Herbert von Karajan - Pultdiktator oder Intellektueller Schöngeist ?

  • Schon wieder ein Thread über Herbert von Karajan ?
    In der Tat hatten wir 2009 geradezu eine Karajan.Thread -Schwemme . Aber seither wurde es ein wenig still um dieses Thema.
    Grade in den letzen Threads aber meinte ich ein gewisses Aufflammen des Interesses zu bemerken - und hier ging es um Karajans angebliches oder ihm unterstelltes, bzw nachgesagtes "diktatorisches Wesen".


    In den letzten 2 Jahren hat eine gewisse Fluktuation an Mitgliedern stattgefnden, so daß ich einen neuen Karajan Thread für durchaus vertretbar, ja sogar interessant erachte - unbelastet von der Meinung ehemaliger "Forengrössen" (aber selbstverständlich stehen die alten Threads noch immer zur Fortsetzung zur Verfügung)


    Einmal mehr konnte ich heute über den Pultdiktator Karajan lesen, ein Vorurteil das gern gepflegt wird.
    Soweit mir aber bekannt ist, war Karajan eher ein kühl kalkulierender Intellektuelle, der genau wusste was er wollte und den Effekt seines Dirigats genau plante. Selbstverständlich bespricht solch eine dominierende Persönlichkeit Geschmacksfragen nicht mit dem Orchester, sondern setzt seine Vorstellungen durch. "Demokratische" Dirigenten indes kommen zwar teilweise zu guten Ergebnissen - aber Jahrhunderteinspielungen sind zumeist keine darunter.


    Als ich das erste Mal Karajan im Interview sah, er war schon um die 80, war ich ein wenig irritiert. Ich hatte eine strahlende Persönlichkeit mit markanter Stimme und dogmatischem Blick (wie auf den Plattencovern der DGG) erwartet,
    Zu sehen und zu hören bekam ich einen allem Anschein nach introvertierten Intellektuellen mit eigenartig schnarrender Stimme. Erst nach einigen Minuten spürte ich die Faszination dieser Persönlichkeit. Karajan hatte fixe Vorstellungen und konnte sie auch fundiert begründen - was nicht besagt, daß er immer in allen Punkten Recht hatte.


    Ich habe gelesen, daß Karajan nicht nur auf seine Gage schaute, sondern auch für das Bühnenpersonal bei Opern und Aufzeichnungen allgemein gute finanzielle Bedingungen ausverhandelte (was gar nicht seine Aufgabe war)
    Zudem ist es ein Gerücht, daß Karajan keinen Widerspruch vertrug. Er vertrug ihn dann, wenn er von jemandem kam, den er als kompetent einstufte und dessen Professionalität er schätzte. Zugegebenermaßen war die Musikszene schon damals nicht übersäht mit solchen Persönlichkeiten.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    ich habe Karajan in meiner Kinder- und Jugendzeit durch`s Fernsehen erlebt. Damals war die klassische Musik so weit entfernt von mir wie der Mars.


    Karajan als Mitglied des Jet-Sets, schnelle Autos, schöne Frauen, Parties, von denen berichtet wurde. Es gab wichtigeres in meinem Leben, z.B. Fußball und draußen in der Natur sein, oder Bücher.


    Heute kann ich die Faszination, die von dieser Person und seiner Musik ausging durchaus verstehen. Eine ideale Verbindung von Klassik und Komerz, Bollwerk des Establishment gegen Hippies, Emanzipation, Rockmusik. Ein Superstar der Klassik, nicth fassbar, immer unnahbar, einer, der über den Wolken schwebte.


    Von mir aus. Seine Beethoven-Symphonien waren die Ersten, die ich mir zugelegt habe. Heute spiele ich sie nur noch an, um einen Vergleich zu hören, länger als drei Minuten ertrage ich es nicht mehr.


    Weint die Klassikwelt so einer Person hinterher?


    Eine Überfigur, die zeigt, wo es lang geht, eine, die in ihrer Populariät Madonna und den Roling Stones Paroli bietet?


    Braucht die Klassik sowas wirklich?


    Viele Grüße Thomas

  • Zu diesem sonderbaren Beitrag kann ich nichts sagen, denn von Madonna oder den Rolling Stones verstehe ich nichts.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Zitat

    Zitat von Thomas Sternberg: Weint die Klassikwelt so einer Person hinterher? Braucht die Klassik sowas wirklich?


    Antwort auf die erste Frage:
    Ja, jedenfalls, wenn man den zahlreichen Antworten von noch aktiven und nicht mehr aktiven Mitgliedern der Berliner Philharmoniker und anderen Künstlern, Sängern und Instrumentalisten Glauben schenken darf, die in entsprechenden Fernsehsendungen zu Herbert von Karajan befragt wurden auch über die Art und Weise und die Bedeutung ihrer Zusammenarbeit. Ein Punkt, der beispielsweise immer wieder erwähnt wurde, war der Fleiß Karajans, speziell seine unermüdliche Probenarbeit. Und Personen, die der klassischen Musik zu so einer Breitenwirkung verholfen und sich dabei nicht nur der Medien bedient haben, sondern auch sie auch methodisch vorangebracht haben (z. B. durch die strukturunterstützende Kameraführung, die das Begreifen des jeweiligen Stückes erleichtert), kann man ruhig eine Träne nachweinen.
    Antwort auf die zweite Frage:
    Ja, die Klassik braucht so was wirklich, und zwar alles und jeden, das oder der die Klassik im Gespräch hält und die Medien davon überzeugt, dass die klassische Musik es wert ist, weiter durch die Medien verbreitet zu werden. Und dazu zähle ich Karajan.
    Ich habe mir auch seine 60er Beethoven-Sinfonien als erste zugelegt, aber ich kann sie heute immer noch mit Genuss von Anfang bis Ende hören, auch und vor allem bei Hörvergleichen und muss dann bei dem direkten Vergleich mit neuen Produktionen,, z. B. Mackerras und Järvi feststellen, dass Karajan es damals auch wirklich "draufhatte".


    Zitat

    Zitat von Milletre: Zu diesem sonderbaren Beitrag kann ich nichts sagen, denn von Madonna und den Rolling Stones verstehe ich nichts.


    Zu Madonna kann ich auch nichts sagen, da weiß meine Tochter besser Bescheid, die sich gleichwohl bei Mozarts Klaviersonaten, -konzerten und Sinfonien ein wenig auskennt; aber die Rolling Stones haben mich ebenso wie die Beatles in meiner Jugend auch begleitet, und ich kann sagen, dass die Jungs ganz ausgezeichnet Musik gemacht haben, ganz unabhängig von ihrem medialen Auftreten. Meine Tochter behauptet dies zuweilen auch von Madonna.
    Man kann also sehen, dass das Auftreten in den Medien und der Umgang mit Menschen durchaus von künstlerischen Ergebnissen isoliert betrachtet werden kann und nicht unbedingt nach dem Motto verfahren werden muss: die Aufnahme ist von Karajan, also ist sie sch...


    Viele Grüße


    Willi :no::yes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    ich hatte heute morgen zur gleichen Zeit wie Du auch diesen Thread gelesen und mich über den "sonderbaren Beitrag 2" gewundert, der dem Thema keinen guten Start bescherte und wollte darauf antworten. Meine Antwort hätte diesen Thread aber nicht unbedingt wieder aufgeputscht und daher wollte ich erst mal abwarten ...


    Der Schreiber von Beitrag 2 hat derzeit 227 Beiträge in Tamino zu verzeichen - davon sind mindestens 30-40 Beiträge dabei, die gegen Karajan und seine Aufnahmen gerichtet sind (besonders in den Beethoven-Sinfonien - Threads). Wie kann man so verhasst gegen Karajan sein ??? - Nämlich genau nach dem Motto: Ist von Karajan - ist sch.. (wie Du auch schreibst ...)
    Wie kann man von den für die Klassikwelt bahnbrechensten und meistverkauften Beethoven-Sinfonien-Aufnahmen schreiben, das man diese gerade mal 3Minuten ertragen kann ???
    Erneut stelle ich fest, dass man solche Beiträge in Zukunft am besten ignoriert, weil sich immer das gleiche Anti-Karajan-Bild zeigt, das mit nichts und gar keinen Argumenten begründet werden kann und dort auch nicht wird !



    Vielen Dank Willi für deinen positiven Beitrag, der diesem weiteren Karajan-Thread, den ich auch im Jahre 2011 nicht überflüssig finde, wieder Auftrieb gibt.
    *** Deinen Antworten möchte ich hiermit voll anschliessen.


    Ich finde das es nur wenige Künstler gab, die mit einem derartigen Charissma die Klassikwelt mit einer so großen Zahl herausragenden Aufnahmen beglückt haben.
    Natürlich hat sich über die Jahre durch Vergleiche (für mich) herauskristallisiert, welche Karajan-Aufnahmen wirklich spitze sind: Übrig beblieben sind trotz aller Alternativen eine große Auswahl seiner Interpretationen, die bis heute ihren Massstab nicht verloren haben: Die sinfonischen Werke von Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Bruckner, Brahms möchte ich da an die vorderste Stelle bei dieser Karajan-Auswahl setzen.
    Dabei war Karajan auch immer der technische Aspekt wichtig, seine Interpretationen so gut wie möglich zur Wiedergabe zu bringen. An der Einführung der CD hatte er auch nicht unwesentlich beigetragen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich bin beileibe nicht der Einzige der Karajan kritisch sieht, egal wieviele Beiträge ich zu diesem Thema geschrieben habe. Da sind ganz andere Kaliber drunter und die haben noch keinen einzigen Beitrag hier im Forum geschrieben.


    Ich hasse Karajan nicht. Eine Emotionalisierung mit dieser Person findet bei mir schlicht nicht statt, in keiner Richtung.


    Die Abspielqualität der Aufnahmen sind in keiner Weise mehr Stand der Technik.


    Oh ja, sich selbst ins rechte Licht setzen, das beherrschte Karajan meisterhaft, wie die Fernsehmitschnitte zeigen.

  • Es wird doch kaum jemand der in einer Fernsehsendung über Karajan etwas gefragt wird , etwas negatives über ihn sagen. In einem anderen Thread wurde auch gefragt, warum so viele Sänger sich nicht getraut haben, seine Angebote abzulehnen. Ich denke mal er wird so viele Kontakte gehabt haben, das diese Sänger hinterher in keinem anderen Opernhaus oder Festival mehr hätten singen können. Der Generalmusikdirektor vom Aalto Theater in Essen, Stefan Soltesz hat dort auch den Spitznamen : Der Karajan vom Rhein. Auf meine Frage warum denn, sagte mir ein Chorsänger, weil er genauso einen diktatorischen Stil wie Karajan hat und auch keine andere Meinung gelten lässt.

  • Ich möchte hier - aus eigener Sicht - nicht "offiziell" meine Meinung zum Threadverlauf schreiben.
    Ich fand Thomas Sternbergs Beitrag nicht als schlechten Einstieg zu diesem Thread - Er hat aufgerüttelt und Widerspruch hervorgerufen - und ich kann eine Menge Argumente gegen seine Ansichten vorbringen, bzw. aufzeigen wo denn seine persönlichen Präferenzen liegen, und inwieweit sie mit Karajans Musik zu tun haben - oder eben nicht zu tun haben.


    Zitat

    Karajan als Mitglied des Jet-Sets, schnelle Autos, schöne Frauen, Parties, von denen berichtet wurde.


    Hier mischt sich Wahrheit mit Legende, bzw der Kunstfigur Herbert von Karajan , welche sich immer mehr von der realen Person Herbert von Karajan löst, desto länger er tot ist.


    In der Tat wurde Herbert von Karajan vm JET SET gehätschelt, und man bediente sich seiner um die eigene Blässe durch eine charismatische Persönlichkeit (ob er das war, darüpber bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Thread) zu cachieren.
    Karajan selbst war aber an Parties nicht besonders interessiert - was sich änderte, als er das darin befindliche Potential zur Erfüllung seiner künstlerischen Wünsche erkannt hatte. Fazit- Parties waren für Herbert von Karajan lediglich ein Mittel zum Zweck, et betrieb dort Small Talk -um die für ihn so notwendigen Kontakte zu pflegen, die er brauchte um seine Karierre voranzutreiben (Die meisten leute stebven indes Karrieren an, die ihnen ermöglichen auf derartige Parties zu gehen - Karajan war in dieser Hinsicht gewissermaßen ein Paradox)


    "Schöne Frauen" - Eine Legende. Karajan war in seinem Leben 2 mal verheirate und das stets sehr lange - Frauengeschichten hatte die Presse nicht zu berichten....


    Zitat

    Eine ideale Verbindung von Klassik und Kommerz, Bollwerk des Establishment gegen Hippies, Emanzipation, Rockmusik.


    Ich glaube nicht daß Karajan das so gesehen hat. Er wollt esicher kein Bollwerk sein. Hippies, Emanzipation, Rockmusik - das kam in seinem Leben vermutlich gar nicht vor - soll heißen er bekämpfte dies Phänomene nicht - weil er sie gar nicht wahrnahm. Sie existierten einfach gar nicht.


    Zitat

    Von mir aus. Seine Beethoven-Symphonien waren die Ersten, die ich mir zugelegt habe. Heute spiele ich sie nur noch an, um einen Vergleich zu hören, länger als drei Minuten ertrage ich es nicht mehr.


    Zum letzen Teil des Satzes: Ich würde sowas -auch wenn es so wäre - niemals zugeben - denn es spricht nicht für den der es sagt..... ;)


    Zitat

    Ein Superstar der Klassik, nicth fassbar, immer unnahbar, einer, der über den Wolken schwebte.


    Superstar der Klassik - klingt schon mal gut
    nicht fassbar - unnahbar - vermutlich richtig, wie alle introvertierten Menschen, Karajan war aus meiner Sicht ein Introvertierter, der um reüssieren zu können, einen Extrovertierten spielen musste.
    Unnahbar - Zu Karajans Zeiten waren Künstler eben nicht -"der Kumpel von nebenan"


    Ob wir so einen Star brauchen ?


    JA , JA und nochnmals JA !!! -Leider haben wir derzeit keinen.


    Angeblich macht ein gewisses Label noch heute einen relativ hohen Prozentsatz ihrer Umsätze mit Aufnahmen von Karajan.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo rodolfo39,


    ich meinte die Konzertmitschnitte wie z.B. Beethovens Sechster. Achte mal drauf, wie oft Karajan im Bild ist.


    Hallo Alfred,


    die drei Minuten sollten natürlich wieder provozieren. :pfeif:


    Was mir auch scheinbar wieder gelungen ist. ;)


    Viele Grüße Thomas

  • Schöne Frauen" - Eine Legende. Karajan war in seinem Leben 2 mal verheirate und das stets sehr lange - Frauengeschichten hatte die Presse nicht zu berichten....


    Herbert von Karajan (1908 - 1989) war dreimal verheiratet. Zuerst mit der Sopranistin Elmy Holgerloef (Heirat 1938 ), dann mit Anita Gütermann (Heirat 1942) und in dritter Ehe mit dem Dior-Model Eliette Mouret (geboren 1939, Heirat 6. Oktober 1958 ).


    HvK war zum Zeitpunkt der dritten Eheschließung genau 50 Jahre alt, Eliette war zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt.


    Frauengeschichten gab es eventuell darüber hinaus nicht zu berichten, aber Birgit Nilsson legt in ihrer Autobiografie dar, dass HvK sich wohl für unwiderstehlich hielt.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich habe die Häme, manchmal auch Bosheiten, über Karajans Veröffentlichungen auch nie so richtig verstanden. Leider kann ich jenen Beitrag, der mir sofort einfiel, als ich diesen Thread las, nicht mehr mit einer Quellenangabe betiteln, aber nach der Herausgabe der Mozart-Sinfonien stand irgendwo von einem Kritiker zu lesen, daß HvK viel von Technik versteht - wobei nicht die dirigentische Schlagtechnik gemeint war, sondern die Aufnahmetechnik, die Rennautos und die Fliegerei. Der Umkehrschluß müßte dann lauten: von Musik verstand er weniger bis gar nichts.


    Ich weiß nicht, ob HvK ein intellektueller Schöngeist war. Ich hatte nie die Ehre, ihn persönlich kennengelernt zu haben. Ich weiß nicht, was er las und wie seine Bibliothek aussah. Meine Kenntnisse stammen auch nur aus den im Fernsehen gesendeten Interviews und aus den Biographien. Als ich ihn erstmals hörte, habe ich mich, genau wie Alfred, über diese schnarrende Stimme gewundert. Auch fand ich es merkwürdig, daß er keine "druckreifen" Sätze äußern konnte und er sich bei Schachtelsätzen immer wieder verhaspelte. Irgendwie wollte das mit meiner Vorstellung über diese Weltberühmtheit nicht übereinstimmen. Aber: keiner hat sich selber gemacht und insofern ist das auch nebensächlich.


    Auch, ob HvK Pultdiktator war, kann ich mangels eigenem Erleben nicht beurteilen. Was ich gelesen habe, läßt mich aber an dieser Art Charakterisierung zweifeln. Da steht Solti bestimmt weiter oben auf dieser Leiter. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß ein Dirigent, ob Weltstar oder auch in der Provinz tätig, dem Orchester ohne eine gewisse Portion Machtwillen gegenüber treten kann. Sonst heißt es vielleicht: „Wir wissen nicht, was er dirigiert, aber wir spielen hier Beethovens Pastorale“.


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Hallo,
    bevor nun über Karajans Leben und Karriere spekuliert wird, empfehle ich, doch mal seinen Biografen zu Rate zu ziehen.
    Es gibt zum Beispiel ein dickes (über 1000 Seiten) Buch von Richard Osborne über Karajan, das ist recht preiswert und es dient als sehr gute Quelle; eine bessere jedenfalls als der unqualifizierte, gemutmaßte Gossip hier,- wir sind doch nicht bei Super Illu oder Bunte oder Gala!!-, allein der Titel, also Alfred war schon besser drauf! :pfeif: (Schöngeist?? So ein Quatsch kann einem nur nach mehreren Litern Heurigen einfallen!)


    Daneben zeigt das Buch von Osborne sehr genau, wie das Musikbusiness seit den 50igern funktioniert hat. Es liefert also noch weitere Erkenntnisse, wie es in guten Biografien üblich ist.
    Das Buch ist wie fast jede britische Biografie sehr gut geschrieben, die Quellen sind benannt, Plagiatstellen findet man wohl vergeblich. Osbornes Zuneigung zum Gegenstand seiner Arbeit ist verständlich, die Distanz des Biografen finde ich dennoch gewahrt. (Eine Wohltat gegenüber Ewa Weissweilers Biografie über Klemperer, die allen Anflug von Wissenschaftlichkeit vermissen läßt)
    Ich finde, es ist ein Werk von (fast) Heyworth Qualität (Klemps Biograf).
    Also rate ich jedem frei nach Arno Schmidt: Wer hier über HvKs Privatleben diskutieren will, sollte erst mal lesen und sich genau informieren! Dann darf er vielleicht etwas schreiben. Alles andere führt zur Entziehung etwaiger Doktortitel durch Vroniplag :D


    Was nun seine künstlerische Leistungen anbelangt, so hat er sicherlich polarisiert.
    Inbesondere bei den so typisch neidhammlerisch daherkommenden und in Foren sich austobenden Deutschen, die Östrogenreicher kenne ich nicht genug.
    Aber er hat eine Karriere von mehr als 45 Jahren gehabt, so schlecht kann er also nicht gewesen sein.
    Ich habe diverse Aufnahme mit ihm, es wären deutlich mehr, wenn ich Opernfan wäre, denn bei Verdi, Puccini und Wagner soll er ja referentiell gewesen sein.


    Seinen Beethoven habe ich in der Jugend oft gehört, der Vater hatte den 62iger Zyklus zum Teil auf LP, ich habe mir vor kurzer Zeit den EMI Zyklus aus den 50igern zugelegt und finde diesen ausgezeichnet.
    Dass ein (vermutlich quietschjunger?) Kollege hier in seinem Beitrag so derbe rumgewettert hat, "what shalls", wahrscheinlich würde er im Doppelblindtest HvK garnicht erkennen. :thumbsup: Teleton hat es schon deutlich betont. Dem ist nichts hinzu zu fügen.
    Sehr schön auch eine Brahms Kassette aus den frühen 60igern. Wunderbar dabei das Violinkonzert mit Ferras.
    Bruckner fand ich mit Karajan immer klasse, sensationell die 8. mit dem BPO aus den späten 50igern.
    Dagegen mag ich seinen Mahler nicht so sehr, Ausnahme die 9. Die 6. ist mir zu unentschlossen zwischen Drama im 1. und 4. Satz und Kitsch im 3. Satz und mit seinem Schubert kann ich nun garnichts anfangen. Sorry Teleton! Aber ich kann Deine Meinung auch verstehen.
    Kuroios sein Bemühen um Mozart, ich habe eine EMI Kassette mit Mozart Sinfonien nebst einer Probe.
    Köstlich dagegen die Fledermaus in einer De Luxe Ausgabe mit diversen Guest Stars.
    Ich gebe allerdings zu, das sein Bestreben nach besonders schönem Klang vielen Werken nicht gut bekam. Das ist, um mal in Popmusik zu gehen, so wie bei den Beatles. "Let it Be" ist klanglich großer Mist, aber "Let it be naked" große Klasse. Ursache war ein durchgeknallter Produzent, hier leider HvK himself.


    Nee, nee, Karajan gehört schon zum Pflicht-Inventar einer gepflegten Diskografie und zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jhdrt. Und in der Regel macht man mit dem Erwerb seiner Aufnahmen keine gravierenden Fehler! Außer bei der 9. Schuberts.


    Gruß S.

  • Eine kleine Anekdote, kolportiert in der Autobiografie von Birgit Nilsson:


    ... Karajan war kein Personeninstrukteur, er diskutierte niemals die Interpretation einer Rolle. Es genügte ihm, wenn man sich dem Licht anpasste und auf alle äußeren Reaktionen verzichtete.


    Privat war Karajan der elegante und durchtrainierte Mann, aber wenn er auf die Bühne kam, um uns einen Auf- oder Abgang zu demonstrieren, wurden seine Bewegungen und sein Gang äußerst merkwürdig. Er stolzierte wie ein Hahn auf einem Hühnerhof umher, mit dem Hinterteil weit hinter sich und den Kopf hoch erhoben in der Luft. Dieser rustikale Vergleich stimmt gewiss nicht mit seinem Mythos überein, aber genauso war es.


    Aase [Aase Nordmo-Lövberg, die vorgesehene Sieglinde in einer Wiener Inszenierung der Walküre unter HvK] hatte keine große Erfahrung mit den verschiedenen Arten und Weisen der Regisseure, Anweisungen zu geben, und verstand Karajans Art sich zu bewegen vermutlich als eine Personeninstruktion. Als dieser sich so nachgeahmt sah, interpretierte er es wahrscheinlich als eine Gemeinheit seitens Aase und schickte sie fort. ...


    Karajan ließ Leonie Rysanek als Einspringerin mit seinem Rolls Royce in Stuttgart abholen und zwang Aase Nordmo-Lövberg, sich krank zu melden. Frau Nordmo-Lövberg besuchte allerdings die Premiere mit einer Freikarte von Birgit Nilsson in der dritten Reihe, und alle sahen, dass sie sich bester Gesundheit erfreute.

  • Zitat

    Zitat von Thomas Sternberg: Die Abspielqualität der Aufnahmen sind in keiner Weise mehr Stand der Technik.

    Abgesehen davon lieber Thomas, dass das Nomen "Abspielqualität" im Singular steht, solltest du dir vielleicht mal ein neues Abspielgerät zulegen, ich konnte heute Abend bei meinem HvK-Abend auf Classica, wiedergegeben über Philips-LED-Fernseher, Sony-Verstärker TAF 808 und AKG-Kopfhörer K 601 bei den dargebotenen Stücken, Beehovens 5., Brahms' 3., Ravels Daphnis und Chloe und Beethovens 9. ( AD 1968 - 1978 ) keinen schlechten Klang erkennen (Näheres im DVD-Thread).


    Viele Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    ich höre meine Musik immer über die gleichen Geräte. Ein Fernseher gehört nicht dazu. Wird auch nie.Danke für die Korektur meiner Rechtschreibung.


    Hallo s.bummer,


    Qietschjung ist gut.


    Vorsicht mit solchen Blindtests. Bei solchen Experimenten sind schon, gerade bei Karajan, richtige Experten, die meinten, jeden Ton des "Meisters" zu erkennen, in tiefe Depressionen gestürzt worden.


    Wer Biografien als zuverlässige Quelle preist vergisst oft, das diese nur zu einem Zwecke dienen, nämlich dem Autor Einnahmen zu bescheren.


    Lächerlich machen einer Person ist natürlich ein erprobtes Mittel in Foren seine Meinung gültiger werden zu lassen. Hilft nur in meinem Fall nicht, es war nur ein Beitrag, in erster Linie um zu testen, auf welchem Niveau die Karajan-Groupies reagieren.

  • Die letzten Fernsehporträts fand ich sehr anrührend, ob das die Schilderung seines Todes durch seine Ehefrau Eliette oder Helmut Schmidts Vergleich von Karajans mit Bernstein war (letzterer habe das Leben in vollen Zügen genossen, während Karajan auf geradezu unanständige Weise anständig geblieben sei).


    Ach ja, und wenn ich den Aufstieg aus den Tiefen des Rheins zu den Wotan-Wolken hören möchte, dann leg ich mir den Karajan auf.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Helmut Schmidts Vergleich von Karajans mit Bernstein war (letzterer habe das Leben in vollen Zügen genossen, während Karajan auf geradezu unanständige Weise anständig geblieben sei).


    Nun ja, gegenüber Bernstein (gemessen an bürgerlichen Maßstäben jener Zeit) für anständig zu gelten, ist wahrlich keine hohe Messlatte ... :hello:

  • "Pultdiktator" und "intellektueller Schöngeist" schließt sich nicht unbedingt aus.


    Natürlich wußte Karajan, was er wollte. Sieht man sich die Videos von Proben an (Mahler, Tschaikowsky, Schumann usw.), so sehe ich einen ruhigen, beinahe schüchternen Herrn, charismatische Ausstrahlung, ruhige Stimme, kein "Brüller", der sehr genau weiß, was er tut. Zumindest auf den ersten Blick wirkt er auf mich umgänglicher als etwa Celibidache oder Solti, von Szell und Reiner ganz zu schweigen.


    Ob er ein großer Intellektueller war, weiß ich auch nicht. Er bemühte sich nie um Lehraufträge an Universitäten usw., soweit ich weiß. Professor war er nicht. Dr. h. c. der Universität Oxford 1978, heißt aber wenig.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da eröffnet Alfred, dem immer nach Niveau dürstet, mit diesem Threadtitel den offenen Niveaulimbowettbewerb und schon stehen Forenmitglieder an, unter seiner Messlatte durch zu laufen.
    Wahrlich, wahrlich Alfred, das war geschickt!


    So antwortet der Kollege Sternberg:

    Zitat

    Wer Biografien als zuverlässige Quelle preist vergisst oft, das diese nur zu einem Zwecke dienen, nämlich dem Autor Einnahmen zu bescheren.

    Muss man das kommentieren? Nööö! Biografen leben bekanntlich von Mücken und Schmeißfliegen, die sie mit langer Zunge einfangen.


    Und der sonst so geschätzte Joseph schreibt:

    Zitat

    Ob er ein großer Intellektueller war, weiß ich auch nicht.

    Dazu sagt Dieter Nuhr: "Wenn man so gar keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten, das wär so wichtig!"


    Ich sage dagegen, "Lies endlich mal was, dann eierst Du auch nicht so rum!"


    Gruß S.

  • Eingangs ein Hinweis, um mich des Vorwurfs blinder Karajan-Gefolgschaft zu entledigen:


    Wie andernsorts bereits dargelegt, kann ich mich Karajans Beethoven im Allgemeinen, insbesondere aber im Speziellen eher wenig anfangen...


    Allerdings kann ich auch sehr wohl diese subjektive Einschätzung von meiner übergeordneten Sicht auf Karajan trennen.


    Ich halte ihn für eine der wichtigsten Dirigentenpersönlichkeiten der Tonträgergeschichte.


    Das ist nicht allein auf die musikalische, will heißen interpretatorische Qualität seiner Aufnahmen bezogen, hier gibt es natürlich von vielen Stücken immer irgend eine bessere, wobei das Gesamtniveau allerdings dennoch sehr beeindruckend ist.
    Vielmehr erkenne ich seine Strahlkraft, seine Verdienste um Aufnahmetechnik, auch seine Bemühung um eine Aesthetisierung der Wiedergabe von Muik sehr hoch an. Ich hätte ihn gerne als leuchtenden Mittelpunkt der Salzburger Festspiele erlebt.


    Oh ja, sich selbst ins rechte Licht setzen, das beherrschte Karajan meisterhaft, wie die Fernsehmitschnitte zeigen.


    Da er nebenher auch noch mitunter hervorragend interpretiert hat, ist das ja wohl kaum von Nachteil.
    Auch wenn es Leute gibt, die der Meinung sind, dass all das in der klassischen Musik nichts zu suchen hat, bin ich von der Wichtigkeit solch herausstechender Persönlichkeiten überzeugt. Auch Bernstein hat sich inszeniert, oft noch wesentlich exzessiver und man kann wohl auch Furtwängler keinen gänlich uneitlen Charakter attestieren.
    Auch heute fasziniert etwa ein Christian Thielemann durch sein polarisierendes Verhalten. Ich bin niemand, der durchweg Blendern verfällt, ich schätze etwa Jansons derezit am allerhöchsten, doch es braucht einfach auch markante Persönlichkeiten. Dieses Fach wird derzeit ohnehin eher von den Solisten besetzt denn von Dirigenten, aber die ernten natürlich die selben Vorwürfe und Anfeindungen wie hier Karajan.


    Ich denke, wenn jeder für sich 'seine' Karajan-Aufnahmen auswählt, dürfte es schwierig werden, diesen Dirigenten durchweg abzuelehnen.
    Wer freilich erwartet, dass alles in Karajans wohl beispiellos umfassender Diskographie großartig ist, wird zwangsläufig viele Enttäuschungen zu verkraften haben.
    Deshalb Karajan derart abzukanzeln, wie es hier schon geschehen ist, bedeutet wohl auch, die Augen vor der Realität zu verschließen. Da gibt es (gerade heute) Dirigenten, die viel mehr überschätzt werden.


    Allerdings ist es schon faszinierenden, was alles angeführt wird, um gegen Karajan zu Felde zu ziehen, und sei es auch noch so unsinnig und deplaziert:

    Die Abspielqualität der Aufnahmen sind in keiner Weise mehr Stand der Technik.


    Was soll man dazu eigentlich sagen. Jede Stellungsnahme ist wohl ebeno off-topic wie die Aussage selbst.
    Wenn man die künstlerische Qualität oder die persönliche Bewertung eines Dirigenten von der tontechnischen Qualität seiner Aufnahmen abhängig macht (die nebenbei bemerkt gerade bei Karajan spätestens ab Mitte sechziger keinerlei Beeinträchtung mehr darstellt, sich ein kritisches künstlerisches Urteil zu bilden), wird man wohl kaum je zu irgendeinbem auch nur halbwegs vernünftigen Schluss kommen.


    Um dem Vorwurf zu entgehen, ich würde hier irgendjemanden lächerlich machen:
    Hat das der Autor mit diesem Kommentar nicht schon selbst getan?


    Ich bin froh über eine differenzierte Karajan-Debatte, mit bloßer Verherrlichung seiner Person kann ich nichts anfangen. Aber dann bitte in Form einer künstlerischen Auseinandersetzung. Da sind auch Frauengeschichten nicht sonderlich hilfreich, oder beurteilen wir dann demnächst Wagners kompositorische Leistungen unter diesem Aspekt?


    Ich wage, an die von s.bummer durchaus unterhaltsam erwähnte Messlatte zu erinnern! Und abschließend noch an diese seine Aussage:


    Und in der Regel macht man mit dem Erwerb seiner Aufnahmen keine gravierenden Fehler!


    Das würde ich nun zum Beispiel, obwohl Fan, über Furtwängler eher nicht sagen...

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

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  • Da sind auch Frauengeschichten nicht sonderlich hilfreich, oder beurteilen wir auch demnächst Wagners kompositorische Leiszungen unter diesem Aspekt?


    Alles kann dazu beitragen, zu einer weiteren Facette unseres immer lückenhaften Bildes dieses wichtigen Dirigenten zu werden.


    Es fällt schon auf, dass HvK zur selben Zeit, in der er die 19jährige Eliette heiratete (die wirklich eine Schönheit war), damit begann, auch bei seinen Aufnahmen ein Maximum an Schönheit in die Musik hineinzupumpen. Ein entsprechender Vergleich seines ersten Beethoven-Zyklus' mit dem Philharmonia Orchestra für EMI mit dem 1961er Zyklus mit den Berliner Philharmonikern bei DG ist da sehr erhellend. Da passen die Puzzleteilchen des Lebens zumindest zusammen.


    Ältere Herren haben manchmal eine Schwäche für "ideale Schönheit" oder wie immer man das nennen will.


    Im Übrigen wäre auch Richard Wagners Bild ohne Mathilde Wesendonck zum Verständnis der Hintergründe der Wesendonck-Lieder und des Tristan unvollständig - somit ist das von Dir genannte Beispiel eigentlich eines der besten, um Dir zu widersprechen, nicht wahr? - Es geht dabei nicht darum, Wagners kompositorische Leistungen zu beurteilen - das Ergebnis hätte ja z. B. auch unerträglich kitschig sein können -, sondern um die Musik im Kontext des Lebens zu sehen und etwas von Wagners Antriebsfedern zu erahnen.

  • Ältere Herren haben manchmal eine Schwäche für "ideale Schönheit" oder wie immer man das nennen will.

    Ist das so? :D


    Im Übrigen wäre auch Richard Wagners Bild ohne Mathilde Wesendonck zum Verständnis der Hintergründe der Wesendonck-Lieder und des Tristan unvollständig - somit ist das von Dir genannte Beispiel eigentlich eines der besten, um Dir zu widersprechen, nicht wahr? - Es geht dabei nicht darum, Wagners kompositorische Leistungen zu beurteilen - das Ergebnis hätte ja z. B. auch unerträglich kitschig sein können -, sondern um die Musik im Kontext des Lebens zu sehen und etwas von Wagners Antriebsfedern zu erahnen.

    Das ist natürlich vollkommen richtig!
    So hatte ich es auch nicht gemeint, es ging mir eher darum, dem undifferenzierten Klischeebildung von wegen schnelle Autos, schöne Frauen etc. entgegenzutreten. Wird seine Biographie zu einer wirklich ernsten Auseinandersetzung mit seiner künstlerischen Entwicklung herangezogen, so ist das selbstverständlich richtig und wichtig. Nur wollte ich vermeiden, das hier irgendwelche konservativen Familienideale oder sonstige sogenannte Werte beigezogen werden, und ohne Bezug zum Künstler gegen Karajan Stimmung gemacht wird.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Wie wenigen von euch, was schon mit meinem Alter zu tun hat, war es mir gegönnt, Karajan in seinem Wirken - Frauen, Autos und Flugzeuge hin oder her - erlebt haben zu dürfen. Ich bestreite nicht, dass gerade seine fulminanten Opernproduktionen vom "Ring" über "Pelleas" zu "Tristan" wie auch seine feurig-zündenden Italiener mir unvergessene Abende beschert haben. Weil die Wiener Staatsoper über 500 (fünfhundert!) Stehplätze verfügt, noch dazu zu einem Preis vergleichsweise - damals! - von einem Krügerl Bier (Garderobe übrigens war im Preis enthalten), was wahrscheinlich weltweit einzigartig ist, konnte ich insgesamt an die über 800 Opernabende erleben - Konzertbesuche mit eingeschlossen.


    Ich habe auch erlebt, dass knapp vor Beginn einer "Meistersinger"-Vorstellung der Abendspielleiter E.A.Schneider vor den Vorhang trat, um uns kundzutun, dass der vorgesehene Dirigent (ich glaube Wallberg, bin mir aber nicht sicher) einen Armbruch erlitten hat und bedauerlicherweise absagen musste. Da rechneten wir mit dem Allerschlimmsten - von eingeschobenem Ballettabend bis gar zur Absage des Abends. Aber Ernst August, dieses liebenswerte und stets charmante lebende Inventar des Hauses, führte weiter aus, dass sich der Direktor spontan bereit erklärte, diese Vorstellung zu übernehmen. Was sich daraufhin an frenetischen Tumulten abspielte, kann man sich nicht vorstellen. Dazu kommt, dass dieses Einspringen die einzige "Meistersinger"-Vorstellung war (ich glaube September 1959), die Karajan an "seinem" Haus dirigierte. Weiters muss man wissen, dass er als Direktor pro Saison im Schnitt über 40mal am Pult stand, ohne für seine Dirigententätigkeit je ein Honorar zu beanspruchen!


    Dies führte ich deshalb en détail aus, um zu verstehen, dass sich meine Sicht auf diesen grossen Dirigenten, der meine Jugendzeit maßgeblich mitgeprägt hat, aus diesen Live-Erlebnissen und erst in zweiter Linie aus seinen "Konserven" speist, die ein naturgemäß unvollkommenes Bild seiner künstlerischen Bandbreite ergeben.


    Grüße aus Wien
    von Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

    Einmal editiert, zuletzt von Milletre ()

  • Herbert von Karajan und seine Gegner - welch ein Thema.


    Vielleicht war ein Problem darin zu sehen, daß sich zu Lebzeiten die wenigsten getrauten ihm zu widersprechen oder einen Wunsch abzuschlagen. Sowas rächt sich später.


    Eine ergänzende Geschichte zu jener von Milletre, die ich im Gesensatz zu diesem nur am Rande üver Radio oder TV verfolgt habe.
    Karajan war als Dirigent vorgesehen - und sagte ab. Die Vorstellung war ausverkauft.
    Da griff ein Politiker, Dr Helmut Zilk ich glaube, er war damals noch Unterrichtsminister, ein, und versprach - "prominenten, gleichwertigen Ersatz" - und er konnte nicht werstehen daß die Leute dennoch ihr Geld zurückhaben wollten - wo doch der damalige Direktor der Wiener Staatsoper, Lorin Maazel ohnehin die Vorstellung übernahm.........


    Für Herbert von Karajan gab es damals keinen Ersatz - und in gewisser Weise gibt es ihn noch heute nicht.


    Zu meiner Einstellung zu diesem Dirigenten - sie war im Laufe der Jahre durchaus unterschiedlich - bei Bedarf später mehr in diesem Thread...


    mit freundlichen Grüßen


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • „Qualität ist eben teuer, sie muß bezahlt werden“

    Herbert von Karajan gab dem Spiegel im Jahre 1979 ein interessantes Interview, das ich euch nicht vorenthalten möchte:


    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40349201.html bzw. als PDF: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/40349201


    Auf seinen angeblich mondänen Lebenswandel angesprochen, erwiderte er:


    "Und ich gehöre nicht zum Jet-set, was immer das überhaupt ist. Ich gehe auf keine Party. Was ich liebe, ist das Gespräch mit einem oder zwei Menschen, bei dem ernsthaft diskutiert wird. Mich interessieren eigentlich nur Leute, von denen ich was lernen kann. Mein ganzes Leben lang habe ich nur lernen wollen. Party-Geschwätz paßt nicht in mein Dasein. Ich habe Besseres zu tun."


    Karajan äußert sich da auch zur Nachfolgefrage. Als seine potentiellen Nachfolger sah er damals Dirigenten wie Zubin Mehta, Seiji Ozawa oder Klaus Tennstedt.


    Und hinsichtlich des modernen Regietheaters meinte er:


    "Heute ist die Bühne doch oft reiner Selbstzweck. [...] Da ist doch nichts mehr normal. Die Herren machen irgend etwas Verrücktes, vielleicht ein halbes geschlachtetes Kalb auf die Bühne hängen, und darüber wird dann lang in den Zeitungen geschrieben. Über den Dirigenten braucht man bei solchen Anlässen ja kein Wort mehr zu verlieren, der steht ja unten im Graben und dirigiert bloß. [...] Neulich fragte mich jemand: Wo siedeln Sie das Stück an? Ich habe geantwortet: Ich siedle es in der Musik an, daraus ist es nämlich entstanden, und da soll es auch bleiben. [...] Die Leute sind nicht imstande, die Bedingungen zu erfüllen, die die Werke stellen. Oft kennen sie sie überhaupt nicht. Bitte, von mir aus kann jeder machen, was er will; nur würde ich ihn mir nicht als Partner suchen. Deshalb konnte ich auch mit Wieland Wagner nicht zurechtkommen. Er lehnte alles Frühere ab, die Wunde saß sehr tief, und so hat er einfach alles weggelassen, was eigentlich hingehörte."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • :jubel::thumbup::hahahaha:


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dieses SPIEGEL-Interview ist tatsächlich von großer Bedeutung, wenn man sich mit Karajan beschäftigt. Dementsprechend häufig ist es bisher auch zitiert worden.

    Eine der berühmten Passagen in diesem Interview wird von einigen als Beleg für Karajans Größenwahn herangezogen. Es ist folgende Antwort auf die Frage, warum er nie komponiert habe:

    Zitat

    Da halte ich es mit Goethe: "Wenn ich so viel auszudrücken habe und mein Körper verweigert mir in diesem Punkte den Dienst, dann ist es wahrhaft Pflicht der Natur, mir einen zweiten Körper in einem neuen Leben zu geben."

    Wie auch das berühmte Boulez-Zitat bezüglich der in die Luft zu sprengenden Opernhäuser wurde es häufig aus dem Zusammenhang gerissen. Wie man deutlich nachlesen kann, fordert Karajan nicht - wie häufig unterstellt - ob seiner Genialität einen neuen Körper ein, sondern liefert nur eine etwas umständliche Erklärung dafür, warum er nie komponiert hat. (In Wahrheit war das nicht nur ein Zeitproblem, er weigerte sich auf dem Konservatorium beharrlich die gestellten Aufgaben im Kompositionsunterricht zu erfüllen und wurde - entgegen der Studienordnung - aufgrund seiner hervorragenden Fähigkeiten im Dirigieren dennoch mit einem Abschluss ausgestattet.)


    Was nun die Bemerkung zu Wieland (und zur Regie im Allgemeinen) angeht, ist das ganze nicht so eindeutig nun auch wieder nicht, wie die Smileys des Users "La Roche", die wohl wieherndes Gelächter und prustende Zustimmung ausdrücken sollen, suggerieren.


    Karajan arbeitete mit Wieland am intensivsten im Festspieljahr 1952 bei der Neuinszenierung von "Tristan und Isolde" zusammen. (1951 studierte er Wielands Ring nicht ein, sondern dirigierte ihn nur nach, die Neuinszenierung der "Meistersinger", die er musikalisch leitete, besorgte Wieland nicht, sondern Rudolf Otto Hartmann.)


    Es ist nichts von einem künstlerischen Streit bei der Neuinszenierung von "Tristan" zwischen Wieland und Karajan bekannt geworden. Im Gegenteil: Karajan soll eng mit Wieland zusammengearbeitet haben und eng in die Lichtregie, die Karajan zeit seines Lebens immer besonders am Herzen lag, eingebunden gewesen sein. Warum es zum Zerwürfnis kam, so dass Karajan in der Folge nicht mehr bei den Bayreuther Festspielen auftrat, dazu gibt es in der Fachliteratur unterschiedliche Hypothesen:


    Richard Osborne verweist in seiner Biographie "Herbert von Karajan - Leben und Musik" auf einen Dissens mit Wolfgang sowie auf Fragen von "Honorar und Einflusssphären"1 und stellt später die Frage, warum Karajan sein Scheiden aus Bayreuth als künstlerisch und nicht finanziell motiviert dargestellt hat.2 Peter Uehling stellt in "Karajan - Eine Biographie" die These auf, dass Karajan trotz begeisterter Kritiken für sein Dirigat nicht damit zurecht kam, dass Wielands Inszenierung in der Presse noch ausführlicher besprochen wurde.3

    Als gesichert gilt hingegen, dass der Satz, den Karajan später Gesprächspartnern in die Feder diktierte während der Probenphase 1952 nicht gefallen ist: "Herr Wagner, Sie müssen eine neue Musik schreiben, sie passt nicht zu dem, was Sie da auf der Bühne darstellen."4

    Der angebliche künstlerische Dissens mit Wieland wird um so erstaunlicher, wenn man sieht, wie stark Karajans eigene Wagner-Inszenierungen von der Ästhetik Neu-Bayreuths beeinflusst waren: Das trifft sowohl auf Karajans Wiener "Ring" in der Ausstattung Emil Preetorius' als auch auf seine Salzburger Inszenierung der Tetralogie, die von Günther Schneider-Siemssen ausgestattet wurde, zu. Sein Salzburger Tristan (ebenfalls Schneider-Siemssen) ist der Wieland'schen Version ästhetisch so nahe, dass man beinahe von Plagiat sprechen könnte. Gleichzeitig beschränkte sich der ästhetische Wagemut des Regisseurs meist auf die Werke Wagners, während er "Falstaff" oder auch "Carmen" in ungleich naturalistischen Settings stattfinden ließ, was wiederum als Beleg für den Einfluss von Wielands Stil zu sehen ist.

    Warum also die späte Ablehung? Osborne hat hier eine aus meiner Sicht sehr plausible Erklärung und eine weitere verblüffende Parallele zu Wieland zu bieten: "Hat Karajan gelogen, versuchte er die Spuren seiner eigenen, unsicheren Anfänge als Regisseur zu verwischen (ebenso wie Wieland, der es vermied zu erwähnen, was er Edward Gordon Craig zu verdanken hatte)?"5 In Wahrheit nehmen doch große Künstler anderen großen Künstlern nichts so übel wie die Tatsache, sie nachhaltig beeinflusst zu haben (siehe Wagners Hass auf Mendelssohn).




    ------------------

    1 Richard Osborne, "Herbert von Karajan - Leben und Musik", München 2008, S. 427

    2 Ebd., S. 431

    3 Peter Uehling, "Karajan - Eine Biographie", Hamburg 2008, S. 114

    4 Robert C. Bachmann, "Karajan - Anmerkungen zu einer Karriere", Düsseldorf 1984, S. 182

    5 Osborne, o.a. Ausgabe, S. 431

  • Lieber Melomane,


    danke für Deinen kenntnisreichen, profunden Beitrag, der in der Tat Raum für verschiedene Deutungen bietet.

    In Wahrheit nehmen doch große Künstler anderen großen Künstlern nichts so übel wie die Tatsache, sie nachhaltig beeinflusst zu haben

    Das scheint mir ein psychologisch hochinteressanter Sachverhalt zu sein. Je nach Selbstverständnis des Künstlers kann es in der Tat sein, dass der Anspruch erhoben wird, als "Genie" alles aus sich selbst heraus geschöpft und kreiert zu haben. Dabei wird die Inspiration und der Einfluss anderer minimiert oder sogar negiert, weil man dies als Schwäche und Minderung der eigenen Originalität ansehen würde.

    Ich habe einmal einen Blick ins Buchregal geworfen und bei Roger Vaughan, Karajan: ein biographisches Porträt, Ullstein, 1986, nachgeschaut, ob sich dort vertiefende Hinweise finden.

    Dort heißt es nur recht lapidar:


    "Doch Karajan kam mit Wieland Wagners Inszenierungskonzepten so wenig zurecht, daß er es nur zwei Festspielzeiten in Bayreuth aushielt. Außerdem trafen hier zwei egozentrische Persönlichkeiten aufeinander, für die es auf Dauer kein harmonisches Zusammenspiel geben konnte."


    Ich denke daher auch, dass beide insgeheim ohne Zweifel das Können und die Bedeutung des jeweiligen Gegenübers klar erkannt haben, allerdings dennoch nicht den Einfluss des jeweils anderen zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit nutzen konnten, da hier die aufkommende Rivalität die Autonomie des eigenen künstlerischen Egos gefährdete statt es zu bereichern.

    Man kann dem nur nachspüren, letztendlich verliert sich wohl die definitive Antwort im Dunkeln. Spannend bleibt die Frage allemal.

  • Zum Thema Karajan und Komponieren.

    Er kommte es einfach nicht - und er wollte es einfach nicht.


    Ich kenne da eine von ihm selbst erzählte Begebenheit (Ich glaube sie stand in seinem Buch, das er nie ganz fertiggeschrieben hat)

    Karajan - auch wenn ich es bei WIKIpedia nicht finden konnte - muß für eine gewisse Zeit auch in die Klasse von Franz Schmidt gegangen sein

    Diese verlangte von seinen Schülern Quasi als "Hausaufgabe" eine kurze Komposition. Karajan versuchte ihm klarzumachen, daß er dafür kein Talent habe.

    Schmidt indes soll darauf bestenden haben. Schliesslich überreichte Karajan dann doch das Verlangte. Schmidt soll einen Blick darauf gewworfen und dann gesagt haben;

    Na ja - vielleicht - liegt ihre musikalische Begbung doch eher bei - der Operette !!"


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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