Hallo Ulli,
ein interessantes Thema, das eine echte Herausforderung darstellt. Von hier scheint es möglich, die an anderer Stelle über innovative Musik aufgeworfenen Fragen neu zu beleuchten.
Musik in der Musik: Ansatzpunkt wäre für mich, wie in Shakespeares „Hamlet“ ein Schauspiel im Schauspiel aufgeführt wird, eine Technik, die dann auch Moliere aufgegriffen hat. Von da ging sie direkt weiter zu Hofmannsthal und in die Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss, was insofern bereits ein Beispiel wäre. Und so vorbereitet kann es losgehen:
1. Musik, die sich auf in ihr zitierte Musik bezieht
Mozart stellt in „Ein musikalischer Spaß“ Musik dar, wie sie von anderen musiziert wird. Sein Stück ist also im echten Sinn „Musik in der Musik“. Es ist sowohl zu hören, wie das Dorfmusikantensextett gespielt hat, wie Mozart es aufgenommen und wiedergegeben hat und zugleich, was er hierbei über diese Musik und die Dorfmusikanten denkt. Und das alles ohne Worte, sondern ganz in Musik ausgedrückt.
Dorfmusikanten stehen für die Ursprünge der Musik, als die reine Spielfreude im Vordergrund stand und nicht die hohe, mit allen rhetorischen Stilmitteln ausgestattete Ausdruckskunst, wie sie dann seit 1550 die westeuropäische Musik dominiert. Mozart komponiert also nicht weniger als eine Auseinandersetzung der reifsten Musik mit ihren Anfängen. Die Rückkehr zum Stil der Musikanten wurde dann 100 Jahre später erneut aufgenommen und nun zum Programm erhoben von der Jugendbewegung und war ein Ausgangspunkt, die inzwischen als schwülstig und überladen empfundene Ausdrucksmusik aufzugeben und zurückzukehren zu früherer Spielpraxis (so verstehe ich auch den Grundimpuls von John Cage).
Wieviel direkter ist da Beethoven, wenn er im letzten Satz der 9. Sinfonie mit sich selbst in Dialog tritt: „Nicht diese Töne“. Auch da wird Musik in der Musik gespielt, um sie musikalisch zu kommentieren. Der Missklang, in den das Dorfmusikantensextett ausklingt, wird hier dramatisiert als Naturchaos, das es mit der Kunst zu bewältigen gilt. Aufklärung auf ihrem Höhepunkt!
Nur auf den ersten Blick ist die „Moldau“ von Smetana ein Rückschritt, als er dort innerhalb dieses Musikstücks neben verschiedenen Naturereignissen die Musik eines Bauerntanzes spielen lässt. Für den Hörer treten hier alle Klangeindrücke aus der Natur und der Kultur gleichwertig nebeneinander und werden von der übergreifenden Komposition kunstvoll verbunden. Das war der Anfang einer ganzen Entwicklungslinie, die dann das 20. Jahrhundert durchzieht.
Mahler hat Beethoven widerrufen, nicht aus Mutwillen, sondern – seine eigene Ausdrucksweise wählend – "in tiefer Not“. Wo Beethoven den Missklang bis an die Grenze treibt, um ihn dann in der Musik zu beantworten und aufzulösen, gesteht Mahler gegenüber Freud, dass sich ihm immer dann banale Melodien aus seiner Umgebung eindrängten, wenn er erhabene Klänge schaffen wollte. Das Gebrochene seiner Musik war keineswegs einfach Absicht, sondern er litt darunter. Er fühlte sich unfähig, sich noch der überwältigenden Übermacht äußerer Klänge entziehen zu können. So kann er nicht mehr souverän solche Musik zitieren, sondern sie drängt sich ihm auf, zerstört sein Konzept, und seine Meisterschaft besteht darin, diese Zerstörung darstellen zu können.
2. Musik der Musik
Als dann 1936 Bartok eine „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ schrieb, hatte sich die Welt gewandelt. Der Titel deutet schon eine selbstreflexive Verdoppelung an. Hier wird Musik „Musik“ genannt. Musik fließt nicht mehr aus sich selbst, wodurch ein Konzert entsteht, sondern Musik wird als abstrakter Entwurf oder Modell geschaffen, und dann wird der geeignete Träger gesucht.
Es ist eben nicht möglich, aus einer bewussten Überlegung heraus zur Musik der Musikanten und ihrer Unmittelbarkeit zurückzukehren. Bartok hatte dies einerseits viel ernster genommen, und sich kein modernes Bild von Ursprünglichkeit gemalt (so wie damals ja auch die schönen Wilden, die Archaik aus aller Herren Länder populär waren), sondern war auf das Land gegangen und hatte aufgezeichnet, wie dort musiziert wurde. Und andererseits hat er dann nicht versucht, diesen Stil aufzunehmen und fortzuführen, so als könne er aus seiner Lage heraus- und in eine vergangene Welt hineinspringen. Sondern er hat versucht, mit seiner Erfahrung als moderner Komponist die „Musik“ herauszuhören und sie dann mit seinen Mitteln auf Instrumente seiner Wahl zu übertragen. Was ist das für eine Musik in dem Moment, wo sie herausgehört ist und sich nur im Geist des Komponisten befindet?
Musik der Musik ist hier ein komplexer Übergangsprozess, der die Schwierigkeiten, das Spröde und, wenn es gelingt, auch den neuen Reiz der Musik des 20. Jahrhunderts ausmacht.
3. Bruckners 9. Sinfonie – die Elemente der Musik
Einen ganz eigenen Platz nimmt in dieser Entwicklung Bruckner ein, und da kann ich in der Grundaussage dem Text von Peter Jan Marthé zustimmen (auch wenn sein Stil vorsichtig gesagt ungewöhnlich ist und in verschiedenen Details Kritik angebracht ist). Bei Bruckner bricht sich die archaische Musik wieder Bahn, und es war kein Zufall, dass dies von den Hörern in Wien sofort verstanden und er verspottet wurde.
Dies sei hier am Beispiel der 9. Sinfonie erläutert. Bruckner radikalisiert auf seine Art Beethovens 9. Sinfonie. In den Eingangstakten fällt der Ton
d auseinander „in die zunächst liegenden Tonstufen
es und
des“, bis „Verstörung, suchendes Umherirren ohne harmonischen Halt“ übrig bleiben (Gülke, S. 77f). Gülke analysiert das im Detail weiter. Mir geht es hier um die Aussage, wie Bruckner nicht mehr wie sonst üblich von Melodien und Rhythmen ausgeht, sondern gewissermaßen vom Elementarmaterial der Musik.
Wenn
Hartmut Lück der Aufnahme des Scherzo von Wildner vorhält, dort „entsteht kein Lipizzaner-Ballett, sondern eine Art Rodeo eines mit Brabanter Kaltblütern bespannten Bierfahrzeuges“, hat er in gewisser Weise recht, aber gerade das war die Absicht von Bruckner. Hier wird nicht mehr musiziert, wie es im Wien der 1890er Jahre üblich war und erwartet wurde, sondern Bruckner hört durch diese Musik durch und spürt die im Innern verborgene Wildheit und Verrücktheit, die kurz vorm Ausbruch steht. Er nimmt die Musik wahr, die hinter der Oberfläche der in allen Gassen und Opernhäusern geträllerten Melodien und Rhythmen steckt.
Im 3. Satz wird in Takt 163ff von der Oboe ein Ton mit zwei geringsten Änderungen 80 mal wiederholt, wobei ab der 33. Wiederholung eine zweite Oboe hinzutritt. Die Wiederholung erfolgt „crescendo sempre“, bis schließlich in Takt 172 die beiden Oboen begleitet von einer Klarinette in völliger Einsamkeit dastehen, die Musik also wirklich völlig auf sich selbst zurückgeführt worden ist, bevor dann das gewaltige Crescendo anhebt, das in der Synkope Takt 206 endet. Für sich genommen ist dieser Takt kaum mehr von einem bloßen Schrei zu unterscheiden, wie es dann die Cluster-Technik des 20. Jahrhunderts fortgeführt hat. Aber Bruckner hält es im Zusammenhang seiner Sinfonie. So trägt seine Musik die Elemente der Musik. Er findet die Anfänge der Musik innerhalb der Musik. In einem ganz anderen Sinn, als es böswillig von seinen Kritikern gemeint war, wird er zum Musikanten Gottes.
Viele Grüße,
Walter