Gesungene Dialoge - wie unnatürlich !!! - - - Gedanken zum Thema Oper

  • Eigentlich ist es jedermann wohl bewusst, daß im realen Leben, Menschen miteinander sprechen - niemals aber singen - zumindest nicht in Ausnahmesituationen - und vor allem nicht aktuelle Ereignisse oder Konflikte betreffend.
    Ein Chor von Sträflingen, der hinter Gittern die Freiheit besingt, ist zwar auch nicht gerade alltäglich, aber immerhin vorstellbar...


    Aber in der Oper werden Dialoge gesungen, und sogar ausführliche Statements solo abgegeben, es gibt Terzette, Quartette etc etc, so wie Interaktionen mit dem Chor.


    Und was das Eigenartige dabei ist: Wenn man den Gesamteindruck auf sich wirken lässt wirkt all dieses - von Ausanhmen abgesehen - vollkommen natürlich. Man hat nicht das Gefühle einer "synthetischen Welt " (obwohl gerade dies zu erwarten wäre !!) sondern empfindet den Gesang sogar als "normal", er fällt nicht mehr als "unnatürliches" Kommunikationselement ins Gewicht...


    Ich habe über eine Erkärung dieses Phänomens nachgedacht - und bin sogar (für mich) zu einer einigermaßen logischen Erklärung gekommen - aber diese werde ich später posten - wenn sich der Thred entwickelt hat.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und was das Eigenartige dabei ist: Wenn man den Gesamteindruck auf sich wirken lässt wirkt all dieses - von Ausanhmen abgesehen - vollkommen natürlich.


    Das ist sicher falsch. Wer eine Opernaufführung für völlig natürlich hält, war wohl schon lange nicht mehr in der Natur.


    Man wählt die Aufführung aus dem Spielplan, freut sich auf den Abend, setzt sich vielleicht nochmal mit dem Werk auseinander und hört Schlüsselstellen in herausragenden Interpretationen, man zieht sich dem Anlass entsprechend festlich an, ist rechtzeitig da, liest das Programmheft, nimmt Platz, riecht das Eau-de-Parfum der Nachbarin und sieht die Schließe der Perlenkette der Dame, die vor einem sitzt, das Orchester spielt sich warm, das Orchester stimmt, das Licht geht aus, der Maestro erscheint, höflicher Applaus, los gehts, Ouvertüre, ggf. Applaus, der Vorhang hebt sich, ein künstliches Bühnenbild wird sichtbar.


    Der Text ist künstlich (im Sinne von Kunst), die Musik ist künstlich, das Handwerk der Beteiligten im Orchestergraben und auf der Bühne ist künstlich, die Beleuchtung ist künstlich, die Kulissen sind künstlich. Alles ist künstlich, es kommt nur darauf an, dass die Puzzleteile gut zusammen passen.


    Mme. Cortese hat in einem anderen Thread kürzlich gesagt, die Oper vor 100 Jahren wäre das, was das Kino heute ist - nicht ganz ohne Recht. Ich würde noch weiter gehen: Die Oper vor 100 Jahren war das, was virtuelle Welten mit ihren Rollenspielen heute sind. Man taucht ein in eine andere künstliche Welt, die man ungeachtet ihrer Virtualität als real empfindet. Dennoch ist klar, dass dies künstlich ist.

  • Leider kann ich erst heute abend ausführlicher antworten - wenn der Thread bis dahin nicht schon írgendwohin abgedriftet ist.


    Zitat von Wolfram -Hervorhebungen von mir:

    Zitat

    Man taucht ein in eine andere künstliche Welt, die man ungeachtet ihrer Virtualität als real empfindet


    GENAU DAS ist es was ich meinte - und vielleicht ein wenig ungeschickt formuliert habe. Die - zweifellos vorhandene - Künstlichkeit wird ab irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr bewusst wahrgenommen, bzw verdrängt.
    Anders wäre es meines Erachtens gar nicht möglich, daß Leute vom Gesehenen "erschüttert" oder "mitgerissen" werden....



    Zitat

    Mme. Cortese hat in einem anderen Thread kürzlich gesagt, die Oper vor 100 Jahren wäre das, was das Kino heute ist


    ABSOLUT richtig ! Und ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, daß dies auch heute noch so wäre - hätte nicht das Regietheater alles zerstört. (diese persönliche Meinung von mir, sollte hier aber nicht ausdiskutiert werden, da gibt es andere Threads dazu)
    Der Höhepunkt in Richtung "Oper als Ersatz fürs Kino" dürfte mit Zeffirelli, Hampe und Schenk erreicht worden sein, welche sich bemühten mit unterschiedlichen Mitteln Operninhalte so realitätsnah wie nur irgend möglich zu vermitteln.


    Eigenartigerweise hat "Oper als Opernfilm" bei mir immer versagt - Oper gehört auf die Bühne.


    Aber - auch wenn ich selbst hier ein wenig vom eigenlichen Thema abgewichen bin, so darf ich dennoch in Erinnerung rufen, daß hier das Phänomen der nicht vordergründig wahrgenommenen Künstlichkeit steht - obwohl es kaum etwas künstlicheres geben kann, als Handlung mit Gesang...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich werfe mal diesen Gedanken in die Debatte: viele Leute verachten die Oper und machen sie lächerlich ("Oper ist, wenn er rauf singt, dass sie runter kommen soll"). Die gleichen Leute gehen ins Theater, sehen einen Schwank im Fernsehen oder eine soap-opera oder einen Actionthriller. Da ist die Künstlichkeit ebenso mit Händen greifen. Ich glaube, wir wollen fremde Welten und Schicksale sehen, in welcher Form auch immer. Und da finde ich die Oper imer noch die umfassendste Kunstform, um Geschichten zu erzählen. Und das Ganze hat mit Emotionen zu tun: eine Geschichte ohne Gefühle ist tot.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)