29.04.2011 Musikhalle Hamburg, Britten und Schostakowitsch

  • Berichten möchte ich von einem Konzertbesuch am vergangenen Freitag. In der Musikhalle (Laiszhalle) Hamburg spielte einmal mehr das NDR Sinfonieorchster. Diesesmal unter der Leitung des ehemaligen Chefdiregenten der Kölner Oper und des Gürzenich Orchesters James Conlon. Als Solist im ersten Teil Stefan Wagner (Violine); seines Zeichens erster Konzertmeister des NDR SO.


    Das Programm bestand aus zwei Werken des 20.Jahrhunderts:


    B.Britten, Konzert für Violine und Orchester d-moll op.15 (1939)
    D.Schostakowitsch, Sinfonie Nr.5 d-moll op.47 (1937)


    Bekannt ist, dass die beiden Komponisten eine enge Freundschaft verband, welche allerdings zur Entstehungszeit beider Werke noch nicht bestand.


    Brittens Violinenkonzert gilt als durchaus schwer zu spielen. Es handelt sich wohl eher nicht um ein Stück, mit welchem ein Violinist im eigentlichen Sinne brillieren kann. Sehr herausfordert dürfte die knapp dreiminütige Kadenz im zweiten Satz sein, die attacca in den dritten Satz übergeht. Grundthema des dritten Satzes eine Passacaglia, die variiert wird und am Schluß in einen Choral mündet. Insgesamt kein "fröhliches Stück Musik", welches Britten auch unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkrieges geschrieben hat.


    Für den Solisten des Abends vermutlich eine nicht ganz einfache Aufgabe, welche Stefan Wagner m.E. aber sehr gut bewältigt hat. Zwar gab es für mein Ohr durchaus die eine oder andere Unsauberkeit bei den z.T. sehr hohen Passagen, aber z.B. die lange Kadenz empfand ich als sehr eindrücklich vorgetragen. Das Orchester einmal mehr sehr transparent.


    Zur 5.Sinfonie von D.Schostakowitsch gäbe es natürlich unendlich viel zu sagen ... Nach Abstrafung wg. Formalismus und Dekadenz, vernichtender Kritik an der vierten Sinfonie und nicht zuletzt an seiner Oper "Lady Macbeth von Mzensk" musste der Komponist einerseits ein Stück schaffen, welches ihm die weitere Existenz - in ganz wörtlichem Sinne - in der UDSSR überhaupt ermöglichte und zum anderen durch z.T. sehr subtile musikalische Möglichkeiten klarstellen, dass er sich durch "das System" nicht besiegen lassen wollte. Hierzu gibt es dann die teilweise sehr unterschiedlichen Auffassungen, wie gerade der letzte Satz zu verstehen sei; als Triumph im Sinne der tonangebenden politischen Nomenklatura oder als Befreiungsschlag des Komponisten. All das und viel mehr hierzu ist in der einschlägigen Literatur nachzulesen.


    Interpretatorsch haben mich die ersten beiden Sätze und auch der letzte überzeugen können. Insbesondere am Schluß scheint sich Conlon für nicht-triumphale Sichtweise entschieden zu haben. Jedenfalls drang in meinen Ohren das ostinate Streicherthema immer stärker in den Vordergrund, von dem Kurt Sanderling in einem Interview einmal gesagt haben soll, dass dies Schostakowitsch Hinweis darauf gewesen sein soll, dass letztendlich er bzw. sein ich über den von anderer Seite gewollten Triumph gesiegt hat.
    Abgefallen ist leider der dritte Satz: Ein sehr eindringliches Largo, welches in seiner Traurigkeit und resignativen Grundstimmung vielleicht sogar das Zentrum der Sinfonie bildet. Hier konnten Dirigent und Orchester m.E. den notwendigen Spannungsbogen nicht halten.


    Nichtsdestotrotz gab es am Ende des Abends sehr viel berechtigten Applaus!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo, lieber Michael,
    herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Konzertbericht! Ich hatte an sich auch vor, mir diese beiden spannenden Werke in Conlons Interpretation nicht entgehen zu lassen. Da das Sinfonieorchester des NDR dieses Programm gegen alle Gepflogenheiten aber nur an diesem einen Abend in Hamburg gab (statt wie sonst das Programm zweimal hier zu spielen), wurde nichts draus: die Einladung eines sehr guten Freundes zum Essen hatte für mich Priorität.


    Brittens Violinkonzert in der Aufnahme des Komponisten mit Mark Lubotsky

    braucht nicht groß empfohlen zu werden: diese CD m u s s man besitzen. Wenn nicht wegen des Violinkonzerts mit Lubotsky, dann zumindest wegen des Klavierkonzerts mit Swjatoslaw Richter. Welches aber ist Deine Lieblingsaufnahme (unter den zahlreichen vorhandenen) der Sinfonie Nr. 5 von Schostakowitsch?
    Herzliche Grüße aus (ebenfalls) Hamburg
    Swjatoslaw

  • Hallo Swjatoslaw,


    ohne es zu ahnen, hast Du mich mit Deiner Frage nach meiner Lieblingsaufnahme in eine schwere musikalische Krise gestürzt ;( Seit Tagen höre ich nun die beiden mir zur Verfügung stehenden Einspielungen (Concertgebouw unter Haitink zum einen und Barshai mit dem SO des WDR) rauf und runter, hin und her, vorwärts und rückwärts und ich kann mich nicht entscheiden! Mal erscheint mir der Schluß des vierten Satzes bei Barshai gelungener, weil ich vermeine, die Streicher besser herauszuhören. Dann wieder bin ich versucht, Haitink den Vorzug zu geben, der das Finale wesentlich zügiger angeht. Andererseits wirkt dann wieder Barshai zu Beginn des letztes Satzes zielstriebiger; er kommt schneller "in die Musik".


    Ebenso in I.Moderato: Jede Stelle gefällt mir mal bei dem einen besser, mal bei dem anderen; und inzwischen scheint mir dies sogar abhängig von meiner Tagesform zu sein.


    Man sieht, dass vergleichendes Hören auch eine Qual sein kann ?( Allerdings - und das spricht m.E. nicht nur für den Komponisten, sondern eben auch für die Qualität beider Interpretationen - habe ich die Musik auch nach diesen unzähligen Malen noch nicht über und bin immer wieder erstaunt, wie es beiden Dirgenten, obwohl mit vollkommen unterschiedlichen Nuancierungen und Akzenten, gelingt, mir die Zerissenheit des Werkes deutlich zu machen. Den historischen Hintergrund dieser Zerissenheit hatte ich ja in meinem Konzertbericht angedeutet.


    Allein das Largo, also der dritte Satz kann mich auch hier in beiden Fällen nicht überzeugen. Inzwischen glaube ich aber, dass dies kein Problem der Interpretation ist. Tatsächlich habe ich das Gefühl, ich verstehe dieses Largo einfach nicht. Nach dem Scherzo, welches mir so sehr an Mahler erinnert (ich habe in letzter Zeit relativ viel Mahler gehört und auch hier in Hamburg gesehen [4te, 6te, 9te und im Mai steht noch die 2te auf dem Programm] , erwarte ich hier vielleicht ebenfalls eine mehr mahlersche Interpretation, die vielleicht aber garnicht funktioniert. Ich werde wohl das Stück ersteinmal wieder zur Seite legen und ein wenig Zeit vergehen lassen, bevor ich mich insbesondere dem dritten Satz versuche, neu zu nähern.


    Hierfür kommen dann vielleicht auch noch andere Aufnahmen ins Spiel. Interessieren tue ich mich dabei noch für die hochgelobte Gesamteinspielung von Mariss Jansons, die Aufnahme unter Kurt Sandeling und natürlich der Dirigent der Uraufführung Mravinsky.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo Swjatoslaw,
    ohne es zu ahnen, hast Du mich mit Deiner Frage nach meiner Lieblingsaufnahme in eine schwere musikalische Krise gestürzt ;( Seit Tagen höre ich nun die beiden mir zur Verfügung stehenden Einspielungen (Concertgebouw unter Haitink zum einen und Barshai mit dem SO des WDR) rauf und runter, hin und her, vorwärts und rückwärts und ich kann mich nicht entscheiden!


    Ob Du es glaubst oder nicht, lieber Michael: das kann ich gut nachvollziehen. Von Schostakowitsch Nr. 5 gibt es so dermaßen verdammt gute Aufnahmen, dass die Wahl der Lieblingsaufnahme ziemlich schwer fällt. Bernstein Tokyo 1979 ist eine allererste Adresse in dieser Diskussion (und Bernstein New York 1959 um Längen vorzuziehen!). Haitink ist klasse, da hast Du völlig Recht, Maazel ist es auch und Mrawinsky sowieso. Aber weißt Du, wer mich seit kurzem völlig umhaut? Stokowski. Hör Dir die Pauken im 4. Satz an. Wahnsinn pur: das ist Musik!!!

    Aus der schönsten Stadt der Welt grüßt Dich herzlich
    Dein Swjatoslaw

  • Eine Aufzeichnung gibt es heute (13.06.2011) um 20:00 Uhr auf NDR-Kultur.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.