Liebe Taminoianerinnen und Taminoianer,
im Thread über Beethovens 5. Sinfonie c-moll hub eine off-topic-Diskussion an über die Frage, ob "die Musik" (was immer das sein mag) erst ab Beethoven, inbes. ab dessen 5. Sinfonie, so richtig emotional und subjektiv wurde, wohingegen sie vorher eher objektiv-sachlich geprägt gewesen sei. Die aus meiner Sicht wichtigsten Zitate:
Novecento:
ZitatDesweiteren markiert gerade Beethoven und grade auch seine 5. Symphonie einen entscheidenden Schritt der Musik in Richtung Emotionalität und Subjektivität, durch die sich die Kompositionen im Laufe der Romantik mehr und mehr in ihrem Ausdruck von klaren, mathematischen Strukturen, wie sie im Barock noch offenkundig wahrnehmbar war. Natürlich mag man einwenden, dass immer noch dieselben musiktheoretischen Grundlagen modifiziert angewendet werden, aber ihr Stellenwert lässt eben zugunsten des Ausdrucks nach.
Wolfram:
ZitatIch meine nicht, dass die Musik erst ab Beethovens 5. einen entscheidenden Schritt in Richtung Emotionalität und Subjektivität gegangen ist. Ich könnte jetzt die hochemotionalen Violinsonaten eines Corelli oder Biber nennen, die Affektenlehre des Barock (hochemotional!), die venezianische Oper der Barock, die Madrigale von Gesualdo usw. usw.
Nicht die Musik ist es, die mit Beethovens 5. emotionaler und/oder subjektiver geworden ist. Die Emotionalität und Subjektivität von Beethovens 5. steht uns lediglich näher als die Emotionalität und Subjektivität des es-moll-Präludiums im WK I (J. S. Bach). WIR sind es, die auf diese Musik emotionaler reagieren (und erst recht auf Bruckner, Wagner, Mahler, ... ), weil sie uns näher steht. Das ist aber eine Aussage über uns und unsere Antennen, es ist keine Aussage über die emotionalen Qualitäten der Musik.
Novecento:
ZitatHallo Wolfram,
das ist sicher richtig. Dieses veränderte Bewusstsein von Emotion ist freilich wohl auch der Prägung durch die (Musik-)geschichte geschuldet.
Dennoch bin ich aber der Ansicht, dass die Musik bis hin zur Frühklassik mehr aus einem Regelkanon heraus entstand und auch für uns verständlich ist, wohingegen die Werke der Romantik sich viel mehr (flüchtigen) Empfindungen hingeben.
Johannes Roehl:
ZitatWeder ist ein Bruckner-Satz unbedingt komplexer als einer von Beethoven oder als ein Bachscher Eingangschor o.ä. noch "emotionaler". Bei Musik vor Monteverdi wird es für den modernen Hörer manchmal etwas schwer, die Emotionen zu finden. Zum Teil ist das aber sicher einfach nur Gewöhnung.
Mit der angeblichen Strenge des Barock und der "Freiheit" der Romantik habe ich noch mehr Schwierigkeiten. Der Barock begann als eine Revolution gegen strenge, regelgebundene Polyphonie und auch wenn die nicht verschwunden ist, so gab es durchweg "freie" Formen wie "Fantasie" oder "Toccata". Beethovens 5. (besonders der Kopfsatz) ist sicher außerordentlich "streng" im Sinne von konsequent durchgearbeitet, der Unterschied zu einer Fuge oder Chaconne liegt sicher nicht darin. Es gibt vermutlich in fast allen Stilen zu fast allen Zeiten eine Balance zwischen "frei" und "streng". Wenn es nur um simples Regelbefolgen ginge, wäre Komponieren kein kreativer Prozess. Und der Unterschied zwischen improvisatorischem, freien Fantasieren und niedergeschriebener Komposition ist ab etwa Beethoven ja viel deutlicher als früher.
Was meint Ihr? Wann ging es so richtig los mit Emotionaliät in der Musik? Oder war von Anfang an (sagen wir, ab der Gregorianik) alles da?