Schuberts lange Lieder

  • Wenn man über die Liederliste einer CD mit Schubert-Liedern schaut stellt man fest, dass die einzelnen Lieder meist eine Spieldauer von etwa zwei bis fünf Minuten haben.
    Oft ist „Der Zwerg“(D771) – wenn er drauf ist – mit etwa sieben Minuten das längste Stück auf einer Schubert-Lied CD.
    Eines der großen – aber nicht langen – Schubertlieder ist „Wanderers Nachtlied", die Interpreten benötigen etwas mehr als zwei Minuten.
    Lange Schubert-Lieder bzw. Balladen sind vor allem Stücke nach Texten von Friedrich von Schiller.
    Beispiele:
    Eine Leichenphantasie (D 7) 19:22 (Die Zeitangaben erfolgten nach sporadisch herausgesuchten Aufnahmen)
    Der Taucher (D77 bzw.D111) 22:16
    Die Bürgschaft (D246) 17:11 (Als Fragment existiert auch eine Oper von Franz Schubert, die erst imJahre 2005 ihre Welturaufführung in Jena erlebte)
    weitere Stücke:
    Lodas Gespenst (D150) 13:55 Ein düsteres Sagengemälde
    und:
    Der Liedler (D209) 14:55 Textdichter Joseph Kenner


    Wenn man die vorgenannten Aufnahmen mit Texten bekannter Schiller-Gedichte hört, fällt auf (zumindest ist das mein subjektiver Eindruck), dass sich Schillers Texte fast gegen eine Vertonung zu wehren scheinen, zumindest im Vergleich mit Goethe-Liedern von Schubert.


    Solcherart Lieder ähneln einer kleinen Opernaufführung und leben logischerweise auch von der stimmlichen Darstellungskraft der Interpreten.
    Aber ich kann mir auch vorstellen, dass solche Texte gut gesprochen sehr beeindrucken und ich der Musik nicht unbedingt bedarf. Das ist bei „Der Liedler“ dagegen eine ganz andere Sache
    Von den fünf hier genannten Stücken gefällt mir „Der Liedler“ am besten, weil ich das Gefühl habe, hier sehr viel Schubert zu bekommen. Da hat es ganz wunderbare musikalische Stellen, wie beispielsweise:
    Der Liedler zog durch manches Land
    Am alten Rhein- und Donaustrand,
    Wohl über Berg und Flüsse.
    Wie weit er flieht, wohin er zieht,
    Er trägt den Wurm im Herzen mit
    Und singt nur sie, die Süße.


    oder:
    Und als der Winter trat ins Land,
    Der Frost im Lauf die Ströme band,
    Betrat er seine Berge.
    Da lag's, ein Leichentuch von Eis,
    Lag's vorn und neben totenweiß,
    Wie tausend Hünensärge!
    Lag's unter ihm, sein Muttertal,
    Das gräflich Schloss im Abendstrahl,
    Wo Milla drin geborgen.


    Aber neben diesen lyrischen Stellen gibt es noch eine Menge Dramatik; ein Wehrwolf tritt auf, man erinnert sich fast an "Tiefland"...
    Im Mai 1825 kündigt Schuberts Verleger dieses Werk in der
    Wiener Zeitung an, wo es heißt,
    dass sich diese Ballade Schuberts durchaus mit Zumsteegs Werken messen könne.

    In meinem CD-Bestand wird "Der Liedler" von folgenden Interpreten gesungen: Peter Anders / Dietrich Fischer-Dieskau / Robert Holl / Philip Landridge


    Längst ist noch nicht alles zu diesen doch weniger bekannten Schubertwerken gesagt - und das ist gut so, denn es soll ja noch genügend Raum für Schreibwillige bleiben, die im Folgenden diesen Teil Schubertschen Schaffens aus ihrer Sicht beleuchten.

  • hmm, ich finde den taucher (musikalisch) eindrucksvoller. grade in der zweiten fassung mit ausladendem klavierzwischenspiel. ist auch, wenn man es mal live zu hören bekommt gar nicht so einfach für die interpreten.


    aber auch im späteren schaffen gibt es ausladenderes, beispielsweise viola oder den hirt' auf dem felsen...

  • Lieber Maexl,
    ich möchte ja "meinen Liedler" nicht mit Gewalt "verkaufen", jedoch nachfragen: Kennst Du das von mir so sehr gepriesene Stück - also hast Du es schon mehrmals gehört?
    Bevor ich meinen Beitrag schrieb, habe ich natürlich den "Taucher" auch nochmals angehört, in der beeindruckenden Interpretation von Dietrich Fischer-Dieskau.


    Dennoch bleibe ich bei meiner Auffassung, was jedoch nichts mit Rechthaberei zu tun hat, schließlich empfindet man unterschiedlich und ich hatte ja ausdrücklich darum gebeten dies auch aus anderer Sicht zu beleuchten - habe Dank für Deinen Beitrag.


    Ja, an "Viola" (D786) hatte ich, der beachtlichen Spieldauer von 13:51 wegen, auch gedacht - und an "Der Hirt auf dem Felsen" (D965) 11:33 ebenso. Letzteres ist sogar eines meiner Lieblingsstücke mit Sänger/Sängerin, Klavier und Klarinette. Meine Liste sollte ursprünglich nicht so sehr lange werden, aber nun sind diese beiden Stücke eben auch noch mit dabei.


    Im Eingangsbeitrag sind von dem Gedicht "Der Liedler" nur Textproben eingestreut, hier ist der gesamte Text zu lesen:


    Gib, Schwester, mir die Harf' herab,
    Gib mir Biret und Wanderstab,
    Kann hier nicht fürder weilen!
    Bin ahnenlos, bin nur ein Knecht
    Bin für die edle Maid zu schlecht,
    Muss stracks von hinnen eilen.

    "Still, Schwester, bist gottlob nun Braut,
    Wirst morgen Wilhelm angetraut,
    Soll mich nichts weiter halten.
    Nun küsse mich, leb, Trude, wohl!
    Dies Herze, schmerz- und liebevoll,
    Lass Gott den Herrn bewalten."
    Der Liedler zog durch manches Land

    Am alten Rhein- und Donaustrand,
    Wohl über Berg und Flüsse.
    Wie weit er flieht, wohin er zieht,

    Er trägt den Wurm im Herzen mit
    Und singt nur sie, die Süße.
    Und er's nicht länger tragen kann,
    Tät sich mit Schwert und Panzer an,
    Den Tod sich zu erstreiten.
    Im Tod ist Ruh, im Grab ist Ruh,
    Das Grab deckt Herz und Wünsche zu;
    Ein Grab will er erreiten.
    Der Tod ihn floh, und Ruh ihn floh!

    Des Herzogs Banner flattert froh
    Der Heimat Gruß entgegen,
    Entgegen wallt, entgegen schallt
    Der Freunde Gruß durch Saat und Wald
    Auf allen Weg' und Stegen.
    Da ward ihm unterm Panzer weh!
    Im Frührot glüht der ferne Schnee
    Der heimischen Gebirge;
    Ihm war, als zög's mit Hünenkraft
    Dahin sein Herz, der Brust entrafft,
    Als ob's ihn hier erwürge.
    Da konnt er's fürder nicht bestehn:
    "Muss meine Heimat wiedersehen,
    Muss sie noch einmal schauen!"
    Die mit der Minne Rosenhand

    Sein Herz an jene Berge band,
    Die herrlichen, die blauen!

    Da warf er Wehr und Waffe weg,
    Sein Rüstzeug weg ins Dorngeheg;
    Die liederreichen Saiten,
    Die Harfe nur, der Süßen Ruhm,
    Sein Klagespsalm, sein Heiligtum,
    Soll ihn zurückbegleiten.
    Und als der Winter trat ins Land,
    Der Frost im Lauf die Ströme band,
    Betrat er seine Berge.
    Da lag's, ein Leichentuch von Eis,
    Lag's vorn und neben totenweiß,

    Wie tausend Hünensärge!
    Lag's unter ihm, sein Muttertal,
    Das gräflich Schloss im Abendstrahl,
    Wo Milla drin geborgen.
    Glück auf, der Alpe Pilgerruh

    Winkt heute Ruh dir Ärmster zu:
    Zur Feste, Liedler, morgen!
    Ich hab nicht Rast, ich hab nicht Ruh,
    Muß heute noch der Feste zu,

    Wo Milla drin geborgen.
    "Bist starr, bist blass!" Bin totenkrank,
    Heut ist noch mein! Tot, Gott sei Dank,
    Tot find't mich wohl der Morgen.
    Horch Maulgetrab, horch Schellenklang!
    Vom Schloss herab der Alp' entlang
    Zog's unter Fackelhelle.

    Ein Ritter führt ihm angetraut,
    Führt Milla heim als seine Braut.
    Bist Liedler schon zur Stelle!
    Der Liedler schaut und sank in sich.
    Da bricht und schnaubet wütiglich
    Ein Werwolf durchs Gehege,
    Die Maule fliehn, kein Saum sie zwingt.
    Der Schecke stürzt. Weh! Milla sinkt
    Ohnmächtig hin am Wege.
    Da riss er sich, ein Blitz, empor,
    Zum Hort der Heißgeminnten vor,

    Hoch auf des Untiers Nacken
    Schwang er sein teures Harfenspiel,
    Dass es zersplittert niederfiel,

    Und Nick und Rachen knacken.
    Und wenn er stark wie Simson wär',
    Erschöpft mag er und sonder Wehr
    Den Grimmen nicht bestehen.
    Vom Busen, vom zerfleischten Arm
    Quillt's Herzblut nieder, liebewarm,
    Schier denkt er zu vergehen.

    Ein Blick auf sie, und alle Kraft
    Mit einmal er zusammenrafft,
    Die noch verborgen schliefe!
    Ringt um den Werwolf Arm und Hand,
    Und stürzt sich von der Felsenwand
    Mit ihm in schwindle Tiefe.
    Fahr, Liedler, fahr auf ewig wohl!

    Dein Herze schmerz- und liebevoll
    Hat Ruh im Grab gefunden!

    Das Grab ist aller Pilger Ruh,
    Das Grab deckt Herz und Wünsche zu,
    Macht alles Leids gesunden.

  • Dieser Tage bin ich auf eine Aufnahme von Der Taucher gestoßen, die im Mai 2006 in der Orchestration von Karl Aage Rasmussen mit dem Danish National Symphony Orcheststra entstanden ist.
    Diese Aufnahme wird als Weltersteinspielung bezeichnet.


    Das Werk wird von Stefan Vladar dirigiert, es singt der Bariton Bo Skovhus, von dem auch die Initiative ausging, von diesem Schubert-Werk eine Orchesterversion zu schaffen.

  • Nach längerer Pause soll hier einmal wieder ein langes Schubert-Lied vorgestellt werden, das auf gängigen CDs und auch im Konzertsaal eher selten zu hören ist. "Meine" Interpreten sind Peter Anders (auf YouTube hörbar), Gundula Janowitz, Dietrich Fischer-Dieskau und Rainer Trost. Sicher gibt es auch noch andere Interpreten, diese Aufzählung erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit.


    Das Stück hat eine Aufführungszeit von etwa zwanzig Minuten und fordert sowohl von Sängerin/Sänger als auch vom Hörer hohe Konzentration. Im Laufe des langen Textes bietet die Musik sehr unterschiedliche Stimmungen (bei "Der Kuckuck ruft aus Zweiggeflecht" wird der Vogelruf durch das Klavier erzeugt) und die Interpreten haben eine große Bandbreite der Artikulation.


    Das Lied wurde 1818 komponiert


    Nach sieben Klaviertakten beginnt das Lied mit "Gib mir die Fülle der Einsamkeit." Der "Einsamkeit" folgen: Tätigkeit / Geselligkeit / Seligkeit / Düsterkeit und zum Schluß wieder Einsamkeit.
    Die in roter Farbe markierten Textteile werden jeweils von der Singstimme wiederholt. Kleine Pausen der Singstimme sind mit der Typografie des Textes nicht kongruent.



    Einsamkeit

    "Gib mir die Fülle der Einsamkeit."
    Im Tal, von
    Blüten überschneit,
    Da ragt ein Dom, und nebenbei
    In hohem Stile die Abtei:
    Wie ihr Begründer, fromm und still,
    Der Müden
    Hafen und Asyl,
    Hier kühlt mit heiliger Betauung,
    Die nie versiegende Beschauung.
    Doch den frischen
    Jüngling quälen
    Selbst in gottgeweihten Zellen
    Bilder, feuriger verjüngt;
    Und ein wilder
    Strom entspringt
    Aus der Brust, die er umdämmt,
    Und in einem Augenblick
    Ist der
    Ruhe zartes Glück
    Von dem Wellen weggeschwemmt.


    "Gib mir die Fülle der Tätigkeit."
    Menschen wimmeln weit und breit,
    Wagen kreuzen sich und stäuben,
    Käufer sich um Läden treiben,
    Rotes
    Gold und heller Stein
    Lockt die Zögernden hinein,
    Und
    Ersatz für Landesgrüne
    Bieten
    Maskenball
    und Bühne.
    Doch in prangenden Palästen,
    Bei der
    Freude lauten Festen,
    Sprießt empor der
    Schwermut Blume,
    Senkt ihr
    Haupt zum Heiligtume
    Seiner
    Jugend Unschuldlust,
    Zu dem blauen Hirtenland
    Und der lichten Quelle Rand.
    Ach, dass er hinweggemusst!


    "Gib mir das Glück der Geselligkeit!"
    Gefährten, freundlich angereiht
    Der Tafel, stimmen Chorus an
    Und ebenen die Felsenbahn!
    So geht's zum schönen Hügelkranz
    Und abwärts zu des Stromes Tanz,
    Und immer mehr befestiget sich Neigung
    Mit treuer, kräftiger Verzweigung.
    Doch, wenn ihm die Freunde schieden,
    Ist's getan um seinen Frieden.
    Ihn bewegt der Sehnsucht Schmerz,
    Und er schauet himmelwärts:
    Das Gestirn der Liebe strahlt.
    Liebe, Liebe ruft die laue Luft,
    Liebe, Liebe atmet Blumenduft,
    Und sein Inn'res Liebe hallt.


    "Gib mir die Fülle der Seligkeit."
    Nun wandelt er in Trunkenheit
    An ihrer Hand in schweigenden Gesprächen,
    Nun wandelt er an ihrer Hand
    Im Buchengang, an weißen Bächen,
    Und muss er auch durch Wüsteneien,
    Ihm leuchtet süßer Augen Schein;
    Und in der feindlichsten Verwirrung
    Vertrauet er der holden Führung.
    Doch die Särge großer Ahnen,
    Siegerkronen, Sturmesfahnen
    Lassen ihn nicht fürder ruh'n:
    Und er muss ein Gleiches tun,
    Und wie sie unsterblich sein.
    Sieh, er steigt aufs hohe Pferd,
    Schwingt und prüft das blanke Schwert,
    Reitet in die Schlacht hinein.


    "Gib mir die Fülle der Düsterkeit."
    Da liegen sie im Blute hingestreut
    Die Lippe starr, das Auge wild gebrochen,
    Die erst dem Schrecken Trotz gesprochen.
    Kein Vater kehrt den Seinen mehr,
    Und heimwärts kehrt ein ander Heer,
    Und denen Krieg das Teuerste genommen,
    Begrüßen nun mit schmerzlichem Willkommen!
    So deucht ihm des Vaterlandes Wächter
    Ein ergrimmter Bruderschlächter,
    Der der Freiheit edel Gut
    Düngt mit rotem Menschenblut.
    Und er flucht dem tollen Ruhm
    Und tauschet lärmendes Gewühl
    Mit dem Forste, grün und kühl,
    Mit dem Waldesleben um.


    "Gib mir die Weihe der Einsamkeit."
    Durch dichte Tannendunkelheit
    Dringt Sonnenblick nur halb und halb,
    Und färbet Nadelschichten falb.
    Der Kuckuck ruft aus Zweiggeflecht,
    An grauser Rinde pickt der Specht,
    Und donnert über Klippenhemmung
    Ergeht des Gießbachs kühne Strömung.
    Was er wünschte, was er liebte,
    Ihn erfreute, ihn betrübte,
    Schwebt mit sanfter Schwärmerei
    Wie im Abendrot vorbei.
    Jünglings Sehnsucht, Einsamkeit,
    Wird dem Greisen nun zuteil,
    Und ein Leben rauh und steil
    Führte doch zur Seligkeit.

  • Zit. : "Nach längerer Pause soll hier einmal wieder ein langes Schubert-Lied vorgestellt werden,


    Einerseits schön! Andererseits stellt sich für einen Leser dieses Threads wieder einmal eine Frage, auf die er bis jetzt hier noch keine Antwort finden konnte:


    Wieso ist eigentlich "Länge" ein Qualitätsmerkmal eines Liedes. Eines, das eine Kategorisierung in Form eines eigenen Threads hier verdient?


    Und noch eine Frage: Alle diese "langen" Lieder gehören nicht zu den wirklich großen Schuberts. Auch nicht zu denen, die bekannt und beliebt sind.


    Könnte es sein, dass "Länge" ein Strukturmerkmal ist, das dem Wesen des Lieds als musikalische Gattung irgendwie widerspricht?


    Der Leser meint: Wenn man schon einen Thread mit diesem Titel hier einrichtet, sollte man solchen Fragen einmal nachgehen.


    Liegt er diesbezüglich daneben?

  • Hallo zusammen,


    natürlich ist die reine "Länge" eines Liedes kein ausreichendes Qualitätsmerkmal für ein Lied. Aber ich finde es durchaus legitim, dass diese Länge für die Kategorisierung in Form eines eigenen Threads herhält. Der gute Schubert hat nun mal viele hundert Lieder (812 Tracks in der Hyperion-Sämtliche-Lieder-Box) geschrieben, so dass ich die Begrenzung auf einen Teilmenge davon persönlich sehr angenehm finde.


    Helmut schreibt, diese langen Lieder wären auch nicht so beliebt. Zumindest im Fall von "Der Taucher" muss ich dem widersprechen. Zum Glück schon zwei mal durfte ich erleben, wie Christoph Pregardien dieses Lied vorträgt. Jedes mal war die Reaktion des Publikums (zu recht!) frenetisch. Jede erneute Ankündigung dieses Liedes für einen Liedabend würde mich verstärkt dazu bewegen zu diesem Liedabend hinzuwollen. Soweit eine kurze Internetrecherche eben ergeben hat, scheint Pregardien dieses Lied leider nicht eingespielt zu haben. Ich kenne noch die Interpretation Stephen Varcoes aus der Hyperion Edition, die ich persönlich zwar solide, aber eben nicht an Pregardien heranreichend, empfinde.


    Bei dieser Suche nach "Der Taucher" von Pregardien bin ich übrigens noch über ein weiteres langes Lied gestolpert, welches ich noch nicht kenne (zumindest mich nicht daran erinnere):
    - Der Tod Oscars (Ossian, D375) 16:37


    Viele Grüße
    Frank

    From harmony, from heavenly harmony
    this universal frame began.

  • Richtig, Frank!


    Ich habe, was Schuberts "lange Lieder" betrifft, in unzulässiger Weise verallgemeinert. Wie ich überhaupt jetzt, beim nachträglichen Lesen meines letzten Beitrags, denke, dass ich mich ungeschickt ausgedrückt habe. Er könnte sich als Kritik an diesem Thread lesen. So war er aber nicht gemeint. Mir sind nur ein paar Fragen gekommen, über die ich selbst nachdenke und die ich hier artikuliert habe. Sie sind liedstruktureller Art, also keine Kritik an Schuberts "langen Liedern" selbst - und schon gar nicht an diesem Thread.


    Ja, "Der Taucher" ist ein eindrucksvolles Lied. Und das hat einen Grund, der in der sprachlichen Struktur von Schillers Ballade selbst wurzelt. Sie bot Schubert die Möglichkeit, das ganze Register seiner musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einzusetzen: Dramatische Passagen, lyrisch-malende, aber auch Rezitative, Ariosi, - alles findet sich darin. Ein reiches Gefilde für einen Sänger! Und deshalb auch der Beifall, von dem Du berichtest. (Es gibt meines Wissens von Prégardien tatsächlich keine Aufnahme dieses Schubertliedes!).


    Das Lied "Der Tod Oscars" auf einen Text des (angeblichen) Dichters Ossian ist zu Unrecht wenig bekannt. Es ist ebenfalls reich an melodischen Erfindungen. Wunderschön und höchst eindrucksvoll die fallende melodische Linie auf dem Vers: "Meine Augen sind von Tränen erblindet"!

  • Lieber Frank,
    besten Dank für Deinen informativen Beitrag. Da besitze ich nun fast alle CDs von Prégardien und habe ihn schon zig Male im Konzertsaal erlebt, aber dass er den „Taucher“ einstudiert hat, wusste ich bis zum heutigen Tage nicht. Somit hat mich dieser Thread in diesem Punkt auf einen neuen Wissensstand gebracht.
    Aber das Stück „Der Tod Oscars“ habe ich im Konzertsaal schon gehört. Musikalisch hat mich dieses blutrünstige Werk nicht gerade begeistert, aber ich werde den Text mal hier einstellen, damit Interessierte sehen können, um was es hier geht.
    Zu dem Schotten MacPherson, der das Ossian-Fieber dieser Zeit ausgelöst hatte, wäre auch noch einiges zu sagen, aber das ist ein weites Feld ...
    Zum Vortrag solcher umfangreichen Texte bedarf es grundsätzlich hervorragender Sänger, die fähig sind, auch kleinste Nuancen plastisch zu gestalten.
    Das Datum der Komposition Der Tod Oscars wird mit Februar 1816 und die Veröffentlichung mit 1830 angegeben.


    Aber auf dieser Hyperion-CD singt - direkt nach "Der Tod Oscars" - Christoph Prégardien (zusammen mit einem Chor) das Lied "Das Grab" , D 377, viel kürzer (2:01) und viel schöner in seiner musikalischen Gestaltung, natürlich ist das meine ganz persönliche Bewertung.


    DerTod Oscars - James Macpherson (1736-1796)


    Warum öffnest du wieder, Erzeugter von Alpin,
    die Quelle meiner Wehmut, da du mich fragst,
    wie Oscar erlag? Meine Augen sind von Tränen erblindet.
    Aber Erinnerung strahlt aus meinem Herzen.
    Wie kann ich den traurigen Tod
    des Führers der Krieger erzählen?


    Führer der Helden, o Oscar,
    mein Sohn, soll ich dich nicht mehr erblicken!
    Er fiel wie der Mond in einem Sturm,
    wie die Sonne in der Mitte ihres Laufs,
    wenn Wolken vom Schoße der Wogen sich heben;
    wenn das Dunkel des Sturms
    Ardanniders Felsen einhüllt.
    Wie eine alte Eiche von Morven,
    vermodre ich einsam auf meiner Stelle.
    Der Windstoß hat mir die Äste entrissen;
    mich schrecken die Flügel des Nords.
    Führer der Helden o Oscar, mein Sohn,
    soll ich dich nicht mehr erblicken!


    Der Held, o Alpins Erzeugter, fiel nicht friedlich,
    wie Gras auf dem Feld,
    der Mächtigen Blut befärbte sein Schwert,
    er riß sich, mit Tod, durch die Reihen ihres Stolzes,
    aber Oscar, Erzeugter von Caruth,
    du bist unrühmlich gefallen!
    Deine Rechte erschlug keinen Feind.
    Deine Speer befleckte das Blut deines Freunds.


    Eins war Dermid und Oscar:
    sie mähten die Schlachten zusammen.
    Ihre Freundschaft war stark,
    wie ihr Eisen, und im Felde wandelte der Tod
    zwischen ihnen Sie fuhren gegen den Feind,
    wie zwei Felsen die von Ardvens Stirne sich stürzen.
    Ihr Schwert war vom Blute der Tapfern befärbt:
    Krieger erbebten bei ihrem Namen.
    Wer glich Oscarn, als Dermid?
    und wer Dermid als Oscar?


    Sie erlegten den mächtigen Dargo im Feld,
    Dargo, der nie aus dem Kampfe entfloh.
    Seine Tochter war schön, wie der Morgen,
    sanft wie der Strahl des Abends.
    Ihre Augen glichen zwei Sternen im Regen:
    ihr Atem dem Hauche des Frühlings.
    Ihr Busen, wie neugefall'ner Schnee,
    der auf der wiegenden Heide sich wälzt.
    Sie ward von den Helden gesehn, und geliebt,
    ihre Seelen wurden ans Mädchen geheftet.
    Jeder liebte sie, gleich seinem Ruhm,
    sie wollte jeder besitzen, oder sterben.
    Aber ihr Herz wählte Oscarn;
    Caruths Erzeugter war der Jüngling ihrer Liebe.
    Sie vergaß das Blut ihres Vaters.
    Und liebte die Rechte, die ihn erschlug.


    "Caruths Sohn," sprach Dermid,
    "Ich liebe, o Oscar! ich liebe dies Mädchen.
    Aber ihre Seele hängt an dir;
    und nichts kann Dermiden heilen.
    Hier durchdring diesen Busen, o Oscar;
    hilf deinem Freund mit deinem Schwert."
    "Nie soll mein Schwert, Diarans Sohn!
    nie soll es mit Dermids Blute befleckt sein."
    "Wer ist dann würdig mich zu erlegen,
    O Oscar, Caruths Sohn!
    Laß nicht mein Leben unrühmlich vergehen,
    laß niemand, als Oscar, mich töten.
    Schick mich mit Ehre zum Grab,
    und Ruhm begleite meinen Tod."
    "Dermid brauch deine Klinge;
    Diarans Erzeugter schwing deinen Stahl.
    O fiel ich mit dir!
    Daß mein Tod von Dermids Rechte herrühre!"


    Sie fochten beim Bache des Bergs,
    bei Brannos Strom.
    Blut färbte die fließenden Fluten,
    und rann um die bemoosten Steine.
    Dermid der Stattliche fiel,
    er fiel, und lächelte im Tod!
    "Und fällst du, Erzeugter Diarans,
    fällst du durch die Rechte von Oscar!
    Dermid, der nie im Kriege gewichen,
    seh ich dich also erliegen?" -


    Er ging, und kehrte zum Mädchen seiner Liebe.
    Er kehrte, aber sie vernahm seinen Jammer.
    "Warum dies Dunkel, Sohn von Caruth!
    was überschattet deine mächtige Seele?"
    "Einst war ich, o Mädchen, im Bogen berühmt,
    aber meinen Ruhm hab ich jetzo verloren.
    Am Baum, beim Bache des Hügels,
    hängt der Schild des mutigen Gormurs,
    den ich im Kampfe erschlug.
    Ich habe den Tag vergebens verzehrt,
    und konnte ihn nicht mit meinem Pfeil durchdringen."


    "Laß mich, Erzeugter von Caruth,
    die Kunst der Tochter von Dargo versuchen.
    Meine Rechte lernte den Bogen zu spannen,
    in meiner Kunst frohlockte mein Vater."
    Sie ging, er stand hinter dem Schild.
    Es zischte ihr Pfeil, er durchdrang seine Brust.
    "Heil der schneeweißen Rechten;
    auch Heil diesem eibenen Bogen;
    wer, als Dargos Tochter war wert,
    Caruths Erzeugten zu töten?
    Leg mich ins Grab, meine Schönste;
    leg mich an Dermits Seite."


    "Oscar," versetzte das Mädchen,
    "Meine Seel' ist die Seele des mächtigen Dargo.
    Ich kann dem Tode mit Freude begegnen.
    Ich kann meine Traurigkeit enden."
    Sie durchstieß ihren weißen Busen mit Stahl.
    Sie fiel bebte, und starb!


    Ihre Gräber liegen beim Bache des Hügels;
    ihr Grabmal bedeckt der ungleiche Schatten einer Birke.
    Oft grasen die astigen Söhne des Bergs
    an ihren grünenden Gräbern.
    Wenn der Mittag seine glühenden Flammen ausstreut,
    und Schweigen alle die Hügel beherrscht.

  • Zitat

    Könnte es sein, dass "Länge" ein Strukturmerkmal ist, das dem Wesen des Lieds als musikalische Gattung irgendwie widerspricht?


    Zitat

    Alle diese "langen" Lieder gehören nicht zu den wirklich großen Schuberts. Auch nicht zu denen, die bekannt und beliebt sind.


    Natürlich bin ich auch dem lieben Helmut Hofmann noch eine Antwort schuldig. Es versteht sich eigentlich ganz von selbst, dass die Länge eines Liedes – ist es überhaupt noch ein Lied ? – kein Qualitätsmaßstab sein kann, eher ein Maßstab für die Qualität der Interpreten, die so etwas bewältigen müssen. Aber ich brauche gerade Dir wohl nicht zu erklären, wie das ist, mit dem was vielen Leuten gefällt … Dass solche „Lang-Stücke“ dem Wesen des Liedes eigentlich widersprechen, sehe ich genau so.


    Aber in „meinen“ Der Liedler (D 209) bin ich nun schon seit vielen Jahren echt verliebt, mein Sohn hatte das Stück (als LP) in einer Hamburger Mülltonne gefunden und sich gesagt, das ist was für Papa …

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich fühle mich nicht angesprochen, - mit diesem "lieben Helmut Hofmann".


    Aber richtig ist: Es handelt sich hierbei eigentlich nicht um "Lieder" im strengen Sinne des Begriffs. Dem Lied als musikalische Gattung wohnt etwas wesenhaft Musikalisch-Impressionistisches inne. Es ist dem lyrisch-musikalischen Augenblick geschuldet.


    Gleichwohl sind diese "langen Lieder" als musikalische Werke zum Teil sehr eindrucksvoll. Sie sind kompositorisch auch deshalb interessant, weil man - und da hat hart recht - bewundern kann, wie ein Komponist mit der Vielfalt der Anforderungen, die der Text stellt, zurecht gekommen ist. (Wie die Interpreten damit zurecht kommen, interessiert mich, wie bekannt, eigentlich weniger!)


    Könnte das, so habe ich mich im Falle von Schubert gefragt, einer der Gründe sein, warum er sich auf solche großen episch-lyrische Formen eingelassaen hat? Da war der Musiker gefragt, - so nach dem Prinzip: Schaffe ich das, dieses komplexe epische Werk in all seiner szenischen, dramatischen und lyrisch deskriptiven Vielfalt in Musik zu setzen?


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses bei Schubert das entscheidende Motiv war, sich solchen großen, langen und sprachlich komplexen Texten kompositorisch zu widmen.

  • Zitat

    (Wie die Interpreten damit zurecht kommen, interessiert mich, wie bekannt, eigentlich weniger!)

    Zitat

    Wenn ich – im Vergleich dazu – Kathleen Ferrier (begleitet von Phyllis Spurr) höre, dann ist hier ein verblüffend schlichtes Singen zu vernehmen, - selbst bei den von Schubert mit Fortissimo- bzw. Sforzato-Anweisung versehenen Stellen stimmlich äußerst zurückhaltend artikuliert. Aber das entspricht weit eher der Situation eines Mädchens, das, still am Spinnrad sitzend, einen Monolog mit sich selber führt, der, auch wenn er von Gefühlsausbrüchen begleitet ist, gleichwohl ein innerer bleibt und bleiben muss. Das Lied ist von Anfang an im Pianissimo gehalten! Kathleen Ferrier wird – so finde ich – seinem Geist eher gerecht als die ganz sicher großartig interpretierende - und von mir bewunderte! - Elisabeth Schumann.


    Ach ja, - Juliane Banse. Eine Interpretation von einem Tempo und einer fast schon exaltierten Dramatik, die dem Lied – aus meiner Sicht – in gar keiner Weise gerecht wird. Am Schluss, bei dem „Vergehen an seinen Küssen“ gerät sie stimmlich beinahe außer sich. Hier nun möchte ich auf der Stelle zu Elisabeth Schumann zurückkehren, die das viel verhaltener und differenzierter singt. Und bei „Mein Herz ist schwer“ hat sich mir Kathleen Ferrier tief eingeprägt. Das kann man nicht überzeugender, weil der Schlichtheit der lyrischen Aussage gemäßer, singen. Selbst Elisabeth Schumann kann das nicht!

  • Ich vermute mal, das Zitat, das hart da gebracht hat, stammt von mir (jedenfalls kommt mir das irgendwie bekannt vor). Ich vermute weiterhin, hart möchte mich mit der Nase auf die Widersprüchlichkeit meiner Haltung stoßen, was die Bedeutung der Interpretation für ein Lied anbelangt.


    Aber diese Haltung ist gar nicht widersprüchlich. Denn ich leugne mit meiner Bemerkung „Wie die Interpreten damit zurechtkommen, interessiert mich, wie bekannt, eigentlich weniger“ diese Bedeutung ja gar nicht, und ich habe oft schon darauf hingewiesen, dass ich meinte, ein Lied, das ich schon kannte, eben zum ersten Mal zu hören, weil ein Sänger oder eine Sängerin interpretierend seinen Wesenskern traf, den der andere oder die andere zuvor verfehlt hatten.


    Diese Bemerkung zielte darauf ab, dass mir die Fähigkeit eines Sängers, mit den vielfältigen Anforderungen, die Schuberts „lange Lieder“ an ihn stellen, zurechtzukommen, keinen sonderlichen Respekt abzufordern vermag. Ich stelle mir ohnehin vor, dass Interpreten solche „langen Lieder“ gerade deshalb gerne singen, weil sie hier ihr ganzes sängerisches Können unter Beweis zu stellen vermögen, - so wie der Komponist sein kompositorisches. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Man muss nur nicht den Hut davor ziehen.


    Diese Vielfalt der Anforderungen an den Interpreten ist gerade bei dem zuletzt von hart hier vorgestellten Lied „Der Tod Oscars“ deutlich zu vernehmen: Rezitativische, dramatische, epische und lyrische Passagen lösen hier einander ab. Fscher-Dieskau vermutet übrigens, dass Schubert gerne eine Ossian-Oper geschrieben hätte, wenn er einen Librettisten dafür gefunden hätte. Dem 1816 komponierten Lied „Der Tod Oscars“ bescheinigt er eine „leichte Steifheit“. Und in der Tat: An manchen Stellen ist die auch zu hören.


    Im übrigen: Es kann keine Frage sein, dass der Feststellung von hart: "Manchmal ist die Art der Interpretation aber doch interessant ... " ohne jede Einschränkung zuzustimmen ist.

  • Großes Indianerehrenwort: Es hat wirklich nichts mit Rechthaberei zu tun, und es hat auch nichts mit „langen Liedern“ zu tun. Gerade befasse ich mich etwas intensiver mit Hüttenbrenners Liedern und hörte gerade das Lied „Der Hügel“ (3:20) von einer Sopranistin gesungen – „nichts Besonderes“, dachte ich mir. Aber das gleiche Lied - von Gundula Janowitz gesungen – hat mich ein paar Minuten später hell begeistert. Das soll jedoch nur eine ganz spontane Bemerkung sein. Im Prinzip sagte Helmut Hofman eben ja ähnliches.

  • Und Du müsstest Dich eigentlich erinnern, lieber hart, dass ich dergleichen ähnliche Erfahrungen und Erlebnisse hier im Forum schon "zu Papier gebracht" habe. An ein Hugo Wolf-Lied erinnere ich gerade dunkel.


    Der grasseste Fall - aber umgekehrter Art - war das Lied "Zwei Särge" von Friedrich Silcher. Das kannte ich in einer Interpretation von Hermann Prey und war von der Vertonung der Verse "Blüten und milde Lüfte / wehen das Tal entlang / des Sängers Harfe tönet / in ewigem Gesang" regelrecht hingerissen.


    Und dann hörte sich dieses Lied in der Interpretation von Cornelius Hauptmann, und fiel beinahe aus allen Wolken. Ich kannte diese Stelle kaum wieder, und vor allem: Sie ließ mich völlig kalt.


    Nicht gegen diesen Sänger: Er hat eine schöne volle Stimme und unterpretiert überaus korrekt, den Notentext und die Gebote der Deklamation beachtend. Aber ich suchte die Seele in der Interpretation dieses Liedes.


    Ich glaube, wir sind uns völlig einig, was die Bedeutung der Interpretation für das Kunstlied bedeutet.

  • Wenn man überblickt, dass die meisten Kunstlieder unter einer Aufführungszeit von fünf Minuten bleiben, darf man „Hagars Klage“ wohl auch den langen Schubert-Liedern zuordnen. Das Datum 30. März 1811 zeigt, dass es ein frühes Werk ist - es ist die erste erhaltene Liedkomposition Schuberts.


    H.J. Hinrichsen spricht von einer „affektvollen“ Ballade und sagt, dass das Stück ganz nach dem wenige Jahre älteren Vorbild Zumsteegs gearbeitet ist.


    Dietrich Fischer-Dieskau stellt zu „Hagars Klage“ u.a. fest: „Es sind eigentlich keine Lieder, sondern eine damals modische Form von Kantaten, wie es sie schon lange nicht mehr gab … Sie wirken wie Miniopern für den Hausgebrauch …“


    Die Singstimme wird im Laufe des Vortrags sechs Mal durch längeres Klavierspiel unterbrochen, diese Stellen sind im Text farbig (x) markiert.
    Mit Hagars Klage ist die amerikanische Sopranistin Christine Brewer auf YouTube zu hören. (16:22)

    Hier am Hügel heißen Sandes
    Sitz' ich, und mir gegenüber
    Liegt mein sterbend Kind,
    Lechzt nach einem Tropfen Wasser
    Lechzt und ringt schon mit dem Tode,
    Weint und blickt mit stieren Augen
    Mich bedrängte Mutter an. x
    Du musst sterben, du musst sterben
    Armes Würmchen!
    Ach nicht eine Träne
    Hab' ich in den trocknen Augen,
    Wo ich dich mit stillen kann. x
    Ha! säh' ich eine Löwenmutter,
    Ich wollte mit ihr kämpfen,
    Um die Eiter kämpfen.
    Könnt' ich aus dem dürren Sande
    Nur ein Tröpfchen Wasser saugen!
    Aber ach! ich muss dich sterben sehn! x
    Kaum ein schwacher Strahl des Lebens
    Dämmert auf der bleichen Wange,
    Dämmert in den matten Augen,
    Deine Brust erhebt sich kaum.
    Hier am Busen, komm und welke!
    Kömmt ein Mensch dann durch die Wüste,
    So wird er in den Sand uns scharren,
    Sagen: das ist Weib und Kind. x
    Ich will mich von dir wenden,
    Daß ich dich nicht sterben seh'
    Und im Taumel der Verzweiflung
    Murre wider Gott!
    Ferne von dir will ich gehen
    Und ein rührend Klaglied singen,
    Daß du noch im Todeskampfe
    Tröstung einer Stimme hörst. x
    Nur zu letzten Klaggebete
    Öffn' ich meine dürren Lippen,
    Und dann schließ' ich sie auf immer,
    Und dann komme bald, o Tod. x
    Jehova! blick' auf uns herab!
    Erbarme dich des Knaben!
    Send aus dem Taugewölke
    Labung uns herab!
    Ist er nicht von Abrams Samen?
    Er weinte Freudetränen,
    Als ich ihm dies Kind geboren,
    Und nun wird er ihm zum Fluch!
    Rette deines Lieblings Samen,
    Selbst sein Vater bat um Segen,
    Und du sprachst: Es komme Segen
    Über dieses Kindes Haupt!
    Hab' ich wider dich gesündigt:
    So treffe mich die Rache, ha!
    Aber ach! was tat der Knabe,
    Dass er mit mir leiden muss?
    Wär ich doch in Sir gestorben,
    Als ich in der Wüste irrte,
    Und das Kind noch ungeboren
    Unter meinem Herzen lag;
    Nein da kam ein holder Fremdling,
    Hieß mich rück zu Abram gehen
    Und des Mannes Haus betreten,
    Der uns grausam jetzt verstieß.
    War der Fremdling nicht ein Engel?
    Denn er sprach mit holder Miene:
    Ismael wird groß auf Erden,
    Sein Samen zahlreich sein.
    Nur liegen wir und welken;
    Unsre Leichen werden modern
    Wie die Leichen der Verfluchten,
    Die der Erde Schoß nicht birgt.
    Schrei zum Himmel, armer Knabe!
    Öffne deine welken Lippen!
    Gott, der Herr, verschmäh' das Flehen
    Des unschudgen Knaben nicht!

  • Zu "Hagars Klage" ist, aus der Perspektive der Entwicklung von Schuberts Liedkomposition anzumerken:


    Das ist ein sozusagen noch "junger Schubert": Er komponiert mit rezitativischen und ariosen Elementen, in einer gleichsam kantatenaften Form. Die Fähigkeit, sich kompositorisch wirklich auf den lyrischen Text einzulassen und diesen in Musik umzusetzen, ist hier noch nicht voll entwickelt. Musikalisch-deskriptive Elemente überwiegen. Man hört in diesem "langen Lied" Schuberts noch deutlich das Vorbild Zumsteeg heraus.


    Der Schubert-Forscher und -Kenner Thr. Georgiades meint zu diesem Lied:


    "In Schuberts - unbedeutendem und in mancher Hinsicht ungekonnten - Liederversuch >Hagars Klage< spürt man etwas, das von seinem Vorbild, Zumsteegs Vertonung desselben Textes, nicht ableitbar ist. Schubert lehnt sich zwar eng an Zumsteeg an, ist bestrebt, sich dessen Kompositionsweise möglichst gewissenhaft anzueignen. Und doch entsteht unter seinen Händen und sozusagen wider seinen Willen Andersartiges".


    Es wäre interessant, in einem Vergleich mit dem Lied von Zumsteeg, dieses "Andersartige" herauszuarbietn.

  • Zu "Hagars Klage" D 5
    Ich gebe zu bedenken: Franz Schubert hatte dieses Lied, das mit 30. März 1811 datiert ist, im Alter von 14 Jahren und 2 Monaten geschrieben. Es ist die erste seiner erhaltenen Liedkompositionen, von der wir Kenntnis haben.


    Ich bitte die gestrengen Herren um Nachsicht.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato,


    Du mahnst: "Ich bitte die gestrengen Herren um Nachsicht." ...


    ...und übersiehst - mit Verlaub - etwas Wichtiges dabei. Von mir wurde nicht an einem Komponisten herumgemäkelt, sondern ein analytisch begründetes Urteil über eine seiner Kompositionen abgegeben. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Das, was ich zu diesem Lied angemerkt habe, sind analytisch aufweisbare Sachverhalte der kompositorischen Faktur von "Hagars Klage". Sie sagen übrigens überhaupt nichts darüber aus, ob man dieses Lied für hörenswert hält oder nicht.


    Aber davon mal ganz abgesehen: Schuberts singuläre Größe als Liedkomponist steht so sehr außer aller Frage, dass ein Urteil über dieses und jenes seiner Werke diese in gar keiner Weise tangieren kann.

  • Mir geht es darum, dass Franz Peter Schubert das Werk als Kind, Jugendlicher geschrieben hat. Dass in diesem Alter man sich an Vorbild von Zumsteegs Melodram orientiert, bei aller Genialität, die ich Schubert zugestehe, darf ihm nicht als Vorwurf gemacht werden. Vielmehr staune ich darüber, wie es einem Vierzehnjährigen gelingt, diesen Text zu vertonen. Der Jugendliche muss vom Text im Innersten ergriffen gewesen sein, als er ihn zur Vertonung auswählte. Was haben die Worte in ihm zum Klingen gebracht?


    In der ausgezeichneten Schubert-Biografie von Brigitte Massin, die leider nur in französischer Sprache erhältlich ist, (Librairie Arthème Fayard 1977, Neuauflage 1993) und die ich jedem, der des Französischen mächtig ist, empfehle, kann man sich auf Seite 56 bzw. 496 über die Umstände der Komposition und die Struktur des Werkes informieren.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Zitat

    Mir geht es darum, dass Franz Peter Schubert das Werk als Kind, Jugendlicher geschrieben hat.


    Zu der Frage, wie der so junge Franz Schubert mit diesem Text klar kommt, sollte man auch die Zeitumstände im Auge haben. Hier darf man sich keineswegs einen 14-Jährigen der aktuellen iPad-Generation vorstellen. Ein „Junge“ im Jahre 1811 – das trifft nicht nur auf Schubert zu – war in der Regel mit Leid und Tod konfrontiert. Ich war schon einige Male in der Wohnung der Schuberts und versuche mir vorzustellen, wie es war, wenn wieder mal ein Kind starb … Franz Schubert konnte sich in die Not der Hagar hineinversetzen, ein 14-Jähriger unserer Tage kann das nicht.

  • Zu moderatos Bemerkung: "...darf ihm nicht als Vorwurf gemacht werden.":


    Das hat doch niemand hier getan. Es geht doch nur darum, spezifische Merkmale eines Liedes, bei dem es sich um ein frühes Lied Schuberts handelt, aufzuzeigen, damit man es als frühe Liedkomposition erkennen und als solches in das Gesamtwerk Schuberts einordnen kann. Damit ist keinerlei Kritik verbunden, - und schon gar kein Vorwurf.


    Man kann übrigens, wenn man dieses Lied mit der Vertonung durch Zumsteeg vergleicht, schon erste Ansätze einer ganz spzifischen liedkompositorischen Handschrift Schuberts erkennen. Bei Schubert wird zum Beispiel zwar mehr skandiert als bei Zumsteeg, seine Deklamation ist aber ungleich profilierter und ausdrucksvoller.


    Fischer-Dieskau meint, - eben unter dem gleichen Aspekt des Vergleichs mit Zumsteegs Lied: "Improvisatorik und unbekümmerte Dramatik erheben >Hagars Klage< über das Vorbild des erfahrenen Älteren."


    Dass Schubert sich als junger Liedkomponist an Zumsteeg - und nicht nur an ihm - orientierte und sich auch mit dessen Kompsitionsweise auseinandersetzte, hat sich für seine Entwicklung als überaus fruchtbar erwiesen. Zumsteeg war nicht nur bedeutendste Liedkomponist zur damaligen Zeit, er war auch der erste, der Ansätze zur Entwicklung des spezifisch romantischen Klavierliedes entwickelte, indem er versuchte, die spezifische Aussage des lyrischen Textes mit der musikalischen Faktur aufzugreifen.

  • Auch wenn ich nicht sicher bin, ob das hier der richtige Thread dazu ist...ich fand keinen passenderen und einen ganz Neuen wollte ich nicht unbedingt aufmachen.
    Fernab von Schuberts alles überstrahlenden Zyklen Winterreise, Müllerin und Schwanengesang habe ich auf einem sehr schönen youtube-Kanal (Ars cantus, falls jemand interssiert ist) eine Reihe Schubertlieder gefunden, die vielleicht weniger bekannt sind, zumindest bei vielen (auch bei mir), aber sicher nicht bei allen, u.a. "Du liebst mich nicht (Mein Herz ist zerrissen)", dass mir sehr gefiel, weil es so auf stille Art schmerzt, oder "Todengräbers Heimweh".
    Zum anderen Duette (Duett-Lieder gibt es sowas???) für weibliche und männliche Stimme, die ja fast etwas balladesken und dramatisches haben, hier als Bsp. "Antigonae und Oedipe", "Hectors Abschied" oder "Licht und Liebe".
    Wer kennt diese Lieder und mag mir vielleicht etwas darüber sagen? Würde mich sehr über Gedanken dazu freuen.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Das Lied gehört zwar nicht in diesen Thread. Aber da hier danach gefragt wird, eine kurze Besprechung.


    Dem Lied liegt ein Gedicht von August von Platen zugrunde. Es wurde im Juli 1822 komponiert und ist in zwei Fassungen überliefert.


    Mein Herz ist zerrissen, du liebst micht nicht!
    Du ließest mich´s wissen, du liebst mich nicht!
    Wiewohl ich dir flehend und werbend erschien,
    Und liebebeflissen, du liebst mich nicht!
    Du hast es gesprochen, mit Worten gesagt,
    Mit allzugewissen, du liebst mich nicht!
    So soll ich die Sterne, so soll ich den Mond,
    Die Sonne vermissen? Du liebst mich nicht!
    Was blüht mir die Rose? was blüht der Jasmin?
    Was blühn die Narzissen? Du liebst mich nicht



    Bemerkenswert - und klanglich überaus beeindruckend ist an diesem Lied, wie Schubert den seelischen Schmerz und die innere Zerrssenheit des lyrichen Ichs in Musik gesetzt hat. Das geschieht durch einen Wechsel in der Harmonsierung der melodischen Linie der Singstimme zwischen Moll und Dur und durch ein permanentes Schwanken der Harmonik zwischen weit auseinanderliegenden Tonarten, die zuweilen unverbunden nebeneinanderstehen.


    Hinzu kommt, dass die Singstimme zunächst im Pianissimo kurze, wie stockend voneinander abbesetzte Melodiezeilen deklamiert, dann aber immer mehr zu wie Wehklagen wirkenden größeren Phrasen übergeht, die sich ins Forte steigern. Melodisch überaus eindringlich hat Schubert das letzte Verspaar musikalisch gestaltet, und zwar dadurch, dass er die sprachliche Intensität der Klage, die sich aus Wiederholung der mit der Partikel "was" eingeleiteten Fragen ergibt, dadurch steigert, dass er bei "was blühn die Narzissen" eine höchst eindrucksvolle harmonische Rückung vornimmt.

  • Erstmal vielen Dank für die Antwort und den Hinweis zum anderen Thread.
    Zu "Du liebst mich nicht"... genau die von dir beschriebene innere Zerrisenheit und der seelische Schmerz und wie Schubert ihn in diesem Lied darstellt, haben mich sofort gepackt.
    Dieses permanente Schwanken der Harmonik verleitet mich immer, dass ich darin auch immer mitgehe.


    Du schreibst, es gibt zwei Fassungen...wie unterscheiden die sich denn?
    Ist das Lied für eine bestimmte Stimmlage geschrieben worden oder gibt es da wie bei zb der Wintereise (die ja, denke ich für Tenor geschrieben, aber auch von Baritonen gesungen wird) eine gewisse "Offenheit", was die Besetzung betrifft? (ich kenne es mit Sopran-Stimme)

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Die beiden Fassungen von "Du liebst mich nicht" unterscheiden sich durch die Tonart. Die erste, in Reinschrift vorliegende Fssung, steht in gis-Moll. Die zweite ist nach a-Moll transponiert. Dieser bei Schubertliedern verschiedener Fassungen häufiger zu findende Wechsel in der Tonart ist meist auf den Wunsch der Verleger zurückzuführen, für die die Stimmlage und die Singbarkeit ein wichtiger Aspekt sind.

  • Wintereise (die ja, denke ich für Tenor geschrieben, aber auch von Baritonen gesungen wird) eine gewisse "Offenheit", was die Besetzung betrifft? (ich kenne es mit Sopran-Stimme)


    Kann "Mann/Frau" die Winterreise mit Sopranstimme gesungen wirklich kennen? Ich für mich würde das verneinen.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zur Frage von zweiterbass: "Kann "Mann/Frau" die Winterreise mit Sopranstimme gesungen wirklich kennen?

    Ich kenne die "Winterreise" in einer Interpretation von Mitsuko Shirai (begleitet von Hartmut Höll). Sie verfügt über einen recht hellen Mezzosopran.
    Kommentieren möchte ich diese Interpretation nicht, da mich an der Winterreise ohnehin viel mehr die Lieder selbst, als ihre Interpreten interessieren.


    Aber grundsätzlich meine ich, dass dieses Werk von einer männlichen Stimme interpretiert werden sollte. Schließlich ist ihr Protagonist ganz unbezweifelbar ein männliches Wesen. Und die Art, wie er denkt und fühlt und verzweifelt ist, kann man wohl auch als in ganz bezeichnender und typischer Weise "männlich" einstufen.
    Aber darüber sind hier im Forum schon reichlich Worte verloren worden.


    Übrigens: Obwohl es einen inneren konzeptionellen Zusammenhang zwischen den Tonarten der einzelnen Lieder gibt, hat sich Schubert nicht gescheut, einzelne Lieder für den Druck in tiefere Lagen zu transponieren. Ich hatte ja schon einmal darauf hingewiesen: Sehr oft saß ihm diesbezüglich der Verleger im Nacken.


    (Nun denke ich aber, dass es genug sei mit den Abweichungen von der eigentlichen Thematik dieses Threads)

  • Missverständnis! Meine Aussage mit der Sopran-Stimme bezog sich auf das Lied "Du liebst mich nicht", nicht hingegen auf die Winterreise, die ich mit Tenor und Bariton kenne und die Frage bezog sich auch auf dieses Lied (Winterreise war nur als Bsp. angeführt, für Lieder, die von verschiedenen Stimmlagen gesungen werden)


    Wenn das hier der falsche Thread zu diesen Liedern ist, welches wäre denn der richtige? Wohin soll das verschoben werden?

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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