CONRADI, Johann Georg: ARIADNE

  • Johann Georg Conradi (ca. 1645-1699)


    DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE
    Oper in drei Akten - Libretto von Christian Heinrich Postel (1658-1705)


    Uraufführung 1691 im Theater am Gänsemarkt in Hamburg


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Ariadne, kretische Prinzessin - Sopran
    Phaedra, ihre Schwester - Sopran
    Minos, kretischer König - Baß
    Evanthes, Prinz königlichen Geblüts - Alt oder Countertenor
    Pasiphae, Frau des Minos - Sopran
    Theseus, Held aus Athen, göttlicher Herkunft - Tenor
    Pirithous, sein Freund - Tenor
    Pamphilius, Diener von Theseus - Tenor
    Bacchus, Gott des Weines - Alt oder Countertenor
    Venus, Göttin der Liebe - Sopran
    Ein Satyr - Baß
    Zwei Bacchanten - Sopran und Alt
    Zwei Grazien - Sopran
    Chor - Volk, Scherenschleifer, Königs- und Göttergefolge


    Ort und Zeit der Handlung: Kreta in mythologischer Zeit.



    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Erste Szene: Ein prächtiger Saal im Palast des Königs Minos auf der Insel Kreta.


    Nachdem sich der Vorhang geöffnet hat, sieht man Ariadne allein auf der Szene; sie klagt über ihr Schicksal, das ihr nicht nur einen ungeliebten Verehrer in Gestalt des Prinzen Evanthes beschert hat, sondern daß sie ihre große Liebe, den Athener Prinzen Theseus, verlieren soll, weil der auf Befehl ihres Vaters, König Minos, mit dem Minotaurus kämpfen muß. Und diesen Kampf hat bisher noch niemand gewinnen können. Zu allem Überfluß weiß Ariadne, daß sich ihre Schwester Phaedra in Theseus verliebt hat und zu einer Rivalin geworden ist.


    Zweite Szene


    Phaedra kommt hinzu und aus dem Gespräch der beiden Schwestern wird deutlich, daß Ariadnes Vermutung über Phaedras Verliebtheit in Theseus sich als richtig erweist. Auf Ariadnes Frage, ob Phaedra denn überhaupt kein Mitleid für den Todgeweihten empfinden könne, antwortet die, „beiseite gesprochen“, sie habe „Furcht bis auf den Tod“, laut weist sie jedoch das Gefühl von Mitleid weit von sich, denn „es ekkelt mich vor Liebesbanden“.


    Dritte Szene


    König Minos kommt mit Evanthes und bestimmt den Prinzen, „sobald der nächste Tag anbricht“, zum Gemahl seiner Tochter Ariadne. Theseus aber solle im Labyrinth sterben, womit die Athener Königslinie ausgelöscht würde, und der ernsthafteste Gegner Kretas entschieden geschwächt wäre. Dann begibt sich Minos in ein angrenzendes Kabinett. So sehr sich Evanthes über die Aussagen des Königs freut, so sehr empfinden Ariadne und Phaedra den zu erwartenden Tod von Theseus als fürchterlichen Schicksalsschlag.


    Vierte Szene


    Auch die hinzukommende Königin Pasiphae äußert sich erfreut über den Plane, Ariadne mit Evanthes zu verheiraten; sie sieht dadurch für Kreta eine glänzende Zukunft heraufziehen. Ariadne aber lehnt die Verbindung mit Evanthes ab - allerdings sagt sie es nicht laut, sondern nur „für sich“. König Minos kommt aus dem Kabinett zurück und befiehlt mittels eines Dekretes, daß man seine beiden Beschlüsse im ganzen Land verkünden solle: Theseus muß mit dem Ungeheuer kämpfen und Ariadne wird mit Prinz Evanthes verheiratet. Bis auf Pasiphae und Phaedra gehen alle ab.


    Fünfte Szene


    Pasiphae macht sich Gedanken, ob es Theseus wohl gelingen kann, den Minotaurus zu besiegen, um dann mit Ariadnes Hilfe (die diese Hilfestellung durch Hinweise von Daidalos leisten kann) dem Labyrinth wieder zu entkommen. Erst der Tod des ihr verhaßten Ungeheuers, so sagt sie, werde ihr die Ruhe wiedergeben. Pasiphae bittet also Phaedra, Ariadne ihren Wunsch zu übermitteln, daß sie Theseus den „Daidalos-Trick“ verrate. Diese Aussage ist nur durch einen Blick in die Mythologie zu verstehen:


    Der große Baumeister, Erfinder und Künstler Daidalos ist nach Kreta geflohen, weil er seinen ebenso genialen Neffen Perdix aus Eifersucht durch den Sturz von der Akropolis töten wollte. Die Göttin Athene rettete Perdix durch Verwandlung in einen Vogel, der seither auch seinen Namen trägt: Perdix/Rebhuhn. Auf Kreta tritt Daidalos in die Dienste des Königs Minos.

    Der Meeresgott Poseidon hatte König Minos einen prächtigen weißen Stier geschenkt. Das Gebot des Gottes, ihm den Stier zu opfern, ignorierte Minos allerdings, weil ihm das Tier so sehr gefiel. Poseidon dachte sich eine gemeine Rache aus: Als Minos Pasiphae, eine Tochter des Sonnegottes Helios, heiratete, sorgte Poseidon dafür, daß sich die junge Braut in den Stier verliebte. Pasiphae überredete Daidalos, eine Kuhattrappe aus Holz zu bauen, in die sie zum Zwecke des Liebesaktes hineinschlüpfen konnte. Tatsächlich entstand aus dieser Begegnung der Minotaurus, halb Mensch, halb Stier.

    Minos befahl Daidalos, ein Labyrinth zu bauen, um das Ungeheuer in Schach halten zu können. Dieses Labyrinth war aber so geschickt angelegt, daß selbst Daidalos nur mit der Hilfe des abgerollten Fadens an die Erdoberfläche zurückfand. Und eben diesen Trick kannte Ariadne von seinem Erfinder.


    Sechste Szene


    Phaedra, nach dem Abgang ihrer Mutter allein auf der Szene, freut sich über die Aussicht auf Rettung für ihren Theseus; darum folgt sie der Bitte Pasiphaes auch ohne Murren. Ihre in einer Arie geäußerte Überzeugung, daß Liebe und Treue letztendlich auch zueinander finden, gilt natürlich nur für sie und Theseus - daß die Schwester Ariadne ebenfalls den Prinzen liebt, hat sie ausgeblendet.


    Siebte Szene


    Theseus kommt mit seinem Diener Pamphilus und seinem Freund Pirithous auf die Bühne. Der Freund äußert sich verärgert, weil Theseus kein anderes Thema als Phaedra kennt. Er ist der Meinung, der Prinz solle sich mehr Gedanken über den Kampf mit dem Minotaurus machen - und wenn er schon an Liebe denke, dann wäre Prinzessin Ariadne die geeignetere Partie. Der Argumentation seines Freundes will Theseus nicht folgen. Pamphilius streut in das Gespräch der beiden seine Kommentare ein - beiseite gesprochen, und immer ironisch gemeint.


    Achte Szene


    Nach Pamphilius' Abgang kommt Evanthes hinzu und in einem Terzett äußert jeder die Hoffnung auf Liebe und Glück. Dann geht Pirithous ab, während Evanthes und Theseus gegenseitig ihre wahren Gefühle für Aradne bekennen. Theseus spricht dabei ausdrücklich von Schein-Liebe; er sichert Evanthes aber seine volle Unterstützung zu, Ariadnes Liebe erringen zu können. Nach Theseus' Abgang äußert sich Evanthes über den erwarteten Triumph der Liebe über das Schicksal.


    Szenenwechsel in einen Garten.


    Neunte Szene


    Phaedra ist allein im Garten und besingt in Jubeltönen ihre Liebe zu Theseus. Dann sieht sie ihren Angebeteten kommen - allerdings ist er nicht allein, sondern hält Ariadne an der Hand. Phaedra verbirgt sich, um das Gespräch der beiden neugierig zu belauschen.


    Zehnte Szene


    Theseus spricht zu Ariadne von Liebe und Treue - Phaedra in ihrem Versteck kommentiert die Worte des Atheners mit Enttäuschung und Schmerz. Als Ariadne die Szene verläßt, kommt Phaedra sofort hervor und überschüttet Theseus mit Vorwürfen, die ihre Wut verraten. Ariadne, die im Abgang die Stimme ihrer Schwester erkannt hat, bleibt stehen und hört, ungesehen, dem Gespräch der beiden zu. Sie muß erfahren, daß Theseus jede Ernsthaftigkeit seiner Gefühle für sie bestreitet. Im Gegenteil, so sagt er, nur Phaedra allein gehört sein Herz. Ariadne ist geschockt und enttäuscht zugleich.


    Elfte Szene


    Sie tritt hervor und bezichtigt nun ihrerseits Theseus der Treulosigkeit. Der wiederum schauspielert Todessehnsucht und macht Anstalten, sich zu erstechen. Das verhindert Ariadne, indem sie ihm in die Arme fällt und erregt äußert, daß „solcher Tod dir noch viel zu gut“ sei, der Tod im Labyrinth dagegen angemessen: „Fort! Packe dich aus meinem Angesicht!“ Theseus geht mit der Versicherung seiner Liebe zu ihr ab. Ariadne aber äußert sich niedergeschlagen und wütend über ihre Situation.


    Zwölfte Szene


    Evanthes tritt auf und spricht mit Ariadne über die Themen Hoffnung und Erwartung, wird aber von ihr auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt: er hat nichts zu hoffen. Nach Ariadnes Weggang besingt Evanthes seinen durch nichts zu erschütternden Glauben an die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.


    Dreizehnte Szene


    Minos und Pasiphae treten zu ihm und beide bemühen sich, seine hoffnungsvollen Gedanken zu stützen: Ariadne wird bald seine Gattin sein. Plötzlich äußert Evanthes aber Zweifel an seiner Haltung. Vor seinem Abgang versucht Minos, diese Zweifel mit dem Hinweis zu zerstreuen, nur wer siegen will, kann auch gewinnen.


    Vierzehnte Szene


    Pasiphae unterstreicht, mit Evanthes allein geblieben, daß es keine Liebe ohne Leiden gibt, wie man auch keine Rosen ohne Dornen finden kann. Ein Duett beweist Pasiphaes Lebens- und Liebes-Erfahrung, während Evanthes Einsicht in neu gewonnene Erkenntnisse zeigt.


    Fünfzehnte Szene


    Eine große humoritische Final-Szene beschließt den ersten Akt: Pamphilius, Theseus' Diener, tritt als Scherenschleifer gekleidet auf und empfiehlt sich zunächst als der erfahrene Fachmann auf diesem Gebiet. Dann erklärt er, seinen Weg ins Labyrinth nehmen zu wollen - zuvor müsse er jedoch unbedingt seine Fähigkeiten im Schleifen und Wetzen zur Kenntnis bringen. Indem er diese Künste laut und immer wieder anpreist, kommen immer mehr Scherenschleifer auf die Szene, die mit Gesang und Tanz ihren Beruf darstellen.



    ZWEITER AKT


    Eine Galerie im königlichen Palast.


    Erste Szene


    Nach einer Chaconne eröffnet Ariadne mit einem großen Solo diesen Akt. Sie ordnet sich dem Schicksal unter, kann aber den geliebten Theseus nicht vergessen. Sie wünscht sich seine Anwesenheit und daß er ihr erklärt, sterben zu wollen, wenn er sie nicht liebe. Der Held hat Ariadne belauscht, kommt aus seinem Versteck und gesteht ihr abermals seine standhafte Liebe - wir können es nicht glauben.


    Zweite Szene


    Pamphilius tritt hinzu und kommentiert leise die Geständnisse seines Herrn mit bissigen Bemerkungen. Dann bietet er sich aber als Bürge für die Wahrhaftigkeit der Aussagen von Theseus an, hilft ihm damit aus der Klemme, und der verliebten Ariadne tatsächlich zu der Überzeugung, Theseus wieder zu vertrauen.


    Dritte Szene


    Minos und Pasiphae haben das Gespräch belauscht, kommen hervor und lassen ihrer Empörung über Ariadnes Verhalten freien Lauf. Die läßt sich nicht beirren und entgegnet, sie wolle mit Evanthes nichts zu tun haben, mit Theseus dagegen in das Labyrinth gehen und dort auch mit ihm den Tod finden. Und genau das, ordnen König und Königin an, solle auch geschehen!


    Vierte Szene


    Evanthes ist inzwischen hinzugekommen und bietet sich an, aus Liebe für Ariadne und an ihrer Stelle im Labyrinth zu sterben. Sofort ist Pamphilius hellhörig und meint, wenn es Evanthes so wichtig sei, dann wolle er „ihm vor mir die Ehre gönnen“. Minos beruhigt Pamphilius mit den Worten, daß die Strafe nur den Schuldigen treffen solle, und er habe ja nichts verbrochen. Eine geteilte Arie, zunächst für Minos, dann für Pasiphae, in der aber beide unterstreichen, daß jetzt die Rache über die Liebe siegen werde, beendet die Szene beide gehen ab.


    Fünfte Szene


    Zu Evanthes und Pamphilius treten Ariadne und Theseus. Evanthes versucht abermals, Ariadne von ihrem Vorhaben, mit Theseus im Labyrinth zu sterben, abzubringen. Sie läßt sich aber nicht umstimmen und Theseus unterstützt sie dabei. (Der Zuschauer hat den Eindruck, daß Theseus von seinem Sieg über den Minotaurus vollkommen überzeugt ist.) Jedenfalls besingen Evanthes, Ariadne und Theseus - Pamphilius ist in dieser Szene nur belustigter Zuschauer - ihre Zuversicht über einen glücklichen Ausgang des kommenden Dramas.


    Sechste Szene


    Theseus ist mit seinem Diener alleine auf der Bühne und er gibt sich verwundert über seine innere Teilnahmslosigkeit an Ariadnes Liebe zu ihm; auch ihre Bereitschaft, mit ihm in den Tod zu gehen, vermag keine Liebe zur Prinzessin in ihm zu wecken. Aber er meint, nur e i n Weib lieben zu können und die möge doch so schnell wie möglich zu ihm kommen. In die Äußerungen von Theseus läßt Pamphilius seinen ironischen Kommentar einfließen, der zu einem Disput mit Theseus über die Liebe und die Frauen führt.


    Siebte Szene


    Dieser Disput wird sofort unterbrochen, als Phaedra auftritt und Theseus fragt, ob es wahr sei, daß Ariadne ihm ins Labyrinth folgen wolle. Seine Antwort ist eine einzige Verhöhnung der Ariadne: Er habe nur geheuchelt, damit er mit ihrer Hilfe dem Tode im Labyrinth entrinnen kann um mit der einzig geliebten Phaedra entkommen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können. Phaedra ist nicht nur erfreut über Theseus' Aussage, sondern auch sofort bereit, die Intrige gegen ihre Schwester zu unterstützen. Dennoch äußert sie leise Zweifel an der Aufrichtigkeit des Geliebten, die sich allerdings im Duett in Wohlgefallen auflösen: beide singen von Liebe und Treue.


    Achte Szene


    Pamphilius, allein geblieben, kommentiert gewohnt ironisch, aber mit fast philosophischer Weltkenntnis, daß derlei Täuschungen zum Alltag des Lebens gehören:

    Das heißt sich durch die Welt gebracht! Bald hier geflucht und dort gelogen,
    Dann hier geschmeichelt und dort betrogen, Hier die geliebt und der was weiß gemacht,
    Das heißt sich durch die Welt gebracht! (...)
    Kurze Zeit währet das Betrügen, wie der Schminke falscher Schein,
    Denn die allerschönsten Lügen haben wahrlich kurze Bein,
    Nie gebrochen, was versprochen, nimmt den besten Nachruhm ein!


    Neunte Szene: Verwandlung in den Vorhof zum Labyrinth.


    Nach einer Chaconne äußert sich Pirithous über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit des Glücks und kündigt seinen eigenen Tod an, falls sein Freund Theseus den Kampf gegen das Ungeheuer nicht bestehen sollte. Dann kommen Ariadne, Theseus und Evanthes hinzu und die Prinzessin verkündet nochmals ihre Absicht mit Theseus zu gehen - sei es zum Leben oder auch sterben. Theseus lehnt das Ansinnen Ariadnes ab und er schlägt mit Evanthes vor, Ariadne möge doch jetzt das Geheimnis des Labyrinths schon aufdecken und damit für ein glückliches Ende sorgen. Ariadne ist dazu bereit und erklärt Theseus den „Daidalos-Trick“ mit dem abgerollten Faden. Der erstaunte Theseus bedankt sich für diesen „werthen Rath“ und verabschiedet sich mit einer Arie, die Ariadne abermals seiner unverbrüchlichen Liebe versichert. Dann begibt er sich, den Faden am Eingang befestigend, in das Labyrinth. Ariadne bringt ihre Angst und Sorge um den Geliebten zum Ausdruck, Evanthes versucht, sie zu beruhigen.


    Zehnte Szene


    Pamphilius wird von Soldaten gebracht, um ebenfalls in das Labyrinth geschickt zu werden (König Minos hat wohl seine Meinung geändert?) und verabschiedet sich von Verwandten, Freunden, „feuchten Brüdern“ und Bekannten mit einer Arie - und für einen Diener - erstaunlichen Lateinkenntnissen:

    Si non Labyrinthus erit, certe Labor intus erit.
    (Selbst wenn kein Labyrinth darinnen ist, so gibt es drinnen doch wohl Ärger.)


    In diesem Moment kommt Theseus mit dem Kopf des Minotaurus aus dem Labyrinth zurück und wird mit allgemeiner Freude begrüßt. Der Held fordert Ariadne auf, sich für die Flucht von Kreta vorzubereiten.


    Elfte Szene


    Während Evanthes Zeit für gemeinsames Vergnügen kommen sieht, mahnt Theseus zur Eile, um mit Ariadne und Phaedra, beiden Prinzessinnen also, so schnell wie möglich Kreta zu verlassen. Evanthes stimmt zu und antwortet, er gehe sofort zum Hafen, um das Fluchtschiff zu ordern.


    Zwölfte Szene


    Phaedra, die es sich versagt hatte, Theseus beim Gang zum Labyrinth zu begleiten und sich von ihm zu verabschieden, kommt jetzt hinzu. Der Sieger über den Minotaurus fordert sie auf, eine Verkleidung anzulegen, um unerkannt auf das von Evanthes gecharterte und jetzt wartende Schiff zu gelangen. Sie äußern im Schlußduett des zweiten Aktes ihre sichere Überzeugung, daß die alles besiegende Liebe ihnen eine glückliche gemeinsame Zukunft ermöglichen werde.



    DRITTER AKT


    Erste Szene: Im Privatgemach der Königin Pasiphae im Königspalast.


    Nach einem kurzen Prelude zeigt sich Pasiphae gut gelaunt über Theseus' Sieg über das Ungeheuer; sie sieht sich endlich von einer lange währenden Schmach befreit und bittet in einer Arie die Sterne um Stillstand, um den Augenblick des Triumphes richtig auskosten zu können.


    Zweite Szene


    Minos kommt zornig in das Gemach seiner Gemahlin und berichtet, daß Evanthes und Theseus mit Ariadne und Phaedra auf einem Schiff Kreta verlassen hätten. Wut und Entsetzen veranlassen das Paar, alle bösen Geister des Himmels und des Orkus' zur Rache für diesen Schimpf aufzurufen und um Hilfe zu bitten.


    Dritte Szene


    Nach dem Weggang ihres Gatten bringt Pasiphae ihre ganze Wut in zwei Rachearien zum Ausdruck, ehe sie davonrauscht.


    Vierte Szene: Verwandlung in die rauhe Felsengegend einer Insel mit einem Hafen.


    Unter einem Marsch kommt Evanthes in seiner wahren Gestalt als Dionysos mit einem von zwei Löwen gezogenen Wagen auf die Szene; ihm folgen Bacchanten und Satyre. Sie alle singen ein breit ausladendes Paean (= altgriechischer Dankhymnus auf Apollo) auf den himmlisch-göttlichen Wein, immer wieder von Tänzen des Gefolges unterbrochen. Der berauschende Wein versetzt alle in ein sich ständig steigerndes Delirium. Dionysos lobt in einem Rezitativ mit Arie seine Macht als Gott des Weines und ruft zuletzt seine geliebte Ariadne herbei. Dabei bringt er seine Hoffnung zum Ausdruck, daß es ihm als Dionysos gelingen möge, was ihm als Evanthes versagt war: Ariadne für sich zu gewinnen.


    Fünfte Szene


    Mit Theseus, seinem Diener Pamphilius und seinem Freund Pirithous, verlassen auch Ariadne und Phaedra das Schiff; sie äußern ihre Zufriedenheit über die gelungene Flucht. Pirithous bittet die mitgereisten Diener, Zelte aufzuschlagen. Nach einem Liebesduett von Ariadne und Theseus, in dem sie ihre Vorfreude auf „brünstige Liebe“ äußern, begeben sich beide in das inzwischen aufgeschlagene Zelt. Diese eindeutig-zweideutige Liebesszene hat Pamphilius schwer in Wallung gebracht und der erstaunte Pirithous sieht sich doch veranlaßt, ihn mit dem Hinweis, Liebe schaffe auch viel Herzschmerzen, zur Zurückhaltung zu ermahnen. Pamphilius geht davon, um sich „Eßbares“ zu suchen; Pirithous bleibt, sozusagen als Wache für die Liebenden, zurück.


    Phaedra wünscht sich in einer Arie den Anbruch der Dunlelheit herbei, um mit Theseus zu verschwinden. Da kommt der Held aus dem Zelt und sagt zu ihr, Ariadne sei eingeschlafen und man könne jetzt gemeinsam fliehen, Evanthes möge sich nun um sie kümmern. Sie begeben sich auf das Schiff, lassen die Anker lichten und segeln davon.


    Sechste Szene


    Inzwischen ist Ariadne aufgewacht und findet ihren Theseus nicht. Sie sucht die Gegend ab, muß aber feststellen, daß sie allein gelassen wurde. In einer Arie ruft sie die Furien herbei, die in ihren Körper eindringen sollen, um alle Liebesgedanken an Theseus zu verscheuchen.


    Siebte Szene


    Dionysos kommt mit seinem Gefolge und eröffnet Ariadne, daß er sich ihr als Evanthes genähert habe, sein Liebe zu ihr aber keine Heuchelei, wie die von Theseus, war. Ariadne ist über dieses Geständnis nicht nur erstaunt, sondern freut sich sogar, in Evanthes bzw. Dionysos einen offensichtlich getreuen Liebhaber gefunden zu haben. Sie entsagt in aller Form dem ungetreuen Theseus und beide beschwören den Himmel, ihrer beiden „Seelen und Brust“ zusammenzufügen. Pamphilius kommt von seiner Essenssuche zurück und äußert sich überrascht über die inzwischen eingetreteten Veränderungen. Ob er aber seinen Hunger stillen konnte, erfährt der Zuschauer mitnichten...


    Achte Szene: Verwandlung in einen prächtigen Blumengarten.


    Unter den Klängen einer Passacaglia tritt die Göttin Venus mit drei Grazien auf die Szene und segnet das Paar. Dann erscheinen mit Faun und Satyr auch Bacchanten, und alle besingen, von Tänzen immer wieder unterbrochen, den Sieg der Liebe, das Lob der Schönheit, den liebreichen Wein und die Einsicht des Himmels in das glückliche Ende für das liebende Paar. Pamphilius aber bekennt, daß es ihm hier und jetzt sehr gut gefällt, weshalb er auch zu bleiben gedenkt, da es ihm „anderswo“ auch nicht besser gehen kann.


    Neunte Szene


    In einer Wolke fährt ein himmlischer Chor herab und die Göttin Venus kommt mit einem Gefolge von Grazien auf die Szene. Während die Göttin das Vergnügen des Himmels an der Verbindung zwischen Ariadne und Evanthes/Dionysos verkündet, kommt eine kleinere Wolke herab und das Liebespaar nimmt auf dieser Wolke Platz. Unter dem Jubelgesang des himmlischen Chores fährt die Wolke mit Ariadne und Bacchus in die Höhe auf das Sternbild der Coronae Ariadnes zu, wo sie auf immer vereint sein werden.



    INFORMATIONEN ZUM KOMPONISTEN


    Der Komponist der hier vorgestellten Barock-Oper gehört nicht zu den Vielbeschriebenen in den entsprechenden Nachschlagewerken. In den gängigen Lexika wird man ihn nicht finden - und welcher Musikfreund hat schon das 29-bändige MGG in seinem Schrank (das über 5.000 € kostet, aktuell aber als Sonderangebot für 1.990 € zu haben ist)?


    Man muß also surfen, um einige wenige Details über Johann Georg Conradi zu finden. Und da zeigt sich, daß Conradi nicht ganz vergessen war, denn 1876 erschien im Band 4 der Reihe „Allgemeine Deutsche Biographie“ (herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) der folgende Artikel über Conradi von Arrey von Dommer, hier als Originalzitat auszugsweise wiedergegeben:


    Conradi: Johann Georg, Operncomponist gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Er soll Oettingischer Capellmeister gewesen sein, schrieb aber im letzten Decennium des genannten Seculi für die Hamburger deutsche Singbühne und gehört mit Theile, Frank, und Förtsch unter ihre frühesten Componisten und Musikdirectoren. Er war Cousser's Vorgänger und soll, nach Mathheson Ehrenpforte 189, „das seinige, nach damaliger Art, auch gut genug verrichtet haben“; aber mit dem neuen Aufschwunge der Oper unter Cousser und Keiser verschwand er ganz vom Schauplatze. Er hat neun (sämmtlich von Postel gedichtete) Singspiele für Hamburg geschrieben,
    nämlich 1691: „Die schöne und getreue Ariadne“ (hat sich sehr wol bezahlt gemacht und vielen Beifall gefunden, Mattheson);
    „Diogenes cynicus“;
    „Der fromme und friedfertige König der Römer Numa Pompilius“; 1692:
    „Der tapfere Kaiser Carolus Magnus und dessen erste Gemahlin Hermingardis“; „Jerusalem“, 1. Theil:
    „Die Eroberung des Tempels“; 2. Theil:
    „Die Eroberung der Burg Sion“; 1693:
    „Der königl. Prinz aus Polen Sigismundus“;
    „Der große König der afrikanischen Wenden Gensericus“;
    „Der wunderbar vergnügte Pygmalion“.


    Will man einige Lebensdaten über Conradi herausfinden, muß man sich mit Wenigem begnügen; immerhin gibt es aber bei Wikipedia einige Einzelheiten zu lesen:


    Johann Georg Conradi wurde 1645 im bayerischen Öttingen geboren und starb dort am 22. Mai 1699. Der Vater war in Oettingen als Organist tätig und gab seinem Sohn ersten musikalischen Unterricht, der später, vermutlich in Stuttgart, fortgesetzt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Oettingen wurde er dort 1671 Musikdirektor. 1683 verließ Conradi seine Heimatstadt und ging für vier Jahre nach Ansbach als Hofkapellmeister. Von dort aus zog es ihn ins nahegelegene Römhild, wo er als Kapellmeister eine kleine Hofkapelle aufbaute.


    1690 folgte er dem Ruf als Kapellmeister an die berühmte Gänsemarkt-Oper in Hamburg, wo vorwiegend italienische und französische Opern aufgeführt wurden. In Hamburg schrieb Conradi neun Opern, von denen jedoch nur die Partitur von ARIADNE erhalten blieb. Wegen wirtschaftlicher Probleme des Opernhauses und möglicherweise auch wegen Auseinandersetzungen mit dem als skrupellos geltenden Leiter der Oper, Jakob Kremberg, verließ Conradi die Stadt 1694 und kehrte nach Oettingen zurück. Bis zu seinem Tod war er dort Kapellmeister am Fürstenhofe von Albrecht Ernst II. Die Kapellmeister-Position blieb auch nach seinem Tod in der Familie und ging auf seinen Sohn über.


    2004 hat cpo, das Exklusiv-Label des Tamino-Werbepartners jpc, diese Oper in Zusammenarbeit mit dem Boston Early Music Festival, dem Westdeutschen Rundfunk Köln und Radio Bremen, aufgenommen. Eine mehr als verdienstvolle Arbeit, die an dieser Stelle schon gewürdigt wurde:


    http://tamino-klassikforum.at/…&postID=378299#post378299


    Manfred Rückert für TAMINO-Opernführer 2011
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Wikipedia über Johann Georg Conradi
    Band 4 der Reihe „Allgemeine Deutsche Biographie“
    Booklet/Libretto der cpo-Aufnahme der Oper

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    MUSIKWANDERER

    Einmal editiert, zuletzt von musikwanderer ()

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    Lieber Musikwanderer,


    ich bin sehr erfreut, dass Du dieser Hamburger Barockoper einen breiten Raum eingeräumt hast. Hierzu möchte ich nachtragen, dass es in Hamburg niemals eine Adelsklasse gab (die Herzöge von Lauenburg residierten in Bergedorf, welches damals noch nicht einverleibt war) und der Tonschöpfer deshalb bei Köchinnen und Zofen kein Bildungsniveau unterstellen konnte, wie es an Fürstenhöfen üblich war.


    Es ging nicht an, Menschen, die erwartungsvoll in die Oper kamen, mit Mythologie vollzustopfen. Der Komponist kam deshalb dem Publikumsgeschmack zartfühlend entgegen und packte Material aus dem Alltag in seine Oper, welches mit dem eigentlichen Inhalt nichts zu tun hatte. Die Dienstboten sollten ihrer Herrschaft erzählen, wie schön es im Gänsemarkt-Theater gewesen ist. Daraus erklärt sich die Figur des Scherenschleifers Pamphilius.


    Ich zitiere den Text der Arie Nr.20, in welcher Hamburgischer Humor und Denkungsart auf seine Kosten kommen. Pamphilius singt (in barock-deutsch):


    Was kann der edlen Schleiffer=Kunst,
    von andern Künsten gleichen.
    Sie kann die allererste Gunst,
    bey großen Herrn erreichen,
    Am Hofe wird nur ausgelacht,
    wer nicht vom Schleiffen Handwerk macht.


    Der König schleiffet seinen Rath,
    der Rath die armen Schreiber,
    und wenn man nichts zu schleiffen hat,
    so schleiffet man die Weiber.


    Da schleifft man manchen Dudendopff,
    die Tölpel und die Thoren,
    da wird der Wurm und Hasenkopff
    geschliffen und geschoren,
    Viel tausend macht von Phantasey,
    die edle Kunst des Schleiffens frey.


    Und wer nicht andre schleifen kan,
    der muss sich schleiffen lassen.
    Drum wer das Handwerk gehet an,
    der muss es gründlich fassen,
    sonst wird er als ein Stümper stehn
    und oft nach Buxtehude gehn.


    Ritornello



    Durch den Chor der Scherenschleiffer erhält - wie Musikwanderer auch erwähnt - anschließend noch Verstärkung:


    Kommet ihr Brüder und lasset uns tantzen,
    tantzen das gehet dem Schleiffen noch vor;
    sollten wir unsere Freude verschantzen,
    der sich nicht freuet, ist wahrlich ein Thor.
    Jedermann wird noch sein Handwerk ernehren,
    einer muss Schleifen, der andere muß Scheeren.


    (Anschließend folgt der Tanz der Scherenschleifer)


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