La Boheme - in der Hamburger Staatsoper

  • Vorgestern hatte ich das Vergnügen, von einem bevorzugten Platz in der ersten Reihe direkt hinter dem winkenden Dirigenten die Vorstellung bewundern zu können. Der breite Abstand des Orchestergrabens schloss aus, selbst ins Handlungsgeschehen einbezogen zu werden. Die irrsinnig teure Karte hatte ich von einer Gönnerin, die verhindert war, geschenkt bekommen.


    Die Inszenierung war eine zeitgemäße, aber kein verunglücktes Regietheater. Die gewaltige Breite und Tiefe der Hamburger Bühne lässt eine spektakuläre Hydraulik zu, die es ermöglicht, einen gewaltigen Wohnblock als gigantischen Aufzug gemächlich auf- und absteigen zu lassen. Diesen Vorteil nutzte der Regisseur, um im ersten Akt eine Wohnwand mit neun Zimmern erstehen zu lassen, die von verschiedenen Leuten bewohnt war und dort hantierten. Den zentralen Mittelpunkt bildete die Intimität
    des Ateliers in dem sich unsere vier Freunde aufhielten, die später Besuch von Mimi aus dem Zimmer darüber bekamen. Rechts im zweiten Stock wohnte der Vermieter und die übrigen Räume wurden von Leuten bewohnt, die mit Puccini nichts zu tun haben. Die Gestik unserer männlichen Protagonisten war sehr lebhaft und das Ensemble - gut aufeinander abgestimmt - balgte sich und sang einen herrlichen Puccini. Bevor es mit dem ersten Akt zu Ende gehen sollte, versank der Wohnblock langsam
    aber sicher im Boden, während Mimi und Rodolfo ihre Gesänge direkt an der Rampe fortsetzen konnten – über ihnen die sternklare Nacht.


    Das Café Momus hatte gewaltige Ausmaße, die Inschrift war in großen Lettern als Spiegelschrift zu erkennen. Jongleure hantierten mit ihren Kegeln und der Tresen war so gewaltig, dass Musetta ihre Tanzdarbietung ausgiebig gestalten konnte, ohne Gefahr zu laufen abzustürzen. Das Gesicht des riesigen Weihnachtmannes ähnelte mit seinem Fenster ein wenig einer Kuckucksuhr. Ein mordsmäßiges Spektakel an Menschen bevölkerte den Vordergrund mit Blaskapelle und Alsterspatzen. Unsere Freunde hatten ein reserviertes Tischchen ganz links.


    Das dritte Bild bestand aus einer quaderförmigen Lagerhalle mit Verladerampe, unter der Mimi sich verstecken konnte. Wenn die Tür aufging strahlte rotes Licht heraus, welches den Umbau des Gebäudes in ein Bordell signalisieren sollte. Ein unförmiger Schneemann und niedertaumelnde Schneeflocken symbolisierten eisige Kälte. Marcello und Musetta stritten links und Rodolfo und Mimi zelebrierten ganz in die Sutuation versunken ihren Liebesschmerz rechts.


    Zum vierten Akt wurde der Wohnblock wieder hochgefahren, der aber sein wohnliches Aussehen verändert hatte und auf abrissfähig getrimmt war. Die Leute waren ausgezogen und ein großes Loch in der Wand zu den Räumen des ausgezogenen Vermieters erlaubte den problemlosen Durchgang, so dass unsere Freunde die ganze Abrissbude nutzen konnten. Bei der Szene in Mimis Schlafzimmer senkte sich das Haus so tief, dass man bequem über die Rampe ins oberste Stockwerk gelangen konnte.


    Über den philosophischen Gehalt, weshalb jeder der Beteiligten den Tod Mimis allein für sich in einem Zimmer des Hauses erlebt, kann man witzeln oder auch sich gar keine Gedanken machen.


    ^^


    Die Kostümierung aller Beteiligten war milieugerecht. Die Anzüge waren ein wenig zerschlissen und farbe-bekleckert. Mimis sorgfältiges make up wirkte ein bisschen zu vornehm für die Partie und signalisierte keineswegs soziale Bedürftigkeit. Rodolfo, an Wuchs einen halben Kopf kleiner als Mimi, erfreute mit seinem wirkungs- und liebevollen Lächeln (wenn er nicht sang), welches er nach Belieben an- und ausknippste. Die übrigen Freunde wirkten milieustimmig optisch ein wenig bieder.


    In gesanglicher Hinsicht blieben keine Wünsche offen. Geboten wurde eine herrliche Ensemble-Leistung an der keine Abstriche zu melden waren. Liebling des Publikums war jedoch Teodor Ilincai, der am Schluss auch den größten Beifallssturm erntete. Ursprünglich war Massimiliano Pisapia für die Partie vorgesehen. Die übrige Besetzung: Mimi: Mirjam Tola, Schaunard: Victor Rud, Marcello: George Petean, Colline: Diogenes Randes, Benoit: der in Hamburg altbewährter Frieder Stricker. Katerina Tretyakova spielte die Musetta reichlich überdreht – aber sie kann auch nur das machen, was der Regissuer von ihr verlangt.


    Der Dirigent, Alexander Soddy (mir völlig unbekannt) hielt im Kontrast zu Simone Young das Orchester dezent zurück. Da ich ganz vorn saß, konnte ich beobachten, welche Gruppe gerade an der Reihe war. Die Text-Hilfestellung von Display ganz hoch oben war wie immer, unzulänglich. Höhepunkt des Abends: Puccinis herrliche Musik in optimaler Umsetzung. In der Premiere sang die Mimi Alexia Voulgaridou.


    :(


    Die Platzbelegung des Hauses war nicht ausgeglichen. Gerade bei den teuren Plätzen klafften große Lücken. Ich denke aber das es mit den Inszenierungen nicht zusammenhängt, sondern mit der allgemeinen Geldverknappung. Die Hamburger Boheme ist für Kinder geeignet, weil besonders die Turbulenzen im zweiten Akt viel Kurzweil bieten.


    Es freut mich, dass vielversprechende Gesangstalente – die großen Stars von morgen – Hamburg nicht länger meiden.


    :angel:
    Engelbert

  • Hallo Engelbert,


    mit großem Interesse habe ich Deinen Bericht gelesen. Ilincai ist ja nun kein Unbekannter mehr, er hat den Rodlolfo bereits im Londoner Opernhaus gesungen und ich habe ihn kürzlich hier als Einspringer in dieser Rolle in Duisburg erlebt. Diogenes Randes hat bereits vor einigen Jahren in Duisburg auch als Einspringer den Raimondo in Lucia di Lammermoor mit großem Erfolg gesungen und wirkte auch schon in kleineren Partien bei den Bayreuther Festspielen mit. Er war übrigens auch vor einigen Jahren in der Finalrunde von Domingos Operalia-Wettbewerb.


    Ansonsten auch danke für die Beschreibung der Inszenierung.


    :hello:


    Jolanthe

  • Lieber Engelbert,


    vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht, ich habe schon viel von der hamburger Inszenierung gehört und Deinen Bericht mit Interesse gelesen.
    Ich habe das große Lob, dass Ilincai als Rodoflo in der von Jolanthe erwähnten Inszenierung in Duisburg erhalten hat, bei uns in der Zeitung gelesen.
    Auch George Petean habe ich schon zweimal live erleben dürfen und war sehr angetan.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Illincai war ein sehr guter Rodolfo, und das obwohl er sehr kurzfristig in Duisburg eingesprungen ist. Und von Petean , den ich zu Anfang seiner Karrierer in Duisburg als Enrico gesehen habe, bin ich ein großer Fan. Er gehört auf jeden Fall nicht zu der Sorte der " Brüll Baritone ".