und Liebe des königlichen Paares bringt. Dabei geht die Musik direkt in Mars' Segnung über „die Tugend“, die „immer der Gefährte“ des Paares sein soll, über.

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    MUSIKWANDERER