Anna Bolena
Wiener Staatsoper,
2.4.2011
Den zu erwartenden Triumph für die Sänger brachte die Premiere von Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ heute am Abend. Lange hat es gedauert, bis diese Tudor-Oper in der Wiener Staatsoper erstmals aufgeführt wurde und kaum eine Premiere dieser Spielzeit hat so viel Aufmerksamkeit aufsich gezogen, wurden doch mit Anna Netrebko und Elina Garanca zwei absolute Superstars der aktuellen Opernszene unter Vertrag genommen, die beide noch dazu ein besonderes Naheverhältnis zu Wien haben. Die eine hat hier ihren Wohnsitz, der anderen gelang hier ihr Durchbruch.
Beide Sängerinnen zeigten sich in Top-Verfassung, meiner Meinung nach wurde ihnen aber von Elisabeth Kulman die Show gestohlen, die die insgesamt überzeugendste Leistung des Abends bot. In ihrer Rolle als Smeton, den verliebten Pagen, der unabsichtlich zum Helfer des Enrico VIII wird, konnte sie ihre Stärken ausspielen. Einerseits ist sie eine hervorragende Schauspielerin, die die Hoffnungen des Pagen auf eine doch unerfüllt bleibende Liebe glaubhaft darstellte, andererseits bestach sie durch eine hervorragende Technik, fundierte Tiefen und – wenn notwendig - auch strahlende Höhen. Ein an diesem Abend nicht zu übertreffendes Gesamtpaket.
Wenn man nur die Perfektion des Singens betrachtet, wird man zur Zeit an Elina Garanca wahrscheinlich nicht vorbeikommen. Da sitzt jeder Ton, jede Koloratur perfekt. Aber fast schon zu perfekt – sie erinnert mich in ihrer Darbietung fast an die Gruberova, wo ich oft das Gefühl hatte, einem seelenlosen Roboter zuzuhören. Garanca ist schon von Beginn an von der Statur her ganz eine Königin, die aber – im Gegensatz zu ihrer Rivalin – diesen Plan sehr berechnend durchführt. Auch in der Szene mit Netrebko, als Giovanna Seymour sich geläutert gibt, hatte man niemals das Gefühl, dass Giovanna dies auch nur ansatzweise ernst meint – alles gehört zum Plan, das Endziel – die Besteigung des Thrones – zu erreichen.
Nichtsdestotrotz bezweifle ich, dass es zur Zeit viele Sängerinnen gibt, die Garanca auch nur annähernd in Punkte Technik das Wasser reichen können. Was ebenfalls wichtig ist – sie besitzt ein unverkennbares Timbre – man weiß sofort wer singt. Und in der heutigen Zeit sind diese markanten Stimmen doch relativ selten geworden.
Das Gegenteil dazu ist Anna Netrebko, die im letzten Jahr noch besser als früher geworden ist. Die Stimme ist voller geworden, allerdings kann sie jetzt viel mehr Zwischentöne von sich geben (die Formulierung ist sicherlich nicht optimal, ich hoffe dass man weiß, was damit gesagt werden soll). Die Anna Bolena ist eine relativ lange Rolle und verlangt von der Sängerin eine gewisse Kondition, was für Netrebko kein Problem ist. Man weiß in der Zwischenzeit, dass sie manchmal zu gewissen Ungenauigkeiten beim Gesang neigt – das war auch dieses Mal der Fall. Allerdings macht sie das durch ihre Hingabe an die Rolle, eben durch diese „Zwischentöne“ mehr als wett. Hier stand keine „Figur“ auf der Bühne, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut, die bis zum Schluss ihre Haltung als Königin bewahrt. Ein schöner Regieeinfall (ja, so was gab es auch, aber ganz selten) war, dass man bei der ansonsten ziemlich misslungenen Schlussszene auch die kleine Elisabetta I auftreten ließ. Netrebko sang ihre Wahnsinns-Szene mit viel Hingabe und wurde nach der Vorstellung vom Premierenpublikum bejubelt.
War die weibliche Besetzung durch und durch großartig – wie gesagt, jede auf ihre ganz persönliche Weise -, so fällt das Resümee bei den Herren gemischt aus. Überzeugend agierte Ildebrando d’Arcangelo als Enrico VIII. Bei der Generalprobe war er noch ersetzt worden, auch im Programmheft erscheint als Premierensänger der Einspringer von der Generalprobe, doch anscheinend ist es zu einer Wunderheilung gekommen…
D’Arcangelo gab einen richtigen Renaissancefürsten, der mit einem Fingerzeit Existenzen aufbauen oder vernichten konnte. Von sich sehr eingenommen, auf niemand anderen hörend, überheblich. Auch der rabenschwarze Vollbart unterstrich den sinistren Charakter des Königs, der zwischen den beiden Königinnen (der Aktuellen und der Zukünftigen) fast schon so wirkte wie Alberich bei den Rheintöchtern. Stimmlich scheint er mir bei Mozart besser aufgehoben als im Belcanto-Fach, aber vielleicht sollte man nicht allzu streng urteilen – immerhin hat er erst eine Krankheit übertaucht.
Der Sänger der Rolle des Lord Riccardo Percy, Francesco Meli, wirkte – besonders im 1.Akt – auch nicht besonders taufrisch. Immer wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn um vom Gesicht (aber vielleicht transpiriert dieser Sänger auch extrem – wer weiß..). Stimmlich ist er über das Belcanto-Fach schon hinaus, die Kantilenen waren nicht ganz so „rund“, wie man es sich erwarten konnte. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass er phasenweise mit zu viel Druck gesungen hat.
Dan Paul Dumitrescu
sang zufrieden stellend (wer sich mit dem historischen Lord Rochefort beschäftigt hat weiß, dass dieser wahrscheinlich nicht so einen gutmütigen Eindruck gemacht hat) und im Rahmen seiner Möglichkeiten. Peter Jelosits als Hervey klang viel zu hart und war der sängerische Schwachpunkt des Abends.
Ich kann mich nicht erinnern, das in den letzten Jahren im Belcanto-Fach an der Wiener Staatsoper Dirigent und Orchester bereits nach der Ouvertüre die ersten „Bravo“-Rufe erhielten. So geschehen heute – und Evelino Pidó scheint das Staatsopernorchester wirklich dazu gebracht zu haben, Donizetti (endlich) ein wenig differenzierter zu spielen. Diese Motivation der Musiker trug das ihrige dazu bei, dass der Abend ein großer musikalischer Erfolg wurde. Nicht vergessen möchte ich den Staatsopernchor unter der Leitung von Thomas Lang und Martin Schebesta, wobei mir die Frauen insgesamt besser gefielen als ihre männlichen Kollegen.
Schon im Vorfeld wurde über die Pracht und Opulenz der Kostüme geschrieben – und ich kann mich dem allgemeinen Lob nur anschließen. Luisa Spinatelli hatte anscheinend die Möglichkeit, budgetär aus dem Vollen zu schöpfen und sie brachte die Ästhetik der englischen Hofmode des 16. Jahrhunderts auf die Bühne. Es geht also auch ohne Straßenanzüge… Auf jeden Fall auch ein Fest für das Auge – das hat es schon lange nicht mehr bei einer Neuproduktion gegeben! Als Ausgleich dazu war das Bühnenbild kahl gehalten, dafür verantwortlich zeichneten Jacques Gabel und Claire Sternberg.
Kahle Mauern, die durch eine Drehbühne teilweise neu zusammengestellt wurden. Sie konnten unter anderem in der Szene Bolena-Seymour sehr schön die Enge des Tower symbolisieren. Es gab einen Thron und ein Bett – ansonsten brauchte man
keine Requisiten (diese hätten ohnedies nur von den Kostümen abgelenkt).
Last – and least – ein paar Bemerkungen zu Eric Génovése, dem Regisseur des Stückes. Ehrlich gesagt hätte ich es auch geglaubt, wenn mir jemand gesagt hätte, dass es sich bei diesem Abend um die 60. Vorstellung der Produktion handelte. Von Personenregie war so gut wie nichts zu sehen – man beschränkte sich auf die Ästhetik der 50er und 60er Jahre. Stehen, Händeringen, Schreiten, Niederknien – habe ich Händeringen schon erwähnt?? Also nichts, was man im Prinzip von einer Regie heutzutage erwartet. Trotzdem finde ich die Produktion gelungen und empfand die Buh-Rufe gegen das Leading Team als ungerechtfertigt.
Anna Bolena wurde zum ersten Mal in Wien gezeigt – und da bietet es sich doch an, das Werk so zu zeigen, wie es (wahrscheinlich) im Sinne des Librettisten Felice Romani und des Komponisten, Gaetano Donizetti, war. Ja, es ist – von den Kostümen einmal angefangen – eine Art „Retro-Produktion“, doch auch diese haben nach wie vor ihre Berechtigung – und es macht doch auch einmal Spaß, wenn man nicht durch unnötigen Klimbim von der Musik abgelenkt wird – und bei der Qualität des Gebotenen wäre das auch schon fast ein Verbrechen gewesen, wenn man sich nicht 100%ig auf Netrebko, Garanca, Kulman & Co. hätte konzentrieren können.
Wie beschrieben, die Regie beschwor zwiespältige Reaktionen herauf – ich denke, dass ich am Dienstag jeder selbst ein Bild davon machen kann und für sich selbst bestimmen, wie er diese Art von Produktion empfindet.