ANFOSSI, Pasquale: LA MAGA CIRCE

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    Pasquale Anfossi (1722-1797)
    La Maga Circe

    Die Zauberin Circe


    Farsa in un atto
    In italienischer Sprache


    Charaktere:
    Circe, eine Magierin (Sopran)
    Lindora, ihre Kammerzofe (Sopran)
    Brunoro, ihr Diener (Bariton)
    Monsieur Petit, ein Inselgast aus Frankreich (Tenor)
    Barone di Nocesecca, ein Inselgast aus Neapel (Bariton)


    Das Geschehen spielt auf einer Mittelmeerinsel unbekannten Namens zur Reisezeit



    HANDLUNG


    Die Zauberin Circe ist der Nachwelt als Person mit bösartigem Charakter überliefert. Die Gefährten des edlen Dulders Odysseus verwandelte sie seinerzeit in Schweine, weil sie sich ungehobelt aufführten und den Frieden ihrer Insel störten. Genutzt hat es wenig, denn es ist ihr nicht gelungen, den listigen Griechenhelden langfristig zu becircen. Dieser hatte nichts anderes im Sinn, als die Heimkehr zur treu ergebenen Gemahlin Penelope. Als Tochter der Sonne – ihre edle Abkunft bildet sie sich wahrscheinlich nur ein – ist Circe jedoch unsterblich und quält sich nun schon durch drei Jahrtausende. Das Unglück, mit den Männern nur Pech zu haben, ist ihr treu geblieben. Bei der Wahl ihrer Dienstboten hat sie ebenfalls kein Glück. Circe ist eine Frau, die zuerst das Gute im Menschen sieht, und wenn sie diese gelegentlich auf eine andere Daseinsebene abgleiten lässt, sollte man der Schalkhaften ihrer Kunstfertigkeit auch die gebührende Wertschätzung zollen.


    Schon in seiner munteren Ouvertüre, die an den jungen Mozart erinnert, macht Pasquale Anfossi erste zaghafte Versuche die Schulbücher Lügen zu strafen und die in Verruf geratene zu rehabilitieren. Im weiten Mittelmeer hat die Magierin ein neues Eiland auserkoren, um sich dort angemessen einzurichten. Den Erfordernissen der Neuzeit, eine Landungsbrücke für kleinere Kreuzfahrtschiffe zu installieren, hat sie Rechnung getragen.


    Erste Szene:


    Lindora findet das Gelände furchtbar. Es ist ein steiniger dorniger Platz und die Wege steigen vom Ufer aus steil an. Bären, Schlangen und Wölfe finden hier vermutlich Unterkunft und Schutz – so ist die Auffassung von Brunoro. Warum um alles in der Welt will die Signora hier bleiben? In erster Linie, so lautet die Antwort, sucht Circe Ruhe und keinen Trubel. Alles andere wird sich finden. Ihre Macht und ihre starken Seiten werden die beiden schon noch kennen lernen. Nun, die Zurechtgewiesenen sind durchaus fähig, still zu sein und vorerst den Mund zu halten. Sie haben mitbekommen, dass sie an eine Herrin geraten sind, mit der es eine besondere Bewandtnis haben muss. Im vorgefundenen Zustand gefällt der Anspruchsvollen die Insel auch nicht, und sie beschwört nun die Geister des Erebeus, ihr gehorsam zu sein. Die Luft bewölkt sich und füllt sich mit Donner. Erste Anzeichen von Vulkanismus setzen Lindora und Brunoro in Furcht, so dass ihre Zähne beginnen, hörbar zu klappern. Unbeeindruckt fährt Circe in ihren Beschwörungen fort. Der düstere Platz möge sich in Baugelände verwandeln und einen königlichen Palast hervorbringen. Die Götter von düsterem Schrecken sollen sich nicht zieren, sondern dem Befehl Folge leisten. Welch ein Wunder, welcher Zauber tut sich vor den Augen der Erstaunten auf und wie schnell alles gegangen ist. So viel Wonne, die beiden sind verblüfft. Circe ist zufrieden und freut sich, dass sie ihr Talent von einigem Wert vorstellen konnte. Tatsächlich ist der Palast ein Juwel königlicher Architektur, so dass selbst der Liebesgott ihn nicht verschmähen würde. Sogar die Qualität der Luft hat sich erheblich verbessert.


    Diese Frau geht mit den Dämonen sehr familiär um. Möglicherweise ist mit ihr nicht gut Kirschen essen. Wohin hat man sie eigentlich gebracht? Sie erinnern sich noch an einen furchtbaren Sturm, bevor sie hier abgesetzt wurden. Die Herrin ist gebürtig aus Kolchis, ein Landstrich, in dem auch die Zauberin Medea zu Hause war! Nun, sie befinden sich jetzt in Italien, dem nobelsten Teil der Welt. Aber einsam ist es hier. Kann die liebste Herrin sich eigentlich daran gewöhnen, ohne Männer zu leben? Oh, viele davon werden herkommen! Lindora kann sicher sein! Wie kommt sie nur auf solche absurden Gedanken, dass auf Männer verzichtet werden muss? Eine vollkommen unpassende Bemerkung bringt nun Brunoro. Ja, er weiß Bescheid. Anschließend werden alle in Bären, Schnecken und Drachen verwandelt. Circe ist schlagfertig. Der Vorlaute wird einer der ersten sein, den sie in einen Esel transformieren wird. Die illustre Circe soll es dazu niemals kommen lassen! Aber wer wird sie verteidigen, wenn von den Tricks der Männer Gefahr droht, wirft Lindora vorsorglich ein. Selbstverständlich werden sie ohne Palastwache nicht auskommen! Brunoro stellt fest, dass sich Circe eine feine Art zu eigen gemacht hat. Großzügig verspricht die Mächtige, dass ihre beiden treuen Diener von ihrer Kunst profitieren werden und es herrlich sein wird, in Frieden und Freiheit hier zu leben.


    Zweite Szene:


    Lindora möchte am liebsten vor dieser Frau fliehen. Auch Brunoro fragt sich, warum sie ihr überhaupt dienen. Zweifellos ist sie eine große Zauberin. Das Wort Hexe findet Brunoro passender. Er soll sich nicht töricht verhalten. Möchte er etwa in einen Wolf oder in eine Großkatze transformiert werden? Zum Teufel, absolut nicht! Aber er lebt ständig in großer Aufregung, und manchmal kommt es ihm vor, selbst ein großer Zauberer zu sein. Lindora will dem männlichen Kollegen in nichts nachstehen. Eine halbe Zauberin ist sie auch schon. Aber haben nicht alle Mädchen einen magischen Blick, mit dem sie in der Lage sind, Männer in Idioten zu verwandeln? Es gehört einfach zu ihrem Naturell. Selbst die Mutter, angefüllt mit Güte, sagte, mehr als tausend Stürme können magische Pupillen bei Männern in Bewegung setzen. Ihre eigenen Augen liebt sie in Bescheidenheit, sie provoziert nicht, während sie schaut. Sollte sie aber auf die Person treffen, die sie liebt, würde sie ihre Augen einzusetzen wissen, wenn etwas nicht nach Wunsch abläuft. Bruno wendet seine Gedanken wieder der handfesten Zauberkunst zu. Am liebsten würde er fliehen. Circe erfüllt sein Herz mir Furcht und er sieht und hört überall Geister.


    Dritte Szene:


    Ein Kleines Kreuzfahrtschiff hat die Insel angelaufen. Der Baron – der Librettist hat ihm keinen Namen gegeben, denn offenbar lieben es die Neapolitaner mit ihrem gesellschaftlichen Rang angesprochen zu werden – und Monsieur Petit machen einen Inselrundgang. Welch frische Luft gibt es hier zu schnuppern und wie nett die kleine Insel ist. Gesegnet sei der Sturm, welcher verursachte, hier einen kleinen Zwischenstopp einzulegen. Petit fühlt einen süßen Zephir über seine Wangen streichen und der Baron vermutet gar, die Elysischen Gefilde betreten zu haben. Sie sehen seltene Blumen sprießen, die bevorzugt auf den Inseln des Tyrrhenischen Meeres beheimatet sind. Welches Entzücken erfasst die beiden! Kennt der Baron vielleicht den Namen der wunderschönen Insel? Sie ist lieblich, in der Tat!


    Der Baron verspürt einen gelinden Hunger. Gibt es auf der Insel keine Gastronomie? Hoffentlich sind nicht alle Plätze belegt! Monsieur Petit ernährt sich von der Luft. Die Chamäleons machen es auch so, Luft und Fliegen sind ihre Nahrung. Der Baron nimmt den Geruch von gebratenem Geflügel wahr. Süße Vögel sind überall und lassen ihren Gesang ertönen. Die beiden setzen sich hin sind beeindruckt und genießen die Umgebung. Dann werden sie müde, der Hunger hat sich verzogen, es naht der Schlaf. Eine milde Süße bringt das Herz von Petit zum Erschlaffen.


    Vierte und fünfte Szene:


    Lindora und Brunoro treffen auf die beiden Schlafenden. Mit lieblicher Stimme spricht Lindora die Eingeschlummerten an. Die Fremden zeigen sich erfreut, und man macht sich artig Komplimente. Sie mögen bitte mitkommen, Lindora wird beide der Inselherrin vorstellen. Man erkundigt sich, wem das herrliche Eiland gehört. Sie befinden sich auf Circes Insel. Ach, ist das die Zauberin, welche zu ihrem Vergnügen die Männer in Tiere verwandelt? In der Tat, es verhält sich so, klärt Brunoro auf. O Teufel! Das Unglück ist ihnen auf den Fersen. Die beiden beratschlagen, schleunigst zu ihrem Schiff zu rennen. Oh, das Schiff ist abgefahren, ohne sich nach ihnen umzusehen! Nun sind sie ohne jede Hilfe und ohne Freunde. Lieber ertrinken, als in ein Tier verwandelt werden! Gegen einen Molukken-Kakadu hätte der Herr Baron allerdings nichts einzuwenden. Er beliebt natürlich zu scherzen.


    Weiß Brunoro keinen Rat? Er bringt nur dann Sinn, wenn er auch befolgt wird! Alles werden die beiden tun, wenn er sie aus ihrer unglücklichen Lage befreien wird. Brunoro profitiert von seiner Schulweisheit. Sie sollen gut zuhören! Circe transformiert nur unbedachte und alberne Liebhaber, auch solche, die sie abgelegt hat. Folglich sollen sie sorgsam acht geben, ihrer Schönheit nicht zu verfallen. Dann kann nichts passieren. Auf Ehre, auf die Weisung von Brunoro können sie sich unbedingt verlassen. Am besten hilft es, ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen und Hochmut zur Schau zu stellen. Es nützt auch, einfach in eine andere Richtung zu blicken! Er selbst hat gesehen wie sie Tausende von Liebhabern in Hunde, Schlangen und Bären verwandelt hat, die ihrer lodernden Schönheit erlegen waren.


    Der Baron traut sich zu, standhaft zu bleiben, aber sein „caro francesino“ wird den seelischen Stress nicht durchhalten. Man weiß doch schließlich, wie die Franzosen veranlagt sind. Wie eine Reife Birne wird er zu Boden fallen, wenn die Verführerin in Spitzenhäubchen und Bademantel vorbeitrippelt. Monsieur Petit protestiert heftig. Er verachte die Schönheit der Buhlerin. Der Baron empfiehlt seinem Gefährten, sich an seiner Unerschrockenheit ein Beispiel zu nehmen.


    Sechste bis achte Szene:


    Circe weiß nicht, woher das Vergnügen kommt, Verehrer zuerst anzulocken, um sie danach zu verachten. In ihrer wundervollen Halle sitzt sie auf dem Thron und wartet. Sind die Gäste noch nicht angekommen? Brunoro hält sie mit seinem Geschwätz auf, aber sie werden gleich hier sein. Lindora glaubt zu wissen, dass einer der beiden ein Franzose sei. Die Signora wird ihn lieben. „L'altro è per me“ „Parti“ Lindora hat gemeint, der andere sei für sie. Doch die Herrin schickt die Erwartungsvolle fort. Weiß die Herablassende eigentlich, dass Lindora ihre Feindin ist?


    Signora, hier sind zwei Gäste, die von allein hergefunden haben, stellt Bruno die Neuankömmlinge vor. „Madame, ich bin ihr Diener“. Es fehlt Monsieur nicht an Gewandtheit. Auch der Baron verbeugt sich und trägt sein Sprüchlein vor. Keine Formalitäten, die Gäste sollen willkommen sein!
    „Wie schade, dass diese Frau eine Zauberin ist“, entfährt es dem Neapolitaner. Monsieur spricht sich Courage zu. Welch liebliches Gesicht, welche Grazie! Circe weist ihren Diener an, dafür zu sorgen, dass die Besucher prunkvolle Zimmer erhalten und die Plumeaus mit Reiherfedern gefüllt sind. Die Gäste sollen sich wohlfühlen. Gleich bei seinem Erscheinen hat Circe den Franzosen an seiner Spontanität und seiner Lebhaftigkeit erkannt. Von Neapel weiß sie zu erzählen, dass es ein hübscher Platz sei. Das französische Volk liebt Circe ganz besonders. Es ist extrem umgänglich und freundlich. Was hat der Herr Baron an seinem Auge? Ist das ein Monokel? Die Gäste schauen ein wenig bestürzt. Sie sollen lachen und an nichts denken! Sind sie vom Glanz der Umgebung etwa ein bisschen geblendet? In der Tat, Circe empfängt hier in der Regel fünf Könige, fünfzehn Herzöge und zweiundzwanzig Grafen. Die beiden Gäste können ihr Erstaunen nicht verbergen. Sie machen sich gegenseitig Zeichen. Circe scheint sich bewusst zu sein, dass ihr Leumund in der Welt negativ belegt ist. Von sich aus kommt sie auf das Thema, welches in der Luft liegt, zu sprechen. Durch die Jahrtausende geht ihr der Ruf voran, ihre Liebhaber zu transformieren, aber ihre Gäste sollen keine Angst vor irgendeinem Betrug verspüren und vollkommen unbefangen sein. An diesem Platz finden sie eine Frau, welche allen Besuchern Respekt und Ehre zollt. Von ihrem liebenden Herzen wissen nur die Wenigsten. Das Organ, welches in ihrer Brust schlägt, ist so gütig wie nichts auf der Welt, dazu voller Ehrlichkeit. Was sagt der stattliche Italiener nun und was meint der liebenswürdige Franzose? Die Umworbenen beteuern, dass sie die Aufrichtigkeit und den Ernst ihres Vortrages zu schätzen wissen. Circe kann nicht mehr an sich halten. Ihr Herz hat der Franzose zum Glühen gebracht. Vorläufig verabschiedet sie sich von ihren Gästen, und Brunoro geleitet die beiden ins prunkvolle Gästezimmer. Dem Franzosen flüstert Circe noch zu, dass er der Einzige auf der Welt sei, der sie wahnsinnig macht. Sie schaut ihm nach und seufzt.


    Ihrem milden Blick kann der Franzose nicht standhalten. Er hat das Gefühl, dass seine Haare, seine Kleider und sein Herz brennen. Wunderschöne Circe! Monsieur Petit wird ihr folgen. Nun, wenn der Kumpel nicht hören kann und den Rat Brunoros in den Wind schlägt, wird er bekommen, was er verdient. Milde ausgedrückt, Circe wird ihn in einen Windhund verwandeln.


    Neunte bis zehnte Szene:


    Lindora ist ein Biest! Sie hat sich in den Kopf gesetzt, den Baron zu ehelichen. Hierzu muss er erst einmal geschmeidig gemacht werden. Sie macht sich an ihn heran und fragt ihn, ob er schweigen könne. Circe habe ihr etwas Furchtbares erzählt. Sie zittert vom Kopf bis zu den Füßen. Der Baron zittert von den Füßen bis zum Kopf und kann für nichts garantieren, weil er im Traum alles ausplaudert. Sie soll es kurz machen. Was hat Circe gesagt? Lindora ziert sich noch ein bisschen und rückt dann mit der Sprache heraus. Also: Circe wird es einrichten, dass beide zu ihr in Liebe verfallen. Anschließend wird sie den einen in einen Drachen und den anderen in einen Löwen verwandeln. Pardon wird nicht gegeben! Selbst setzt sie sich großer Gefahr aus, wenn Circe erfährt, dass sie ihre Opfer gewarnt hat. Doch Lindora achtet nicht auf ihre Sicherheit, weil sie den Baron liebt und um seinen Freund besorgt ist. Der Schutzbefohlene zieht in Betracht, dass die Eifrige selbst eine kleine Hexe sein könnte. Doch die Angst vor künftigem Unheil überwiegt. Kann sie helfen? Natürlich, aber es muss mit großer Geschicklichkeit vorgegangen werden, um dieser Frau die magische Kraft zu nehmen. Ähnlich wie bei Samson liegt diese in ihren Haaren. Nachts, wenn sie schläft, soll er sich heranschleichen und ihr den Zopf abschneiden, mit dem sie ihren Kopf umwickelt hat. Dann wird sie ihre Zauberkräfte verlieren. Hat er ein Beil oder ein großes Messer im Reisegepäck? Der Baron will es nicht dabei belassen, ihr den Zopf wegzurasieren, sondern er möchte der Verworfenen den Kopf ein für allemal vom Rumpf trennen. Sein Kumpel wird ihm dabei assistieren. Sie soll jetzt gehen und verschwiegen sein. Wird der Baron sie aus Dankbarkeit, dass sie ihm das Leben gerettet hat, auch heiraten? Notfalls auch zweimal, scherzt der Angebetete, ist aber im Prinzip nicht abgeneigt.


    Die Zauberin verdient für ihre tückische Absicht in der Tat eine harte Bestrafung. Der Opernbesucher befürchtet, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel überschritten werden könnte. Schließlich will Circe die beiden nicht umbringen, sondern nur in einen anderen Zustand verwandeln, der durchaus auch Annehmlichkeiten haben kann. Das Gastrecht ist schließlich heilig und Lynchjustiz verboten. Das Geschwätz einer Kammerzofe sollte für ein Todesurteil nicht ausreichen. Aber was tut ein Mensch nicht alles, wenn die Angst ihn bewegt und er den Verstand verliert. Monsieur Petit lässt sich zur Beihilfe beschwatzen. Ein Wenn und Aber steht nicht zur Debatte. Der Ängstliche hat ein Schwert in seinem Rucksack. Es wurde allerdings noch nie benutzt. Dem Baron ist er dankbar, weil er ihn gerettet hat und die Bestrafung der Übeltäterin ausführen wird.


    Elfte und zwölfte Szene:


    Circe fühlt sich gesundheitlich nicht auf der Höhe. Sie weiß nicht, was es ist. Wie lästig! Plötzlich überkommt sie eine große Schläfrigkeit. Die liebe Herrin ist einfach müde, nichts anderes ist es! Die alberne Zofe soll verschwinden. Lindora fleht die Götter an, dass die dem Unternehmen des Barons Wohlwollen erweisen und er nicht als zähnefletschende Bestie zukünftig sein Leben fristen muss. Welch grausames Gift dreht sich in ihrer Brust. Ein böser Verdacht taucht in ihr auf. Circe ist unglücklich und verspricht sich von dem Schlaf, der sich auf sie senkt, Erquickung. Ein süßes Konzert soll Herz und Seele entführen. Pasquale Anfossi macht es möglich und hat an dieser Stelle ein schönes Hornsolo vorgesehen.


    Sie ist eingeschlafen, der richtige Moment ist jetzt gekommen. Lindora hat die beiden Meuchelmörder ins Schlafgemach hereingelassen. Leise sollen sie auftreten und unnötigen Lärm vermeiden. Verzückt stehen die beiden Bewaffneten vor der Schlafenden. O welcher Mund! Dazu die herrlich geformte Nase! Sie bringen es nicht über das Herz, zum tödlichen Streich auszuholen, und wollen unverrichteter Dinge wieder davonschleichen. Lindora geht nicht konform und flüstert, dass sie sich beeilen sollen. Jeden Moment kann die Eingeschlummerte aufwachen. Courage! Der Kopf muss endlich vom Rumpf geholt werden. Der Baron hebt die Axt und will zum Schlag ausholen, aber in diesem Moment öffnet Circe die Augen. Lindora versteckt sich blitzschnell und die beiden drehen sich zur Seite. „Wer hat mich geweckt?“ donnert Circe die beiden an, und ehe sie antworten können hat die Zauberin sie bewegungslos wie eine Statue gemacht. Immerhin, Kiefer und Kehlkopf sind nicht in Mitleidenschaft gezogen, denn noch können sie singen. Lindora kommt herbei und tut so, als ob sie von nichts wüsste. Von der Signora will sie wissen, was vorgegangen ist. Die beiden Männer sollen es ihr selbst erzählen. Circes Herz zerspringt vor Unruhe und Ärger. Die in ihrer Bewegungsfreiheit behinderten Eindringlinge klagen, dass sie nicht laufen können und ihnen die Eingeweide sich vor Furcht drehen. Lebt der Baron noch oder ist er tatsächlich zu Stein geworden? Die beiden Halunken verdienen diese Strafe. Über eine angemessene Rache wird Circe noch nachdenken.


    Dreizehnte Szene:


    Die beiden Missetäter haben vorübergehend ihre Bewegungsfreiheit zurückerhalten, denn offenbar mag Circe keine lebenden Statuen in ihrem Schlafzimmer. Keineswegs dürfen die beiden hoffen, dass die Sache nun vom Tisch ist, denn Brunoro hat mitbekommen, dass die Erboste sich die Zöpfe rauft und fortwährend mit dem Fuß aufstampft. Lindora kann den Unglücksraben den Vorwurf nicht ersparen, zu lange Circes Gesicht studiert zu haben, um ein Werturteil über den aktuellen Zustand von Mund und Nase abgeben zu können. Die böse Absicht lässt sich nicht leugnen, denn Circe hat beide mit der Waffe in der Hand ertappt. Man könnte die Sache vielleicht so darstellen, dass die beiden Rivalen sich, während Circe schlummert, duellieren wollten, um gemeinsam zu sterben und tot zu ihren Füßen niederzusinken. Ein Versuch wäre es wert, denn schließlich ist die Magierin in Monsieur Petit verliebt und wünscht nichts sehnlicher als eine halbwegs plausible Erklärung für die bodenlose Entgleisung, welche die Undankbaren sich zuschulden kommen ließen. Wer weiß, vielleicht lässt die Aufgebrachte sich becircen. Es kann nicht schaden, gemeinsam um Vergebung zu bitten.


    Vierzehnte Szene:


    Fast wäre die Romanze, die sich zwischen Lindora und dem Baron anbahnt, in Vergessenheit geraten. Lindora möchte vom Baron gern hören, dass er sie liebt. Wenn die Schurkin wüsste, was in seinem Herzen geschrieben steht? „Hier lebt Lindora“, lautet die Besitzurkunde. Ist sein Herz etwa ein Haus? Ganz richtig, mit Halle, Audienzraum und Schlafzimmer. Ach, muss das Spaß machen, darin zu wohnen! Ohne Miete zu bezahlen, darf die Herzenskönigin alleinige Nutznießerin sein. „Tutta per voi“ beginnt die folgende Arie, in welcher der verliebte Baron die gefällige Immobilie ausführlich und eindrucksvoll beschreibt.


    Lindora hat eine teuflische Idee. Sie will ihrer Herrin den Zauberring stehlen, den diese allerdings sorgsam bewacht. Ein bisschen Zaubern hat die Zofe von ihrer Herrin gelernt, und mit dem Ring will sie das Schiff herbeihexen, mit dem der Baron und Monsieur Petit die Insel angesteuert haben. Der Opernbesucher glaubt, dass die kleine Zofe ihre Fähigkeiten überschätzt. Kann sie die Zaubersprüche wirklich fehlerfrei aufsagen? Werden die mächtigen Geister ihr wirklich gehorchen oder ihren Schabernack mit der Unscheinbaren treiben?


    Fünfzehnte und sechzehnte Szene:


    Circe ist glücklich, den kleinen Franzosen um sich zu haben. Sie schätzt sein sanftmütiges Wesen, mutmaßt aber zu Unrecht, dass er eifersüchtig auf seinen Reisegefährten sein könnte. No Signora, er fürchtet keinen Rivalen! Von Brunoro will sie wissen, wo der Italiener sich gerade aufhält. Ach, der arme Teufel zittert noch am ganzen Körper. Sie soll ihm nichts Weiteres antun. Ihn in eine unschuldige Statue zu verwandeln war genug. Brunoro soll dem Italiener ausrichten, dass sie ihm nichts tun werde, er aber auf ihre Liebe nicht hoffen darf. Jeden Gedanken daran soll er fallen lassen, sie liebt einzig und allein den Monsieur aus der Seine-Stadt.


    Warum ist Petit so ernst? Hat er vielleicht eine andere Schöne im Sinn? Aber nein! Lindora bedient sich der Zeichensprache, dass Monsieur auf der Hut sein und ihre Warnungen nicht in den Wind schlagen solle. Circe fragt den kleinen Franzosen direkt, ob er sie liebe. Monsieur weiß es nicht! Welch befremdende Antwort! Welche Kühle! Ist ihm nicht klar, dass sie ihm eine königliche Hand anbietet? Gewiss weiß er es, aber ihr Geist sei so launisch, versucht Monsieur zu mäkeln. Sie verspricht, sich zu bessern. Petit bezweifelt es. Begreift er nicht? Der Thron der Insel wird ihm gehören und das milde Herz, welches in ihrer Brust schlägt, bekommt er als Zugabe. Circe bietet ihm ihre rechte Hand, in die er einschlagen soll. Jetzt wird Petit energisch. Er will ihre Hand nicht haben, er akzeptiert sie nicht. Anschauen soll er sie - der undankbare Mann beleidigt sie in einem fort. Warum macht er das? Wie kann Circe ahnen, dass ihre Dienerschaft die Form der üblen Nachrede bis zum Überdruss angewandt hat?


    Petit befindet sich in einer fatalen Lage. Was er wirklich empfindet, darf er nicht sagen. Die Angst begleitet ihn, eines Tages transformiert zu werden. Wie lange kann er sich ihrer süßen Liebe noch widersetzen? Wie lange kann er seine Leidenschaft noch zügeln? Circe ist der Verzweiflung nahe. Wohin ging ihre Macht? Die Tochter der Sonne wurde von einem Sterblichen zurückgewiesen. Unruhe und Qual wüten in ihrem Innern.


    Siebzehnte Szene:


    Lindora erzählt dem verblüfften Monsieur Petit, dass sie der Herrin ihren Zauberring entwendet hat. Wenn sie den Reif am Finger trägt, kann sie mit ihm jeden Bann brechen. Jetzt braucht Monsieur nicht mehr wegrennen, denn nun ist sie unter Umständen mächtiger als Circe. „O meine Süße, mein Leben!“ Der Baron warnt den Verzückten, er solle mit seiner Lindora nicht so schnell familiär werden. Ach, er äußerte doch nur seine Dankbarkeit an die liebe Befreierin.


    Wenn der Ring tatsächlich die Eigenschaften besitzt, die Lindora an ihm lobt, möchte er auf dem schnellsten Wege nach Neapel zurückreisen, um den Vesuv zu küssen. Aber wo wird er ein Schiff finden? Nun, der Ring wird es ermöglichen! Zunächst muss nun Brunoro informiert werden, damit man gemeinsam fliehen kann. Monsieur Petit ist eine ängstliche Natur. Er möchte nicht länger an diesem Platz verweilen und zieht es vor, sich zu entfernen. Die Ambitionen Lindoras sind ihm nicht geheuer. Die Symptome in ihrem Kopf geben tatsächlich zu Bedenken Anlass, meint auch der Baron. Nun, man wird sehen, was der Ring alles kann. Der Baron möge sie aber unterstützen und die Zauberformeln, die sie aufsagt, mit kräftiger Stimme nachsprechen. Lindora reibt den Ring und hebt an: „Astaroth und Zoroaster! Eilt herbei aus dem Cocytus.“ (Man muss davon ausgehen, dass die Herrschaften hier wohnen.) Die Nacht ist ein Geflügel. Es kommt aus der Küche und ist gut gebraten, setzt der Baron die Ansprache fort. Lindora ist unzufrieden. Der Baron soll nicht ulken, sondern die Betonung richtig setzen. Wenn die Dämonen kommen, werden sie ihn schrammen, so wie er es verdient. Der Gemaßregelte bittet die Zauberkundige, ihn vor Ärger zu bewahren. Sie soll zusehen, wie sie allein mit den Dämonen klar kommt. Er wird seinen Mund nun nicht mehr öffnen. Die Opernbesucher sind gebeten, vorübergehend das Husten einzustellen, um die Dämonen nicht zu irritieren.


    Lindora schließt die Augen, konzentriert sich und beginnt von vorn: „Zoroaster und Astaroth, kommt aus dem Cocytus! Holt die See zu ihrem ehemaligen Status zurück damit das Schiff, welches wegging, wieder zu sehen ist und zurückkommt!“ Kann der Baron schon etwas erkennen? Nun, die See ist unruhig geworden, aber ein Schiff ist noch nicht zu sehen. Lethe und Pluto werden nun zur Verstärkung herangezogen, weil möglicherweise Astaroth und Zoroaster für das Mittelmeer nicht zuständig sind. Sie warten ein Weilchen und plötzlich taucht das herbeigesehnt Schiff am Horizont auf. Die Schiffsmannschaft steht an der Reling und winkt. Welche wunderbare Metamorphose. Alles verdanken sie dem lieben Ring. Einer großen Stimme hat er den schuldigen Gehorsam geleistet. Jetzt muss alles sehr schnell gehen. Hoffentlich sind Brunoro und Monsieur Petit bald zur Stelle.


    Achtzehnte Szene:


    Circe ist es nicht verborgen geblieben, dass der schöne Zaubergarten verschwunden ist und die alte Wildnis aus dem ersten Bild wieder vorherrscht. Die Weisungen an die Zaubermächte, die bekanntlich nur das tun, was ihnen gesagt wird, hatte Lindora unvollständig vorgebracht. Oh grausame Götter! Wie sehr wurde Circe enttäuscht? Welche Leiden und welcher Verdruss erwartet sie schon wieder! Wo ist ihr Idol? Will der Geliebte etwa davonlaufen? Fühlt er kein Mitleid mit ihr? Bruno entbietet sich, nach ihm zu suchen. Wenn er den Franzosen findet, bringt er ihn her. Petit hatte sich im Gebüsch versteckt und kommt nun hervor. „Ah da bist du ja mein lieber Schatz.“ Als er merkt, dass sie nach ihm greift, will er sofort wieder davonrennen. Der Treulose soll anhalten! Circe weiß nun überhaupt nicht mehr, wie sie sich dem wankelmütigen Franzosen gegenüber verhalten soll. Unschlüssig und völlig durcheinander ist auch Petit. Er hört sein Herz nicht mehr schlagen. Was soll er tun?


    Nun ist es an Brunoro, das Fluchtvorhaben aufzudecken. Was sagt der Diener da? Er wollte doch auch mitkommen! Man beschuldigt sich gegenseitig des Verrats. Circe reicht es. Sie wird kurzen Prozess machen und alle transformieren. Sie ruft bereits nach den Furien, hat aber offenbar noch nicht festgestellt, dass sie nicht mehr im Besitz des Zauberringes ist. Trotzdem fällt man vor der mächtigen Signora auf die Knie und bittet im Chor um Verzeihung. Circe verkündet ihren Hass auf die Menschheit! Die Angst steht allen ins Gesicht geschrieben. Der Baron möchte nicht wieder in eine Statur verwandelt werden und Brunoro keinen Esel abgeben. Die Freunde sollen doch nicht so erschrocken sein! Lindora hat den Ring, mit dem sie jeden Zauber wieder neutralisieren kann. Ach, die gute Zofe hat doch nicht einmal ein Semester in dieser Grenzwissenschaft absolviert. Woher nimmt sie ihr Selbstbewusstsein? Nun ruft Circe die Geister herbei! Sie sollen ihr schnell gehorchen, aber Lindora schickt sie kraft des Ringes sofort wieder weg. Die Anwesenden beobachten die beiden Frauen beim Kräftemessen. Das Blut hat längst aufgehört zu zirkulieren, die Gesichter sind bleich. Circe weiß nicht, wen sie alles herbeirufen soll, den Regen, die Wellen, den Wirbelwind, um das Fluchtvorhaben zu vereiteln. Sie möchte sich am liebsten selbst töten. Nichts funktioniert! Lindora mag das Thema nicht ernsthaft mit ihr diskutieren, Circe muss es hinnehmen, dass sie von ihrer Dienerin ausgelacht wird. Gut, dass die Erboste es nicht regnen lassen kann, denn der Baron hat keinen Regenschirm dabei.


    Das Schiff hat angelegt. Die Landebrücke wird ans Ufer geschoben. Bitte Beeilung! So ganz ohne Abschied mag Monsieur Petit die Angebetete aber nicht zurücklassen. Addio, mein wunderschönes Idol. Der grausame Mann! Was hat sie ihm getan? Der Liebling soll nicht fortgehen. Circe fasst ihn am Ärmel. „Tut mir Leid, mein Liebling, aber es muss sein!“ Die Gefährten drängen. Nun, wenn der Franzose nicht endlich kommt, gehen sie allein weg. Er kann gern bleiben, hinterher wird er sehen, was er davon hat. Die lieben Freunde sollen nicht solchen Unsinn erzählen. Natürlich kommt er mit! Circe sieht ein, dass sie den Liebling nicht halten kann. Nun, weit werden sie nicht kommen! Aeolos wird den Sturm loslassen und Neptun die Wogen entfesseln. Nein, ohne Ring kann Circe ihnen keinen Schaden zufügen. Aber wird Lindora in Zukunft verantwortungsvoll mit dem Juwel umgehen können?


    Ganz ohne Trost wollen wir die betrogene Circe, die am Strand zusammengesunken ist, nicht zurücklassen. Ihre Zauberkunst dürfte nicht allein von einem Ring abhängen. Kreuzfahrtschiffe werden die Insel anlaufen und Männer kommen. Wer kann es der enttäuschten Circe verdenken, wenn sie sich auf ihre Fähigkeit besinnt, Unliebsames zu transformieren?


    © 2010 TAMINO – Engelbert