The Io Passion - Premiere Kammeroper Wien - 10.2.2011

  • Der Wiener Kammeroper ist es hoch anzurechnen, dass sie immer wieder Raritäten auf die Bühne bringt. Seit Kürzung der Subventionen sind es nun leider nur mehr drei Produktionen, die dem Publikum vorgestellt werden, davon eine Barockoper (aktuell arbeitet man an einem Haydn-Zyklus) und jede Saison ist auch ein modernes Werk zu sehen.


    Dieses Mal handelt es sich um eine Oper des Briten Harrison Birtwistle, der eine interessante Vita hat. Vom Arbeiter der Pharma-Industrie über Asbestvertreter kam er zum Beruf des Klarinettenlehrers und schlussendlich mutierte er zum Komponisten. Birtwistle, Jahrgang 1934, zählt heutzutage zu den anerkanntesten englischen Komponisten und wurde sogar im Jahr 1988 in den Adelsstand erhoben. Sein Bühnenwerk umfasst 12 Stücke, mit „The Io Passion“ wurde eine Kammeroper ausgewählt, die im Jahr 2004 bei den Bregenzer Festspielen ihre österreichische Erstaufführung hatte und nun vom Team der Kammeroper erstmals in Wien gezeigt wurde.


    Vorweg – es ist wirklich ratsam, sich die Begleitbroschüre zu besorgen und noch vor der Vorstellung zu lesen, da man ansonsten größte Schwierigkeiten haben wird, dem Gebotenen zu folgen. Da helfen auch die Übertitel nicht (warum man die englischen Passagen sehr wohl auf deutsch übersetzte, allerdings die griechischen Passagen des Librettos nicht, dafür aber in griechischer Schrift projizierte, das bleibt ein Rätsel. Ich denke, dass man in heutigen Zeiten davon ausgehen kann, dass die Masse der Besucher, die der griechischen Sprache mächtig ist, verschwindend klein ist), zu verwirrend ist die Aufeinanderfolge der so genannten sieben Strophen. Ein großes Lob ist an das Bassettklarinettenquintett auszusprechen.


    Es ist wahrlich eine Kammeroper für diese kleine Besetzung, die allerdings die sehr schwierige Partitur überzeugend darbringt und das Geschehnis auf der Bühne begleitet. Im Prinzip trägt dieses Ensemble den Großteil des Werkes, da nicht viel gesungen und gesprochen wird. Birtwistle, der ja selbst Klarinette lehrte, hat dieses Instrument in den Mittelpunkt gestellt, es trägt den Großteil der melodischen Linie, unterstützt vom Cello. Die Viola und die beiden Violinen selbst haben kaum „Melodien“ zu spielen, sie sind eher für die Rhythmik zuständig. Daniel Hoyem-Cavazza, seines Zeichens musikalischer Leiter der Kammeroper, koordinierte sein Ensemble hervorragend und kassierte berechtigt einige „Bravi“ beim Schlussapplaus. Auch die Musiker sollen hier genannt sein – Silvia Iberer, Annette Mittendorfer (beide Violine), Rita Cuda (Viola), Christof Unterberger (Violoncello) und besonders Bernhard Pfaffelmaier (Bassettklarinette).


    Die Geschichte erzählt – mehr oder weniger klar – von einem Mann und einer Frau, die einen Nachmittag / eine Nacht gemeinsam in Lerna, einem antiken, mysthischen Ort am Peloponnes verbracht haben. Was dort geschehen ist, bleibt ungenannt, hat aber auf beide einen großen Einfluss – es dürfte etwas aufgebrochen sein, mit dem beide, besonders aber der Mann, nicht klarkommen. Es entwickelt sich ein Briefwechsel – und beide reflektieren auf Basis der Io-Legende diverse Abarten der Beziehungen zwischen Mann und Frau.. Fünf verschiedene Träume werden gezeigt, wobei die Protagonisten des Stückes, die alle Doppelrollen spielen, diverse Arten der gegenseitigen Unterwerfung praktizieren.


    Es gibt in diesem Stück zwei Sprechrollen und vier Gesangsrollen. Brigitte Pekarek (Woman 1 / Hera) wurde unter anderem in London ausgebildet und besticht durch ein deutlich gesprochenes „British English“, ihr Gegenpart in der männlichen Sprechrolle ist Ben Maddox (Man 2 / Zeus). Eine kleine Höhenunsicherheit zu Beginn zeigte Bariton Hans Gröning (Man 1 / Inachus), ansonsten war er ein überzeugender Singschauspieler. Bassbariton Rupert Bergmann sorgte als Man 3 / Hermes für einige witzige Augenblicke. Seine Stimme ist schon fast zu groß für das Haus. Barbara E. Schedel (Woman 3 / Io) ist höhensicher und war auch ein überzeugendes Objekt der Begierde der Zeus, während Jennifer Davison (Woman 2 / Hera) die gesanglich überzeugendste Leistung bieten konnte – was aber auch damit zu tun hatte, dass sie die „singbarsten“ Stellen des Werkes zu bewältigen hatte. Allerdings hatte die amerikanische Sängerin auch seinerzeit schon in den „Pescatrici“ überzeugen können.


    Nicola Raab war für die Inszenierung verantwortlich. Wie schon bei der Produktion von Owen Wingrave im gleichen Haus gelang ihr wieder eine überzeugende Umsetzung des doch sehr sperrigen Werkes. Für Bühne/Kostüme beziehungsweise Lichtdesign griff die Kammeroper mit Claudia Doderer und Christian Weißkircher auf bewährte Kräfte zurück.Das Stück dauert ohne Pause um die 90 Minuten, fühlt sich aber länger an, was dadurch bedingt sein kann, dass seitens der Musik relativ wenig Akzente gesetzt werden und es seitens der Partitur kaum zu Fortschritten in der Handlung kommt. Es ist ein Werk, das ohne wirklich dramatische Sequenzen auskommen will – und bedingt durch die schon oben ausgeführte Tatsache, dass es sich quasi um ein Streichquartett mit Bassettklarinette handelt, das ab und an durch Rezitieren und Gesang unterbrochen wird, sind musikdramatische Ausbrüche an einer Hand abzuzählen.Trotz allem ist es ein interessanter Abend für alle Opernfreunde, die einmal etwas „ganz anderes“ sehen möchten. Ob sich „The Io Passion“ auch in Zukunft im Spielplan halten wird, das sei einmal dahingestellt.


    Photos zur Produktion findet man auf http://www.wienerkammeroper.at/presse.de.php

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