Wege aus der Regietheaterkrise - konstruktiv

  • Wir stecken fest in unseren Diskussionen. Die einen möchten nur Regietheater, die anderen nur librettotreues Theater. Lasst uns doch mal überlegen - jenseits aller Berechtigungsdebatten, die wir nun wirklich bis zum Erbrechen geführt haben - wie wir aus diesem Dilemma rauskommen.


    Ich glaube, keiner wird bestreiten, dass das Theater festgefahren ist. Wir haben es manchmal mit Inszenierungen zu tun, wo man sich nur noch fragt: "Was soll das?" Librettotreues Theater gibt es in Neuinszenierungen gar nicht mehr. Manchmal gibt es halbherziges Regietheater. Dann die totale Brechstange. Dann gibt es noch den komischen Mischmasch aus Regietheater und librettotreu, s. Rusalka in Bonn. Ist letzteres vielleicht die Lösung? Für mich persönlich nicht.


    Wäre es nicht möglich, dass ein Intendant wirklich mal Farbe bekennt und sagt: "Ich biete in der kommenden Spielzeit vier Neuinszenierungen in altem Stil, wo wenn Wald im Libretto steht auch ein Wald zu sehen ist und vier Neuinszenierungen, die komplett neue Sichtweisen eröffnen." Wäre das ein Weg? Wie ich schon bei "Oper auf deutsch sagte", das Abendland wird nicht untergehen, wenn mal wieder ab und an Opern in deutscher Sprache und auch mal wieder librettotreues Theater gegeben würde. Vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit ein und dasselbe Stück einmal modern und einmal traditionell zu geben, s. Ring in St. Petersburg oder Hänsel in Oldenburg. Was meint Ihr dazu?


    Was habt Ihr für Vorschläge? Und ich bitte jetzt hier, nicht schon wieder die Endlosdebatte zu starten, was librettotreues Theater und was Regietheater ist. Das artet immer wieder nur in Spitzfindigkeiten aus und es ist doch eigentlich jedem klar, was gemeint ist.

  • Zitat

    Die einen möchten nur Regietheater, die anderen nur librettotreues Theater.


    Ich will weder das eine noch das andere - ich will gutes Theater.

  • Da bist Du hier richtig. Es geht aber hier darum , Wege auzuloten, wie man an gutes Theater kommt. Oder bist Du mit der derzeitigen Theatersituation zufrieden?

  • Zitat

    ich will gutes Theater.

    Da gebe ich dir recht. Aber für mich ist gutes Theater dann gegeben, wenn der Regisseur Ort, Zeit und Handlung nicht transponieren muss, um daraus etwas machen zu können, was meist nicht gelingt, sondern wenn er in der Lage ist,die Gegebenheiten des Librettos beizubehalten und dennoch versteht, daraus etwas Spannendes zu erstellen. Und da sind eben auch manche "konventionellen" Inszenierungen dilettantisch. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Regisseure nicht mehr inszenieren können, ohne die Handlung zu demolieren. Schon wenn im Text von etwas ganz anderem die Rede ist, als es im Bild dargestellt wird, wenn z.B. Römer nicht mehr Römer sein dürfen und Rom irgendwo in Asien liegt, wenn ich ein Waldvöglein in kurzem Röckchen und Stöckelschuhen mit Bierflasche in der Hand über die Bühne laufen sehe (ich könnte eine Menge solcher total abwegiger Dinge nennen), dann ist das für mich schlechtes, ja miserables Theater. Man hat oft den Eindruck, dass manche Regisseure nicht mehr über die Nazizeit hinaus zurückdenken können, also die Zeit davor in ihrem Wissen nicht mehr existiert.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Deshalb freue ich mich am Freitag auf den Falstaff in Düsseldorf , in einer richtig schönen altmodischen Inszenierung von Michael Hampe. Da haben die Sänger noch Kostüme an, die auch zur der Zeit passen in der die Oper spielt. Wenn ich Regie führen würde, würde ich ein Stück immer so inszenieren, das derjenige der in der Oper war jemanden der das Stück nicht gesehen hat ohne Schwierigkeiten die Handlung nacherzählen kann. Letzten Sonntag habe ich mir auf CNBC Europe Don Giovanni aus Madrid aufgenommen. Zum einen waren die Sänger hervorragend und zum anderen war es eine ganz wunderbare Inszenierung, die die Geschichte erzählt hat ohne sie zu " verfremdeln " , und es gab auch so was wie Personenregie.

  • Deshalb freue ich mich am Freitag auf den Falstaff in Düsseldorf , in einer richtig schönen altmodischen Inszenierung von Michael Hampe. Da haben die Sänger noch Kostüme an, die auch zur der Zeit passen in der die Oper spielt. Wenn ich Regie führen würde, würde ich ein Stück immer so inszenieren, das derjenige der in der Oper war jemanden der das Stück nicht gesehen hat ohne Schwierigkeiten die Handlung nacherzählen kann. Letzten Sonntag habe ich mir auf CNBC Europe Don Giovanni aus Madrid aufgenommen. Zum einen waren die Sänger hervorragend und zum anderen war es eine ganz wunderbare Inszenierung, die die Geschichte erzählt hat ohne sie zu " verfremdeln " , und es gab auch so was wie Personenregie.


    OFF-Topic: Ui, danke für den Tipp!!!! Da kaufe ich mir doch gleich noch eine Karte:-)



    Und dann wieder zum thema: Für mich verhält es sich genauso wie für Gerhard. Aber es gibt ja nun auch die andere Fraktion. Ich frage daher, ob es nicht irgendwie möglich ist, beiden gercht zu werden. Hampe hat das damals in köln geschafft. Aber ich finde, heute macht das keiner mehr. Was also tun?

  • Wäre es nicht möglich, dass ein Intendant wirklich mal Farbe bekennt und sagt: "Ich biete in der kommenden Spielzeit vier Neuinszenierungen in altem Stil, wo wenn Wald im Libretto steht auch ein Wald zu sehen ist und vier Neuinszenierungen, die komplett neue Sichtweisen eröffnen." Wäre das ein Weg?


    Das wäre auf jeden Fall ein Weg! Ich meine, dass die schiere Überzahl der verfremdenden Inszenierungen ein Problem an sich darstellt.


    Aber für mich ist gutes Theater dann gegeben, wenn der Regisseur Ort, Zeit und Handlung nicht transponieren muss, um daraus etwas machen zu können,


    Ja ... also, wenn Murray Perahia Zeit und Ort von Bachs, Mozarts, Beethovens Musik auf den Steinway des 20. Jhds. transponiert, gefällt mir das aber ... aber das ist fast schon wieder off topic. :stumm::D

  • Das Problem ist das die meisten Intendanten bei der Auswahl der Regisseure darauf aus sind , die Jugend in die Theater zu holen, und die wollen natürlich
    " Sex and Crime ". Und ein Opernhaus wie das Aalto Theater in Essen, das nur nur auf Premierenskandale aus ist und wo es schon lange keine vernünftigen Inszenierungen gibt, wird immer Opernhaus des Jahres in NRW. Ich bin ja schon froh wenn es in der heutigen Zeit überhaupt Requisiten auf der Bühne gibt, denn die meisten Inszenierungen sind ja so minimal wie möglich gehalten.

  • Regie oder Regisseurstheater?


    Diesen Beitrag habe ich schon in unterschiedlicher Form gepostet, ohne merkliche Resonanz.
    Meine Thesen sind diese:
    1. Das Regisseurstheater( so sage ich lieber) scheint ein Problem der großen Häuser und der großen Städte zu sein, samt der dazugehörigen Großkritiker. In der reichhaltigsten Opernlandschaft der Welt, dem Rhein- Ruhrgebiet, ist es ein Randproblem.
    2. Es kommt immer auf die einzelne Inszenierung an


    Beweis: ich liste jetzt mal fast alle Inszenierungen auf, die ich in den letzten 2 Spielzeiten gesehen habe.


    Verunglücktes Regisseurstheater: Rusalka (Dortmund), Salomé, Louise, Eugen Onegin, Tosca (nur zum Teil) (alle in Düsseldorf)


    Normales, gutes Regietheater mit modernen Elementen, aber ansehbar: Viva la mamma, Pique Dame (beide Krefeld), Trittico (Düsseldorf und Dortmund), Der junge Lord (Dortmund), Die Liebe zu den drei Orangen, Die Lustigen Weiber von Windsor, Mefistofele (alle Gelsenkirchen)


    Musikalisch und szenisch große Oper (mit modernen, aber dezenten Elementen):
    Peter Grimes und Billy Budd (Düsseldorf), Brittens Gloriana (Gelsenkirchen), Cosi fan tutte (Duisburg. Hier hat Nicolas Brieger das Kunststück fertig gebracht, aus einer komischen Oper eine seria zu machen!), Hercules (Essen), Julius Cäsar (Düsseldorf), Griechische Passion von Martinu (Wuppertal), Tote Stadt (Gelsenkirchen, Les Paladins und Platée von Rameau (Düsseldorf) und meine Lieblingsinszenierung, Katja Kabanowa in Münster. Diese fand ich beispielhaft: eine moderne, schlichte Inszenierung, die die Musik in den Vordergund stellte; eine neugeschaffene deutsche Übersetzung; ein vorzüglicher Dirigent mit einem engagierten Orchester; besonders aber junge wunderbare Sänger, die auch schauspielerisch überzeugten.


    Für mich ist also die Bilanz der letzten zwei Jahre überwältigend positiv. Das heißt natürlich nicht, dass ich die vielen Regisseurstheaterverhunzungen schätze, die hier ja beschrieben werden. Erlebt davon habe ich aber nur wenige!


    Am Schluss möchte ich noch ein witziges und gelungenes Beispiel anführen, wie ein moderner Regieeinfall, der sogar gegen die Partitur geht, sehr sinnvoll sein kann.
    In "Viva la mamma" von Donizetti geht es Probleme und Intrigen einer Operntruppe, die nach Krefeld kommt (Einfall 1, kann man akzeptieren). Proben, Querelen, schöne Musik. Plötzlich wird bekannt, dass die Stadt keinen Zuschuss gibt, die Aufführung also platzen wird. Jetzt kommt der Haupteinfall:
    die Sänger verlassen die Bühne, mitten in ihren Arien.Während des Nachspiels verlassen die Musiker nach und nach ihre Plätze (fast wie bei Haydn in der Sinfonie Nr. 45), und auch der Dirigent geht. Chaos und Disharmonie am Schluss. Ein Einfall, der nicht nur für dieses Stück sinnvoll war, sondern auch einen deutlichen Zeitbezug hat, denn die Krefelder Oper operiert immer am Rande des Konkurses.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Hallo Dr. pingel,
    ich habe Cosi fan tutte in Düssedorf gesehen und fand die Inszenierung nur langweilig. Und genau deshalb weil wie du geschrieben hast Herr Brieger, wie so viele Regisseure, dem komischen nicht trauen und daraus eine Opera Seria gemacht hat. Schon in der Pause gab es eine Völkerwanderung nach Hause, obwohl die Premiere ausverkauft war. Und dazu kam noch das unnötige " rumhampeln " der Sänger, wodurch einige Arien leider zerstört wurden. Eine der besten Inszenierungen diese Spielzeit war der Mefistofele in Gelsenkirchen und der Billy Budd in Diüsseldorf.

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  • Was mich erschreckt, das sind so Formulierungen, wie "aber ansehbar". Das zielt nämlich genau auf das, was ich meine: Das Theater steckt in einer Krise. Die Zuschauer arrangieren sich mehr oder weniger. Doch wo bleibt die Begeisterung???? Wo??? Die mir völlig zuwider angelegte "Rusalka" in München (Brech) sorgt vielleicht vereinzelt für Kniefälle, aber so ein gemeinschaftliches: "Das finden wir alle oder zumindest der größte Teil einfach genial!" - gibt es das noch? Ich finde, das Theater stagniert und da helfen auch keine Krawallinszenierungen, die zur Premiere die Presse auf den Plan rufen und die dann im normalen Repertoirebetrieb die Zuschauersäle veröden lassen.

  • Was mich erschreckt, das sind so Formulierungen, wie "aber ansehbar". Das zielt nämlich genau auf das, was ich meine: Das Theater steckt in einer Krise. Die Zuschauer arrangieren sich mehr oder weniger. Doch wo bleibt die Begeisterung???? Wo??? Die mir völlig zuwider angelegte "Rusalka" in München (Brech) sorgt vielleicht vereinzelt für Kniefälle, aber so ein gemeinschaftliches: "Das finden wir alle oder zumindest der größte Teil einfach genial!" - gibt es das noch? Ich finde, das Theater stagniert und da helfen auch keine Krawallinszenierungen, die zur Premiere die Presse auf den Plan rufen und die dann im normalen Repertoirebetrieb die Zuschauersäle veröden lassen.


    Aber in Essen funktioniert das ganz wunderbar. Die Premieren sind immer voll, und die Kritiker berichten dann von den Premieren, ganz besonders mein Freund von " der Opernfreund " Herr Bilsing, der nur positive Kritiken schreibt. Die ersten beiden Folgevorstellungen sind dann noch gut besucht, aber das Haus ist bei späteren Aufführung gähnend leer und ich war teilweise ganz alleine auf dem 2. Balkon und konnte dann ins Parkett wechseln. Aber bei den Kritkerumfragen schneidet das Aalto Theater immer sehr gut ab.

  • Verehrter Herr Doktor -


    als gebürtiger Krefelder war ich sehr gerührt über Ihren obigen Beitrag.


    Ich begrüße zudem diesen Thread, weil er der Diskussion eine konstruktive Richtung gibt.


    Als "meinen Senf" möchte ich zunächst bloß einmal die Debatte aus folgendem Blickwinkel aufzäumen:


    Wir bezahlen Politiker weit über Gebühr, damit sie Arbeit gut machen (was hatte das noch mit Regietheater zu tun? :stumm: )


    Wir unterhalten auf Staatskosten Autobahnen, deren Instandhaltungsaufwand aus einer allgemeinen PKW-Maut bis heute nicht erfolgt (und zwar allein auf Druck der Atomobil-Lobby und aus Angst um Wählerstimmenverluste).


    Wir haben bis vor kurzem AKWs privat betreiben lassen, ohne die erheblichen Folgekosten in die Gewinnrechnung der Betreiber zu stellen.


    Ich könnte lange damit fortfahren. Ich gehöre zu den Menschen, denen nicht beizubringen ist, wieso Schwimmbäder, Krankenhäuser oder Stadttheater "wirtschaftlich" betrieben werden müssen, wenn das noch nicht einmal für Landesbanken, Kraftwerke oder Automobilkonzerne gilt, für die Milliardenbeträge an verdeckter Subvention, genannt "Förderung", erlassenen Steuern oder sogenannte "Bad-Bank"-Konstruktionen zu Verfügung stehen.


    Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird uns vorgeführt, wie der Blick auf TED und Zuschauerzahlen jenseits wirtschaftlicher Zwänge aus der gebotenen Form der Darbietung (leicht faßliche Fersehspiele) einen Inhalt macht (Rosamunde Pilcher). Innerhalb dieser Dialektik empfindet man die epidemischen TV-Krimis als notgeborne Tugend, da unsere Maßstäbe anspruchsvoller Fernsehunterhaltung auf dem Goldgrund des Traumschiffs und der Schwarzwaldklinik gewonnen werden.


    Ich schreibe all dies, um die Entscheidung über die Opernregiekonzepte aus der unseligen Wirtschaftlichkeitsdiskussion zu lösen. Denn die heute zunehmend gestrichenen Subventionen kamen dem Abonnements-Opernbetrieb etwa der Hampe-Ära noch voll zugute.


    Privat finanzierte TV-Sender lassen sich alle auf Super-RTL-Niveau eindampfen, oder Hofberichterstattung à la Bibel-TV (da finanziert der Vatikan; aber die Zuschauerzahlen und das Zielpublikum verschaffen dem Sender keine Mercedes-Spots, sorry).


    Es ist ein Unding, zu behaupten, das Regietheater schade der Gattung "Oper" wirtschaftlich, als sei das Überleben der Gattung ein Problem kultureller Vermittlung. Ich wertschätze durchaus die Philantropie dieses Arguments, kann aber seine Naivität nicht übersehen.


    Die Oper ist innerhalb der Bühnenkünste ein besonders lebensunfähiger Patient, eine Art Spätgeburt, die nur im Brutkasten liebevollster Aufpäppelung das Licht der Welt erblickt. Freunde der Oper, laßt euch gesagt sein: Eure Entrées werden nie reichen, die Oper bezahlbar zu machen, und sie haben auch noch nie dazu ausgereicht. Ihr seid einfach nicht zahlreich, noch zahlkräftig genug.


    Zudem hat das Kino die Bühnenwelt nahhaltig erschüttert, beeinflußt und verändert, kaum anders als die Photographie die Malerei. Die gewandelten Sehgewohnheiten im Zeitalter komplexester Bilderfluten kann man nicht einfach rückgängig machen, indem man der Partei gegen die Abstraktion in der Malerei beitritt und behauptet, die Rückkehr zur vorimpressionistischen Akademik werde dem Ölbild wieder zu seiner einstigen Bedeutung verhelfen.


    Die Muikclips bei MTV usw. sollten deutlich machen, wie sich das junge Zielpublikum Musik illustriert vorstellt. - Ja, aber zu Hans Mosers Zeiten, da wurden noch richtige Geschichten erzählt, werdet ihr sagen.


    Und ihr werdet sagen: No "taxation without representation" und damit an eine Zeit erinnern, als die Beharrungskräfte in den Gesellschaften noch mit der zahlkräftigen oberen Mittelschicht zusammenfielen. Aber unsere Gegenwart macht ja überdeutlich, daß die gestrichenen öffentlichen Mittel nicht zu einer Reetablierung alter Regiekonzepte führen. Euer zynisches Argument, das Regietheater sei ein Kind gedankenloser Subventionen und damit eine Seifenblase, bringt nun den Traum vom Operntheater selber zu Platzen.


    Ohne die Leidenschaft der unmittelbar Ausführenden wird es niemals eine Oper auf der Bühne geben. Die Kausalität, die sich das Publikum in manchen der konservativen Beiträgen hier anmißt, ist dagegen etwas hoch gegriffen.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Die Kausalität, die sich das Publikum in manchen der konservativen Beiträgen hier anmißt, ist dagegen etwas hoch gegriffen.


    :hello:

    Ach komm schon farinelli, das ist bei Euch nicht anders. Sei ehrlich. Und darum sollte es hier in diesem Thread auch mal ausnahmsweise nicht gehen. Auch, wenn es mich jucken könnte, auf Dein "Ihr würdet sagen" und die folgenden Vokabeln mit voller Breitseite zu ballern. ABER: darum soll es hier eben nicht gehen.


    Ich schreibe all dies, um die Entscheidung über die Opernregiekonzepte aus der unseligen Wirtschaftlichkeitsdiskussion zu lösen. Denn die heute zunehmend gestrichenen Subventionen kamen dem Abonnements-Opernbetrieb etwa der Hampe-Ära noch voll zugute.


    Es ist ein Unding, zu behaupten, das Regietheater schade der Gattung "Oper" wirtschaftlich, als sei das Überleben der Gattung ein Problem kultureller Vermittlung. Ich wertschätze durchaus die Philantropie dieses Arguments, kann aber seine Naivität nicht übersehen.


    Es ist aber auch Fakt, was rodolfo schreibt. Und ich kann dazu beitragen, dass Hampe auch schon mit jeder neuen Spielzeit sein Lamento begann, dass er kaum mehr Oper machen könne, weil die Subventionen ständig gekürzt wurden. Der Niedergang von Köln begann nach ihm mit Krämer und seiner radikalen Spielplangestaltung: Die Besucherzahlen stürzten innerhalb einer Spielzeit ab in den Keller. Die Abonnements wurden zu über 90% gekündigt. Und als Grund wurde überwiegend angegeben, dass es nur noch modernes Theater gebe.


    Und um wieder zum Sinn und Zweck dieses Threads zu kommen: Was sind deine Vorschläge aus dem momentanen Dilemma? Oder vielleicht empfindest du es ja auch gar nicht als Dilemma. Dann erübrigt sich`s eh. Ich finde das Theater jedenfalls derzeit gähnend ÖDE!

  • Also ich denke, um aus der festgefahrenen Theater-Misere zu kommen, müssten die Intendanten erstmal einsehen, dass es nichts bringt Regietheater unaufhaltsam in Monokultur zu produzieren. Dazu gehört v.a. meherere unterschiedliche Regiestile in ihren Opernhäusern zuzulassen. So sollte man bei 6 Neuproduktionen pro Saison 3 völlig klassisch (gerne auch à la Zeffirelli oder Schenk) und den Rest vielleicht auch etwas moderner inszenieren. Bei Letzteren sollte dies aber so erfolgen, dass zum einen weder das Publikum mit Blut,Gewalt,Exhibiotionismus&Co belästigt wird, noch dass das Werk völlig umgeschrieben wird bzw. Eingriffe in die Partitur über sich ergehen lassen muss. Es muss auf den deutschen Opernspielplänen wieder eine Vielfalt geben, die ermöglicht jedem Opernfreund nach seinem Geschmack auszuwählen!


    :hello:


  • Ich zitiere mich jetzt mal selbst, weil ich den Eindruck habe, dass die Diskussion viel zu allgemein ist oder nur auf wenige Beispiele sich beschränkt.


    1. Zur Kritik an "ansehbar": dies bezieht sich nur auf die optische Seite! Die musikalische Seite dieser Inszenierungnen war meist vorzüglich, sodass es insgesamt ein gelungener und kein verlorener Opernabend war. Ist das nichts? Es ist auch nicht alles, aber es kommt ja noch mehr.


    2. Cosi fan tutte (Düsseldorf) ist auch bei mir strittig, und manches Herumgeturne war überflüssig. Aber wollen wir zur albernen Verwechslungskomödie zurück? Auch hier war die musikalische Seite in Duisburg, vor allem mit Christina Dietzsch als Fiordiligi, absolut überragend, also auch kein verlorener Opernabend.


    3. Daneben habe ich 10 Inszenierungen genannt, die bei der Kritik, beim Publikum und hier im forum hervorragend angekommen sind. Darüber würde ich gerne von den hier ansässigen Taminos doch mal was hören. In denBeiträgen werden einzelne Inszenierungungen kaum genannt.


    4. Ich warte immer noch auf eine Antwort auf meine These, dass das Regisseurstheater ein Problem der großen Städte und ihrer Großkritiker ist und wir hier im Rhein-Ruhrraum davon nur am Rande betroffen sind (typischerweise sind hier die üblichen Verdächtigen die großen Städte Düsseldorf und Essen). Noch konkreter: mein Lieblingshaus Gelsenkirchen hat mit Regisseurstheater überhaupt kein Problem, obwohl es dort auch moderne Inszenierungen gibt, die ich oben aufgezählt habe.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich denke mal das Problem bei den klassischen Inszenierungen wird sein, das diese einfach zu teuer sind für die Opernhäuser. Bei den modernen Insz enierungen habe ich manchmal den Verdacht, das die Sänger ihre Private Kleidung anhaben. Ich würde auch 3 oder 4 Premiere klassisch inszenieren und den Rest modern und hinterher abstimmen lassen per Internet oder Flyer die man in Boxen werfen kann die in dem Opernhaus stehen. Gelsenkirchen hat sich auch zu meinem Lieblingsopernhaus entwickelt, obwohl die mit den Eintrittspreisen ganz schön angezogen haben. Mein Stammplatz in Gelsenkirchen hat vorher 7,50 Euro gekostet und kostet jetzt 10 Euro. Ich sitze dort immer Tür 17 linke Seite erste Reihe. Die Premieren dort sind leider nur durchschnittlich besucht. Ich habe es noch nie erlebt das das Haus ausverkauft war und der 2. Rang ist auch immer spärlich besetzt.

  • hinterher abstimmen lassen per Internet oder Flyer die man in Boxen werfen kann die in dem Opernhaus stehen, was dem Publikum besser gefallen hat.


    Lustig ... ich stelle mir das nach einem Abend mit lauter Uraufführungen vor ... wodurch mir umso deutlicher wird, wie unrealistisch dieser Vorschlag ist.

  • Wieso unrealistisch ? Es braucht ja nur ein einfacher Flyer zu sein wo drauf steht : Hat ihnen die Inszenierung gefallen ja oder nein ? Und am Ende der Spielzeit wird dann ausgewertet wer mehr Stimmen bekommen hat. Und die Anzahl der Uraufführungen hält sich auch in Grenzen.

  • Naja, gerade wenn es sich in Grenzen hält, wird es unrealistisch.
    Man stelle sich ein Konzert vor mit 2 Uraufführungen und nachher soll das Publikum abstimmen, welches Stück besser war.
    :wacko:

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  • Bei den modernen Insz enierungen habe ich manchmal den Verdacht, das die Sänger ihre Private Kleidung anhaben


    Genauso ist es, lieber Rodolfo. So kam es mir bei der "Dresdener Boheme" und ebenso bei der "Görlitzer Traviata" vor. Deine Gedanken und Vermutungen teile ich voll und ganz. Die Klamotten zum Tragen zu unmodern und etwas leicht schäbig, aber für den Altkleider- Container noch zu schade.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY
    PS.: Mit Dir ( und Gerhard, m.- joho, Wolfgang, Erich, Fritz, Knuspi, Figarooo, Dr. Pingel und, und, und...) würde ich gerne mal gemeinsam in die Oper gehen. Mit allen, die auf einer Wellenlänge sind. Ich glaube, wir könnten uns wunderbar austauschen, die ärgerlichen Dinge mal richtig mit Humor nehmen und uns anschließend bei ein paar Bierchen köstlich amüsieren.

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Bei den modernen Inszenierungen habe ich manchmal den Verdacht, daß die Sänger ihre private Kleidung anhaben.


    Bis zur Callas war es sehr üblich, daß die Sänger ihre Kostümgarderobe maßgeschneidert selbst finanzierten, nie aus der Hand gaben und natürlich immer wieder verwenden durften - was, bei ungefährer historischer Korrektheit der Szenerie, auch nicht ganz so problematisch scheint, wie es vielleicht klingt.


    Natürlich sind historische Inszenierungen, die auch naturalistisch (und nicht ab den Requisiten stilisiert) sein wollen, extrem teuer, zumal, wenn jeder Regisseur alles jedesmal neu haben möchte. Ich erinnere an Cosimas Bayreuther Mottenkiste, wofern nur des Meisters Auge darauf geruht hatte (das war u.a. sparsam). Das andere Extrem dürfte Verdis Erwägung sein, nach der Uraufführung des Requiems sogar die Noten zu vernichten. - Eine dritte möglich Extremposition wäre in Ludwigs II. privat finanzierten Privatvorstellungen zu sehen.


    Vielleicht sind wir tatsächlich zu unbescheiden geworden, um uns mit Jahrzehnte über geflickten Inszenierungen (und etwas Figurenrücken vom Regisseur) zu begnügen. - Dennoch ist eine kostspielige, doch trotzdem transitorische Bühneneinrichtung auch ein Ausdruck von ruinösem Luxus wie die Versailler Gartenspektakel. Das paßt halt v.a. nicht ins gegenwärtige, idealismusfeindliche und von trocken ökonomischen Erwägungen diktierte Kulturverständnis.


    Pracht, die (den Zuschauer) nix kost´ - voilà le cinéma!


    Mit einer hier mehrfach vorgeschlagenen Quotenregelung könnten vermutlich viele, ich eingeschlossen, gut leben. Sonst bleibt´s, fürchte ich, wie bei den Damen in Führungspositionen, beim Lippenbekenntnis. Es geht ja auch um eine Imagekampagne, da die unverstellte Inszenierung gewißlich an Reputation und noch mehr an Üblichkeit eingebüßt hat.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Gelsenkirchen hat sich auch zu meinem Lieblingsopernhaus entwickelt, obwohl die mit den Eintrittspreisen ganz schön angezogen haben. Mein Stammplatz in Gelsenkirchen hat vorher 7,50 Euro gekostet und kostet jetzt 10 Euro. Ich sitze dort immer Tür 17 linke Seite erste Reihe. Die Premieren dort sind leider nur durchschnittlich besucht. Ich habe es noch nie erlebt das das Haus ausverkauft war und der 2. Rang ist auch immer spärlich besetzt.


    Alternativ dazu auf der anderen Seite Tür 16! Irgendwo da sind wir uns schon bestimmt begegnet. Aber du musst zugeben, dass auch 10 € erschwinglich sind für die tollen Opern, die man da spielt. Dazu kostet das Programmheft (im Gegensatz zu Düsseldorf: 4€) garnix und man versteht alles, was dort steht; die Garderobe ist frei und alle Angestellten sind total freundlich, da es ihr Haus ist und sie nicht von einem Service (wie Kötter in Essen) kommen. Dazu sind die Getränke preiswerter, und an Beifall lässt es der Düsseldorfer eher fehlen als der Ruhrgebietler. Ansonsten ist das Haus tatsächlich zu groß, das hat man damals verplant; wobei es architektonisch einer der schönsten Theaterbauten in Deutschland ist.


    Ein Grund, warum modernes Regisseurstheater in Gelsenkirchen nicht läuft, ist der, dass wir Ruhrgebietler gute Kunst sehen wollen, aber kein abgehobenes Zeug, und dass es hier anders als in Essen und Düsseldorf keine Schicki-Micki-Szene gibt. Ich würde deinen Namen auch gerne mal auf der Freundeskreis-Stele lesen, wo meiner schon seit Jahren steht, eine Ausgabe (40 €), die zur Erhaltung einer UNESCO-Weltkulturerbe- würdigen Institution wahrlich beiträgt: dem deutschen Stadttheater. Auch da liegt der Hund des Regisseurstheaters mitbegraben.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Hallo,


    ich beziehe mich auf den Beitrag Nr. 13 von farinelli:


    Es müsste eigentlich schon allgemein aufgefallen sein:


    Die Globalisierung, der Neokapitalismus (Beides vom "Großen Teich" rübergeschwapp!)und "Schwarz-Gelb" bewirken langsam aber stetig einen Kulurverfall.
    Ganz wenige Beispiele (die fast endlos fortgesetzt werden könnten):


    Anstatt sich vom Niveau der Privatsender positiv abzugrenzen, setzten die "Öffentlich- Rechtlichen" (man sehe sich einmal an, wer da das Sagen hat!) genau auf deren Niveau, der Quoten wegen.


    Wer den ZDF-Theaterkanal von früher kennt und nun mit dem Nachfolger ZDF-Kultur vergleicht - noch Fragen?


    Die "Event-Gesellschaft": Massen müssen her! Das vor ca. 20- 25 Jahren hier in Nürnberg installierte "Bardentreffen", anfangs meist ohne Verstärker, Bühnentechnik, Lichtorgeln usw., brachte z. T. gute Musik jenseits von Klassik. Seit mind. ca.10 Jahren - Menschentrauben quälen sich durch die Altstadt, aus den Lautsprechern plärrt das Gedudel - nicht mal mehr ein müder Abklatsch von der eigentlichen Idee.


    Die "Reform" der Studiengänge - Bachelorabschluss! Masse muss her, um auf einem "Niveau" anderer im Vergleich einbezogener Staaten der Studienabschlüsse mithalten zu können.
    usw.usw.usw.usw.usw..........


    Es gibt noch den "Fränkischen Sommer", abgespeckt, nicht von der Qualität, aber es reduziert sich meist auf kleinste Gruppen und auch das nur, weil der Bezirk noch - immer weniger - sponsert (und wirtschaftlich Interessierte, der Werbung wegen).


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Unabhängig davon, dass ich auch mit Euch liebend
    gerne mal in eine Vorstellung gehen würde, muss ich den Kostenvergleich
    doch etwas korrigieren: Es gibt durchaus auch immens teure
    Regietheaterinszenierungen. Die Ekel-Rusalka in München....Hallali oder
    der Hoffmann in Düsseldorf - da leppert sich schon was zusammen. Auch
    der Tannhäuser in Wien - Heidewitzka, da wurde geklotzt. Es gibt ja
    mittleweile auch Regietheaterinszenierungen, die naturalistisch en
    detail Zeitkolorit wiedergeben, wenn auch nie passend zum Libretto: Seht
    Euch den prächtigen Siegfriedwald beim Salzburger "Don Giovanni" an
    oder die detailgetreue Tankstelle beim Berliner (?, ich erinnere mich
    nicht mehr genau, wo, weil verdrängt) Giovanni. Oder die Großküche bei
    der Kölner Salome. Das war Naturalismus pur. Also, es ist nicht per se
    so, dass Regietheater preiswerter ist.


    Wenn das traditionelle
    Theater allerdings wieder zu gemalten Kulissen zurückkehren würde, dann
    würde das den Etat immens senken - und im Gegenzug auch noch das
    Repertoire vergrößern: Weniger Kosten bei der Produktion, bei der
    Lagerung bzw. beim Transport, geringere Umbauzeiten, dadurch wieder
    mehrere Vorstellungen am Tag. Aber ich befürchte, dass ich mit dem
    Vorschlag wenig begeistern kann. Ich persönlich liebe ja gemalte
    Kulissen, genauso wie deutsch gesungene Oper:-) Wobei: Wenn im Bolshoi
    der Vorhang aufging wurden die gemalten Bühnenbilder immer beklatscht.
    Also, warum traut sich das hierzulande nicht mal wieder einer? Es ist
    genau das, was ich meine: alles ist so einseitig geworden im Theater. So
    festgefahren. Gähn, schon wieder ein Skandal. Kennt man ja schon.
    Interessiert das wirklich noch einen? Nachhaltig? Wo bleibt die Freude
    mit Sehweisen zu spielen? Die ganzen Theatergeheimisse? Das ganze
    Wissen? Wieso schöpft da keiner aus den Vollen? Wir haben doch heute
    wirklich alle Möglichkeiten und heraus kommt meist lauer Kaffee.


    Ich
    denke, Figaroo hat es auf den Punkt gebracht: Weg von der Monokultur!
    Ich bin mal gespannt, wann ein Intendant das mal offen auf die
    Spielzeitfahne schreibt.Ich muss ehrlich zugeben, dass das Regietheater
    dann auch mal wieder Reiz für mich hätte - so einmal alle ein, zwei, drei, fünf Jahre;-) Man verzeihe mir die kleine Bosheit am Ende.

  • Beginnen wir mal zu überlegen wirin denn die Krise des Theaters eigentlich besteht. Sinkende Besucherzahlen. Zu hohe Personalkosten ? Zu hohe Kosten für die Ausstattung ? Mangel an Ideen ?


    Beginnen wir mit der These, die Kosten der Ausstattung wären zu hoch. Und so dürfte in der Tat alles begonnen haben.
    Als die teuren Kostüme und Bühnenbilder unbezahlbar erschienen, wechselte man sie einfach in "Straßenkleidunge, Turnanzüge und Restbeständen nicht gebrauchter Uniformen aus. Bühnenbilder wurden durch beliebige Wände Treppen und stets umbaubare Stahlrohrgerüste ausgetauscht. Bedauerlicherweise lässt sich damit kein Palazzo des 16. Jahrhunderts darstellen.


    Man musste sich etwas einfallen lassen. Also hat man den Opern andere Inhalte und anderen Kontext unterschoben.
    Anfangs noch politisch extrem linkslastig und ungustiös, das bürgerliche Publikum, welches den Großteil des Opernpublikum darstellt verspottend und vergrämend.
    Irgendwann war aber klar, daß sich diese Masche abgenutzt hatte - und man wurde "milder" was das Ganze auch nicht interessanter machte. Aber ein neuer Apekt war aufgetaucht. Die ursprünglich billigen Kostüme und Bühnenbilder wurden von "Designern" gestaltet - und war plötzlich genauso teuer wie die einst handwerklich mit großem Aufwand hergestellten "historisch korrekten"
    Hier möchte ich eine Einschränkung machen: Oper war nie "historisch korrekt - aber es wurde stets versucht diese Illusion zu erzeugen.
    Der Weg aus der Krise ? Er wird nicht planbar sein - sondern sich selbst seinen Weg durch die Zeit Bahnen - auch wenn das einigen zu lange dauern wird. Das Regietheater wird sterben - dessen bin ich mir sicher. Als "experimentelles Theater" wird es vielleicht weiterleben - für eine Minderheit.
    Wie schaut es nun aber mit "libettogetreuem" Theater aus ? Ist hier überhaupt noch ein Publikum vorhanden ?
    Ich glaube schon - Es stellt sich lediglich die Frage inwieweit dieses Theater finanzierbar ist. Aber auch hier bin ich - wenn die Rahmenbedingungen passen - zuversichtlich.
    Es muiß nur jemand wollen.
    Und hier sind wir bei einer der Kernfragen des Problems angelangt:
    WARUM will niemand gefällige Inszenierungen machen, obwohl ein Großteil des Publikums nur solche sehen will ?
    WARUM läuft man der Jugend hinterher, die über wenig Geld verfügt , bzw es für Oper nicht ausgeben will - und vergrault das finanziell gut gepolsterte Publikum aus den Logen und Rängen ?
    Man braucht auch wegen des Nachwuchses keine Angst haben, denn alles hat seine Zeit. Jugendliche geghen in Diskotheken, sobald sie etwas "reifer" geworden sind, findet man sie in Opernhäusern und beim Heurigen ("in der Schenke"), später dann in Sanatorien, Spitälern und in der Kirche....
    Ich gehe davon aus, daß es sich aus Sicht der Macher nicht um eine Krise handelt, sondern um ein einträgliches Geschäft.
    Wenn man die Krise aber derart sieht, daß die Opernhäuser leer sind - dann ist das ein Entscheidungspunkt der irgendwann eine Wende herbeführen MUSS. Und das ganz automatisch....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn das traditionelle
    Theater allerdings wieder zu gemalten Kulissen zurückkehren würde, dann
    würde das den Etat immens senken


    Tja, aber das wäre dann aber auch der Drottningholm-Effekt. Und gibt es überhaupt noch kompetente Bühnenmaler (ich denke da an die Dresdner Frauenkirche ...)? - Das Ende der Bühnenmalerei waren die Plakatmaler der Kinowerbung in den 50ern. Danach hat sich die bildschaffende Imagination auf den Film verlagert.


    Oper war nie "historisch korrekt" - aber es wurde stets versucht diese Illusion zu erzeugen.


    Im 19. Jh. entstand mit dem Historismus ganz bestimmt eine etwas äußerliche Vorstellung vom Historisch-Korrekten als Imaginationsraum - die "Meistersinger" etwa leben ja auch von diesem Realismus bis ins Kleinste; auch die große Historienoper wie etwa André Chenier will ein Zeitbild geben, der Don Carlo.


    Dann gibt es die Genreoper mit ihrer Milieuschilderung, der Trovatore, Carmen, die verkaufte Braut, la Bohème, il Tabarro.


    Es gibt die Exotismusoper mit ihrem wieder anders gelagerten imaginativen Konzept, Samson et Dalila, Salomé, Lakmé, Madame Butterfly, Turandot.


    Das alles wissen alle hier sattsam. Man kann auch bei einem Komponisten wie Verdi nicht umhin, in der Traviata, im Otello die imaginativen Evokationen der Musik zu hören, die zwielichtige Flora-Soirée, die ehrerbietige Fassade höfischen Glanzes im "dio ti giocondi"-Duett. Alfred meint ja gewiß, daß - im Gegensatz zu Wagners illustrativer Musik - etwa Verdi stilistisch immer ein wenig Distanz zum musikalischen "Naturalismus" hält.


    "Don Carlos" ist ja schon bei Schiller ein Zwitter aus deutscher Klassik und erträumter spanischer Glut und Härte. Ins Italienisch-Romanische zurückübersetzt, verstärken sich überraschend die suggestiven, atmosphärischen Dimensionen, und man muß sich immer wieder klar machen, daß der Komponist auf eine in alle Verästelungen der Musik reichende Verlebendigung des Stoffes aus ist; nicht platt illustrativ, sondern von innen her, aber gerade darum auch des realen, definerten Settings bedürftig, das die Wucht und den Höhenflug der Musik im Zaum hält, erdet, anschaulich macht.


    Als Bonmot könnte man formulieren, die konkrete Szene sei stets eine notwendige Simplifizierung und Vergröberung der Oper. Gutes Regietheater versucht mitunter, die Bühne eher der fluktuierenden Fülle der Musik anzupassen als der Geschichte.


    Ganz bestimmt hat jeder Opernkomponist einen Traum gehabt, als er die Musik erdachte; und je fließender und komplexer die szenischen Übergänge wurden, desto unbestimmbarer wurden vielleicht auch diese imaginären Privatvorstellungen im Kopf des Meisters, was zumindest auch für eine eher poetische Überwindung rein realistischer Auffassungen spricht (Pelléas et Mélisande).


    Dramatische Musik ist, wie das Erzählen, eine Erzeugung von Wirklichkeit, und die Regisseure tun da dem Werk Unrecht, wo sie den Stoff rücksichtslos analytisch auf den Kopf stellen oder assoziativ in Bilderräume ausweiten, die den Zusammenhalt von Figur und Geschehen zerreißen. - Gewiß gibt es auch unterschiedliche Toleranzen der szenischen Werktreue - das Rheingold, les contes d´Hoffmann sind da zweifellos schillernder als die Carmen. Und die voluptueuse Orientalik der Salomé befremdet heute stärker als im viktorianischen Kontext ihrer Entstehungszeit. Dafür stehen wir der Psychologie der Titelfigur vielleicht offener gegenüber (auch dies eine rezeptive Tendenz gegen die szenische Greifbarkeit).


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Jürgen Rose sagte, dass dank des Regietheaters auch die Kunst der Bühnenmalerei getötet worden sei. Er habe für seine letzte Inszenierung dafür extra Künstler aus Tschechien kommen lassen. Es gibt sie alsonoch. Aber man muss sie suchen. In Russland wird man auch noch fündig.


    Ich weiß jetzt nicht, ob die Bühnenmalerei vom Regietheater hingemetzelt wurde. Meiner Theaterkenntnis nach, begann die Ablehnung dieser Form der Bühnengestaltung schon vor dem 2. Weltkrieg, wobei Russland, Tschechien und Polen diese Tradition bis heute pflegen. Teilweise kann man sich auch noch in Italien an gemalten Bühnenbildern erfreuen. Ich erinnere mich, in den 70ern irgendeine Kritik gelesen zu haben, die sich auf irgendeine Premiere in Wien bezog. Motto: "Wie kann man einem Publikum denn heute noch gemalte Kulissen zumuten?"


    Wie gesagt, ich sehe das anders. Mir gefallen gemalte Kulissen in ihrem Farb- und Formreichtum sehr. Und ich glaube ein Weg aus der derzeitigen Krise wäre es auch, wenn sich das Theater nicht immer so bierenst nehmen würde. Einfach auch mal alles wieder etwas spielerischer angehen. Meine Güte, dann gibt es halt mal wieder eine Inszenierung mit gemalten Kulissen. Und mal wieder eine deutsch gesungene Aida. So what? Es gibt schließlich auch Leute denen das gefällt. Ist das was Schlimmes? Wer will darüber richten?


    Mir fehlt einfach die Vielfalt im Theaterbetrieb heute. Der Mut, einfach mal was auszuprobieren. Das alles etwas kindlicher anzugehen. Der Zauber ist irgendwie futsch.

  • Du verschweigst den einfachsten Grund für das Verschwinden der Kulissenmaler: wie bei den Kinoplakaten ist der Blow-up heute, im Gegensatz zu damals, auf fototechnischem Wege einfach schneller, billiger und im Effekt zuverlässiger zu erzielen. Und ehe man einen Maler eine Skizze machen läßt, hat man schon ein Dia in die Beleuchtung geschoben. Moderne Filme sind eben auch schon mit Ton und Musik ausgestattet und bedürfen nicht mehr der Lichtspielorgel. Die technischen Investitionen im Kino wie auf dem Theater verhindern den Einsatz musealer Apparaturen und Fertigkeiten.


    Es gibt Theaterkonzepte, die das nicht mitmachen - aber sie wirken bestimmt nicht stilbildend auf große Opernhäuser. Die Arbeiten Caspar Nehers zeigten ja früh, wie sich die Erwartungen an eine "moderne" Bühnenmaleri von der Tradition abheben.


    :hello:

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  • Ich habe nichts verschwiegen. Mir leuchtet der von Dir genannte Grund auch nicht in Gänze ein: Malerei und reproduzierte oder projizierte Fotografie sind in ihrer Wirkung völlig unterschiedlich.

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