Otello - Konzerthaus Dortmund, 06.10.2010

  • Leider habe ich den nächsten Tagen wenig Zeit zum schreiben, da ich viele Termine habe, darunter noch zwei Opernaufführungen. Trotzdem möchte ich hier ganz kurz von der konzertanten Aufführung von Verdis Otello in Dortmund berichten. Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Es war wohl mit einer der schönsten Aufführungen, die ich bislang jemals gesehen habe, eine Sternstunde der Oper.
    Hauptverantwortliche dafür: Krassimira Stoyanova, deren Leistung ich nur mit Superlativen umschreiben kann. Ihr ausgeglichener Sopran, erfüllt mit natürlichem, beseeltem Zauber, ihr makelosen Piano, ihr Ausdruck - all das kann man nur mit perfekt betiteln. An diesem Abend hat sie ihren inoffiziellen Ruf als derzeit beste Desdemona untermauert.
    Daneben glänzte Franco Vassallo als Jago mit dunklem Timbre, kraftvollen Spitzentönen und agiler Stimme. Er befreite Jago von dem Brunnenvergifter-Klischee, schmeichelte sich fast nüchtern im Ausdruck bei Otello ein, lief dann im Credo zu diabolischer Bosheit auf. Gerade auch die Dialoge mit Otello gelangen ausgezeichnet, weil beide für jedes Wort den richtigen Klang, die richtige Betonung hatten (ohne dabei affektiert zu wirken). Einspringer Franco Farina war sicherlich kein Otello der Heldenklasse, manch hoher Ton war scharf an der Grenze, auf der Hälfe des zweiten Aktes klang er matt. Doch er fing sich spätestens wieder zum Racheduett und begeisterte ohnehin den ganzen Abend über mit einer differenzierten Gestaltung. Keine Kraftmeierei machte diesen Otello aus, sondern eine Gestaltung aus dem Piano heraus, die seine Wutausbrüche viel wirkungsvoller machten.
    So kam er auch der Interpretation von Daniel Harding und dem grandiosem Mahler Chamber Orchester sehr nahe. Ich hatte eigentlich erwartet, dass Harding den Otello viel schneller dirigieren würde. Statt dessen nahm Harding eher moderate Tempi, setzte die Partitur nur selten unter Dampf. Sein Otello war ein Thriller, der aus der leisen Detailarbeit entstand. Den ganzen Abend über stand das Orchester unter Strom, wusste genau wann es den Wirbel ins Forte wagen konnte. Das war nicht nur Sängerfreundlich (ich saß in der letzten reihe im Parkett und verstand jedes Wort) sondern zudem äußert spannend. Die düsteren Melodien, die Abgründe der Seele klangen wiederum ganz anders als die großen marzialsichen Tableaus im dritten Akt.
    Der gut disponierte WDR Rundfunkchor Köln sowie der Mädchenchor der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund (Einstudierung Zeljo Davutovic und David Marlow) konnte mit der hervorragenden Leistung der anderen Solisten mithalten, was auch wieder eine Stärke der Aufführung war: Selten habe ich ein so homogenes Ensemble im Otello erlebt, wo man jede auf den Punkt besetzt hatte: Giovanni Guagliardo und Stanislav Shvets veredelten die kleinen Rollen Montano und Lodovico. Emanuele Giannino (Rodrigo) und die junge Christine Daletska (Emilia) verkörperten ihre kleinen Rollen mit großem Eifer, nutzten ihre wenigen stichwortartigen Einsätze, um sich größtmöglich zu profilieren. Als Cassio lies Alexey Dolgov mit angenehmem Timbre der gesund und voll klingenden Stimme aufhorchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Tenor über den Cassio den internationalen Durchbruch schafft (siehe Jonas Kaufmann in Chicago).
    Dass ich an diesem Ereignis teilhaben konnte, war sicherlich auch der Verdienst vom Tamino-Klassikforum :) Denn erst hier bin ich auf diese Aufführung aufmerksam geworden, als die Umbesetzung mit Krassimira Stoyanova bekannt gegeben wurde.

  • Hallo, ich gebe Dir mit der Desdemona von Frau Stoyanova recht. Ich habe sie bei ihrer Ersten Desdemona in Barcelona gehört. Deshalb kann ich Deine Eindrücke nur bestätigen.
    Bei unserem Othello hier an der DOB sang Frau Harteros, kein Vergleich: Stoyanova ist für mich um Längen besser!


    Rita

  • Lieber WotanCB,


    herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Von Krassimira Stoyanova habe ich auch nichts anderes erwartet. Ich kenne ihre Desdemona von der DVD mit Cura.


    Liebe Grüße


    Jolanthe

  • Lieber WotanCB,


    ich stimme Dir in allen Punkten zu. Ich habe den konzertanten Otello genau so empfunden wie Du, und war absolut begeistert. Ich habe jedoch vorne im Parkett in der 4. Reihe gesessen.
    Franco Vasallo habe ich bereits in der Lucrezia Borgia im Konzerthaus Dortmund gehört und auf einer Maskenball DVD als Renato. Er hat mich jeweils sehr begeistert. Für mich war der die eigentliche "Hauptfigur" in dieser Aufführung. Auch Krassimira Stoyanova war beeidruckend als Desdemona.
    Für eine konzertante Aufführung wurde doch recht viel geschauspielert - und das hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn es kein Bühnenbild gab, stand diese Aufführung einer inszenierten Oper in nichts nach.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Marnie: Warst du denn auch in der Pause unten? Wie in einem anderen Thread geschrieben habe ich in der Pause unten vor dem CD-Shop gewartet, aber keinen von den taminos erkannt oder getroffen.

  • Wir - meine Frau und ich - waren ebenfalls in Dortmund und wir können den Eindruck, den Wotan oben vermittelt hat nur bestätigen.


    Selten habe ich eine Aufführung erlebt, in der ALLE Sänger so gróßartig waren. Das "Sahnehäubchen" war für mich natürlich Krassimira Stoyanova, die ich zum ersten Mal "live" erleben konnte. Ein Chorsänger des WDR-Chors, mit dem ich nach der Vorstellung sprach, sagte über ihren Gesang nur "makellos" - dem ist nichts hinzuzuführen ! Aber auch der Einspringer-Otello war wunderbar, ich habe Ben Heppner nicht sonderlich vermisst.

  • WotanCB:
    Ich war in der Pause kurz unten am CD-Shop. Ich habe aber niemanden erkannt. Und ich habe ja eigentlich auch ein Cello hier als Avatar und kein Foto ...
    (Was ich übrigens auch noch nicht hier wieder einstellen konnte.)

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Marnie: Warst du alleine da und bist dann eine Seitentreppe hochgegangen, hast durch eine Tür geschaut, wieder rausgekommen und dann weiter nach oben? Der Mann, der hinter dir pfeifend die Treppe raufkam, das wäre dann ich gewesen.

  • WotanCB:
    Gute Frage. Ja, ich war alleine da. Ich kam direkt aus Frankfurt, wo ich den Tag beruflich verbracht htte. Ich hätte es um ein Haar auch nicht mehr pünktlich nach Dortmund geschafft. Ich bin erst um Punkt halb acht reingekommen.
    Ich war in der Pause kurz unten in dem Opernshop, habe aber niemanden erkannt. Dann bin ich wieder raus gegangen, an der Bar unten vorbei und die linke Seitentreppe hochgegangen. An eine Türe kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an jemanden, der gepfiffen hätte :huh: Ich weiß es also leider nicht.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Vielen Dank für deine ausführliche Kritik, Wotan. Dass dich Stoyanova so begeistert hat, verwundert mich nicht. Als Desdemona ist sie wahrlich eine Klasse für sich, genauso wie als Boccanegra-Amelia, Mimi oder Antonia.
    War das dein erstes Live-Erlebnis mit ihr?


    Wir haben auch einen eigenen thread über sie:


    Krassimira Stoyanova


    Gregor

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  • Ja, live hörte ich sie zum ersten Mal. Eventuell werden wir 2012 nach Wien kommen, um sie in ihrer Debüt-Phase als Elisabeth in "Don Carlos" zu erleben.

  • Lieber Wotan,


    Deine ausführliche Kritik macht sehr neugierig auf diese Besetzung. France Musique hat - in wohl weitgehend identischer Besetzung eien Vorstellung vom 09.10.10 übertragen (Unterschied: Anja Harteros singt Desdemona), die inzwischen im Netz zu finden ist.


    Krassimira Stoyanova konnte ich vor wenigen Jahren als Desdemona in einer Übertragung aus der Wiener Staatsoper erleben - wirklich großartig!


    LG, Elisabeth

  • Ich war auch sehr von der Aufführung begeistert. Das war wieder mal das beste Beispiel, das man keine Inszenierung braucht um gutes Musiktheater zu machen. Es war das erste Mal das ich Frau Stoyanova live erleben durfte. Sie ist eine der wenige Sängerinnen die es geschafft hat, ohne Medien und Pressehyp sich an die Spitze zu singen. Sehr angenehm fand ich auch die Minutenlange Stille nach dem Schlussakkord.

  • ja rodolfo - dass hat mir auch besonders gut gefallen, endlich mal ein Publikum, dass nicht sofort nach dem letzten Ton losgebrüllt hat.


    Leider findet man das ja nur noch selten, selbst in Bayreuth hat man immer das Gefühl, die Leute warten förmlich darauf, ihre Meinung zu verkünden !

  • Und offensichtlich sind wir uns alle einig, dass es eine großartige Aufführung war.
    Das ist doch schon mal was! :hello:

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Übrigens sendet WDR 3 am 21. November um 20.05 einen Otello, der am 9. Oktober 2010 in Paris aufgenommen wurde, mit folgender Besetzung:


    Othello – Franco Farina
    Desdemona- Anja Harteros
    Jago - Franco Vassallo
    Cassio - Alexey Dolgov
    Emilia - Christina Daletska
    Rodrigo - Emanuele Giannino
    Lodovico - Stanislav Shvets
    Montano/Herold - Giovanni Guagliardo


    Sicher besonders interessant für diejenigen, die im Konzerthaus Dortmund waren.


    :hello:


    Jolanthe

  • Hallo Jolanthe,


    ja, das freut mich wirklich sehr, denn mir hat gerade Franco Vasallo außerordentlich gut als Jago gefallen. Der Othello wird auf jeden Fall aufgenommen!
    Vielen Dank für den Hinweis!


    Und hier singt Anja Harteros, die ich ja eigentlich in Dortmund hören wollte (wobei Krassimira Stoyanova, die an dem Abend gesungen hat ganz hervorragend).

    Viele Grüße,


    Marnie