Opern unter der Lupe -001- Jaques Offenbach: Hoffmanns Erzählungen

  • Liebe Forianer


    Wie schon angekündigt, beginne ich die Fortsetzung einer Tamino-Tradition mit Offenbachs Oper "Hoffmans Erzählungen", eine der wenigen Opern in französischer Sprache, deren Aufführung ich auch in deutsch nicht als ein Sakrileg betrachte, denn schliesslich basieren die Geschichten, die diese Oper ausmachen auf deutssprachigen Originalen des Dichters E.T: A Hoffmann (1776-1822). Aus "Rat Crespel", "Der Sandmann", sowie "Abenteuer in der Sylvesternacht bastelten Jules Barbier und Michel Carré ein Theaterstück, daß wiederum der Oper als Libretto diente, wobei die einzelnen Figuren teilweise umbenannt wurden und der Dichter selbst in die "Hauptrolle" des Geschehens einbezogen wurde.
    Interessant dabei ist, daß die Oper, sie wurde eignetlich nicht vollendet und wird un unzähligen Fassungen aufgeführt - teilweise mit Musik aus andern Werken Offenbachs, und sogar mit Musik welche nachträglich eingefügt wurde, wie die berühmte Spiegel- bzw Diamantenarie - sich als äusserst publikumswirksam erwiesen hat.


    Aber das ist nur der Rahmen in dem wir uns bewegen. Wer ist den eigentlich der Hauptdarsteller dieser Oper ? Ist es wirklich der Dichter E.T.A. Hoffmann - oder sein Gegenspieler der Teufel ? Wobei der Teufel mit einem weiteren Anführungszeichen versehen werden muß - Handelt es sich hier in der Tat immer um ein und dieselbe Gestlt in verschiedenen Verkleidungen - oder ist Hoffman besessen von der Vorstellung - vom Teufel (oder vom Pech) verfolgt zu werden und handelt dementsprechend ungeschickt ?


    Die Muse alias 'Nikolaus - ihr wird in unterschiedlichen Inszenierungen unterschiedlicher Stellenwert eingeräumt - wie seht ihr sie ? (oder ist es ein "er"?)


    Die Szene in Lutters Keller. Was soll sie uns zeigen, daß auch in jenem Teil, der offensichtlich "realistisch" ist - das Böse über Hoffmann triumphiert - oder daß Hoffmann einfach im Rausch des Punsches sich zu ungeschickt verhält, daß er die Angebetete Stella erneut an einen Gegenspieler, diesmal Lindorf, verliert - nein sie ihm geradezu in die Arme spielt.....
    Schicksal oder selbsterfüllende Prophezeiung.


    Auch über die sonstigen Figuren der einzelnen Episoden wird noch zu reden sein.
    Egal wie die Oper, die an sich ein höchst flexibler Torso ist, auch zusammengefügt wird. sie bleibt eines der Publikumswirksamsten Stücke des 19. Jahrhunders und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, ist auch auf DVD in vielen Versionen zu haben...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alle Opernfreunde kennen das Werk in mehreren Fassungen. Es hat auch extreme Fassungen gegeben: so hat Gustav Mahler das Vor- und Nachspiel überhaupt kassiert und Walter Felsenstein hat eine halb gesprochene Fassung kreiert. Hierzulande hat sich die Peters-Fassung von 1909 eingebürgert, mit allen Vor- und Nachteilen.


    In Wirklichkeit hat Offenbach die Oper 5aktig konzipiert und zum Großteil ausgeführt. Erst für die Uraufführung wurden die fertig komponierten Rezitative durch Dialoge ersetzt und die noch nicht vertonten vom Librettisten in Prosa umgewandelt. Auch der Wortwechsel in der Duell-Szene des Venedig-Aktes und die Auftritte der Muse im Prolog und Epilog waren durchkomponiert.


    Offenbach hat die Oper unvollendet hinterlassen. Er ist, während die Studierproben schon liefen, über der Arbeit an einem großen Finale (mit Chor) des Giulietta-Aktes und einem großen Duett zwischen Hoffmann und Stella im Epilog gestorben, nur unvollendbare Skizzen sind davon geblieben. Instrumentatationsangaben hat er nirgendwo gemacht, obwohl alle Nummern durch den Kopisten schon zur Partitur-Niederschrift eingerichtet waren.


    Von entscheidender Bedeutung für die ganze Oper ist die Wiederherstellung der Funktion der Muse. Die Muse erklärt ausdrücklich, sie wolle das Aussehen des treuen Niklaus annehmen, um Hoffmann nahe zu bleiben, und diese Rolle führt sie konsequent durch, als eine große Partie des Mezzo- bzw. Spielalt-Faches und den anderen drei weiblichen Hauptrollen ebenbürtig. Aber bei Probenbeginn besetzte man unerklärlicherweise die Partie mit einem leichten, hohen Sopran, für dessen Stimmlage Offenbach in letzter Minute das G-Dur Chanson des zweiten Aktes komponierte. Da weitere Änderungen von ihm nicht mehr zu erwarten waren, behalf sich die Theaterleitung mit einer Roßkur: sie strich sämtliche Solostücke und Ensembleteile weg, in denen Muse/Niklaus gewichtig in die Handlung eingriffen und verstümmelte damit die Doppelrolle zu einem Rudiment.


    Zweifellos haben die letzten Worte der Muse an ihren Schützling:


    An Glut, die nie vergeht, erwärme dich aufs neue,


    geläutert sei dein Geist durch Gram vergangener Zeit!


    Dem Mann, der dies besteht, hält die Muse die Treue.


    Macht die Liebe euch groß, dann noch größer das Leid


    für Offenbach den Schlüssel zum ganzen Sujet darstellt.

  • Diese Oper strotzt vor Vielfalt. Ein "Original" im Sinne des Wortes gibt es nicht.
    Abgesehen von der Frage "Rezitativ oder Text" gibt es die Frage nach der Reihenfolge der Akte, und dann noch jene ob die Spiegel- bzw Diamantenarie drinnenbleiben soll oder nicht (Ich meine JA - auch wenn sie angeblich nicht von Offenbach ist) Stellt man die Frauengestalten und die Bösewichte durch jeweils einen Darsteller/Darstellerin dar - oder bekommt jede Rolle eine eigene Darstellerin, bzw einen eigenen Darsteller.
    Fanzösisch oder Deutsch. Man könnte meinen, französich wäre die "Originalsprache" und somit wäre ihr der Vorzug zu geben.
    Aber so einfach ist die Sache nicht. Die Vorbilder zum Libetto sind deutschen Dichtungen entlehnt, nämlich von E.T.A. Hoffmann.....
    Also sollte man keiner der beiden Möglichkeiten den Vorzug geben......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    wenn man sich dem Original nähern möchte, kann diese (unoriginale, aber nun einmal eingebürgerte) Arie nicht so bestehen bleiben. Sie ist von Offenbach nicht mehr dem Dappertutto in den Mund gelegt, sondern, schon im Olympia-Akt, dem Coppelius, wo sie, in D-Dur tiefer transponiert, zur "Augen-Arie" wird und die verklärende Macht der der dramaturgisch so wichtigen Wunderbrillen preist.


    Dappertuttos es-Moll-Couplet ist eine "Jäger- bzw. Fallensteller"-Arie, auf die später sein Wiederauftritt nach dem Liebesduett Bezug nimmt. Wahrscheinlich erst 1905 hat man es dem Coppelius zugeteilt und Dappertutto statt dessen als Einlage eine "Spiegelarie" gegeben, die mit "Hoffmanns Erzählungen" nichts zu tun hat, sondern eine Melodie aus Offenbachs Werk "Le voyage dans la lune" über den alten Textworten zur Arie ausbaut.


    Es stimmt jedoch traurig, sich von Liebgewonnem der Authenzität halber verabschieden zu müssen.


    Ansonsten meine ich, die Besetzung der Frauen- und Bösewichtgestalten mit einer oder doch mit verschiedenen Personen ist Geschmacksfrage und nicht von zentraler Bedeutung.


    Auch schätze ich bei diesem Werk die deutsche Übersetzung genauso wie die Originalsprache.

  • Ich vermisse in manchen Inszenierungen eine weitere Arie des Coppelius. Auf deutsch heißt sie:" Habe Brillen, die jeden toten Gegenstand im Nu beleben" -Eigenartigerweise findet man diese Arie nicht mal in Wikipedia und ähnlichen Sucheinrichtungen...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Ich vermisse in manchen Inszenierungen eine weitere Arie des Coppelius. Auf deutsch heißt sie:" Habe Brillen, die jeden toten Gegenstand im Nu beleben" -Eigenartigerweise findet man diese Arie nicht mal in Wikipedia und ähnlichen Sucheinrichtungen...


    Gesungen wird sie aber öfter. Z. Bsp. in der deutsch-gesungenen Gesamtaufnahme unter Heinz Wallberg. Oder in der französisch-gesungenen Gesamtaufnahme unter Bonynge, nur das die deutsche Übersetzung lautet: "Habe Augen, lebendige Augen..."

    W.S.

  • Ich bin eigentlich dafür eingebürgerte Arien, so sie der Bühnenwirksamkeit dienlich sind , zu belassen, denn der Erfolg des Werkes beruht auf einigen von ihnen. Offenbach selbst war in solchen Belangen, wie eir wissen , keineswegs zimperlich. Als ich die ersten "wissenschaftlich aufbereiteten" Versionen des Werkes gehört habe war ich maßlos enttäuscht. Es ist ja oft so, daß die "Modifikationen" aus dem Theateralltag stammen, also pragmatischer Natur sind. Zahlreiche Werke "leiden" unter diesen Modifikationen - oder wurden so gerettet - je nachdem wie man es sieht.
    "Hoffmanns Erzählungen" ist naturgemäß so ein Werk - Es gibt ja - wie schon in meinem Einführungsbeitrag beschrieben - kleine wirkliche Originalfassung, unf selbst das Libretto ist - kritisch gesehen - Stückwerk. Dennoch ist "Hoffmanns Erzählungen eine meiner Lieblingsopern.
    Warum oft ausgerechnet die wirkungsvollsten Stücke entfernt werden , wird mit stets unverständlich bleiben.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !