Don Carlos (französische Version) an der Wiener Staatsoper

  • Gestern gesehen, gehört und vor allem erlebt.
    Die Unterschiede zur gängigen italienischen Version sind
    im Journal der Wiener Staatsoper dokumentiert, sodaß ich mir das Abtippen des Artikels ersparen kann und nur eine Kurzzusammenfassung liefere.
    a) Fontainebleau-Akt, wenn in italienischer Version gespielt, dann gekürzt,
    b) ausführlichere Szenen
    c) natürlich Ballett
    d) fast hätte ich es vergessen, die Sprache


    Werk: nach meinem Empfinden dramatischer als die italienische Fassung
    Ausführende: Dirigent Bertrand de Billy und Orchester hervorragend, ebenso die meisten SängerInnen.
    Ein Erlebnis: Nadja Michael als Eboli
    Regie von Konwitschny mit folgenden Höhepunkten:


    Die Autodafé-Szene wird als Medienereignis gebracht, findet im Foyer und im Parterre der Staatsoper statt. Die Ketzer werden durch die Gänge geschleppt, es wird gefilmt und das Ganze über der Bühne übertragen. Die ehrenwerte Madrider Gesellschaft ("die TV-Sprecherin" begrüßte das Königspaar, den spanischen Finanzadel) zieht, begleitet von Fotografen und TV-Kameras) auf der Bühne ein. Dort befindet sich die Festgesellschaft, die zum Event einige Gläschen leert.
    Das Faszinierende dabei ist, daß sich die Opernbesucher teilweise schon gieren, dabei auch gefilmt zu werden.


    Das Ballett "Traum der Eboli" wird als Pantomime der Familie Don Carlos, die das befreundete Ehepaar Philippe und Elisabeth im Wohnzimmer bewírtet, dargestellt. Dies erinnert etwas an "Dinner for two" und ist ebenso erheiternd.


    Die Personenregie ist wirklich gut, etwas weniger könnten Carlos und Posa am Boden herumkugeln. Das Bühnenbild für alle Akte mit Ausnahme des Fontainebleau-Aktes: Kerkermauer


    Deshalb meine Empfehlung an die Opernfreunde:
    "Hört und seht Euch das an!"

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Zitat

    Original von Rienzi
    Deshalb meine Empfehlung an die Opernfreunde:
    "Hört und seht Euch das an!"


    Hallo Rienzi,


    die Gelegenheit hierzu haben übrigens nicht nur die Besucher der Wiener Staatsoper, sondern alle, die über ein Fernsehgerät verfügen. Am 18. Juni um 20.15 zeigt 3sat eine Aufzeichnung des "Don Carlos" in der Premierenbesetzung.


    Eine Frage hätte ich noch: war die Vorstellung einigermaßen gut besucht?


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Danke, lieber Giselherr für Dein Interesse und den Tip. Ich möchte diese Oper und diese Inszenierung gerne noch einige Male sehen. "Vor dem TV-Gerät mit einem Bier ist sie wahrscheinlich noch schöner".
    Besuch am 12.6. 2005: Zwischen 99% und ausverkauft.
    Der guten Fairness halber sei erwähnt, daß es auch eine Abonnement-Vorstellung war.
    Weiters hat die Wiener Staatsoper sogenannte Last-minute-Angebote. Am Vortag kann man sich erkundigen, wieviele Karten noch verfügbar sind und die zu einem Einheitspreis unabhängig von der tatsächlichen Preiskategorie erwerben.
    Dies soll die Auslastungsstatistik der Staatsoper nicht schmälern.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Hallo Rienzi,


    ich habe deswegen nach der Auslastung gefragt, weil im "Merker"-Forum berichtet wurde, daß die Vorstellungen an den Wochentagen nicht gerade ausverkauft gewesen sein sollen (Lücken am Stehplatz und im Parkett).


    Die Inszenierung kann ich auch nur empfehlen (ich habe sie selbst zwei Mal gesehen, sie ist ja mehr oder weniger eine Übernahme der Konwitschny-Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper aus dem Jahre 2001, teilweise mit denselben Sängern).


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Rienzi!


    Ich bin Deiner Meinung, was die ausgezeichnete Personenregie von Konwitschny betrifft und finde auch, dass die französische Fassung dramatischer ist und auch wegen des Fontainebleau-Aktes schlüssiger ist, als die italienische Fassung. Zwei Dinge gefallen mir allerdings in dieser Inszenierung überhaupt nicht: 1. Die Inszenierung der Ballettszene empfinde ich als Stilbruch und störend im Zusammenhang mit dem restlichen Teil der Oper, obwohl ich Konwitschny auch hier zugestehen muss, dass er genau auf die Musik gehört hat. Aber vielleicht ist mein Problem in diesem Zusammenhang, dass ich die Ballettmusik einfach nicht mag. 2. Die Inszenierung deckt im Autodafe die Musik teilweise zu, und da mich in erster Linie die Musik interessiert, empfinde ich den Teil der Inszenierung als Provokation, was wohl auch in den Intentionen von Konwitschny gelegen ist.

  • Die CD dieser Aufführung aus Wien ist inzwischen erschienen. Ich bin noch unschlüssig sie zu kaufen. Als Dokument dieser 5-aktigen Fassung ist sie sicher die Ausgabe wert, die Sänger in Wien (ich sah die Übertragung im TV) konnten mich nicht so überzeugen wie die Sänger in Hamburg. Das galt vor allem für Ramon Vargas als Carlos in Wien.


    Grüße
    Sophia