Musikkritik - Vergleichendes Hören - und ähnliche Unarten

  • Liebe Taminoianer


    Dieser Thread entstand aus "gegebenem Anlass" - weil ich nämlich in eiinem Thread der dem vergleichenden hören von Bachs Brandenburgischem Konzert gewidmet war, geschrieben habe


    "Keine Angst, es geht hier nicht um "Analysen" sondern um des rasche Niederschreiben flüchtiger Eindrücke."


    und ergänzt habe


    "Damit liegt man meist ohnesdies einigermaßen richtig...."


    Das wurde beanstandet - und ich meine darüber kann man diskutieren, bzw finde das sogar legitim. Aber wenn wir das im Bach Thread machen , so wird er "zerschossen" - eigentlich ist er es ja schon...


    Ich habe die Auffassung vertreten, und tue es weiterhin, daß eine genaue Werksanalyse für Kritiken nicht erforderlich ist, ja ich finde sie teilweise sogar hiinderlich.


    Um das zu begründen muß ich jedoch ausholen, bzw erklären WARUM


    Und natürlich muiß man auch die Gegenposition sehen.


    Was soll eine vergleichende Rezensieon, oder besser gesagt Beschreibung eigentlich bewirken ?


    Es gibt ja verschiedene Arten von Analytischer Kritik. Zum einen wurde - vor allem im 19. Jahrhundert, aber auch schon früher, die Qualität einer komposition beschrieben. Wie wir wissen ist das oft schief gegengen, selbst wenn Musikwissenschafter am Werk waren.


    Diese Art von Kritik scheidet heutzutage weitgehend aus, obwohl ja auch heute alter Kompositionen bewertet werden - oft nach völlig anderen, oft weltanschaulichen Kriterien.


    Mehrheitlich werden jedoch heute Interpretationen beschrieben . Es sit nun die Frage, inwieweit dies einer Strukturanlyse und Kenntnis des Notenmaterials bedarf.
    Man kann selbstverständlich die Meinung vertreten, lediglich der Kenner des "Strickmusters" könne über die Qualität und Notentreue der Interpretation eines werkes ein Urteil abgeben,
    Das ist ein verlockend logischer Gedanke. Dennoch muß zugegeben werden, daß, obwohl Dirigenten und Solisten das Notenlesen beherrschen, sie oft zu fundamental andern Interpretationen neigen.
    Wenn dem aber so ist, dann ist das Notenlesen, bzw die Kenntnis um die Struktur eines Werkes auch nur ein Anhaltspunkt- mehr nicht.


    Wohl ist es die Voraussetzung dafür - festzustellen wie Notengetreu eine Interpretation ist.
    Aber es gibt Interpretationen die sehr "frei" sind - und dennoch - oder gerade deshalb überzeugen.
    Jedermann weiß, daß Glenn Gould geradezu eine Kaskade von Freiheiten herausnimmt - und daß er die Werke gegen den Strich bürstet.
    Und man kann das auch beschreiben. Herbert von Karajan und Otto Klemperer . sie beide kannten die Noten - aber wie verschieden klingt ein und dieselbe Beethoven Sinfonie......
    THeoretisch ist man im Vorteil, wenn man genau jede Abweichunng von Notentext und Tradition sachlich benennen kann, praktisch bringt es aber nur dann etwas, wenn das Publikum - und für dieses ist ja die Kritik eigentlich gemacht - die Kritik auch verwerten und verstehen kann.
    Daher hat sich - sehr zur Unlust mancher Musikwissenschafter - eine eigene blumenreiche Sprache gebildet, die man wenig schmeichelhaft, Kritikerlatein nennen könnte, die aber im Allgemeinen recht brauchbar ist und - richtig angewandt. die wesentlichen Parameter einer Interpretation
    so beschreibt, daß sie jeder Musikfreund - so er will - versteht....


    Kritk muß jedoch nicht unbedingt wertend sein, sie kann sich auch mit einer neutralen Berschreibung begnügen....


    So - jetzt seid Ihr dran...


    mef aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Die Kritik hat nicht die Prämisse eines Denkens zu sein, das abschließend erklärt: Und das gilt es jetzt zu tun. Sie muss ein Instrument sein für diejenigen, die kämpfen, Widerstand leisten und das, was ist, nicht mehr wollen. Sie muss in Prozessen des Konflikts, der Konfrontation, des Widerstandsversuchs gebraucht werden. Sie darf nicht das Gesetz des Gesetzes sein. Sie ist keine Etappe in einer Programmierung. Sie ist eine Herausforderung für das, was ist.“ (Michel Foucault, Diskussion am 20. 5. 1978, Dits et Ecrits: Schriften in vier Bänden IV, S. 41)"


    So, nun seid Ihr dran.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • und sie darf bei aller Professionalität und bei allem Vorgebens wissenschaftlichen Anspruchs nie die Emotionalität des Individuums (Kritiker, Hörer usw.) außer Acht lassen!


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zusammen,


    obwohl Alfred "in rot" gepostet hat, gehe ich davon aus, dass er seine Äußerungen nicht als Administrator, sondern als User tätigte.


    Mir ist wichtig, dass ein Kritiker sein Koordinatensystem ahnen lässt. Beispiele:


    "Diese Interpretation bürstet das Stück gegen den Strich und ist deswegen abzulehnen" ist mir zu wenig.


    Ich kann aber damit leben, wenn ein Kritiker sagt: "Diese Interpretation bürstet das Stück gegen den Strich. Mangels Treue zum überlieferten Notentext ist sie daher abzulehnen". Oder wenn er sagt: "Diese Interpretation bürstet das Stück gegen den Strich. Sie befriedigt nicht das Bedürfnis nach Entspannung durch Musik, nach einem Stück heiler Welt und ist daher abzulehnen."


    Natürlich ist es auch ok, wenn ein Kritiker sagt: "Diese Interpretation bürstet das Stück gegen den Strich und hebt damit Dimensionen des Werkes hervor, die bisher verborgen geblieben waren. Darum ist dies eine wertvolle Ergänzung zu den - mittlerweile fast klassischen - Einspielungen von NN1 und NN2."


    Der Bezugsrahmen spielt halt eine wichtige Rolle.

  • Kritik hat zum einen aus dem spontanen Erleben und den emotionalen Eindrücken heraus zu erfolgen. Zum anderen muss der Kritiker dann das Werk kennen oder sich die Mühe machen, es kennenlernen zu wollen, er sollte musikalische und musiktheoretische Kenntnisse haben und sich mit der Regiekonzeption beschäftigen und auseinandersetzen. Das heißt also, dass er zusätzlich zu seinem spontanen subjektiven Eindruck eine analytische Reflexion leisten muss. Erst aus dem Zusammenspiel von emotionalem Erleben und kognitiver Analyse ist eine halbwegs ganzheitliche Sicht und die darausfolgende beurteilende Darstellung möglich.
    Ich höre, wo es nur möglich ist, vor dem Abfassen einer Kritik Aufnahmen im Vergleich an, und zwar möglichst gegensätzliche also Bruno Walter oder Furtwängler contra Rene Jacobs oder Thielemann. Traditionell gegen Modern. Daraus ergeben sich für mich ergänzend zum Notenlesen wichtige Kriterien für die Beurteilung. Vergleichendes Hören sehe ich also nicht als Unart an, sondern fast als ein Muss, um einen gewissen Überlick- quasi aus der Metaebene - zu bekommen. Zur Zeit beschäftige ich mich mit Rutters "Mass of Children" im Vergleich von englischen zu deutschen Chören und Dirigenten. Das muss einfach sein, weil ich das Werk in verschiedenen Interpretationen nicht genug kenne, um darüber qualiiziert berichten zu können.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Hallo Operus,


    ich verleide mir ein Werk, wenn ich es mir immer wieder anhöre, nur um Unterschiede in der Interpretation herauszufinden.


    Geht mir gerade bei den Klavierkonzerten oder der Eroica von Beethoven so. Ich stelle fest, das ich dosiert hören muss. (Auf meinem I-pod läuft gerade mothership von Led Zeppelin, das ist wie eine saure Gurke nach zu viel Torte, es bläst einem den Kopp frei!)


    Ich höre Beethoven weil ich seine Musik ganz einfach wahrlich ins Herz geschlossen habe. Und Vergleichshören ist wichtig. Aber nicht exessiv.Notenlesen unumgänglich? Horden von Musikwissenschaftlern haben Bände über Beethoven`s Musik gefüllt. Die Noten Stück für Stück seziert. Mit dem Ergebnis, das es kein Ergebnis gibt.


    Und dann soll ich Winzling mich hinsetzen und anhand einer Partitur nachvollziehen, wie ein Dirigent Beethoven interpretiert?


    Viele Grüße Thomas


    P.S.


    Beethovens Werke dürfen nicht vor allem als Bildungserlebnis behandelt werden, sondern als Ermöglichung einer fundamentalen ästhetischen Erfahrung. Man sollte sie endlich als Ereignis von Komplexität begreifen, an dem spielerisch und sinnlich etwas zu lernen ist, das für unsere Alltagsbewältigung immer wichtiger wird: sich auf etwas einzulassen, das man nicht ganz verstehen kann.


    Dies habe aus einem Zeitartikel kopiert, geschrieben von Holger Noltze.

  • Lieber Thomas,


    Du Glücklicher - höre, erlebe und genieße. Nur wenn Du mehr willst, eine Meinung äußerst, die im Focus der Öffentlichkeit steht und qualifiziert berichten sollst, dann mußt Du tiefer einsteigen. Vor den Erfolg setzten die Götter auch hier den Schweiß!


    Herzlichst


    Operus :hello:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,


    auch ich höre, erlebe und genieße meinen Lieblingskomponisten LvB immer wieder. Aber, ich vergleiche auch, meistens dieselben Stücke in verschiedenen Interpretationen und bin immer wieder überrascht, wie es möglich ist, bei ein und denselben Noten so unterschiedliche Interpretationen zu erleben. Wands Maxime war, Beethoven so zu spielen, wie es in den Noten steht, ohne fremde Zusätze. Andere Dirigenten sind der Auffassung, auch dass in den Vordergrund zu stellen, was hinter den Noten steht. Ich sehe aber nicht, was hinter den Noten steht. Egal von welchem Interpretationsansatz ausgegangen wird, Beethovens Musik wird für mich immer das Größte bleiben.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich möchte hier mal einen Vorschlag machen, der vielleicht etwas neben dem Thema liegt, aber einen wichtigen Baustein zum Thema darstellen könnte. Dieser Vorschlag gilt nicht für Kritiker, die ein Konzert oder eine Oper besuchen, sondern nur für die Kritik von zu besprechenden CDs. Ganz von mir ist das alles nicht, das Vorbild hat Mathias Kornemann im Magazin "Rondo" geliefert, es ist dort wieder eingeschlafen, sehr zu meinem Bedauern, weil es gut funktioniert hat.


    Man sollte den Musikkritikern alle CDs, die sie rezensieren sollen, "nackt" zuschicken und sie sollten sie "blind" hören. Es gäbe also kein booklet, es kein Cover, niemand kennte die Orchester, die Sänger, die Dirigenten. Das wäre eine Revolution, vieles würde sich relativieren, am wenigsten bei den Sängern, am meisten bei den Dirigenten. Und sehr vieles würde sich bei den Kritikern relativieren.


    Ich habe diesen Vorschlag schon einmal gemacht bei der Videokolumne von Jochaim Kaiser, wo ja über alles Mögliche, auch über abseitige Themen, gesprochen wird. Diesen Vorschlag allerdings hat er noch nicht aufgegriffen, wobei ich finde, dass diese Methode doch ins Herz jeden Kritikers zielt.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Du Glücklicher - höre, erlebe und genieße. Nur wenn Du mehr willst, eine Meinung äußerst, die im Focus der Öffentlichkeit steht und qualifiziert berichten sollst, dann mußt Du tiefer einsteigen. Vor den Erfolg setzten die Götter auch hier den Schweiß!


    Wie so oft schon bin ich Dir, Operus, sehr dankbar, dass Du Dich engagiert für ein informiertes und reflektiertes Musikhören einsetzt. Ich habe mich in den letzten Wochen in verschiedenen Threads über Qualitäten von Sängern - eigentümlicherweise ging es durchweg um Tenöre - geäußert: Im Kaufmann-Thread im Konya-Thread und im Bergonzi-Thread. Dabei habe ich immer wieder versucht, deutlich zu machen, was es für das eigene Hören, Verstehen und Urteilen bedeutet, eigene Hörerfahrungen zu überprüfen und zu schärfen - und zwar


    • durch den Vergleich der einen Interpretation mit anderen Interpretationen der gleichen Arie (oder eben auch Sonate, Sinfonie...)
    • durch den Austausch mit anderen Musikfreunden, die vielleicht die Interpretation ganz anders gehört haben und anders beurteilen.


    Beides ist mir wichtig. Und Beides ist nur möglich, wenn ich Kriterien habe. Was machen denn Vergleiche und Diskussionen für einen Sinn, wenn es in ihnen allein um Empfindungen und Gefühle, also um Sujektives geht? Natürlich kann ich den 2.Satz eine Klavierkonzertes von Mozart oder die Arie des Nemorino von Donizetti einfach nur genießen. Aber wenn ich darüber mit anderen kommunizieren will, bringt es nicht wirklich viel, wenn ich sage, das war "toll" oder "langweilig" oder "daneben". Nein, es braucht Argumente und für die muss es eine Basis geben.


    Eine Basis ist für mich immer noch der Notentext. Und wenn ich heute einen Tristan hören muss, der von den ihm aufgeschriebenen Noten gut 20% nicht korrekt singt, dann kann er noch so geliebt und gelitten haben und von anderen bejubelt werden, weil er so bewegend und erschütternd war, dann werde ich darauf bestehen, dass solch eine Leistung nicht akzeptabel ist.


    Eine andere Basis ist eine klare Vorstellung von dem, was von einem Interpreten dieses konkreten Kunstwerkes erwartet werden muss. Ich muss wissen, welchen Ansprüchen und Standards ein Tenor, ein Pianist, eine Geigerin oder ein Orchester genügen muss, wenn er sich an die Interpreation dieses oder jenen Kunstwerkes heranmacht. Wir haben darüber in den oben erwähnten Sänger-Threads diskutiert. Mir war das sehr wichtig. Deshalb habe ich eigens mal einen Katalog von Punkten zusammengestellt, der für das Hören und Beurteilen von Sängern - es ging konkret um Tenöre - bedeutsam ist. (Im Kaufmann-Thread am 2. Januar 2011)
    Als wir in einem anderen Thread über Interpretationen von "Una furtiva lagrima" gestritten haben, gab es erfreulicherweise ein Bemühen zu begründen, was für diesen und was für jenen Tenor spricht. Das war für mich sehr interessant!
    Ich hätte auf Dauer nicht viel Lust, mich in einem Klassik-Forum zu beteiligen, in dem die Begründung von Meinungen keine Rolle spielt.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Es gab beim SWR2 (und gibt es ggf. immer noch) seit 1997 die Reihe "Das Musikalische Quartett", in der Musikexperten ausschnittsweise verschiedene Interpretationen eines Werkes blind hörten, kommentierten und dabei gleichzeitig versuchten, die Interpreten zu erraten. Eine sehr interessante Sendung.


    Ähnlich im Schweizer Radio DRS die Sendung "Diskothek im 2".


    Leider gibt es "Das musikalische Quartett" nicht als Download, während der DRS seine Sendung als Podcast anbietet. Wieder mal typisch deutsch öffentlich-rechtlich, total den Trend verpennt.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Zitat

    Kritk muß jedoch nicht unbedingt wertend sein, sie kann sich auch mit einer neutralen Berschreibung begnügen....


    Das alleine ist doch schwierig genug.


    Wem hülfe es, wenn ein Weintrinker zum anderen sagte: "Der erste Wein schmeckt mir nicht, der zweite ein wenig besser, und den dritten finde ich toll" - und der solchermaßen Angesprochene antwortete: "Und bei mir ist es genau umgekehrt".


    Wenn die beiden keine weitere Worte finden, um ihren Geschmackserlebnissen Ausdruck zu verleihen, ist das Gespräch über die drei Weine an dieser Stellen beendet. Jedenfalls werden keine neuen inhaltlichen Aussagen hinzukommen.


    Erst, wenn die beiden einer genaueren Analyse fähig werden und ein ähnliches Verständnis von "Süße", "Säure", "Körper", "Dichte", "Nachhall" usw. usw. entwickeln, können sie sich detaillierter unterhalten, und die UNterhaltung kann sinnvoll weitergeführt werden. Der erste könnte sagen: "Der erste Wein hat mir einfach zuviel Säure im Verhältnis zu seinen dünnen Körper." Der zweite könnte antworten: "Ja, aber die Säure wird in den nächsten zwei oder drei Jahren abgebaut, und dann wird der Wein seine vielfältigen Geschmacksnuancen ausspielen können."


    Ist es in der Musik nicht ähnlich? Ein Problem ist doch, dass wir ein teilweise ungeeignetes Werkzeug benutzen, um über Musik zu kommunizieren - nämlich die Sprache. Wenn wir nun tiefer einsteigen wollen als "gefällt mir - gefällt mir nicht", müssen wir beschreiben, warum. Da sind wir ganz schnell bei technischen Details. - Es können natürlich auch emotionale Verläufe beschrieben werden - genauso gut! Aber die Analyse - sei es technischer Details oder Gefühlsamplituden - geht der Formulierung m. E. voran. Oder es bleibt ein diffuses Geschwafel, in denen ein Schreiber entweder nicht weiß, was er hört, oder nicht weiß, was er fühlt. Zumindest keine Worte dafür findet.

  • dies Alles nicht zu tun, bemühen sich (redlich) die Feunde des Kunstliedes - was nachzulesen wäre.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo operus,


    das kann ich nachvollziehen.


    Nehmen wir mal ein Streichquartett Beethoven*s Op.59 Nr.3 Was öffnet sich dort ein Kosmos an internen Bezügen! Man kann nachlesen, wie Beethoven das Quartett komponiert hat, wie es gegliedert ist usw.


    Aber die Hörerfahrung geht für mich über dies pure Wissen hinaus. Es wird ein Klangraum geschaffen in den ich eingebunden bin. Ein absolut sinnliches Vergnügen! Eine Mischung aus interlektuellem Erfassen, der Klangwirkung der Interpretation und ganz wichtig, meiner persönlichen (stimmungsmäßigen) Verfassung.


    Die Zeit hier im Forum wird mir zu einer Sprache verhelfen, dank auch solcher Mitglieder wie Johannes Roehl, die angemessen die Musik beschreibt, wie ich sie höre. Aber tagelanges Vergleichshören wird es bei mir nicht mehr geben.


    Viele Grüße Thomas

  • Ich möchte hier mal einen Vorschlag machen, der vielleicht etwas neben dem Thema liegt, aber einen wichtigen Baustein zum Thema darstellen könnte. Dieser Vorschlag gilt nicht für Kritiker, die ein Konzert oder eine Oper besuchen, sondern nur für die Kritik von zu besprechenden CDs. Ganz von mir ist das alles nicht, das Vorbild hat Mathias Kornemann im Magazin "Rondo" geliefert, es ist dort wieder eingeschlafen, sehr zu meinem Bedauern, weil es gut funktioniert hat.


    Man sollte den Musikkritikern alle CDs, die sie rezensieren sollen, "nackt" zuschicken und sie sollten sie "blind" hören. Es gäbe also kein booklet, es kein Cover, niemand kennte die Orchester, die Sänger, die Dirigenten. Das wäre eine Revolution, vieles würde sich relativieren, am wenigsten bei den Sängern, am meisten bei den Dirigenten. Und sehr vieles würde sich bei den Kritikern relativieren.


    Ich habe diesen Vorschlag schon einmal gemacht bei der Videokolumne von Jochaim Kaiser, wo ja über alles Mögliche, auch über abseitige Themen, gesprochen wird. Diesen Vorschlag allerdings hat er noch nicht aufgegriffen, wobei ich finde, dass diese Methode doch ins Herz jeden Kritikers zielt.


    In Berlin gibt es jeden Monat - kostenlos - ein vorzüglich gemachtes Musikmagazin "concerti - das Berliner Musikleben".


    Darin ist immer ein Artikel, in dem einem Musiker CDs von Kollegen vorgespielt werden ohne dass er erfährt, wer spielt/singt/dirigiert. Und dann ist wörtlich protokolliert, was der Musiker während des Hörens und hinterher so sagt, wie er die Interpretation beurteilt und welche Vermutungen über den Interpreten er tellt. Das ist absolut spannend! Manchmal erlauben sich die Redakteure sogar, dem"Prüfling" eine eigene Aufnahme aus früheren Tagen unterzujubeln. Ein Vergnügen!


    Wenn Ihr mal in Berlin seid: Das Magazin liegt in Fachgeschäften, Konzertkassen, Cafes, Bildungseinrichtungen und so weiter aus!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Wem hülfe es, wenn ein Weintrinker zum anderen sagte: "Der erste Wein schmeckt mir nicht, der zweite ein wenig besser, und den dritten finde ich toll" - und der solchermaßen Angesprochene antwortete: "Und bei mir ist es genau umgekehrt".


    Wenn die beiden keine weitere Worte finden, um ihren Geschmackserlebnissen Ausdruck zu verleihen, ist das Gespräch über die drei Weine an dieser Stellen beendet. Jedenfalls werden keine neuen inhaltlichen Aussagen hinzukommen.


    Erst, wenn die beiden einer genaueren Analyse fähig werden und ein ähnliches Verständnis von "Süße", "Säure", "Körper", "Dichte", "Nachhall" usw. usw. entwickeln, können sie sich detaillierter unterhalten, und die UNterhaltung kann sinnvoll weitergeführt werden. Der erste könnte sagen: "Der erste Wein hat mir einfach zuviel Säure im Verhältnis zu seinen dünnen Körper." Der zweite könnte antworten: "Ja, aber die Säure wird in den nächsten zwei oder drei Jahren abgebaut, und dann wird der Wein seine vielfältigen Geschmacksnuancen ausspielen können."

    Ich verstehe zwar nichts vom Wein, aber ich glaube, Du willst genau auf das Gleiche hinaus wie ich. Aber so ganz einfach ist es nicht, Gehör zu finden. Gerade bei den Melomanen gibt es eine Neigung, Sänger um ihrer Stimme willen zu lieben und gar nicht weiter nach ihrer Gesangstechnik, ihrer Artikulation, ihrem Stil und so weiter zu fragen. Wenn man aber wirklich alle Kriterien, die an die Leistung eines Sängers angelegt werden müssten, auch wirklich genau prüfen würde, käme ja vielleicht heraus, dass wirklich nicht alles Gold ist, was uns heute als glänzend eingeredet und verkauft wird.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Gerade bei den Melomanen gibt es eine Neigung, Sänger um ihrer Stimme willen zu lieben und gar nicht weiter nach ihrer Gesangstechnik, ihrer Artikulation, ihrem Stil und so weiter zu fragen. Wenn man aber wirklich alle Kriterien, die an die Leistung eines Sängers angelegt werden müssten, auch wirklich genau prüfen würde, käme ja vielleicht heraus, dass wirklich nicht alles Gold ist, was uns heute als glänzend eingeredet und verkauft wird.


    Ich möchte das bitte mindestens dreimal unterstreichen!!
    "Jeder Sänger ist anders, für sich einzigartig, warum überhaupt vergleichen, etcetcetc"
    das läßt meinen Eifer bei so mancher Diskussion schnell erlahmen. Nicht dass das grundsätzlich falsch wäre- aber worüber reden wir dann überhaupt - dass jeder den anderen zu SEINEM persönlichen Liebling bekehren will, MEINER ist der Beste? Das hat für mich keinen Reiz. Geschmäcker sind nun einmal verschieden, aber über Qualität läßt sich gut diskutieren und wer sich nicht nur für schöne Stimmen sondern auch für den Gesang interessiert, kann dabei hochinteressante neue Eindrücke gewinnen und sein Gehör verfeinern.

  • Das Wichtigste bei der Kritik einer musikalischen Interpretation ist sicher eine treffsichere Intuition gepaart mit der Fähigkeit, diese sprachlich prägnant zum Ausdruck zu bringen. Diese Kompetenzen erwirbt man sich nur durch Hör- und Schreiberfahrung, wobei erstere freilich mehr ist als die Summe flüchtiger Höreindrücke.


    In einer Hinsicht ist die Kenntnis des Notentextes allerdings sehr wohl hilfreich für das Verständnis, nämlich dann, wenn es darum geht, das Spezifische einer Interpretation zu erfassen. Natürlich erreicht man dies z.T. auch durch den genauen Vergleich verschiedener Interpretationsansätze, aber man kann die Originalität einer Aufnahme doch besser beurteilen, wenn man sie mit dem Notentext (ich sage nicht: dem Werk) selbst vergleicht, weil sich einem auf diese Weise der Unterschied zwischen dem, was durch die Komposition vorgegeben ist, und dem, was ein Interpret daraus macht, erschließt. Aus diesem (und nur aus diesem) Grund sollte ein Kritiker den Notentext kennen. Alles andere ist Musikwissenschaft.

  • Geschmäcker sind nun einmal verschieden, aber über Qualität läßt sich gut diskutieren und wer sich nicht nur für schöne Stimmen sondern auch für den Gesang interessiert, kann dabei hochinteressante neue Eindrücke gewinnen und sein Gehör verfeinern.


    Danke, liebe Gioconda, für die Unerstützung! Vielleicht hast Du ja im Bergonzi-Thread unsere Diskussion über Bergonzi und "Una furtiva lagrima" - Interpretationen gelesen?
    Da habe ich mal genau darüber gerichtet, wie bereichernd es sein kann, wenn man plötzlich die eminente Kunst eines Sängers entdeckt, desses Stimme einen zunächst überhaupt nicht angesprochen hatte. Im konkreten Fall hatte ich von Haefliger gesprochen, aber es gibt unter den Sängerinnen und Sängern noch sehr viele Künstler, die es zu entdecken lohnt, weil sie etwas über die Werke zu sagen haben, die sie aufführen und nicht nur ihr Stimmmaterial ausstellen. Aber ein Grigolo oder Giordani - um nur zwei zu nennen, die heute an den ersten Bühnen singen - teilen mir wirklich gar nichts mit über die Rollen, in denen sie auftreten. Richtig arg wird es, wenn man ihnen im französischen Fach begegnet, weil sie überhaupt keine Ahnung haben , wie man bei Bizet, Gounod oder Massenet Linien formt, phrasiert, akzentuiert, färbt und moduliert, wo Eleganz gefragt ist und wo Emphase.
    Würden man sich die Mühe machen, genau zu studieren, wie ein Thill, ein Clement, ein d'Arkor, ein Franz oder auch ein Vezzani französische Partien gesungen haben, liesse sich doch Einiges lernen.
    Ich glaube, dass wir als Melomanen auch eine Mitverantwortung haben, dem Niedergang der Gesangskunst insgesamt und der Einebnung der nationalen Stile insbesondere etwas entgegen zu setzen:
    Das Insistieren auf Standards und Qualität!


    Ein Instrument kann dabei das beständige Vergleichen von Interpretationen sein.


    Im Tamino-Klassikforum würde ich genau das noch gern ein bischen intensiver betreiben!
    Aber sind die Threads, die einzelnen Sängern gewidmet sind, dafür das richtige Forum? Viele wollen da doch eher auf Aufnahmen hingewiesen werden, die sie noch nicht kannten, und vor allem als tapfere Panegyriker ihren Idolen huldigen.

    ;) - ;) - ;)


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  • Verdi hat für den Schluss der berühmten Arie "Celeste Aida" eines hohes B vorgeschrieben, welches im Piano gesungen werden soll. Dieses Piano in dieser hohen Lage klangschön zu produzieren, ist höllisch schwer.


    Die meisten Tenöre singen darum den Schluss im Forte. Das Publikum hat sich daran gewöhnt und erwartet den effektvollen Schluss.


    Als Bergonzi es einmal wagte, in Parma den Schluss so zu singen, wie Verdi ihn vorgeschrieben hatte, wurde er ausgebuht - das Publikum glaubte sich um den effektvollen Spitzenton betrogen.


    Hier wäre ein wenig Sachverstand und Partiturkenntnis sehr nützlich gewesen, um zu erkennen


    - dass Bergonzi richtig gesungen hat
    - dass Bergonzi um des richtigen Textes willen ein hohes sängerisches Risiko eingegangen ist - es wäre technisch (zumal live) allemal leichter gewesen, das hohe B wie üblich zu brüllen
    - welche hohe Leistung Bergonzi gebracht hat, als er das hohe B sauber und schön im piano sang


    Was hilft da eine Diskussion im Stile von "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht"? Was hilft da die McDonalds-Mentalität des "raschen Niederschreiben flüchtiger Eindrücke", wie sie im Eröffnungsbeitrag dieses Threads eingefordert wird? Wer versteigt sich da zu der Behauptung, dass eine Werkanalyse der Kritik nur hinderlich wäre - wie im Eröffnungsbeitrag vorgetragen? Wie kann man sich nur zu der Behauptung versteigen, dass man weniger gut Stellung beziehen kann, wenn man etwas über den dargestellten Gegenstand weiß?


    Lasst uns die Verblödungsspirale, die durch solche Verlautbarungen in Gang gehalten wird, stoppen. Wem soll dieser Niveaulimbo denn nutzen?


    "Wenn es mir gefällt, ist es ok" - es ist legitim, so zu sprechen. Aber kommunizierbar wird die eigene Empfindung dadurch noch lange nicht. Und: Wer die interpretatorische Leistung eines anderen beurteilen will, muss schon eine Idee davon haben, was der Komponist eigentlich wollte. Alleine schon, um erkennen zu können, dass jemand ein Werk gegen den Strich bürstet.


    Dass Glenn Gould etwa die Musik von J. S. Bach gegen den Strich gebürstet hätte, das wäre erst einmal anhand des Notentextes zu beweisen. Ich warte. Alleine die Tatsache, dass sich sein Spiel anders anhört als das anderer Pianisten, ist ja kein Beweis dafür, dass ausgerechnet Glenn Gould gegen den Strich gebürstet hätte. - Ist es so undenkbar, dass ein wiederauferstandener J. S. Bach erklären würde: "Glenn Gould hat mich am besten verstanden ... "? :yes:

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  • Und noch eins.


    Zitat

    Und man kann das auch beschreiben. Herbert von Karajan und Otto Klemperer . sie beide kannten die Noten - aber wie verschieden klingt ein und dieselbe Beethoven Sinfonie......


    Walter Benjamin: "Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption". Das heißt: Das Werk ist lediglich der materielle Ausdruck dahinter liegender Ideen.


    Gustav Mahler formulierte das so: "Das Wesentliche steht hinter den Noten."


    Zwar stehen in der Partitur Noten. Und wir können deswegen darüber sprechen, ob ein notiertes eingestrichenes C (halbe Note) in der richtigen Tonhöhe und der richtigen Länge und manchmal auch in der richtigen Lautstärke produziert wurde.


    Das sagt aber noch nichts über die dahinter stehende Idee aus.


    Nehmen wir den ersten Satz von Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-moll, KV 550. Ist das ein todtrauriges, lebensmüdes g-moll? Oder eher novemberhaft-melancholisch? Oder ist es trotzig? Oder gar aggressiv?


    Je nachdem, welche Meinung ich von dem "Wesentlichen hinter den Noten", bzw. von der Konzeption "hinter der Totenmaske" habe, wird sich meine Interpretation anders anhören, auch dann, wenn dieselben Noten gespielt werden.


    Es ist also gar nicht erstaunlich, wenn verschiedene ernst zu nehmende Interpreten trotz gleicher Noten zu verschiedenen Ergebnissen kommen! Lediglich das Gegenteil wäre erstaunlich. Wer anderes behauptet, trägt nur zur Verunklarung der Interpretationsprozesse bei.


    Ich kann verstehen, dass diese Erkenntnis für Menschen mit einfachem Weltbild unangenehm ist. Es wäre doch soooo viel einfacher, wenn es nur eine musikalische Wahrheit gäbe ...


    Dass es so ist, und dass man Werke derart verschieden auffassen kann, das macht doch den Reiz unseres gemeinsamen Hobbys aus. Angenommen, jemand würde einen Beethoven-Zyklus nach dem aktuellen Stand der Klangtechnik einspielen und damit wäre alles, was in und hinter den Noten steht, gesagt. Wie langweilig ... wer bräuchte dann ein Klassikforum?

  • Ja klar, Beethoven hat seine Musik für den Hörer der Zukunft komponiert, der einen flachen, runden Silberling in einem Kasten verschwinden läßt und dann, welch Hexerei, aus anderen Kästen immer genau die gleiche Musik, wenn man möchte in Endlosschleifen exakt mit dem selben Ton in immer der gleichen Tonhöhe und Qualität, hört. Und das dieser Zaubermensch so gar die Dauer der Musik ablesen kann!


    Die einizige Totenmaske, die ich finden kann, ist eine CD eines z.B.Konzertes , einem Livemitschnitt, wo ich sogar die Gebrechen der Hörerschaft verfolgen kann. Hier wird etwas eingefroren, wie Ötzi , das dann eine Verwendung findet, wie sie der Komponist (oder Ötzi selber :D ) gar nicht auch nur ahnen konnte.


    Das Konservieren von Musik und die Analyse dieser Konserven gehören in unsere Zeit und jeder Verweis aus der Analyse in die Entstehungszeit der Komposition muss immer im Bezug zur Entstehungsästhetik gesehen werden.


    Wie war die noch mal genau bei Beethoven?


    Jeder kann mit gutem Gewissen sagen, die Aufnahme gefällt mir oder gefällt mir nicht, ob er sich den Metaphern eines Herrn Kaiser bedient oder in Umgangssprache.

  • Jeder kann mit gutem Gewissen sagen, die Aufnahme gefällt mir oder gefällt mir nicht, ob er sich den Metaphern eines Herrn Kaiser bedient oder in Umgangssprache.


    Völlig einverstanden. Und dann? Erschöpft sich der Monolog mit dieser Gefallens- bzw. Missfallensbekundung oder gibt es eine Chance auf eine Fortsetzung, die eventuell in einen Dialog münden könnte?

  • Hallo Wolfram,


    das liegt doch an dem Schreiber persönlich. Innere Zusammenhänge des Werkes anhand der Interpretation z.B. zu erklären, was bleibt diffus oder ist überbetont, wie ist das Tempo gestaltet, sind Tempobrüche zu erkennen usw.


    Wer wird denn daran gehindert, Soloinstrumente in einer Symphonie zu loben? Oder Streicher, die gekonnt in das Orchester eingefügt sind oder zu dominant?


    Die Möglichkeiten sind unerschöpflich.


    Viele Grüße Thomas

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  • Von einer professionellen Kritik erwarte ich nachvollziehbare Aussagen und Erklärungen darüber, warum es sich lohnt, eine bestimmte Einspielung zu kaufen oder eben auch nicht.


    Aber auch im privaten Austausch gefällt es mir, zu lesen, wie bestimmte Interpretationen aufgenommen werden. Dabei habe ich häufig den Eindruck, dass es zwei Ausrichtungen in den Erwartungen gibt, nämlich diejenigen, die den Interpreten als Basis empfinden, der Musikstücke benötigt, um seinem Ausdruck Inhalt und Form zu geben (im Extremfall Personenkult, häufig in Oper zu finden), wie auch diejenigen, die ein bestimmtes Musikwerk als Basis nehmen, um durch verschiedene Interpretationen verschiedene Gesichtspunkte seiner Beschaffenheit zu entdecken (im Extremfall Werkskult, häufig in der Kammermusik zu finden).


    Ich selber tendiere eher zur zweiten Gruppe und empfinde eine Komposition als Summe seiner Interpretationen. Insofern ist für mich ein "vergleichendes Hören" weniger ein Gegeneinander verschiedener Interpretationsansätze, sondern vielmehr ein ergänzendes Miteinander.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Lieber Uwe,

    Zitat

    Von einer professionellen Kritik erwarte ich nachvollziehbare Aussagen und Erklärungen darüber, warum es sich lohnt, eine bestimmte Einspielung zu kaufen oder eben auch nicht.


    volle Zustimmung.


    Zitat

    Ich selber tendiere eher zur zweiten Gruppe und empfinde eine Komposition als Summe seiner Interpretationen. Insofern ist für mich ein "vergleichendes Hören" weniger ein Gegeneinander verschiedener Interpretationsansätze, sondern vielmehr ein ergänzendes Miteinander.


    Ich zähle mich selbst auch eher zur zweiten Gruppe und kann bestätigen, ein Werk deutlich besser zu kennen (zumindest zu glauben, es besser zu kennen), wenn ich mehrere Interpretationen gehört habe - dann wird ungefähr klar, was Zusatz und Wille des Interpreten ist und was das Werk hinter der Interpretation ist. Besser, man nimmt gleich die Noten zur Hand. - Bei Mahler finde ich es z. B. sehr erhellend, Bernstein auf der einen Seite (emotional ziemlich ungebremst) und Gielen auf der anderen Seite (strukturbetont) zu hören. Komplettiert etwa durch Bruno Walter und Otto Klemperer, eventuell auch Jascha Horenstein.


    Manchmal habe ich aber auch Lust, ein Werk, das ich schon in mehreren Interpretationen habe, auch noch mit Interpret XY zu hören - weil mir sein Zugang zur Musik in anderen Aufnahmen sehr gut gefallen hat. Etwa, als ich mir die Zauberflöte mit René Jacobs kaufte. Das entspricht dann - nach Deiner Klassifikation - eher dem Verhalten der ersten Gruppe.

  • Zitat von »Caruso41« In Berlin gibt es jeden Monat - kostenlos - ein vorzüglich gemachtes Musikmagazin "concerti - das Berliner Musikleben".


    Auch online erhältlich.

    Das ist ja wirklich ein Hammer-Tipp!!! Ganz herzlichen Dank!!!!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich selber tendiere eher zur zweiten Gruppe und empfinde eine Komposition als Summe seiner Interpretationen. Insofern ist für mich ein "vergleichendes Hören" weniger ein Gegeneinander verschiedener Interpretationsansätze, sondern vielmehr ein ergänzendes Miteinander.



    Manchmal habe ich aber auch Lust, ein Werk, das ich schon in mehreren Interpretationen habe, auch noch mit Interpret XY zu hören - weil mir sein Zugang zur Musik in anderen Aufnahmen sehr gut gefallen hat. Etwa, als ich mir die Zauberflöte mit René Jacobs kaufte. Das entspricht dann - nach Deiner Klassifikation - eher dem Verhalten der ersten Gruppe.


    Das sehe ich ganz genau so! Werke wie der Giovanni oder Mahlers IX sind so reich, dass sie mit einer Interpretation gar nicht ausgeschöpft werden kann. So erfährt man in dieser Aufnahme dieses über das Werk und in einer anderen etwas anders. Ein schlichtweg beeindruckendes Beispiel:


    Supraphon hat Janaceks "Tagebuch eines Verschollenen" in zwei grundverschiedenen Interpretationen auf ein und derselben CD herausgebracht. Das ist der schiere Wahnsinn. Man hört zunächst Gedda und ist tief beeindruckt und total begeistert von dem werk und von dem Interpreten. Und dann hört man Blachut und glaubt fast ein anderes Werk zu hören - und wieder ist man total begeistert von dem Werk und von dem Interpreten. Ich kann nur nachdrücklich raten: Hört Euch mal diese CD an!


    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Uwe, Caruso und Wolfram,


    auch wenn Ihr alle Recht habt, wie ich nun das vergleichen verschiedener Aufnahmen bezeichne, ist letztlich doch dem Ergebnis untergeordnet, was dabei herauskommt. Es geht doch nicht um den Vergleich Käfer - Porsche, sondern um verschiedene hochrangige Aufnahmen, die dennoch gerade wegen ihres Interpretationsansatzes so unterschiedlich sind und trotzdem gefallen. Das hat doch nichts mit "Gegeneinander" zu tun. Wenn ich nur die 6. Sinfonie von Beethoven mit den Wienern unter Böhm (mein Favorit) kennen würde, könnte ich doch gar nicht mitreden. Und wem Furtwängler, Erich oder Carlos Kleiber, Järvi oder Herreweghe besser gefällt, ist doch in Ordnung. Von der Sache her verstehen sie doch alle was davon und die Musiker in einem Orchester sind doch Profis, die sich ständig auf hohem Niveau mit Musik beschäftigen, doch nicht etwa vergleichbar mit einem Laienchor, auch wenn der gut singt (Spaß).


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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