Richard WAGNER: SIEGFRIED (Bayreuth 1992)

  • Richard WAGNER: SIEGFRIED (Bayreuth 1992)


    Siegfried: Siegfried JERUSALEM :yes:
    Mime: Graham CLARK
    Der Wanderer: John TOMLINSON
    Alberich: Günter VON KANNEN
    Fafner: Philip KANG
    Brünnhilde: Anne EVANS
    Erda: Brigitta SVENDÈN
    Waldvogel: Hilde LEIDLAND


    Inszenierung: Harry KUPFER :thumbsup:


    Bühne: Hans SCHAVERNOCH
    Kostüme: Reinhard HEINRICH


    Orchester der Bayreuther Festspiele
    Musikalische Leitung: Daniel BARENBOIM


    Dauer: 244 Min.




    Wertung: Sehr gut



    (Da ich von dem „Kupfer-Ring“ nur DIE WALKÜRE und SIEGFRIED auf DVD besitze, kann ich leider nicht den ganzen Zyklus hier besprechen und beschränke mich vorerst mal auf den SIEGFRIED.)


    Düster geht es zu in Kupfers „Ring“; und so auch in seiner Inszenierung des SIEGFRIED. Nach einer Waldidylle im zweiten Aufzug hält man da ebenso vergeblich Ausschau wie nach einer Bergeshöhe im Schlußbild. Dieser Ringzyklus spielt in einer Zeit in naher Zukunft (möglicherweise nach einem Super-GAU) und alle Teile zeigen eine Welt, die im (Halb-)Dunkel liegt.



    Erster Aufzug: Mimes Schmiede ist hier in einer geplatzten Metallröhre (U-Boot?) untergebracht. Schon während des kurzen Vorspiels sieht man den Wanderer und Alberich Mimes Behausung umschleichen. Siegfrieds Umgang mit seinem ungeliebten Ziehvater ist härter als üblich dargestellt, da Siegfried dem Zwerg z.B. ein paar heftige Ohrfeigen gibt, um die von ihm gewünschten Auskünfte zu erhalten.
    Bei der Wissenswette ist der Wanderer sichtlich genervt von Mimes Unverstand. Demonstrativ spielt Wotan mit den Trümmern Nothungs, damit der Schmied endlich die richtigen Fragen stellen möge. (Eigentlich darf Wotan nicht aktiv in das Geschehen um die Eroberung des Rings eingreifen, macht es hier aber dennoch. Dieses Thema wird von Kupfer im zweiten Aufzug noch weiter verfolgt.)


    Zweiter Aufzug: Neidhöhle – ein aufgeplatzter Betonkrater, der sich tief bis in den Bühnenhintergrund erstreckt. Unter ihm kommt Alberich aus einem Loch hervorgekrochen. Links befindet sich auf halber Höhe neben der Höhle eine kleine Plattform, die des Wanderers bevorzugter Aufenthaltsort in diesem Bild ist.Fafner zeigt sich im Kampf mit Siegfried als vielarmiges Ungeheuer, das Neidhöhle mit Gliedmaßen aus organischen und mechanischen Bestandteilen ausfüllt und von allen Seiten auf seinen Gegner eindringt. Nachdem der Drache erschlagen wurde, verwandelt er sich (ähnlich wie in Chéreaus „Ring“) wieder in einen Riesen zurück.Der von dem Wanderer kontrollierte/dressierte Waldvogel weist Siegfried den Weg zu Brünnhilde: Die finstere und massige Neidhöhle öffnet sich, Licht strahlt hindurch und Siegfried wird der Weg zum Brünnhildenstein freigegeben. Die Tatsache, dass der Wanderer den Waldvogel kontrolliert, führt den Ansatz des ersten Aufzugs weiter, dass Wotan durchaus auch weiterhin trotzig versucht, das Geschehen um den Ring weiter zu beeinflussen. Allerdings ist ihm auch seit Erdas Mahnungen im RHEINGOLD klar, dass er das Ende der Götter nicht wird aufhalten können. Dies führt dazu, dass er hier nun eine gelassenere und humorvolle Haltung einnehmen kann – er hat nichts mehr zu verlieren. Aber den Plan, Siegfried und Brünnhilde zusammenzuführen, den verfolgt er eisern weiter. Ein Fünkchen Hoffnung für eine bessere Zukunft glimmt hier ja noch.


    Dritter Aufzug: Die Bühne zeigt nun das in allen „Ring“-Opern Kupfers wiederkehrende Motiv der „Straße der Geschichte“ – eine sich in den Hintergrund verjüngende schier endlose Gerade, deren Boden von zahlreichen Markierungen, Abschürfungen, eingeritzten Motiven etc. zerfurcht ist. Man kann nur ahnen, wer hier im Laufe der Zeit schon seine Spuren hinterlassen hat.
    Wuchtig erheben sich zwei Segmente aus der Straße, um Erda als anachronistische Figur (eine elegante ältere Frau) zwischen sich aus der Tiefe erscheinen zu lassen. Nachdem sich die Straßenfläche wieder geschlossen hat, betrittt Siegfried die Straße. Der Wanderer verbirgt rasch den Waldvogel unter seinem Mantel und ist von Siegfrieds ungestüm aggressivem Verhalten regelrecht schockiert: Dieser unzivilisierte Wilde soll der Mensch der Zukunft sein? Gebrochen gibt sich Wotan geschlagen. Spätestens jetzt realisiert er, dass seine hochfliegenden Pläne mit aller Sicherheit gescheitert sind.


    Brünnhilde wird, nachdem Siegfried das Feuer, welches aus rot illuminiertem Bühnennebel besteht, durchschritten hat, in ihrem merkwürdigen roten Laserkubus, in den Wotan sie am Ende der WALKÜRE eingeschlossen hat, auf der Straße sichtbar. (Die Tatsache, dass sich der Brünnhildenstein ebenfalls auf der ebenen Straße befindet, ist gewöhnungsbedürftig. In der GÖTTERDÄMMERUNG wird das Zuhause von Siegfried und Brünnhilde jedoch eine ganz andere Optik aufweisen.) In der Szene nach Brünnhildes Erweckung, zeigt sich Kupfers Personenregie in ihrer ganzen Genialität: Die beiden Charaktere reden permanent aneinander vorbei, da Siegfried nichts von der Rolle weiß, die er spielen soll und Brünnhilde erst einmal realisieren muß, wer da bei ihr ist und, dass sie nun keine Walküre mehr ist. Sie erwartet nun in ihrem Erwecker einen wissenden, hehren Helden, während Siegfried gerade dabei ist, seine Sexualität zu entdecken. Die Erkenntnis, dass er wirklich der erwartete Retter und sie nun eine zur Liebe fähige Sterbliche ist, führt nun zum stürmischen Finale, in dem Siegfried sich ungestüm über Brünnhilde wirft, die sich in ihr Schicksal ergebend keinen Widerstand mehr leisten kann. Hätte sie noch länger gezögert, würde dieser Aufzug wahrscheinlich mit einer Vergewaltigung geendet haben. Ein Happy End? Wohl kaum.



    Das ist mitunter starker Tobak, den Kupfer uns da zumutet, ist aber auch mit Sicherheit ein SIEGFRIED, der keinen Zuschauer unberührt oder – Gott behüte! - gar gelangweilt zurücklässt. Kupfers pessimistische Weltsicht, die sich in diesem „Ring“ aus Wendezeiten spiegelt, hat ihre Wurzeln mit Sicherheit in einem kritischen Blick auf die Gesamtheit der Menschheitsgeschichte (insbesondere wohl auch auf die jüngere Geschichte ostdeutscher und osteuropäischer Prägung) und in der leider wieder topaktuellen Furcht vor den Katastrophen des Atomzeitalters. Eine zumindest teilweise „heile Welt“, wie sie bei Wagner anfangs im RHEINGOLD noch möglich sein konnte, existiert hier nicht mehr. Das RHEINGOLD beginnt bei Kupfer mit einer Gruppe, die betroffen um Siegfrieds Leichnam herumsteht. Der Tod eines Hoffnungsträgers macht also hier den Anfang, nur um danach den Rhein als eine Art von blauem Laserlicht gestaltete Kloake zu zeigen. Es ist daher nur konsequent, nach der tragischen Liebesgeschichte von Siegmund und Sieglinde in der WALKÜRE, wo zumindest die Möglichkeit einer besseren Welt aufschien, den SIEGFRIED als ganz und gar von der Natur verlassenes Drama zu zeigen: Kein Wald, keine Felsenhöhle, keine Bergeshöhen. Nur ein unzivilisiertes Geschöpf, das für alle anderen Mitspieler lediglich als Spielball und Mittel zum Zweck dient, ohne in irgendwelche Pläne eingeweiht zu sein. Wie soll daraus ein zukunftsweisendes Wesen entstehen?


    Natürlich laufen die Charaktere in dieser düsteren Welt nicht in den „sagenhaften“ Gewandungen mythischer Helden herum. So trägt Siegfried z.B. einen einfachen „Blaumann“, Mime einen weißen Arbeitskittel und Alberich einen verschmutzen Straßenanzug. Die Augenklappe des Wanderers besteht aus der Hälfte einer Sonnenbrille und Fafner ist zum Teil zu einem Maschinenwesen mutiert. (So faszinierend ich Kupfers Auslegung auch finde, so birgt sie eben doch ihre Tücken – wie so viele modernisierte Inszenierungen. Phantastische Wesen wie die Walküren oder archaische Waffen wie Schwerter oder Speere wollen sich z.B. nicht ganz in diese Welt einfügen lassen.)


    Unter der Leitung Daniel Barenboims, der sich hier als absolut überzeugender Wagner-Interpret präsentiert, singt hier ein überzeugendes Ensemble. Siegfried Jerusalem ist von Aussehen und Stimme ein hervorragender Titelheld, dem die anderen Sängerinnen und Sänger nicht nachstehen. Möglich, daß es für einzelne Rollen bessere Besetzungen gegeben hätte, aber hier hat man es in der Tat mit einem geschlossenen Ensemble zu tun, in dem es keine Ausfälle gibt. Außerdem hat man das Gefühl, daß hier jeder dank Kupfers genauer Arbeit jederzeit genau weiß, was er singt und tut.



    Fazit: Ein düsteres Meisterwerk, welches einen noch lange beschäftigt.

  • Lieber Cartman,


    ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Schilderung dessen, was den Betrachter dieser DVD erwartet!


    Da der Laser-Ring auf DVD derzeit vergleichsweise günstig zu haben ist, spiele ich durchaus mit dem Gedanken der Anschaffung. Da sind Deine Worte eine große Hilfe!