16.06.2011 (Staatsoper Hamburg) H.Pfitzner "Palestrina"

  • Die letzte "Neuinszenierung" der Saison 2010/11 in der Staatsoper Hamburg war Hans Pfitzners Musikalische Legende Palestrina - in Anführungszeichen, da es sich um eine Kooproduktion mit der Bayerischen Staatsoper handelt, wo das Stück bereits in 2009 Premiere hatte und mittlerweile sogar schon als DVD verfügbar ist



    Die Hamburger Besetzung der 4.Vorstellung seit der Premiere am 05.Juni 2011 ist allerdings stark abweichend:


    Leitung : Simone Young


    Palestrina : Roberto Saccà
    Ighino : Katerina Tretyakova
    Silla : Ann-Beth Solvang
    Borromeo : Antonio Yang (*)
    Novagerio : Jürgen Sacher
    Morone : Wolfgang Koch
    Madruscht/Papst Pius IV : Diogenes Randes


    (*) Für den leider erkrankten Falk Struckmann


    (und ansonsten alles, was in Hamburg singt und männlich ist)


    In einer Inszenierung von Christian Stückl, Bühnenbild und Kostüme Stefan Hagener.


    Um es gleich vorweg zu nehmen: Auch dieser Abend im "Haus am Wall" war wieder einmal ein rechter Glücksgriff. Roberto Saccà als Titelheld wirkte sowohl gesanglich, als auch darstellerisch überzeugend (Er wird die Rolle m.W. in der kommenden Spielzeit unter Metzmacher in Zürich geben). Bei den Hosenrollen mache ich Abstriche bei Ann-Beth-Solvang, die zwar an sich gut gesungen hat, mir allerdings für einen jungen Mann dann doch etwas zu alt klang.
    Hervorzuheben ist der Einspringer Antonio Yang in seinem Rollendebüt. Zwar etwas textunverständlich, aber mit großen gesanglichen Einsatz und schauspielerischer Qualität verdient er auf jeden Fall Respekt für sein wohl sehr kurzfristiges Einspringen. Ich persönlich habe Falk Struckmann, der mich schon als Wotan in Rheingold und Walküre im März diesen Jahres eher enttäuscht hat, nicht unbedingt vermisst.


    Sehr viel Vergnügen haben Jürgen Sacher und einmal mehr Peter Galliard als Bischof von Budoja bereitet. Auch Diogenes Randes in einer Doppelrolle als Madruscht/Pius IV mit einer profunden Leistung.


    Chor und Orchester unter der Leitung von Simone Young souverän.


    Die Inszenierung von Christian Stückl (u.a. Spielleiter der Oberammergauer Passionsfestspiele) würde hier sicherlich zu heissen Diskussionen zwischen den "Freunden" und den "Feinden" des sog. Regietheaters führen. Bestimmt war die Szenerie durch geometrische Symmetrie und durch die Farben Schwarz/Weiss, sowie Neongrün (Grün als die Farbe der Hoffnung) und päpstliches Purpur (fast schon Pink). Eine genaue zeitliche Verortung gab es nicht; vielmehr würde ich das Bühnenbild eher als zeitlos bezeichnen, was es darum auch nicht schwer machte, sich die Handlung im 16.Jhdt vorzustellen. Gebrochen wurde dieser Eindruck allerdings durch die Auftritte des Legaten Morone in einer Stretchlimousine und des Papstes in einer gestrechten Strechlimousine. Vielleicht ein amüsanter Einfall, der aber schlicht überflüssig wirkte.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich kenne das Stück sehr gut durch die Referenzeinspielung von Rafael Kubelik mit Nicolai Gedda als Palestrina und Fischer-Dieskau als Borromeo. Andere Einspielungen haben ihre Meriten durch einzelne Sänger, kommen aber diese geschlossene Aufführung nicht heran.
    Roberto Saccà habe ich nicht in so guter Erinnerung. Er hat in Düsseldorf und Duisburg den Peter Grimes gesungen. Er war nicht schlecht, das will ich nicht sagen, aber er blieb doch einiges schuldig.
    Ich habe vor, die Wiederaufnahme im Winter zu besuchen. Da abends nach der Oper keine Züge hierher zurückfahren, brauchte ich vielleicht einen kleinen Tipp von Hamburger Taminos für ein preiswertes Hotel, das auch am Rande liegen kann, aber eine U-Bahn- oder S-Bahn-Station in der Nähe haben sollte. Auch ein paar Besuchstipps (wie Chrissy es für Wien gemacht hat) wären willkommen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Hallo dr.pingel,

    Ich kenne das Stück sehr gut durch die Referenzeinspielung von Rafael Kubelik mit Nicolai Gedda als Palestrina und Fischer-Dieskau als Borromeo. Andere Einspielungen haben ihre Meriten durch einzelne Sänger, kommen aber diese geschlossene Aufführung nicht heran.


    diese Aufnahme kenn ich natürlich auch. Ansonsten scheint es ja praktisch keine weiteren Studioaufnahmen zu geben; Live-Aufnahmen jedoch einige (Suitner, Keilberth, Kempe, Heger). Frage: Kennt jemand weitere Studioaufnahmen? Gibt es die Heger/Wunderlich-Aufnahme nur als Querschnitt? Oder auch als Gesamtaufnahme?


    Ich habe vor, die Wiederaufnahme im Winter zu besuchen. Da abends nach der Oper keine Züge hierher zurückfahren, brauchte ich vielleicht einen kleinen Tipp von Hamburger Taminos für ein preiswertes Hotel, das auch am Rande liegen kann, aber eine U-Bahn- oder S-Bahn-Station in der Nähe haben sollte. Auch ein paar Besuchstipps (wie Chrissy es für Wien gemacht hat) wären willkommen.


    Da sollte sich etwas finden lassen. Allein in Sichtweite meiner Wohnung gibt es zwei kleine Stadthotels und ein großes Novotel. Alles in unmittelbarer Nähe zur U-Bahnstation, von welcher man in 5 Minuten am Hauptbahnhof und in 15 Minuten an der Staatsoper ist.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Palestrina gehört zu den Opern die man ansehen muß, wenn sie auf dem Spielplan stehen. Wer weiß wann sie wieder gegeben werden.


    Ich habe aber weder zum Stück noch zur Musik zugang gefunden. Noch immer wundere ich mich über den zweiten Akt, über die Figur des Papstes und über die Figur des Silla. Die Grellen Farben haben mich ebenso gestört wie die Schwellköpfe. Wieso Pink? Wieso grün? Ich vermute, die Inszenierung hilft nicht wirklich dabei dem Verständnis näher zu kommen. Ohne Opernführer und Textbuch begreift man vermutlich nichts.


    Die Musik soll großartige Motivverarbeitung sein. Kann sein. Ich habe das nicht gehört.


    Ich spiele mit dem Gedanken noch einmal hinzugehen um Palestrina, die Inszeinerung und die Motivarbeit vielleicht jetzt zu verstehen.

  • Die Musik soll großartige Motivverarbeitung sein. Kann sein. Ich habe das nicht gehört.


    Lieber IL, die Musik ist wirklich, wie Du es schreibst "großartige Motivverarbeitung". Sehr verschlungen, nicht ganz so übersichtlich wie bei Wagner. Ich habe das aber auch nicht gleich entdeckt. Die erste Aufführung, die ich erlebt habe, hat mich mehr verwirrt denn beglückt. Du solltest Dir das Stück hörend erschließen, denn es scheinst Dich ja irgendwie doch zu interessieren. Leg Dir eine gute Aufnahme zu, beginne mit den Vorspielen. Dann lasse Dich zunächst auf den ersten Aufzug ein. Die Auseinandersetzung Palestrinas mit Borromeo und dessen große Ansprache sind von einer unglaublicken Dramatik, wie das in der Oper nur selten gelingt. Dann die Kompostion der Messe in Zwiesprache mit den Meistern und Lukrezias. Es scheint, als öffne sich der Himmel. In der Aufführung im Theater geht alles viel zu schnell. Du kannst es nicht wiederholen.


    In vielen Opern gibt es ja die Stellen, die wie eine Intitialzündung wirken. Bei mir war es der Moment, in dem Silla in der ersten Szene des ersten Aktes aus dem Fenster schaut: "Da liegt mein Rom!" Die Bläser antworten geheimnisvoll und bedrohlich. Es ist als ob sich die alte Macht auflehnt gegen alles Neue. Diesen Grundkonflikt der Menschheit habe ich nirgends so eindrucksvoll in Musik ausgedrückt gefunden wie hier.


    Der zweite Akt ist in seiner grotesken Unförmigkeit wirklich eine Art Zumutung. Hast Du ihn zehn Mal gehört, wirst Du auch ihn lieben. Die vielen Figuren in ihrer berstenden Vieseitigkeit sind treffend charakterisiert.


    Aufmunternde Grüße schickt Dir Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ach, lieber Rheingold, ist das schön, hier einen kenntnisreichen Palestrinaverehrer zu lesen. Aber du hast Recht, die vielen Motive erschließen sich nur, wenn man das Stück mehrfach hört, möglichst mit Textbuch oder Klavierauszug (ein dicker Schinken, der in meiner Stadtbücherei tatasächlich vorrätig ist). Nicht nur Rom hat ein porträtähnliches Motiv, auch Trient und Bologna (und sogar Prag mit seinem Erzbischof), von den Personen ganz zu schweigen. Ich muss dir auch zustimmen, dass man für den zweiten Akt länger braucht. Aber dann: was ist das für eine gewaltige Musik, besonders wenn das Konzilsmotiv ertönt! Witzig ist es auch, etwa die Posse mit dem Bischof von Budoja und dem Patriarchen Abdisu. Mein absolutes Lieblingsstück ist übrigens der Monolog des Palestrina im ersten Akt (Schopenhauer pur und vom wirklichen Palestrina wahrscheinlich weit entfernt), gefolgt vom großartigen Auftritt der alten Meister der Musik. Übrigens lasse ich von allen Aufnahmen, die ich habe, nur die von Kubelik gelten, sie ist bis in die kleinste Rolle makellos, obwohl in den anderen Aufnahmen der eine oder andere Sänger natürlich sehr gut ist (z.B. Wunderlich in der Titelpartie). Allerdings kenne ich die Hamburger Aufführung und DVD von Simone Young nicht (lohnt es sich, die DVD sich anzuschaffen?). Vor vielen Jahren wurde das Stück in Düsseldorf gegeben, mit Sven Olof Eliasson als Palestrina.

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  • Ich habe aber weder zum Stück noch zur Musik zugang gefunden. Noch immer wundere ich mich über den zweiten Akt, über die Figur des Papstes und über die Figur des Silla. Die Grellen Farben haben mich ebenso gestört wie die Schwellköpfe. Wieso Pink? Wieso grün? Ich vermute, die Inszenierung hilft nicht wirklich dabei dem Verständnis näher zu kommen. Ohne Opernführer und Textbuch begreift man vermutlich nichts.


    Wie in meinem Eingangsbeitrag geschrieben hatte, sollen die Farben hier ganz klassisch für Hoffnung (grün) und das Kardinalspurpur (pink) stehen. Wenn ich mich recht erinnere, wird z.B. im ersten Aufzug das Gesicht der Frau Palestrinas in grün ausgeleuchtet; sie gibt ihm den Willen und die Hoffnung, wieder komponieren zu können. Die beiden anderen vorherrschenden Farben, die ja eigentlich keine Farben sind, nämlich Schwarz und Weiß lassen sich in meinen Augen als Gegensätze interpretieren; etwa


    Hoffnung - Trauer und Trostlosigkeit (schwarz)
    Kirche (Kardinalspurpur) - Unschuld (weiß)


    Wobei gerade letzteres Paar natürlich Fragen aufwirft ... :angel:


    Allerdings kenne ich die Hamburger Aufführung und DVD von Simone Young nicht (lohnt es sich, die DVD sich anzuschaffen?).


    Hier solltest Du einen kurzen Videobeitrag zur Hamburger Inszenierung finden. Ich selber fand die Inszenierung - bis auf wenige Schwachstellen - zumindest so gut, dass ich mir die DVD noch besorgen will; vielleicht etwas für den Gabentisch ;) Fr.Youngs Dirigat ging für mich bei meinem Opernbesuch in Ordnung.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Vielen Dank, MSchenk, für diesen Hinweis. Ich habe mir den Hamburger Videobeitrag mit Interesse angesehen. Ich denke, musikalisch ist die Sache in Ordnung, das ist doch bei einer Oper immer sehr wichtig. Von der Inszenierung her ist es eine moderne Inszenierung, aber kein Regisseurstheater. Was mir auffiel: der Regisseur scheint die Oper insgesamt sehr satirisch zu verstehen, was bei Pfitzner selber, selbst im Konzilsakt, eigentlich nur am Rande vorkommt. Diese Auffassung ist für einen Regisseur, der ansonsten die Oberammergauer Passionsspiele inszeniert, doch bemerkenswert. Da ich aus gesundheitlichen Gründen die Aufführung leider doch nicht besuchen kann, werde ich mir die DVD zulegen, denn "Palestrina" gehört zu meinen Top 10.

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  • Was mir auffiel: der Regisseur scheint die Oper insgesamt sehr satirisch zu verstehen, was bei Pfitzner selber, selbst im Konzilsakt, eigentlich nur am Rande vorkommt.


    Tatsächlich trifft dies hauptsächlich auf den zweiten Akt zu. Im ersten Akt empfand ich z.B. den Auftritt der alten Meister eher als Burlesk-gespenstisch; so Breughel-mäßig ;) Im letzten Akt ist dann Palestrina sehr schön gezeichnet, wie er trotz seines Erfolges eigentlich ein einsamer Mensch bleibt; wobei da die Musik Pfitzners natürlich ihr übriges tut.


    Diese Auffassung ist für einen Regisseur, der ansonsten die Oberammergauer Passionsspiele inszeniert, doch bemerkenswert.


    Tatsächlich habe ich während der Aufführung einige Male überlegt, ob sie ihn dafür in Oberammergau nicht gesteinigt hätten ... Aber tatsächlich hat er ja die Passionsspiele erstmals seit 1930 (!) neu inszeniert und ist nicht aus dem Dorf gejagt worden. Der Mann - ein gelernter Holzbildhauer - scheint mir im Gegensatz zu manchen anderen nicht nur etwas zu können, sondern auch etwas von den Mechnismen/Notwendigkeiten einer Operninszenierung zu verstehen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.