Johann Sebastian BACH: Brandenburgisches Konzert NR 4 BWV 1049 im Hörvergleich

  • Nun, vielleicht ist der Titel etwas zu hochtrabend gewählt, schließlich Vergleiche ich - zumindest fürs erste nur den ersten Satz - und auch hier beschränke ich mich hier auf subjektive Höreindrücke. Mag aber sein, daß im Laufe des Threads weitere Sätze folgen werden - eventuell auch von anderen Nutzern.


    Anlass zu diesem Thread war meine Neuerwerbung:




    Ich war von dieser Aufnahme begeistert. Und natürlich wollt ich sehen, wie sich die bereits in meiner Sammlung befindlichen Einspielungen gegen sie "schlugen" Um es gleich vorwegzunehmen : Nicht schlecht, ich würde - von einer Ausnahme abgesehen, hier keine Präferenzen setzen, das Feld lag überraschend dicht beieinander, aber natürlich gab es Unterschiede, wenngleich nicht gravierend


    Bewertungen sind immer von der Erwartungshaltung des Hörers geprägt und auch Zeitaufnahmen. Sie können sich im Laufe der Zeit -ich werde darauf zurückkommen - durchaus wandeln. Zudem spielt auch die Reihenfolge - in welcher man die Probanden abhört - eine gewisse Rolle...


    Ich habe das Brandenburgische Konzert Nr 4 aus der Sammlung gewählt - weil es mir schon seit jeher das liebste war.


    Wie klingt denn nun die Alpha- Aufnahme mit dem Ensemble Cafe Zimmermann ??


    Ich würde den ersten Satz, auf den sich alle kommenden Bemerkungen beziehen, als rhythmisch, spielfreudig, aber auch als klangschön bezeichnen. Es wird mit Verve gespielt, was sich auch aufs Tempo auswirkt.: Mit einer Spieldauer von 6:12 Minuten ist diese Aufnahme die flotteste des Feldes, liegt zeitlich noch eine Sekunde vor der Musica antiqua von Reinhard Goebel.


    Zu betonen ist der frische, fröhliche Zugang .......


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    Harnoncourts Digitalaufnahme aus den frühen achtzigern war nun an der Reihe. Sie war mir , als ich sie erwarb nicht besonders aufgefallen, umso größer war die Überraschung wie schön sie war.



    Im unmittelbaren Vergleich mit der Zimmermann-Aufnahme wirkt sie weniger spritzig, ja sogar ein wenig gelassen, langsam, (7.07 Minuten )kontemplativ, und wäre es nicht übertrieben - an einigen Stellen sogar andeutungsweise "süßlich"
    Der musikalische Fluss ist perlend, entspannt.


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    Zwischen den beiden bisher genannten Aufnahmen liegt die Einspielung der Akademie für alte Musik Berlin. Spielzeit ist 6: 32 Minuten , das Spiel ist ausgewogen, die Streicher schlank und silbrig. Sollte ich der Wiedergabe des Satzes ein beschreibendes Attribut zuordnen müssen, so würde ich sage, "Schwebend" oder "fliegend", auch fliessend, bei annähernd gleicher Spieldauer wirken sie nicht so rasant wie ihre französichen Kollegen.
    Die Akademie für alte Musik Berlin sind eine jener deutschen HIP-Formationen, die nicht "ruppig" , "rauh" oder aufgesetzt "angriffslustig" wirken.
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    Ganz kurz möchte ich noch Die Aufnahme mit "Il giardino armonco" streifen.
    Ich erinnere mich noch, wie enttäuscht ich nach dem Kauf war, daß Ihr Bach nicht alle jene "Extravaganzen", man könne auch sagen "Eigenmächtigkeiten" aufwies, welche ihren Vivaldi auszeichnete - und welche lange Zeit ihr Markenzeichen waren.
    Aus heutiger Sicht handelt es sich um eine gediegene Aufnahme mit eher fülligem Violinton" - hierin nahe beim "Cafe Zimmermann - nicht aber bei der Wahl der Tempi - und eher konventioneller HIP Lesart.
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    Der Versuch die NON-HIP Aufnahme unter Neville Marriner hier einzubringen wurde von mir fallengelassen, ein etwas entfernter Klang und eine zu leise aufgenommene Flöte torpedierten diesen Versuch.........
    Die Aufnahme (Nipper Collection) ist zudem gestrichen...


    Ihr seid eingeladen, beizupflichten, zu widersprechen oder eure persönlichen Eindrücke zu schildern, eventuell auch einen der anderen Sätze - vergleichen zu beschreiben - mt jenen Aufnahmen, die Euch zu Verfügung stehen...


    Oder aber meine Beschreibung des Ersten Satzes mit Beschreibung anderer Aufnahmen zu ergänzen.....


    Keine Angst, es geht hier nicht um "Analysen" sondern um des rasche Niederschreiben flüchtiger Eindrücke.
    Damit liegt man meist ohnedies einigermaßen richtig....



    mfg aus Wien



    Alfred





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    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Keine Angst, es geht hier nicht um "Analysen" sondern um des rasche Niederschreiben flüchtiger Eindrücke.
    Damit liegt man meist ohnesdies einigermaßen richtig....


    ... jedenfalls, wenn man sein Weltbild nicht in Frage stellen will ... nicht analysieren, nur auf sich wirken lassen, flüchtige Eindrücke sind alles, die Oberfläche zählt, Tiefe gilt es zu vermeiden ....


    ... in welchen Threads ist mir diese Haltung nur schon mal begegnet? :no:


    Es sei die Frage gestattet, wie Bachs Musik ausgefallen wäre, hätte er nicht nach Tiefe gesucht, sondern nur den oberflächlichen Eindruck, wenn er nicht waghalsige Architekturen riskiert hätte, die dem Analytiker etwas zu tun geben, sondern die konventionellen Formen bedient hätte usw. usw. Wie schade wäre das doch.

  • ... jedenfalls, wenn man sein Weltbild nicht in Frage stellen will ... nicht analysieren, nur auf sich wirken lassen, flüchtige Eindrücke sind alles, die Oberfläche zählt, Tiefe gilt es zu vermeiden ....


    ... in welchen Threads ist mir diese Haltung nur schon mal begegnet? :no:


    Es sei die Frage gestattet, wie Bachs Musik ausgefallen wäre, hätte er nicht nach Tiefe gesucht, sondern nur den oberflächlichen Eindruck, wenn er nicht waghalsige Architekturen riskiert hätte, die dem Analytiker etwas zu tun geben, sondern die konventionellen Formen bedient hätte usw. usw. Wie schade wäre das doch.

    Lieber Wolfram,


    nicht die Oberfläche zählt, nur gibt es wirklich verschiedene Arten und Weisen, Gehörtes zu beschreiben und Höreindrücke wiederzugeben. Da gibt es die, die über weitreichende, auch musiktheoretische Kenntnisse verfügen, die Noten lesen können und anhand dessen zweifelsohne Besonderheiten an einem Stück entdecken (von Form auf Inhalt schließen können). Anderen ist dieser Zugang verschlossen, weil sie nicht über dieses Wissen verfügen. Aus der Sicht der erst genannten mögen Höreindrücke derer durchaus obeflächlich wirken. Genaugenommen sind sie das sogar. Doch wichtig ist, was man beim Hören eines Werkes empfindet. Selbst das fällt mir mitunter schwer, in Worte zu fassen .... Und manches Mal fühlt sich der eine oder andere ohne tiefgreifende Kenntnisse, der die Musik aber nicht weniger liebt, ein wenig mutlos, seine "bescheidenen" Höreindrücke zu teilen. Das gilt es zu vermeiden!


    Sorry, ein wenig OT


    :hello:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Sorry, ein wenig OT


    EIgentlich nicht. Du hast mir quasi die Worte aus dem Mund genommen...


    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Lieber Masetto,


    vielen Dank für Deine Antwort!


    Ich gehe bis zu dieser Stelle mit dem Eingangsbeitrag dieses Threads mit:


    Zitat

    Keine Angst, es geht hier nicht um "Analysen" sondern um des rasche Niederschreiben flüchtiger Eindrücke.


    Damit habe ich keine Probleme.


    Problematisch finde ich aber den folgenden Satz:


    Zitat

    Damit liegt man meist ohnesdies einigermaßen richtig....


    Es ist völlig in Ordnung, Musik in beliebiger Durchdringungstiefe zu rezipieren und zu genießen. Wenn jemand den "Ring" hören will, während er gleichzeitig seine E-Mails abarbeitet oder die Bild-Zeitung (Österreich: Krone) liest, ist das in Ordnung. Wenn jemand den Ring mit der Partitur auf den Knien nach dem Durcharbeiten der jüngsten Veröffentlichungen zu diesem Bühnenfestspiel hört, ebenso.


    Aber der Euphemismus, den flüchtigen Eindruck als "meist einigermaßen richtig" zu bezeichnen, der geht mir doch gegen die Hutschnur. Wem soll die Geisteshaltung "es gar nicht so genau wissen zu wollen" helfen? Wozu soll die Sanktionierung des urteilenden Schnellschusses gut sein?

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  • Ich denke, damit wollte gesagt sein, dass jeder sich frei fühlen soll, das zu schreiben, was er empfindet. Dies war eher ermutigend für die, die sich denken "ja, das habe ich so und so gehört", möglicherweise schon einen Beitrag schreiben, diesen dann aber nicht absenden, weil sie unsicher sind, ob das, was sie schreiben von genügender Substanz ist. Glaub mir, mir ist das selbst schon sehr oft so gegangen.


    :hello:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Frage ist eher, was hier richtig und falsch heißen sollte. Wenn man Eindrücke festhalten will, muss man Eindrücke festhalten. Wenn einem dies sprachlich gelingt, geben sie sicher wichtige Aspekte des Musik-Erlebens wieder und ziemlich sicher auch tatsächliche Eigenschaften des Werks. Mir ist aber nicht so recht klar, wie man hier überhaupt "richtig" oder "falsch" liegen kann.


    Sie sind mit einer formalen Analyse aber gewöhnlich gar nicht vergleichbar, weil eben etwas völlig anderes. Eine formale Analyse kann falsch oder richtig sein, je nachdem, ob sie Strukturmerkmale des Werks korrekt wiedergibt oder eben nicht.
    Es ist keineswegs von vorherein ausgemacht, ob die besonderen Merkmale des Höreindrucks unbedingt von einer technischen Analyse erfasst werden, ebensowenig ob die Konventionalität oder Kühnheit oder andere Merkmale eines Werks immer leichter durch technische Analyse erkannt werden können als durch aufmerksames Zuhören. Musik ist zum Spielen und Hören, nicht zum Analysieren da.


    Schönberg (dem man kaum Mangel an analytischer Durchdringung vorwerfen wird) soll angeblich mal über Schenkers (nun ist das eine sehr spezifische und umstrittene Analysemethode) Analyse der Eroica gesagt haben: Wo sind meine Lieblingsstellen? Schönbergs Lieblingsstellen kamen in der Analyse nur am Rande vor...


    Wenn man sich mal Rezensionen von Berlioz oder Schumann anschaut, wird einem nicht immer klar, dass die überhaupt Partitur lesen konnten. Man kann weitgehend untechnisch und doch ziemlich inhaltsreich über Musik schreiben. Aber es ist sehr schwierig und quod licet Iovi...


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wenn man sich mal Rezensionen von Berlioz oder Schumann anschaut, wird einem nicht immer klar, dass die überhaupt Partitur lesen konnten. Man kann weitgehend untechnisch und doch ziemlich inhaltsreich über Musik schreiben. Aber es ist sehr schwierig und quod licet Iovi...


    Hallo,


    man kann Musik hören (und die Erlebnisse dann beschreiben)


    nur emotional


    nur mit dem Verstand analysieren


    die mit dem Verstand gewonnen Erkenntnisse versuchen, auf die emotionale Ebene rüber zu bringen


    mit dem Verstand + der Analyse versuchen zu ergründen, warum der emotionale Eindruck so und nicht anders war.


    Alles ist berechtigt, ist wichtig und hängt von den individuellen Vorlieben und Möglichkeiten des Hörers ab.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nachdem nun relativ ausgiebig eine Diskussion über die Art einer Diskussion geführt wurde, könnte aus meiner Sicht nunmehr eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Interpretationsansätzen zu J.S.Bachs 4. Brandenburgischem Konzert, 1. Satz durchaus bereichernd und weiterführend wirken.


    Leider habe ich momentan nicht die Zeit, in dieses Thema einzusteigen ( Kirchenmusiker haben vor Weihnachten viel zu tun...), aber ich werde versuchen, es nachzuholen.
    In der Zwischenzeit werde ich immer einmal wieder bei Tamino nachsehen, ob es hier ein paar interessante Aussagen zu lesen gibt.


    Man liesst sich also....



    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich habe gerade der Matthäus Passion unter Rilling gelauscht, um dann schließlich doch nochmal die Brandenburgischen einzuwerfen und zwar diese Aufnahme, die unter den Aufnahmen, die ich vorrätig habe, bislang im großen und ganzen ungehört blieb.






    Tja, was soll ich sagen ... :jubel: :jubel: :jubel:


    Kaum erklang der erste Satz des vierten Brandenburgischen Konzerts aus meinen Boxen hat es mich einfach umgehauen. Meine ersten Eindrücke gelten daher ganz ausschließlich dieser Aufnahme. Der Sound hat mich umgehauen. Man kann jeder Note eines jeden Instruments ganz klar folgen. Doch gerade diese "Individualität" unter den einzelnen Instrumenten gibt dem ganzen, weil jeder so verdammt gut spielt und man zudem auf diesem Niveau auch miteinander zusammen spielen kann, eine ganz spezielle Aura der Homogenität. Das lässt sich schwer beschreiben. Die sprudeln quasi über vor Spielfreude. Aber immer mit dem Blick aufs Ganze. Alles funktioniert hier. Und ein Rad greift ins andere, dies aber in einer derart rasanten und dynamischen Art und Weise, dass man das ganze nur als meisterhaft bezeichnen kann. Ich bin am Staunen! Das vorgegebene Grundtempo ist recht flott. So stellt man zunächst vor, um im nächsten Moment wie von einem Wirbelwind getragen einfach durch die Noten zu fliegen. Dabei gerät aber nichts aus der Form, weil man so gut miteinander spielen kann. Dann kehrt wieder Ruhe ein und Dinge werden geordnet nebeneinander gestellt.


    Ich bin schier sprachlos und erstmal mit dieser Aufnahme beschäftigt :D


    Gardiner braucht für Satz 1 im Übrigen 6 Minuten und 25 Sekunden ...

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Mein schönstes 4.Brandenburgische Konzert ist von Musica Florea mit Marek Strycl.
    Aus mehr als ein Dutzend Aufnahmen meiner Sammlung habe ich mich für diese Aufnahme entschieden.
    Hier geht es flott und und ein wenig rauh zur Sache und das gefällt mir.Aufnahmetechnisch sehr ordentlich.


    Bei den von mir gehörten Aufnahmen waren kaum größere Unterschiede zu hören,mal langsam mal schnell,mal klang es wie ein Orchester ohne Solisten,die Sologeige hob sich kaum von den anderen Streichinstrumenten ab und irgendwo hörte man noch die Föten.Es gab aber auch Aufnahmen,wo die Solisten deutlicher zu hören waren,manchmal zu vordergründig,so daß das Orchester in den Hintergrund trat.
    Das 4.Brandenburgische Konzert ist ein Konzert für Orchester und 3 Solisten,nämlich 1 Violine und 2 Flöten.
    Und so sollte es sich auch anhören.
    Solisten und Orchester sollten sich gegenüberstehen.Die Solisten dürfen also nicht klanglich im Orchester "untergehen".
    Leider hebt sich in manchen Aufnahmen die Sologeige kaum von den Streichern ab,die Flöten spielen eine Nebenrolle.
    Es gibt aber auch Aufnahmen ,wo man Sologeige ,Flöten und Orchester gleichberechtigt zu hören bekommt.

    Die Academy of St.James mit Carl Pini heben sich von anderen Aufnahmen ab,indem sie wirklich die 3 Solisten dem Orchester gegenüber stellen.
    Hier musizieren links die 3 Solisten und rechts das Orchester.
    So kann man nicht nur die beiden Flöten besser hören,sondern vor allem die Solovioline,die sich nun deutlich vom Orchester abhebt.
    Das wird besonders im 2.Satz deutlich,wo eine Echowirkung entsteht,wenn das Orchester zuerst rechts spielt und danach die Solisten links wiederholen.
    Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr:Diese Aufnahme ist ein Konzert für Violine,Flöten und Orchester.

    mfG
    Michael


  • Karl Richter und sein Kammerorchester, 1958: Das erklärte Ziel der Aufnahme war es, zu beweisen, dass diese Musik nicht von einem Menschen erdacht wurde. Jede Note klingt genauso laut wie die vorhergehende und die nachfolgende, Akzentstufentakt gibt es nicht, komponierte Akzentverschiebungen gibt es logischerweise also auch nicht, da es keine Akzente gibt, die man verschieben könnte. So klang Computermusik, als es diese noch nicht gab.


    Wendy Carlos und Moog Synthesizer, „Switched-On Brandenburgs“, etwa um 1969 entstanden, vergriffen. Die stringente Fortsetzung und Verstärkung des Richterschen Ansatzes. Tschiep. Pling. Plopp. Boing. Wenn Richter die Vorhölle ist, dann sind wir hier im Inferno. Gleichgeschaltete elektronische Klangerzeuger exekutieren die Partitur im Stechschritt. Besonders scheußlich: Die ringmodulierten glockenartigen Klänge zu Beginn des zweiten Satzes. Dies ist die Negation von Musik.



    Wie von einem anderen Planeten mutet da die – mittlerweile im doppelten Sinne historische – Einspielung mit dem Concentus musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt aus dem Jahre 1964 an. Zwei erste Violinen, ansonsten ist alles solistisch besetzt, mit Alice Harnoncourt an der Solovioline, Jürg Schaeftlein und Leopold Stasny an den Blockföten und dem Maestro selbst am Violoncello. Durch die kleine Besetzung müssen die Flöten nicht forcieren und können ganz natürlich die ihnen gegebenen Linien nachmodellieren. Alles klingt sehr unangestrengt und unaufdringlich. Inegales Spiel der Achtelnoten im zweiten Satz erfreut den Hörer.



    Spritziger, anspringender, aber auch schroffer und dem Hörer mehr auf den Leib rückend ist die Einspielung mit The English Concert unter Trevor Pinnock aus Februar 1982. Die Flöten weniger gut zu hören als bei Harnoncourt, die Solovioline dominiert sehr. Das Tempo scheint im ersten Satz – im Hinblick auf die Solovioline – an der Obergrenze des Möglichen zu sein, aber Reinhard Goebel droht noch mit seiner Temporekord-Aufnahme. Insgesamt wirkt das Musizieren auf mich ein wenig steif und eckig – ein wenig. Harnoncourt hat mehr Charme in dieser Musik gefunden und aufgezeigt.



    Reinhard Goebel hat seine Aufnahme mit der Musica Antiqua Köln aus dem Monat Februar 1987 in einem Interview in FonoForum 10/1995 selbst als die „Referenz der dritten Generation“ bezeichnet. Eventuell wollte er damit nur sagen, dass er seine Art des Musizierens für so eigen hält, dass sie eine Generation für sich alleine darstellt. Er brüstet sich mit seinen aufgestellten Temporekorden: 6:13/3:19/4:17 im Falle von BWV 1049. Es ist mir nicht bekannt, ob Goebels fokale Dystonie (sein dritter Finger der linken Hand ließ sich nicht mehr bewusst kontrollierend bewegen), ihn vor oder nach der vorliegenden Aufnahme zum Seitenwechsel bewog (Greifhand rechts, Bogenhand links). Die Tempi sind schon sehr schnell, aber ich finde sie gerade noch akzeptabel. Nun ist ein hohes Tempo sicher kein hinreichendes Argument für besondere interpretatorische Qualität – aber eben auch kein stichhaltiges Argument dagegen. Von J. S. Bach selbst ist überliefert, dass er schnelle Tempi zu bevorzugen schien: „Im Dirigieren war er sehr accurat, und im Zeitmaß, welches er gemeiniglich sehr lebhaft nahm, überaus sicher“ heißt es im Forkelschen Nekrolog. – Bei der Musica Antiqua spielen hier übrigens Andrea Keller und Werner Ehrhardt die zweite Violine, bei finden wir später bei Concerto Köln. - Ich finde die Aufnahme sehr hörenswert, auch, wenn es für die Solovioline halt manchmal zu schnell wird.



    Meine jüngste Aufnahme der Brandenburgischen ist nun auch schon vierzehn Jahre alt (Dezember 1996) – Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini. Im vierten Konzert spielt Enrico Onofri den Soloviolinpart und il maestro bläst mit Petr Zeifart die Flöten. Sehr kurz und knapp abgefertigte Achtelnoten im ersten Satz, es klingt ein wenig lieblos. Insgesamt wirkt die Aufnahme auf mich recht „al fresco“ gespielt, was dieser Musik nicht schlecht bekommt.


    Mein Favorit bleibt Harnoncourt 1964.

  • Hallo Bach-Freunde!


    Ist schon mal jemandem aufgefallen, wie Bachs originale Besetzungsliste aussieht:


    Violine solo
    Zwei „Fiauti d'echo“ solo
    Violine 1 (tutti)
    Violine 2 (tutti)
    Viola (tutti)
    Violoncello (tutti)
    Violone (tutti)
    Basso continuo


    Ich habe mich gefragt, was jene zwei „Fiauti d'echo“ bedeuten? Die hiesige Stadtbücherei hat den eindrucksvollen Notenbestand der Bach-Ausgabe und die „Brandenburgischen“ sind da natürlich auch vorhanden, allerdings in einer aus den sechziger Jahren stammenden Auflage. Zu den „Fiauti d'Echo“ fand ich keinerlei Hinweise. Allerdings wurde ich später bei Wikipedia fündig (Zitat):


    Heute wissen wir, was Bach mit der Bezeichnung „Fiauti d'Echo“ (Echoflöten) meinte: Es waren Blockflöten, die paarweise aneinander befestigt waren, bei denen die jeweils eine Flöte lauter und dumpfer, die andere leiser und obertonreicher klang. Zwei derartige Instrumente sind in den Inventarlisten des Köthener Hofs enthalten und können durchaus aus Bachs Zeit stammen. Höchstwahrscheinlich waren sie von Bach für den langsamen Satz vorgesehen, in dem die Stimmen durchgängig mit Lautstärkeangaben versehen und an den Wechselstellen durch Unterbrechung des Balkens gekennzeichnet sind. Die Ecksätze wurden hingegen wohl auf gewöhnlichen Altflöten gespielt. Bisher ist das Vierte Brandenburgische das einzige Werk, das diese Instrumente einsetzt.


    Übrigens greift Bach im ersten und letzten Satz von BWV 1057, Cembalokonzert F-Dur, auf die entsprechende Musik aus dem vierten Brandenburgischen zurück.


    Herzliche Grüße

    .


    MUSIKWANDERER

  • Hallo Bach-Freunde,


    der oben zitierte Wikipedia-Eintrag verkündet etwas als Wahrhiet, worüber in der Bach-Forschung und unter Blockflötenexperten heftig gestritten wird. Daher möchte ich die These etwas differenzieren und gleich vorweg noch einmal betonen, daß der Begriff "Fiauti d'echo" immer noch mehr Fragen als Gewissheiten aufwirft.


    Die oben vertretene These hat einiges für sich. Trotz allem stellt sich die Frage, warum solche Instrumentepaaren nur so selten erhalten sind. Echo-Effekte in Blockflötenkompositionen tauchen durchaus häufiger auf. Zudem ist der Spielkomfort relativ schlecht.


    Ich vermute, daß es sich einfach um leiser intonierte einfache Instrumente handelte, ähnlich den leiseren Instrumenten in diesem Paar. Zeit genug, die "normalen" Blockflöten in den Pausen zwischen den Sätzen wegzulegen, ist ja genügend vorhanden. Das Handling der Instrumente und damit der Spielkomfort wäre dann ganz normal und bequem.


    In der älteren Forschung wurde auch die These vertreten, daß mit der Bezeichnung "Echo-Flöten" die Funktion der Blockflöten im Satz als Echo von Bach herausgestellt wurde. Durchaus möglich, aber auch eine etwas "an den Haaren" herbeigezogene Erklärung.


    Thurston Dart hat sich in einem älteren Beitrag zur Forschung für Sopraninoblockflöten oder Flageoletts in f'' ausgesprochen, die das Echo darstellen, indem sie eine Oktave höher klingen. Diese These wird inzwischen komplett von der Forschung zurückgewiesen.


    Grundsätzlich sei noch erwähnt, daß es sich bei den Altblockflöten um lang mensurierte Blockflöten gehandelt haben dürfte, die eine Ausführung des fis''' mit einem Griff ermöglichen, ohne auf Tricks wie Aufstützen der Blockflöte auf das Knie und damit verbundenem partiellen Schließen des unteren Loches am Fußstück zurückgreifen zu müssen

  • Noch ein kurzer Nachtrag zu den Interpretationen des 4. Konzertes:


    Sehr gelungen ist die zweite Aufnahme mit Harnoncourt aus den 80gern. Die Artikulationsvielfalt und der quasi improvisatorische Gestus der Solovioline sind ausgezeichnet und in dieser Art bis heute unerreicht. In dieser Aufnahme wurden die Echoflöten des zweiten Satzes übrigens in einem Nebenraum gespielt, um den Echoeffekt plastischer herauszuarbeiten.


    Die solistische Besetzung des Tuttis (also des Orchesters) wurde neuerlich durch die Aufnahme mit Academy of Ancient Music unter Richard Egarr aufgegriffen. Zudem wurde der sog. französische Stimmton in 392 Hz gewählt, was einen sehr entspannten Klang zur Folge hat (sehr interessant besonders die Trompete im 2. Konzert). Balanceprobleme sind so weitgehend aus der Welt, die Aufnahme wirkt aber artikulatorisch manchmal zu beliebig.


    Zu Goebel: In einem Interview hat Goebel, bezüglich des schnellen Tempos in die Ecke getrieben, zugegeben: Wir spielen das so schnell, weil wir das halt können.
    Ich glaube, das sagt alles zur Motivation!!!!

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  • Hallo,


    ich beschränke mich nun mal nicht auf das 4. sondern insgesamt:


    Richter - Schwamm rüber
    Harnoncourt - zu langsam
    Goebel - seine Tempi sind z. T. eine Zumutung!


    Mein Favorit aus den vorgestellten CDs ist die letztgenannte von Wolfram - eine gute Mischung der gewählten Tempi - die Bläser im 1. - super - auch das 4. im Wettstreit Solisten zu Orchester gute Klangbalance -


    Meine spezielle Frage an Wolfram, der die CD hat, ich höre ja nur IPC-Schnipsel: Spielt im 6. im Generalbass eine Theorbe (anstatt Cembalo)- kannst Du das mal bitte genau heraushören - wenn ja, ich würde mir die CD kaufen.


    Danke für Deine Antwort.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Hallo Wolfram,


    Ich lese erst jetzt Deinen Beitrag vom 16. 12. 2010. Man kann zu der feurig-kräftigen Aufführungspraxis von KARL RICHTER, die damals ja noch fern der historischen Aufführungspraxis war, stehen wie man will, doch meine ich, daß er ein derart abwertendes Urteil nicht verdient hat. Möglicherweise liegen vom 4. Brandenburgischen Konzert von ihm Einspielungen verschiedenen Datums vor. Meine Einspielung der Archiv-Produktion fand im Januar 1967 in der Hochschule für Musik in München statt, mit so ausgezeichneten Solisten wie HANSHEINZ SCHNEEBERGER, VIOLINE, HANS-MARTIN LINDE und GÜNTHER HÖLLER, BLOCKFLÖTE , und HEDWIG BILGRAM, CEMBALO, und ich finde diese Aufnahme auf jedem Fall auf hohem künstlerischen Niveau und als interessanten Kontrast zu Aufnahmen der modernen Aufführungspraxis. Schließlich feierte er damals jahrzentelang mit seiner Bach-Deutung, gerade auch der Brandenburgischen Konzerte, größte Erfolge, auch bei den Ansbacher Bachwochen, die wie kaum eine andere Konzertveranstaltung, von großen Bachkennern jährlich besucht wurden
    Ich meine, so schnell sollte man nicht den Stab über einen großen Künstler brechen, der fast sein ganzes Lebenswerk in den Dienst von BACH's Werken stellte.
    Genauso gerne höre ich mir aber auch die Aufnahme von AUGUST WENZINGER UND SEINER kONZERTGRUPPE DER SCHOLA CANTORUM BASILIENSIS an, mit den ebenfalls sehr guten Solisten WALTER KÄGI, VIOLINE, und GUSTAV SCHECK sowie VALERIE KÄGI BLOCKFLÖTE. Kennst Du diese Aufnahme? Deine Meinung?


    Gruß


    wok

  • Ich meine, so schnell sollte man nicht den Stab über einen großen Künstler brechen, der fast sein ganzes Lebenswerk in den Dienst von BACH's Werken stellte.


    Lieber Wok,


    Deine Verehrung von Karl Richter in allen Ehren - und er hat im katholischen München Großartiges für die Verbreitung der großen Werke Bachs getan!


    Ich habe ja nicht den Stab über diesen Künstler gebrochen, sondern eine seiner Aufnahmen beschrieben. Genauer: Ich habe meine Wahrnehmung einer seiner Aufnahmen beschrieben. Das ist ja schon mal ein Unterschied.


    Alles hat seine Zeit. Ich bewundere auch romanische Dome, trotzdem würde ich mir von deren Baumeistern kein Eigenheim bauen lassen wollen. Und auch keine Kirche. Das wäre mir viel zu dunkel.


    Und was soll man zur Anerkennung sagen, die Richter damals hatte? Sicher waren seine Bach-Einspielungen seinerzeit eine große Leistung. Das war seinerzeit ein Taschenrechner, der die vier Grundrechenarten beherrschte, oder ein Auto mit 50 PS und 15 Liter Verbrauch auf 100km aber auch. Würde ich mir auch nicht mehr kaufen.


    Die Aufnahme mit Wenzinger kenne ich nicht.

  • Hallo flutedevoix,


    ich konnte nur die von Wolfram vorgestellte Aufnahme aus 1964 (JPC-Schnipsel) hören, da die von Alfred genannte aus 1980-84 bei JPC keine Hörschnipsel zur Verfügung stellt - wie erwähnt, ich beziehe mich nicht nur auf Nr. 4 sondern auf 1 - 6.


    Nachdem Wolfram noch nicht geantwortet hat (kommt noch oder hat er die Frage übersehen?), kannst Du mir bitte die in meinem Betrag Nr. 16 an ihn gestellte Frage beantworten?


    Schon jetzt danke und
    viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Ich habe das schon oft vorgebracht - auch direkt bei der Forenleitung - aber bislang leider ohne Erfolg: Die "Titel" unter den Nicknamen sind irreführend und unnötig - allein aus der Anzahl der Beiräge kann ersehen werden, wie aktiv das Mitglied ist. ("Meister" - Dürer war einer, aber ich bin es nicht; man kann meine Beiträge lesen und kennt dann in etwa mein Niveau und...)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Lieber Zweitbass,


    Da die Antwort von Wolfram kommen wird, muß ich mich der Mühe unterziehen, die Aufnahme aus meiner Archivkiste zu ziehen.
    Diese Aufnahme ist in meinen Augen einer der schlechtesten. In der Tat lieblos, ich würde gerne noch hinzufügen, wenig differenziert in der Artikulation (daß das auch in diesem Tempo geht zeigt Café Zimmermann), sehr al fresco, das Brose Violinsolo im ersten Satz von Nummer vier agogisch viel zu starr (mancher würde sagen abgenudelt)


    Wenn ich Dir raten darf: hör dir erst die Aufnahme von Harnoncourt aus den 80ern an, sie ist in der Gesamtheit gesehen immer noch eine der besten. Die Tempi sind wesentlich schneller als in der 60er-Produktion, was die sprechende und diffenzierte Artikulation angeht, ist die Aufnahme eine Offenbarung. Sie hetzt auch nicht ohne links und rechts zu schauen durch die Partituren (wie etwa Goebel oder auch Il Giardino Armonico).
    Eine sehr gute, kammermusikalischer besetzte, Alternative, zudem im für die Konzerte verbürgten tiefen französischen Stimmton (a' bei 392 Hz), biete die Aufnahme mit "La Stravaganza" unter sieghaft Rampe, leider aber nur noch antiquarisch zu erhalten. Der Stimmton, der ca. Einen Halbton unter der "Barockstimmung" und einen Ganzton unter der heutigen Stimmung liegt, hat durchaus klangliche Auswirkungen. so klingt etwa das zweite Konzert wesentlich harmonischer, weil sich die etwas entspannter geblasene Trompete noch besser in den Gesamtklang einfügt.

  • Lieber flutedevoix,


    danke für Deine Anregung.


    Ich kann mir den "Luxus" nicht leisten, von einem Werk 5, 10, 20... Interprationen zu besitzen.
    Neben 2 LPs, die technisch sehr verbraucht sind, habe ich 1 - 6 auf CD mit Festival Strings Lucerne unter Baumgartner aus 1960.
    In den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen wird "andante" als gehend beschrieben, nur einmal auch noch als schreitend. Wenn ich gehend als zutreffend ansehe und das heutige Schritttempo gehen anlege, dann sind die Tempi in Nr. 2, 2 und Nr. 4, 2 bei Baumgartner kein gehend sondern (würdevoll) schreitend und für mich eindeutig zu langsam. Wie man zu Bachs Zeiten gegangen ist, im Unterschied zu schreiten, weiß ich nicht. Wenn ich allerdings Tempis von "Tanzrhythmen" zu Bachs Zeiten ins Verhältnis zu setzen versuche zu den üblichen Tempovorschriften, so sind die Goebel-Tempi für mich eindeutig zu hoch (von der musikalischen Aufnahmefähigkeit nach "Celi" ganz abgesehen). Dabei unterstelle ich, dass heutige Tänzer nach Barockmusik in etwa ein vergleichbares Rhythmusgefühl haben wie zu Bachs Zeiten.


    Wenn ich Zeit und Muße habe, werde ich mir, unter Berücksichtigung Deiner Empfehlung, eine mir entsprechende Interpretation aussuchen, dabei gilt für mich als Auswahlkriterium:
    1. Tempi und nochmals Tempi (ob ich dabei in allen 1 - 6 zufrieden sein werde? Kompromisse werden angesagt sein. Ich bin im Schubert-Thread etwas aktiv und bevorzuge FiDi mit Moore aus 1960-71; dabei sind einzelne Lieder in anderen Interpretatioen auch gut/besser, aber insgesamt als Kompromiß bleibe ich bei FiDi, dessen Aufnahme-Kapriolen Legende, aber bei Liedern, auch Zyklen, nicht so auswirkend sind wie bei der Gesamtaufnahme komplexer Werke.)
    2. Kleine Besetzung
    3. Ausführung (Phrasierung, Klangbalance uw.) durch die kleine Besetzung. (Nebenbei: Was mir beim Hören einer CD an Spontaneität der Interpreten gegenüber einem Konzert - und dem "Flair - verloren geht, kann ich bei der CD durch Wiederholung zum besseren Verständnis ausgleichen?)


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich möchte mich hier nur rasch auf die Aussage von Zweiter Bass (Nr. 20) beziehen, der sich an den Titeln unter dem Namen stört. Ich kann verstehen, dass er sich nicht als Meister fühlt. Bei mir steht "Profi" drunter: ich bin das genaue Gegenteil! Ich bin ein Musikliebhaber und guter Tenorist in einem guten Chor, aber im Traum käme ich nicht auf die Idee, mich als Profi zu bezeichnen. Und wenn ich daran denke, dass ich nur noch ein paar Beiträge vom Meister entfernt bin, muss ich doch lachen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Meine spezielle Frage an Wolfram, der die CD hat, ich höre ja nur IPC-Schnipsel: Spielt im 6. im Generalbass eine Theorbe (anstatt Cembalo)- kannst Du das mal bitte genau heraushören - wenn ja, ich würde mir die CD kaufen.


    Lieber Zweiterbass,


    das Textheft sagt: Eine Laute und ein Cembalo. (Ich würde mich nicht wagen, Laute und Theorbe hörend unterscheiden zu wollen ... ).

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  • Dann, quais als Ferndiagonse, wird es eine Theorbe oder Arciliuto sein, die Barocklaute eigenet sich nur sehr bedingt als Continuo-Instrument in größten Ensembles im Barock. Der Baßbereich klingt auf der Theorbe einfach wesentlich kräftiger als auf der "normalen" Laute

  • Danke an Beide - habe mich also doch nicht verhört.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich gesteh offen: HIP lässt mich weitestgehend kalt. Meine lieblingsaufnahme des 4. Brandbeurgischen Konzertes dürfte aus 1949 stammen. Es spielt das Stuttgarter Kammerorchester unter Karl Münchinger. Das Werk wird nicht schnell gespielt. Der serste Satz schwingt in etwa mit dem Herzschlag, der zweite verströmt Ruhe und Schönheit. In dieser frühen Phase besticht das Stuttgarter Kammerorchester durch die zarten aber deutlichen Violinstimmen, ein sehr spezifischer Klang.


    Vergleichbar schön spielt August Wenzinger, ebenfalls mono.


    Münchinger kriegt Konkurrenz von Münchinger: er hat die Brandenburgische nochmal in stereo aufgenommen; die intime Zartheit der füheren Aufnahme macht diese allerdings für mich unschlagbar.


    Guter Kapellmeisterlicher Tradition folgend haben auch Carl Schuricht und Jascha Horenstein Aufnahmen der sechs Brandenburgischen vorgelegt. Interessanterweise lassen beide in der Originalbesetzung spielen und mich wundert vor diesem Hintergrund, dass Karajan noch später die musikalische Katatsrophe mit seiner Aufnahme der Brandeburgischen anrichten konnte. Auch die Aufname von Karl Forster berührt mich nicht im Geringsten. Bliebe noch die Einspielung, die I Musici vorgelegt hatten. Anders als Horenstein und Schuricht schlagen die Musici wieder ein eher ruhiges Tempo an, erreichen di Innigkeit der frühen Münchinger Aufnahme indes nicht. HIP dürfte die Aufnahme mit Max Pommer sein, ganz und gar nicht meine Geschmack. Musik ist nicht Korrektheit (oder jedenfalls: nicht nur!) Sie hat auch was mit Innigkeit und Leidschaft zu tun. Und deswegen greife ich bei Bach immer zu Münchinger -soweit das möglich ist. Der musste sich eben nicht hinter der wissenschaftlichen Evidenz seiner Aufnahmen verschanzen, der hat musiziert.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.


  • Hallo Wolfram,


    Auf Deinen Kommentar vom 23. August muß ich doch noch einmal zurückkommen, da dieser zwar eine persönliche Meinung darstellen mag, in dem KARL RICHTER aber doch so hingestellt wird, als habe er seinen ganz persönlichen Musizierstil an dem katholischen Münchner Publikum ausgerichtet, und als sei dieser Stil heute völlig obsolet Der Vergleich mit dem romanischen Dom, den man zwar noch bewundert, aber von dessen Baumeister man sich heute kein Eigenheim mehr bauen lassen würde, da zu dunkel, klingt zwar sehr gut gut, trifft aber so mit Sicherheit auf KARL RICHTER nicht zu, denn sein Musizieren generiert alles andere als Düsternis sondern im Gegenteil sinnliche Lebensfreude. Und der Verleich mit dem veralteten Taschenrechnern, oder gar mit dem alten 50 PS Auto mit 15 l Verbrauch, ist m. E. wohl völlig daneben, sicher auch mehr als eine Despektierlichkeit gegenüber dem beeindruckenden Wirken dieses Künstlers, dazu m. E. auch noch eine Verkennung der Bedeutung von KARL RICHTER'S BACHDEUTUNG auch noch für unsere Zeit. Ein so subjektives Urteil, das offenbar nur noch sogen. historische Aufnahmen gelten läßt, überrascht mich von einer Person, aus deren Beiträgen ich ein großes und breites Musikwissen deduzieren kann, das mich durchaus beeindruckt. Wie ich schon erläuterte, bin ich nicht einseitig ein Anhänger der etwas romantisierenden, dynamischen Musizierweise RICHTERS, mit prächtigem, üppigem Klang, aber durchaus auch sensiblen Klangnuancierungen, sondern ich finde auf ihre Art ebenso intereressant eine der ersten "historischen", völlig gegenpoligen Aufnahmen durch AUGUST WENZINGER und seiner SCHOLA CANTORUM BASILIENSIS, mir ihrer fast spartanischen Besetzung, aber sehr bedeindruckend durch ihr kammermusikalisches, dezentes und schon fast nobles Musizieren. BEIDES hat für mich seinen Reiz, und niemand weiß, welche Deutung durch Bach mehr Zustimmung gefunden, und ihm mehr Freude bereitet hätte, da man trotz aller Forschung doch sehr wenig über die Spielpraxis jener Zeit weiß - abgesehen vom unterschiedlichen Instrumentarium - und wenn schon die Spielweise von KARL RICHTER nach einem halben Jahrzent überholt sein, und nicht mehr in unsere Zeit passen soll, wie überholt müßte dann die Spielweise der Bachzeit heute sein! Jedenfalls hat sich RICHTER mit Sicherheit nicht an das katholische Münchner Publikum angepaßt, sondern er war ein genialer Musiker mit ganz eigenen Stil- und Klangvorstellungen, die ihm weltweit größte Bewunderung und Würdigung einbrachten und immer noch einbringen. Selbst im neuesten MUSIKLEXIKON J. B. METZLER ist über KARL RICHTER noch zu lesen: "RICHTER entwickelte als Dirigent eine neue, dynamisch-temperamentvolle Bach-Interpretation, die als Gegenpol zu einer rein historischen Orientierung weithin zum Inbegriff einer idealen Darstellung wurde, aber auch auf Ablehnung stieß" Das würde ich genau so sehen. Jedenfalls kann man darunter nicht verstehen, daß KARL RICHTER den Musikfreunden von heute nichts mehr zu sagen hätte.


    Gruß


    wok

  • Lieber Wok,


    ich sehe das nicht so schwarz-weiß. Ich mag Richters Aufnahmen der h-moll-Messe und des Weihnachtsoratoriums, die Matthäus-Passion steht auf meiner Wunschliste (ältere Aufnahme, ich glaube 1958').


    Als Organist mag ich seine Aufnahmen noch mehr! In Tempofragen gestehe ich gerne, dass ich nach langer Beschäftigung mit einem Werk häufig zu Ergebnissen komme, die ziemlich dicht an den Richterschen liegen, und das hat keine technischen Gründe. (Obwohl ich die Bach-GA von Koopman sehr mag!)


    Ich bn weit davon entfernt, Richter in toto abqualifizieren zu wollen.


    Aber diese eine Aufnahme, die scheint mir wirklich misslungen. Und ich benenne das objektiv nachvollziehbar an den oben genannten Punkten:


    Zitat

    Jede Note klingt genauso laut wie die vorhergehende und die nachfolgende, Akzentstufentakt gibt es nicht, komponierte Akzentverschiebungen gibt es logischerweise also auch nicht, da es keine Akzente gibt, die man verschieben könnte.


    Ich meine, dass es da wenig Diskussionsspielraum gibt. Es gibt besser artikulierte und betonte Aufnahmen Richters.


    Bitte hör nochmal rein und sag mir, ob Du meine Hörwahrnehmung - kein Akzentstufentakt, keine "guten" und "schlechten" Noten, einkomponierte Akzentverschiebungen bleiben unberücksichtigt - bestätigen kannst oder nicht. Ich werde es genauso machen.

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