Fortschritt im Kunstlied ? Potz -Blitz

  • In einem anderen Thread, nämlich jenem, wo es um die Nomionierung von Leiblingskomponisten - ausgenommen Schubert - geht schrieb. Helmut Hofmann





    Ja, mir auch, nur habe ich das Thema in einen eigenen Thread gepackt, weil man das Thema hier viel konzentrierter behandeln kann - ohne nämlich den Voting Thread umzufunktionieren.


    Das Thema "Fortschritt in der klassischen Musik ist ja generell ein interessantes - aber hier wollen wir beim Kunstlied und seinen vermeintlichen oder tatscächlichen Fortschritten bleiben. Wir könne nach den Wurzeln suchen, nach dem Ursinn des Liedes, wie es sich wandelte - und ob es inder Tat so etwas gegben hat, das man als Fortschritt bezeichnen könnte.





    Was unterwscheidet ein Liebeslied aus dem 15. Jahrhundert von einem , das Schubert vertont hat ? Aber es gab ja nicht nur Liebeslieder, sondern etliche Emotionen wurden ausgedrückt, die Natur wurde besungen, die Sonne, der Mond, - über 600 Jahre reichen die uns bekannten Lieder zurück.........


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Jetzt bin ich etwas unsicher mit dem Begriff des 'Fortschritts'.


    Das Kunstlied ist in die Musikgeschichte eingebettet, und die jeweils geltenden Tonsatzgepflogenheiten spiegeln sich doch im Lied wieder. Ein Strauss-Lied nutzt die Palette der Straussschen Tonsprache, Schubert steht in der Tradition der Romantik.


    Und mitunter suchen Komponisten ja auch bewusst neue Ausdrucksmittel. Aufgrund der Begleitung werdet Ihr mir das Werk vielleicht um die Ohren hauen, aber: Pierrot Lunaire von Schönberg. Das war doch wirklich mal was Neues.


    Oder die Textwahl: Partnerschaftsannoncen oder Werbetexte zu vertonen ist doch auch etwas Neues.


    Ist Euch das schon Fortschritt? Wenn nein, was dann?

  • Zitat

    Oder die Textwahl: Partnerschaftsannoncen oder Werbetexte zu vertonen ist doch auch etwas Neues.
    Ist Euch das schon Fortschritt? Wenn nein, was dann?



    OH - da fiele mir einiges ein:


    GESCHMACKLOSIGKEIT
    DUMMHEIT
    EINFALLSLOSIGKEIT


    Fortschritt ist es mit Sicherheit NICHT.


    Wenn jemand in der Malerei blauen Hundekot malt, und hypothetisch davon ausgehen, dies wäre das erste Mal in der Geschichte der Malerei - so würde ich mich doch dagegen sträuben dies als "FortschritT einzustufen.


    Persönlich würde ich in der Kunst generell ablehnen von "Fortschritt" zu sprechen - allenfalls von Moden. Ist Picasso gegenüber Rembrandt ein Fortschritt ? Nein- natürlich nicht - Im Gegenteil


    Aber bleiben wir beim Kunstlied.


    Ein Schubertlied steht den meisten von uns heute näher als ein Mozartlied. Meiner Meinung nach ist es aber nur der Zeitgeist der Romantik, der weniger naiv ist, als jener des Rokoko.


    Welche Lieder heutzutage in der Tat als "zeitgemäß" oder "zeitkompatibel" gesehen werden, das kann ich momentan an dieser Stelle nicht beantworten.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Fortschritt ist natürlich im Zusammenhang mit Kunst nicht im Sinne der Verbesserung gemeint - jedenfalls schon lange nicht mehr, zu Mozarts Zeiten glaubte man noch, die Musik sei bis zur damaligen Gegenwart immer besser geworden (heute liest sich der musikgeschichtliche Exkurs in Leopold Mozarts Violinschule recht amüsant) - dann kam das Geniezeitalter, in dem vor allem Beethoven so unantastbar war, dass eine Verbesserung wohl kaum mehr in Betracht gezogen wurde, dann wurden ausgehend von Bach auch einige Komponisten vor der Wiener Klassik in die erste Reihe geholt, sodass heute die Vorstellung einer Verbesserung der (europäischen) Musik ziemlich ausgestorben ist.


    Da man den Fortschrittsbegriff trotzdem manchmal verwendet, kann es sich also nur um Veränderung handeln und so gehören etwa Arcangelo Corelli, Joseph Haydn, Arnold Schönberg oder John Cage zu den fortschrittlichsten Komponisten unserer Musikgeschichte. Im Bereich des Liedes wahrscheinlich u.a. Carl Philipp Emanuel Bach, Franz Schubert und ebenfalls Arnold Schönberg, zwischen Schubert und Schönberg z.B. Hugo Wolf und Henri Duparc

  • Warum sollte es hier weniger "Fortschritt" geben als auf anderen Gebieten der Musik?


    Als "Errungenschaften" würde ich z.B. nennen:


    Zyklusbildung:
    Beethovens "An die ferne Geliebte" ist schon so integriert, dass man die Lieder kaum sinnvoll einzeln darbieten könnte. Auf die Spitze getrieben hat das dann Schumann in der Dichterliebe. Zwischendurch gibt es die nicht ganz so eng zusammenhängenden, aber umfangreicheren Zyklen Schuberts, die "eine Geschichte erzählen." Eine Integration in einen Zyklus rückt die kleine Form Lied näher an traditionell gewichtigere wie Sonate, Kantate usw. (Und Schumann überträgt dieses Vorgehen vom Lied auf das Klavierstück)


    Breite des emotionalen und formalen Spektrums: man nehme Schuberts "Doppelgänger" als extremes Beispiel für beides, verglichen mit einem simplen Strophenlied. Bei Wolf hat man Lieder in die Nähe wagnersch-musikdramatischer Szenen gerückt.


    "Emanzipation" der Begleitung: ebenfalls schon Schubert, verstärkt noch bei Schumann, extrem am Ende der Dichterliebe mit ihrem minutenlangen Nachspiel.


    Schumanns Äußerung ist, wenn man das Lied zwischen Beethovens und seiner Zeit mit der Sinfonie oder dem Streichquartett vergleicht, m.E. sehr plausibel. Ähnlich wie bei der Sinfonie vor ca. 1780 kann man wohl vetreten, dass das Klavierlied als Gattung vor Schubert sein Potential nicht annähernd realisiert hatte.


    (Und ebensowenig wie die Sinfonei nach Haydn oder Beethoven aufhört, sich weiterzuentwickeln, hat das das Klavierlied getan.)



    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Da bin ich - unabhängig von meiner eigenenen geschmacklichen Vorliebe, die damit auch nicht notwendig konform geht - doch anderer Meinung. Denn auch mit diesen Texten kann ich etwas aussagen.
    Werbetexte sind alltägliche, moderne Alltagslyrik - kann man sagen (nochmal: ich bin hier Advocatus Diaboli - mir ist Heine auch allemal lieber!). Oder Partnerschaftsannoncen zeigen das nüchtern verklausulierte Sehnen nach einer (noch) unbekannten Geliebten, nach Partnerschaft, Familie und Geborgenheit. Könnte man sagen.
    Und wenn man erkennt, dass man im Alltag Texte findet, die man einer Vertonung für würdig erachtet, dann ist man fortschrittlich. Das muss mir nicht gefallen (in den konkreten Fällen tut es das auch nicht), aber ich halte es dennoch für Fortschrittlich.
    Oder man interpretiert die Komponisten so: egal, was ich für Texte nehme, ich mache aus allem ein Kunstlied. Das führt die komplizierte Textauswahl früherer Generationen ad absurdum und kann als Protest verstanden werden.
    Ich möchte mich nicht auf eine der Interpretationen festlegen, die waren nur hypothetisch und beispielhaft gedacht, aber zeigen, wie man das eben doch als Fortschritt verstehen kann.


    Geschmacklos gefällt mir in dem Zusammenhang nicht (s.u.)


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Aber bleiben wir beim Kunstlied.


    Ein Schubertlied steht den meisten von uns heute näher, als ein Mozartlied. Meiner Meinung ist es aber nur der Zeitgeist der Romantik, der weniger naiv ist, als jener des Rokoko.


    Welche Lieder heutzutage in der Tat als "zeitgemäß" oder "zeitkompatibel" gesehen werden, das kann ich momentan an dieser Stelle nicht beantworten.


    Dem Zeitgeist, also dem Gechmack der Zeit, entsprechend, ist demnach also geschmackvoll.
    Dann ist geschmacklos etwas, das neben dem Zeitgeist und dem allgemeinen Geschmack steht oder ihm vorauseilt. Kunst hat auch einen Erziehungsauftrag, und dem folgend muss sie sich auch über den Zeitgeschmack erheben dürfen.


    Kunst darf geschmacklos sein, das ist meine Meinung.


    Was glaubst Du wohl, was hätte ein Bach über Eichendorff-Texte gesagt? Vielleicht hätte er das Lied von der Erde für absolut geschmacklos gehalten?


    Geschmacklos ist kein synonym für fortschrittlich, aber fortschrittlich impliziert oft geschmacklos im Sinne des Zeitgeschmacks.




    __________________

  • Zitat

    Original von Travinius
    Und wenn man erkennt, dass man im Alltag Texte findet, die man einer Vertonung für würdig erachtet, dann ist man fortschrittlich.[...]
    Oder man interpretiert die Komponisten so: egal, was ich für Texte nehme, ich mache aus allem ein Kunstlied. Das führt die komplizierte Textauswahl früherer Generationen ad absurdum und kann als Protest verstanden werden.


    Das älteste mir (leider nur sehr flüchtig) bekannte Beispiel sind die 4 Zeitungs-Annoncen op. 24 von Mossolow aus dem Jahre 1926. Damals war die Wahl sicher fortschrittlich und recht zeitgeist-kompatibel (heute wäre es das weniger).


    http://www.amazon.com/Alexander-Mossolov...80231278&sr=8-1


    Oft gehört habe ich Kagels "Den 24.XII.1931" mit dem Untertitel "Verstümmelte Nachrichten" aus dem Jahr 1992, wo er Zeitungsinhalte, die am Tage seiner Geburt ebenfalls das Licht der Welt erblickten, vertonte, unter anderem die Zigarettenwerbung "Der Nationalsozialist raucht nur PAROLE".

  • Ich wollte das nur als Beispiel verstanden wissen, um die Konkreten Umsetzungen ging es mir jetzt weniger. Es ging mir nur um das Verhältnis Zeitgeschmack - Gechmackvoll zu Fortschritt - Geschmacklos.

  • Liebe Taminos,
    Ihr kennt sicher alle die Ikonografie des biologischen Fortschritts.
    Diese populäre Darstellung der Evolution des aufrechten Gangs kann den falschen Eindruck vermitteln, Evolution sei ein gerichteter Verbesserungsprozess.


    Bei den Liedkompositionen ist das genau so ...


    Bezogen auf Schubert halte ich natürlich Hugo Wolf und Richard Strauss für moderner, aber wohl nur weil ich um die geschichtlichen Abläufe weiß ...

  • Bei einem Erzromantiker wie Schumann ist eigentlich nicht zu vermuten, dass er unter "Fortschritt" eine Optimierung meint im Sinne der Aufklärung, was wir Philosophen eine "Fortschrittsteleologie" nennen. Die Romantiker haben dieses teleologische Fortschrittsdenken bekanntlich leidenschaftlich abgelehnt. In "Fortschritt" steckt "fortschreiten". Schumann meinte wohl einfach, dass das Kunstlied nach Beethoven eine nicht unerhebliche Entwicklung durchgemacht hat - wogegen andere Kunst- bzw. Form-Gattungen die geblieben sind, die sie waren, so dass sie als Ausdrucksformen für den veränderten und sich immer wieder verändernden Zeitgeist weniger geeignet erscheinen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich gebe gerne zu, dass das Wort "Fortschritt" nicht ganz treffend ist. Nach dem Stand, den Schubert bei seinen Liedkompositionen erreicht hatte, ist klar, dass jeder Weiterentwicklung einiger Parameter (z. B. Länge und Gewicht des Klaviernachspiels bei Schumann) zu Verlusten bei anderen Parametern führt (z. B. Konzentration im zeitlichen Verlauf, Verhältnis Zeit/Inhalt).


    Statt "Fortschritt" wäre also "Fortentwicklung" spätestens ab Schubert, wenn nicht schon ab Beethovens "An die ferne Geliebte" der richtigere Begriff.

  • Wieso "spätestens ab"?


    Wenn wir die Chansons von Josquin zulassen, gibt es seit dem 16. Jahrhundert sicher keine Verbesserung des Liedes.


    Man kann dann z.B. den Fortfall der Polyphonie ab Dowland beklagen. Du schriebst ja, dass Weiterentwicklungen einiger Parameter zu Verlusten bei anderen Parametern führen. So ist es. Auch schon vor Beethoven.



    z.B. Je ne me puis tenir d'aimer


    THREADRESTAURIERUNG !! bitte nur nach Aufruf antworten !!!
    BITTE NUR der User JOHANNES ROEHL möge einen leeren Beitrag (ein Wort ist notwendig, da sonst nicht abspeicherbar) an diesen Beitrag hängen

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Wieso "spätestens ab"?


    Wenn wir die Chansons von Josquin zulassen, gibt es seit dem 16. Jahrhundert sicher keine Verbesserung des Liedes.


    Man kann dann z.B. den Fortfall der Polyphonie ab Dowland beklagen. Du schriebst ja, dass Weiterentwicklungen einiger Parameter zu Verlusten bei anderen Parametern führen. So ist es. Auch schon vor Beethoven.



    Es gibt aber meines Wissens keine kontinuierliche Entwicklung von Virelais oder Chansons des Mittelalters oder Lautenliedern der Renaissance bis zu Beethoven oder Schubert. Das klavierbegleitete Lied beginnt eben erst irgendwann in der 2. Hälfte des 18. Jhds. und dann folgt eine Entwicklung bis in die jüngste Vergangenheit.


    Wie dem auch sei, fasst man gewöhlich die "Lieder" vorheriger Zeiten nicht unter "Kunstlied". "Lied" gibt es ja auch als Fremdwort im Englischen, das bezeichnet meines Wissens nur das Kunstlied ab Klassik/Romantik, keine "Lute Songs" oder Barocklieder...


    Es stimmt übrigens m.E. auch nicht, dass etwas die Entwicklung bei Schumann zu "Verlusten" wie "Konzentration im zeitlichen Verlauf" führt. Im Gegenteil sind viele von dessen Liedern wesentlich knapper und konzentrierter als Schuberts, was vielleicht nur funktioniert, weil sie enger in Zyklen eingebunden sind. (In "An die ferne Geliebte" findet man das auch schon.)



    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das klavierbegleitete Lied beginnt eben erst irgendwann in der 2. Hälfte des 18. Jhds. und dann folgt eine Entwicklung bis in die jüngste Vergangenheit.


    Wie dem auch sei, fasst man gewöhlich die "Lieder" vorheriger Zeiten nicht unter "Kunstlied". "Lied" gibt es ja auch als Fremdwort im Englischen, das bezeichnet meines Wissens nur das Kunstlied ab Klassik/Romantik, keine "Lute Songs" oder Barocklieder...


    Ich werde mal in meinen Lexika nachsehen ...


    Wikipedia sagt:


    Zitat

    Als Kunstlied wird eine Gattung des Liedes bezeichnet, die sich Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte.


    Keine Ahnung wo die das her haben. Womit dann wohl das einstimmige Lied mit Instrumentalbegleitung gemeint ist.
    Interessant wäre natürlich auch, wann der Begriff Kunstlied aufkam. Gegen welche Art von Lied wollte man da abgrenzen?


    Aber mir ist schon klar, dass weder Wolfram noch Helmut Hofmann an Josquin gedacht haben.


  • Dem "Volkslied" ist wiederum ein eigener Artikel gewidmet.

  • Ich hatte ganz bewusst das Schumann-Zitat in meinen Beitrag eingeflochten, weil aus meiner Sicht dort der Ansatzpunkt für eine Präsisierung und Konkretisierung des Begriffs "Fortschritt" im Bereich des Kunstlieds - und natürlich überhaupt im Bereich der Kunst - liegt.


    Holger hat darauf hingewiesen, dass der Fortschrittsbegriff, wie ihn die Aufklärung entwickelt hat, hier überhaupt nicht taugt. Zu welchem Ziel hin sollte in der Kunst eine Art teleologischer Prozess führen?


    Schumann hat diesen Begriff ganz anders verwendet. Man kann seine Äußerung aus der historischen Situation verstehen, in der er sich als Komponist stehen sah.
    Er meinte, dass nach dem Tod von Beethoven, Schubert und Weber eine Art musikalische Epoche zu Ende gegangen ist. Auch die Dichter, die er verehrte, Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Goethe, die erste Generation der literarischen Romantik, - sie waren alle schon tot.


    Er musste einen Neuanfang machen, einen neuen Schritt in der Musik und damit auch im Bereich des Kunstlieds wagen.
    Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es von ihm keine ausführliche Stellungnahme zu den Liedern Schuberts gibt (im Unterschied zu dessen sinfonischer und Kammermusik).
    Warum?
    Er wollte einen Neuanfang, meinte, dass er dabei an Schubert nicht anknüpfen könne.
    Was ihm vorschwebte, nannte er "Neugeburt der Musik aus dem Geiste der Poesie". Und das ist sein "Fortschrittsbegiff".


    In seinen Liedern wollte er deshalb ganz bewusst kompositorisch von der Dichtung ausgehen, in deren Geist musikalisch schöpferisch werden.
    Man braucht sich ja nur mal seine frühe Klaviermusik anzuhören (und anzusehen): Die strotzt ja geradezzu von literarischen Anspielungen und Inspirationen.
    Hier sah er, was seine Lieder betrifft, den entscheidenden "Fortschritt", mit Blick auf Beethoven, aber auch auf Schubert:
    Den Schritt hin zu Liedern "aus dem Geiste der Poesie".


    Aus unserer heutigen Sicht besteht dieser "Fortschritt" - deutlich erkennbar besonders in den Heine- und den Eichendorff-Liedern - in einer ausgeprägteren Korrespondenz zwischen Text- und musikalischer Struktur.
    Ihren stärksten Niederschlag findet diese im Einsatz des Klaviers als Partner der Singstimme, aber auch, besonders bei Heine unübersehbar, in der Reflexion des "Geistes" der Lyrik in der musikalischen Struktur des Liedes. (Ich hatte das ja mal bei "Allnächtlich im Traume" versucht deutlich zu machen).


    Das hieße also für unsere Diskussion hier:
    Fortschritt als zielgerichteten Prozess im Sinne der Optimierung eines vorhandenen Potentials gibt es in der Kunst und damit auch im Lied nicht.
    Was es aber wohl gibt, das ist ein "Fortschreiten" hin zur Entwicklung neuer künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten.
    Man könnte also von einem Prozess der künstlerisch-medialen Innovation sprechen.


    Deshalb ist es unsinnig - und jeder von uns weiß das ja auch - verschiedene Kunstepochen oder historische Phasen in der Entwicklung des Kunstlieds miteinander unter Qualitätsaspekten zu vergleichen.


    Wenn ich mal die berühmte Formulierung eines großen Historikers bemühen darf:
    Jeder Abschnitt in der historischen Entwicklung des Kunstlieds ist "unmittelbar zu Gott".



    NACHTRAG:
    Ich habe diesen Beitrag ganz unvorbereitet geschrieben, nachdem ich diesen Thread hier entdeckt hatte. Er mag deshalb etwas ungegliedert sein, ich möchte ihn aber nicht ändern.
    Etwas aber muss ich ergänzen.
    Schumann muss wohl, ohne dass er das ausdrücklich sagt, in Schuberts Liedern, von Beethoven aus gesehen, so etwas wie einen "Fortschritt" in seinem Sinn gesehen haben. Nur so wird das Zitat verständlich.


    Und noch etwas Wichtiges:
    Schumann stand unter Druck, was den Begriff "Fortschritt" betraf. Den hatten nämlich Wagner und Liszt sozusagen für sich reklamiert. Sie sahen sich als Protagonisten der "Neuen Musik", der "Fortschrittsmusik".
    Schumann warfen sie Antiquiertheit vor. Es gab ja sogar einmal einen regelrechten Eklat, als Schumann empört aus dem Zimmer stürmte und Wagner wegen einer Bemerkung über seine Musik sitzen ließ.
    Schumann war also regelrecht gezwungen, mit dem Begriff "Fortschritt" zu operieren, was seine eigene Musik betraf.


    Für uns ist daran interessant:
    Der Begriff Fortschritt taucht in der Geschichte der Kunst und der Musik immer auf, wenn Ideologie ins Spiel kommt.

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann...
    Was es aber wohl gibt, das ist ein "Fortschreiten" hin zur Entwicklung neuer künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten.
    Man könnte also von einem Prozess der künstlerisch-medialen Innovation sprechen.

    ...


    Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die gesamte Kunstgeschichte nichts anderes ist als die Entwicklung neuer künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten.


    Es könnte heute jemand ein Monument nach dem anderen im Stile und mit dem Können von Michelangelo produzieren und er könnte davon sicher sehr gut leben und eine gewisse Berühmtheit erlangen. Dennoch würde er historisch keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.


    Genauso könnte heute jemand im Stile und dem Format Beethovens Symphonien komponieren und wäre doch nichts anderes als 200 Jahre zu spät dran...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Gibt es einen wie auch immer gearteten Fortschritt bei den Vertonungen von Goethes WANDERERS NACHTLIED I (Der du von dem Himmel bist) von Zelter über Schubert bis hin zu Hugo Wolf?
    Das habe ich mich gefragt, um das Thema "Fortschritt" aus den Höhen der Abstraktion herunter in unsere schöne Liederwelt zu holen.
    Was kam heraus?


    ZELTER
    Die Singstimme setzt nach einem aufgelösten präludierenden Klavierakkord ein. Ihre melodische Linie ist bewusst kunstvoll, fast arienhaft angelegt. Über dem Wort "Schmerzen" macht sie eine Art "Schlenker" und hält bei "füllest" kurz ein. Nach einem kurzen Klavierzwischenspiel setzt sie dann ihre Bewegung fort, um bei "süßer Friede" zu einer Art Höhepunkt zu kommen. Die beiden letzten Zeilen des Gedichts werden mehrfach wiederholt.
    Durchweg wird die Singstimme von einer einfachen akkordischen Klavierbegleitung getragen.


    SCHUBERT
    Das Lied muss nicht eigens beschrieben werden. Jede(r) hat es im Ohr.
    Hört man es unmittelbar im Anschluss an Zelter, dann fällt sofort die Ruhe auf, die die Gesangsmelodie am Anfang verströmt: Fast rezitativisch setzt das Lied ein, langsam, über einem daktylischen Rhythmus von unten nach oben steigend.
    Auffällig auch, dass die Klavierbegleitung zunächst auch einfach akkordisch angelegt ist, dann aber (und hier ist ein wesentlicher Unterschied zu Zelter), der Singstimme folgt und zunehmend komplexer wird.
    Es bleibt der Eindruck: Goethes Gedicht hat hier musikalisch zu sprechen begonnen.


    HUGO WOLF
    Das Lied ist von einem mehrtaktigen Klavier-Vorspiel und -Nachspiel gerahmt. Das Vorspiel nimmt die Bewegung der melodischen Linie in der Singstimme gleichsam vorweg.
    Diese setzt in tiefer Lage zunächst ruhig ein, steigert sich aber schnell in zwei Anläufen und durch mehrere, z.T. chromatisch verschobene Tonarten hindurch bis hin zu einem Höhepunkt auf "elend".
    Von beschwörender Magie ist die Anrufung des "süßen Friedes". Sie wird wiederholt. In einem großen, weit ausholenden gesanglichen Bogen wird das "komm an meine Brust" gestaltet und in einem beschwörenden Ton wiederholt, wobei sich die melodische Linie immer weiter nach unten bewegt.


    Im Vergleich zu Schubert ist dieses Lied von nahezu unglaublicher Komplexität, was das Zusammenspiel von Singstimme und Klavier und die Führung der melodischen Linie durch die Fülle der Tonarten anbelangt.
    Ganz offensichtlich hat Wolf das Goethe-Gedicht anders gelesen als Schubert. Der Schwerpunkt liegt bei ihm auf der Zeile: "Ach, ich bin des Treibens müde!".
    Diese Müdigkeit geht regelrecht unter die Haut, so dass die Bitte um "Friede" eindringlicher wirkt als bei Schubert.
    Bei diesem ist sicher, dass der erflehte "Friede" auch kommt. Bei Wolf hingegen durchaus nicht!


    BILANZ
    Einen "Fortschritt" im Sinne einer Steigerung der Qualität der Komposition als Lied gibt es hier nicht.
    Wohl aber kann man einen Wandel in der Art feststellen, wie der Komponist an das Lied herangegangen ist und welche kompositorischen Mittel er eingesetzt hat.
    Das "Liedverständnis" hat sich gewandelt, besonders stark von Zelter hin zu Schubert. Hier ist der Beginn dessen zu verzeichnen, was man in der Musikwissenschaft das "romantische Kunstlied" nennt.


    Schubert vertont keinen Text, wie Zelter das macht. Er schafft ein musikalisches Äquivalent für den Gehalt eines Gedichts. Hier, genau in diesem Punkt, liegt, wenn man so will, der Fort-Schritt in der Entwicklung des Lieds.
    Der nimmt der Vertonung von Zelter aber nicht ihre genuine Qualität!


    Der Schritt von Schubert hin zu Wolf ist der zu einer größeren Komplexität in der musikalischen Struktur.
    Es ist keiner hin zu einer höheren Liedqualität.


    (Natürlich gibt es noch mehr Vertonungen. Ich wollte mich aber beschränken. Meine Beiträge sind ohnehin unverschämt raumgreifend!)

  • Lieber Helmut Hofmann


    Ich finde Dien Beiträge nicht "unverschämt raumgreifend" sondern sehr kompetent und durchdacht.


    Ich pflichte prinzipiell bei, daß man von eine "qualitativen Entwicklung" des Kunstliedes nicht sprechen kann. Aus meiner Sicht handelt es sich um "Moden" - und natürlich persönliche Prägungen, die Liedern ihren spezifischen Charakter verleihen, es wurde beispielsweise zeitweise auf "Melodik" und "schlichten Aufbau" von Liedern Wert gelegt.


    Und natürlich haben sich die entspechenden Zeitgenossen (meist) an die Vorgaben ihrer Zeit gehalten - wolllten sie doch ihre Hörer befriedigen - und nicht die Nachwelt - schlimmstenfalls repräsentiert durch die Mitglieder eines Klassik.Internetforums....,


    Wir - die Nachwelt - haben jedoch Maßstäbe angesetzt, die zum Zeitpunkt als die meisten Lieder, die wir heute hören - noch gar nicht komponiert waren...


    Dadurch kommt es immer wieder zu eklatanten Fehlurteilen - zumindest meiner Meinung nach....


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann
    HUGO WOLF
    Das Lied ist von einem mehrtaktigen Klavier-Vorspiel und -Nachspiel gerahmt. Das Vorspiel nimmt die Bewegung der melodischen Linie in der Singstimme gleichsam vorweg.



    Hallo Helmut,


    Danke für den sehr schönen Beitrag. Das Wolff so "vertont", dafür gibt es eine Erklärung. Er war ja ein glühender "Wagnerianer". Wagner spricht von der "Erlösung der (Instrumental-)Musik durch das Wort". Genau das passiert in dieser Vertonung: Das Klavier sagt erst einmal ohne Worte das, was dann das Lied einlösend-erlösend "zur Sprache bringt". Ähnliches gibt es auch in Mahlers 2. Symphonie, der Vertonung der Klopstock-Ode im Finale. Auch da spielt das Orchster erst die Sprechmelodie alleine als ein "Lied ohne Worte", und dann erst findet sie das ausgesprochene Wort.
    Zitat:
    Original von Helmut Hofmann
    Schubert vertont keinen Text, wie Zelter das macht. Er schafft ein musikalisches Äquivalent für den Gehalt eines Gedichts. Hier, genau in diesem Punkt, liegt, wenn man so will, der Fort-Schritt in der Entwicklung des Lieds.
    Der nimmt der Vertonung von Zelter aber nicht ihre genuine Qualität!



    Auch dafür gibt es einen Grund: Die Kritik der Romantik an der Tradition der Rhetorik, daß die Musik nicht bloß "erhöhte Deklamation und Rede" sein soll - d.h. die Musik gewinnt eine Eigenständigkeit über die Funktion der Wort- und Sinnverdeutlichung hinaus. Das finde ich persönlich äußerst interessant, diese Problematik!


    Beste Grüße
    Holger

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  • Holger stellt fest:
    In der Romantik gewinne "die Musik ... eine Eigenständigkeit über die Funktion der Wort- und Sinnverdeutlichung hinaus".
    Und er fügt hinzu: "Das finde ich persönlich äußerst interessant."


    Das ist es auch!
    Wir Taminoianer fragen uns ja immer wieder einmal, warum unser Kunstlied seine Wiege in der Romantik hat und in dieser historischen Epoche zu seiner so wundersamen und faszinierenden Blüte gelangt ist.
    Es hängt mit dem Phänomen zusammen, das Holger erwähnt hat. Nur geht das Musikverständnis in der Romantik noch weit über das hinaus, was Holger andeutend beschrieben hat.


    Ich möchte ausnahmsweise einmal ein größeres Stück Text zitieren und bitte dafür um Verständnis.
    Einer der wichtigen romantischen Dichter, Wilhelm Heinrich WACKENRODER, hat eine kleine Abhandlung verfasst mit dem Titel:
    "Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik". Darin heißt es u.a. über die "Tiefen des menschlichen Gemüts":
    "Die Sprache zählt und nennt und beschreibt seine Verwandlungen, in fremdem Stoff - die Tonkunst strömt ihn uns selber vor. ... In dem Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen Winkeln des Gemüts träumenden Geistern lebendes Bewußtsein und bereichern mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres."


    Wenn Schubert diesen Text gekannt hätte, er hätte ihm auf der Stelle zugestimmt.
    Novalis forderte: "Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder."
    Friedrich Schlegel entwickelte das Konzept einer "progressiven Universalpoesie". Zu dieser gehört selbstverständlich und sogar in erster Linie die Musik.
    Musik war für die Romantik das beste "Mittel", die Welt zu "romantisieren", das heißt Welten zu erschließen, die durch den Rationalismus der Aufklärung verschüttet wurden.


    Hier liegt die Keimzelle unseres Kunstlieds.
    Schubert war noch kein "Romantiker" im strengen Sinn. Aber er hat bereits im Geist der Romantik komponiert.
    Schumann aber gehörte voll dazu. Er kannte seinen Friedrich Schlegel und dessen Ideen von der Bedeutung der Kunst und der Musik.

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann
    Ich möchte ausnahmsweise einmal ein größeres Stück Text zitieren und bitte dafür um Verständnis.
    Einer der wichtigen romantischen Dichter, Wilhelm Heinrich WACKENRODER, hat eine kleine Abhandlung verfasst mit dem Titel:
    "Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik". Darin heißt es u.a. über die "Tiefen des menschlichen Gemüts":
    "Die Sprache zählt und nennt und beschreibt seine Verwandlungen, in fremdem Stoff - die Tonkunst strömt ihn uns selber vor. ... In dem Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen Winkeln des Gemüts träumenden Geistern lebendes Bewußtsein und bereichern mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres."


    Hallo Helmut,


    das ist einer der für mich wichtigsten Texte. Schön, daß Du ihn hier zitierst! (Für die Anderen: er stammt aus Ludwig Tieck/Wilhelm Heinrich Wackenroder: Phantasien über die Kunst, Hamburg 1799). Die Stelle, die Du anführst, steht im folgenden Kontext - kurz zuvor heißt es: "Ein fließender Strom soll mir zum Bilde dienen. (...) die Sprache kann die Veränderungen nur dürftig zählen und nennen, nicht die ineinanderfolgenden Verwandlungen der Tropfen uns sichtbar vorbilden."


    Was die Musik, das musikalische Gefühl, ausdrückt, ist also ein Kontinuum, ein Kontinuum der Empfindungen. Genau das vermag die Wortsprache nicht auszusprechen, sie ist diskontinuierlich. Was bedeutet das nun für die Liedvertonung? Die alte rhetorische Tradition fordert, daß sprachliche und musikalische Sinneinheiten sich genau entsprechen müssen ("cantilenae verbis congruere"), d.h. die Zäsuren im Text müssen sich exakt auch in der Musik wiederfinden. Genau das ändert sich in der Romantik. Wenn die Musik ein Kontinuum der Empfindung ausdrückt, was keine Wortsprache auszusprechen vermag, dann ist ihre Aufgabe, nicht das Gesagte, sondern das Ungesagte des Textes zu vertonen. In Franz Liszts Liedern kann man das sehr schön sehen. Die Zäsuren im Text werden quasi überspielt von einer "unendlichen Melodie", d.h. wo die Wortsprache "zählt und nennt", d.h. diskontinuierlich ist, da erzeugt die Musik ein Kontinuum.


    Von Arnold Schönberg stammt die im ersten Moment verrückt klingende Aussage, er brauche, wenn er ein Lied vertone, den Text gar nicht zu kennen. Wenn man diese romantische Musikphilosophie mit ihrem Unsagbarkeits-Topos im Hinterkopf hat, dann versteht man das. Schönbergs Chorlieder sind denn auch so beschaffen, daß die Musik ganz eigenen Konstruktionsgesetzen folgt, die mit der "Form" der Texte überhaupt nicht mehr korrespondieren. Da hat sich die Emanzipation de Musik von der Sprache radikal vollzogen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Vielen Dank, lieber Holger, für die nachgereichte Quellenangabe.
    Ich hatte ganz bewusst darauf verzichtet, was an sich kurios ist, weil so etwas sozusagen zu meinem Handwerkszeug gehört.
    Ich habe eine gewisse Scheu davor, allzu viel "Wissenschaftlichkeit" in meine Beiträge zu bringen, obwohl dies bei manchen Themen schwierig ist und man zudem so schwer aus seiner Haut kann.
    Aus diesem Grund trage ich meine Beiträge auch selten spontan ein (dieser hier ist eine Ausnahme), sondern setze sie auf und redigiere auch noch. Dennoch habe ich hinterher oft das ungute Gefühl, wieder einmal in einen unangebrachten, möglicherweise sogar überheblichen "Jargon" verfallen zu sein.


    Unter dem Aspekt der rhetorischen Tradition habe ich den grundlegenden Sachverhalt, um den es hier geht, noch nicht gesehen. Das liegt vermutlich daran, dass er im Diskurs des Jenenser Schlegelkreises keine Rolle spielte, aber, wenn ich recht sehe, auch nicht in Dresden und in Heidelberg.
    Ich habe also auch für diesen Hinweis zu danken.



  • Lieber Helmut,


    so ist das leider bei uns in Deutschland, daß man sich für seine Bildung entschuldigen muß. In der Hinsicht finde ich die US-amerikanischen Kollegen sehr angenehm: Sie freuen sich ganz einfach, wenn sie einen nicht ungebildeten Menschen treffen, mit dem sie sich autauschen können. In diesem Land ist es nämlich viel schwieriger als bei uns, an Bildung überhaupt zu kommen. Deswegen weiß man auch, sie richtig zu schätzen. Ich habe Deine Ausführungen wirklich sehr gerne gelesen. Bist Du Literatur- oder Musikwissenschaftler, darf ich fragen?


    Ich hatte das Problem Musik und Sprache im letzten Winter in einem Seminar mit meinen Studenten behandelt- auch diese Frage der Rhetorik und des Kunstlieds. Das fanden die sehr spannend - besonders die Musikstudenten waren da sehr interessiert.


    Was meinst Du damit, daß die Rhetorik im Jenenser Schlegelkreis keine Rolle spielte? Ich kenne Schlegel nicht ganz so gut - die berühmten Zitate natürlich - mein Vorverständnis ist so, daß die Romantik als eine Metaphysik der Instrumentalmusik der rhetorischen Tradition gegenüber generell kritisch bis feindlich eingestellt ist. Das hängt ja letztlich mit dem sich wandelnden Musikbegriff zusammen - das Paradigma der Vokalmusik wird durch das der Instrumantalmusik abgelöst, wie das Carl Dahlhaus dargestellt hat in dem von mir sehr hoch geschätzten Buch "Die Idee der absoluten Musik" - das gab es mal als dtv-Taschenbuch - ist aber leider vergriffen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Ich bin in Verlegenheit, lieber Holger, und das aus zwei Gründen.
    Erstens möchte ich die Reflexion über den von mir selbst hier in die Diskussion gebrachten Begriff "Fortschritt" nicht weiter fortsetzen.
    Ich habe schlicht Angst, wegen des hohen Theorieanteils meiner Beiträge aus der Mitte des Forums an den Rand zu geraten.
    Ein beunruhigender Gedanke!
    Und zweitens rede und schreibe ich höchst ungern von mir selbst.


    Aber Du hast gefagt, - auch wes Geistes Kind ich bin, also schulde ich eine Antwort.
    Zu Punkt 1:
    Im Diskurs der Jenenser Romantiker spielt das Thema "Rhetorik" keine Rolle. Man braucht nur einen flüchtigen Blick in die Zeitschrift "Athenäum" zu werfen, da kann man das sehen.
    Ich vermute, dass den Leuten um die Brüder Schlegel die Rhetorik wegen ihrer Ausrichtung auf systematisch-regulative Kategorien nicht geheuer war.
    Friedrich Schlegels Konzept der "progressiven Universalpoesie" ist, wie der Name ja erkennen lässt, im Kern dynamisch angelegt. Das gilt auch die die Idee der Symphilosophie", die bei den Jenensern damals entwickelt wurde.
    Das Grundverständnis von Hermeneutik bei Friedrich Schlegel beinhaltet ja die Vorstellung, dass "Verstehen" erst dann wirklich möglich ist, wenn es die eigene Unendlichkeit und Unabschließbarkeit mitreflektiert.
    Höchst modern übrigens!


    Zu Punkt 2:
    Leider habe ich keine Musikwissenschaft studiert, sondern Geschichtswissenschaft, Germanistik und Philosophie.
    Ich sage "leider", weil ich das immer schon bedauert habe, besonders jetzt aber, seitdem ich mich mit Begeisterung(!) an der Diskussion hier im Tamino-Forum beteilige.
    Ich leide dabei unter meinem Dilettantismus.
    Kein Witz! Ich leide wirklich!